Feministischer Macho
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"Sie hielten mich für das bekloppteste Arschloch, das ihnen je begegnet war", beschrieb Lee Hazlewood seinen Ruf in der Musikbranche. Er war so provokant wie erfolgreich. Als er spurlos verschwand, wurde Frank Sinatra dahinter vermutet.
"Unser erstes Treffen fand bei Nancy Sinatra zu Hause statt", erinnert sich Lee Hazlewood. "Und nach einer Weile kam der Alte herein. Er verschwand in der Küche, und als er schließlich wieder ging, schüttelte er mir die Hand und sagte: 'Bin schon gespannt auf eure Zusammenarbeit.' Und ich dachte: Verdammt! Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus."
Lee Hazlewoods Ruf in der US-Musikbranche war legendär. Selbstbeschreibung: "Sie hielten mich für das bekloppteste Arschloch, das ihnen je begegnet war." 1965 hatte Frank Sinatra den Texaner mit dem markanten Schnäuzer gebeten, der Karriere seiner Tochter auf die Sprünge zu helfen. Hazlewood riet der unbedarften Nancy, so zu singen wie eine 14-Jährige, die es mit einer Horde Lastwagenfahrer treiben will. Seine Duette mit ihr – darunter abermillionenfach verkaufte Hits wie "Summer Wine" oder "Some Velvet Morning", der erotisch gewagteste Song der Sechziger – waren purer Adult-Pop, ultracool, ultrasexy, tolldreist in den Mainstream geschmuggelte Subversion. Doch Ende der 60er kam Hazlewood zu dem Schluss, dass das Konzept ausgereizt war. "Ich wollte mir beweisen, dass ich es überall schaffen konnte, auch allein."
Eines Tages verschwand er spurlos
Im Jahr 1970 war Hazlewood dann plötzlich spurlos verschwunden. Die einen argwöhnten, Frank Sinatra habe seine Mafia-Buddys auf ihn angesetzt, weil er seiner Tochter Nancy zu nahe gekommen sei. Andere munkelten, der notorische Lebemann sei ins Kloster gegangen. Während Lee Hazlewood sich im 9.000 Kilometer entfernten Stockholm scheckig lachte, noch einen Drink einschenkte und sich mit einem wahrhaft extravaganten Konzeptalbum neu erfand: "Cowboy in Sweden" hieß es.
Hazlewoods Markenzeichen war sein kehliger Bariton, der stets so klang, als würde ein Südstaaten-Homer aufs Lotterbett bitten. Und auch weiterhin pflegte er sein Raureif-Timbre mit mal emanzipierten, mal nymphenhaften Frauenstimmen zu kontrastieren, wenn er etwa die ehemalige Elvis-Gespielin Ann-Margret oder das schwedische Schlagersternchen Nina Lizell ins Studio bat: für den Song "Hey Cowboy" – eine augenzwinkernde Spiegelung seiner selbst, eines feministischen Machos, der unter der skandinavischen Mitternachtssonne seine Wiedergeburt feierte.
Amerikanischer Provokateur
Im Pantheon des Pop hängt Hazlewoods Porträt ebenso weit abseits wie weit oben: das Bild eines Ikonoklasten und Außenseiters, der bei aller Eigenwilligkeit, irgendwo zwischen Country und Girl-Pop, Bubblegum und Burt Bacharach, 60 Millionen Platten verkaufte. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass Hazlewood lange Jahre in Europa blieb – ein amerikanischer Provokateur, der großes Storytelling, kaum verschlüsselten Schweinkram und männliche Entgiftung so elegant miteinander zu verbinden wusste wie sonst nur sein französisches Pendant Serge Gainsbourg. "Manchmal glaube ich’s selbst nicht", so Hazlewood in einem Interview. "Aber ich bin immer ungestraft davongekommen."
Lee Hazlewood ist 2007 gestorben, 78 Jahre alt. Wenn die Legende der Wahrheit entspricht, steht auf seiner Urne: "Didn’t he ramble." Das heißt so viel wie: Ganz schön herumgekommen. Auf einem Foto aus den frühen 70er-Jahren steht Hazlewood folgerichtig zwischen lauter splitternackten Blondinen. Die, und das ist die Pointe, alle denselben fiesen Schnäuzer unter der Nase tragen wie er. Dieselbe surreale Ironie schwingt in all den Songs, mit denen der hochgewachsene Texaner mal eben so ein ureigenes Genre geschaffen hatte. Und das kann ein Bob Dylan wohl kaum von sich behaupten.