Evangelische Kirche fordert Tarifeinheit
Deutschland steht von einer Woche Bahnstreik. Die Lokführer machen auch deswegen Druck, weil sie das Tarifeinheitsgesetz fürchten, das im Sommer kommen soll. Hinter dem Gesetz stehen aber Regierung, DGB, viele Arbeitgeber - und selbst die EKD.
Nach Ansicht des Leiters des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gerhard Wegner, höhlt eine fehlende Tarifeinheit die betriebliche Solidarität aus. Konkurrierende Gewerkschaften mit unterschiedlichen Tarifverträgen in einem Unternehmen könnten das bewährte Prinzip der Tarifpartnerschaft in Frage stellen und zu "schweren wirtschaftlichen Verwerfungen" führen, warnte er. Die EKD sei sich in dieser Frage weitgehend einig mit dem DGB, den meisten Arbeitgeberverbänden und der Regierung, sagte Wegner. Das Prinzip der Tarifpartnerschaft erodiere schon seit längerem. "Daran haben zum Teil auch Arbeitgeber Schuld, indem sie Tarifverträge haben schleifen lassen" oder Verträge mit kleineren Gewerkschaften abgeschlossen hätten, betonte Wegner. Die Entwicklung sei insgesamt nicht gut für die soziale Stabilität in Deutschland.
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Überrascht hat es uns ja nicht, auch die Bahn-Reisenden unter uns: Die Lokführer streiken wieder ab Dienstag im Personenverkehr. Es wird der längste Streik in der Geschichte der Bahn AG, er soll bis Sonntag dauern. Aber regt uns das wirklich noch auf? Irgendwie hat man ja das Gefühl, ständig streiken die Lokführer oder die Piloten. Das allerdings hat die Bundesregierung so geärgert, dass sie jetzt ein Gesetz gegen die kleinen Gewerkschaften beschlossen hat. Heute wird das vom Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales beraten.
Unterstützung bekommt die Regierung auch von der evangelischen Kirche, die hat sich nämlich in der Debatte um die Tarifeinheit eingemischt und stellt sich an ihre Seite. An dem Papier der EKD mitgearbeitet hat Gerhard Wegner, er leitet das Institut für Sozialwissenschaften der Evangelischen Kirche. Und ich habe ihn gefragt, warum die Kirche eine gesetzliche Wiederherstellung der Tarifeinheit fordert.
Ohne Tarifeinheit drohen soziale Verwerfungen
Gerhard Wegner: Wir haben einfach die Befürchtung, dass ohne Tarifeinheit die Eigen-Interessen von spezifischen Berufsgruppen die betriebliche Solidarität weiter aushöhlen, konkurrierende Gewerkschaften mit konkurrierenden Tarifverträgen in Betrieben und Branchen zu schweren wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen und damit insgesamt das doch bewährte Prinzip der Tarifpartnerschaft in Deutschland infrage gestellt wird.
Brink: Sie begeben sich damit aber in das Fahrwasser der Regierung!
Wegner: Na ja, wir sind uns ja darin weitgehend einig, mit dem DGB jedenfalls, mit den meisten Gewerkschaften im DGB, auch mit den Arbeitgeberverbänden, auch jetzt mit der Regierung. Das stimmt schon.
Brink: Es gibt ja aber sehr unterschiedliche Stimmen in Ihren Reihen. Der Landesverband Bremen des Christlichen Gewerkschaftsbundes – weil Sie gerade auch die Gewerkschaft angesprochen haben –, die haben sich ja gegen das Tarifeinheitsgesetz ausgesprochen, das sei ein kalkulierter Rechtsbruch! Was sagen Sie dazu?
Wegner: Also, die christlichen Gewerkschaften kann man nicht einfach zur evangelischen Kirche dazuzählen. Die christlichen Gewerkschaften sind auch von der evangelischen Kirche weitgehend als kleine Gewerkschaften begriffen worden, die eher im Sinne von Berufsverbänden operieren und die von daher das Prinzip der gewerkschaftlichen Solidarität und der Solidarität der Arbeitnehmer schon immer bedroht haben auszuhöhlen. So haben wir uns als Kirche denen gegenüber auch immer verhalten. Also, die Kirche spricht mit ihrer neuen Denkschrift über den Rat der EKD hier ganz eindeutig sich für das Prinzip der Tarifeinheit aus.
Brink: Warum haben Sie sich entschieden, noch mal wirklich so ein Papier zu verfassen, auch so detailliert Stellung zu nehmen?
Die Tarifpartnerschaft erodiert schon seit längerem
Wegner: Weil wir schon seit Längerem merken, dass das Prinzip der Tarifpartnerschaft in Deutschland, was lange Jahre, Jahrzehnte für sozialen Frieden und für wachsenden Wohlstand in Deutschland gesorgt hat, durch viele verschiedene Entwicklungen immer mehr erodiert.
Daran haben zum Teil auch Arbeitgeber Schuld, indem sie Tarifverträge haben schleifen lassen, indem sie sich aus Tarifverträgen haben entfernt, indem sie eben auch mit kleineren Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen haben. Aber diese Entwicklung insgesamt ist nicht gut für die soziale Stabilität in unserem Land und deswegen haben wir uns dazu geäußert.
Brink: Ist für Sie also die Solidargemeinschaft ein höheres Gut, wenn ich Sie richtig verstanden habe, als das Recht des Einzelnen, für seine Belange zu streiten?
Wegner: Also, durch ein Tarifeinheitsgesetz wird das Recht des Einzelnen, für seine Belange zu streiten, ja nicht eingeschränkt. Jeder soll in der Gewerkschaft mitmachen, in der er mitmachen möchte, das wird ja auch weiterhin möglich sein.
Der Wettbewerb der Gewerkschaften wird auf die Ebene des Wettbewerbs zwischen den Gewerkschaften selbst verlagert und kann nicht mehr über einzelne Streiks von einzelnen Gewerkschaften oder über unterschiedliche Tarifverträge exekutiert werden. Das ist lediglich der Unterschied gegenüber früher.
Dadurch wird kein Recht eingeschränkt, die Menschen können sich da organisieren, wo sie weiterhin wollen, und die Gewerkschaften müssen sich bemühen, möglichst viele Mitglieder in den Betrieben zu bekommen.
Brink: Aber Sie schränken die Freiheit doch ein!
Wegner: Wieso?
Brink: Na ja, Sie haben gesagt, okay, man kann zwar, wenn man sich zu den großen Gewerkschaften bekennt, aber den kleineren sprechen Sie das ja ab, sozusagen zu verhandeln. Sonst gäbe es ja diese ganze Debatte nicht!
Kleine Gewerkschaften dürfen nicht egoistische Interessen durchsetzen können
Wegner: Nein, nein, die sollen natürlich verhandeln, die sollen alles Mögliche machen, nur sie sollen nicht auf Kosten der Mehrheit im Betrieb ihre eigenen egoistischen Interessen durchsetzen können, sondern sie sollen sich dann dem, was die Mehrheit in einem Betrieb will, in einem geordneten Verfahren mit anpassen und mit unterordnen. Das ist der einzige Weg, um egoistische Interessen von einzelnen Berufssparten begrenzen zu können.
Brink: Sie sprechen immer wieder an die Solidargemeinschaft, die Ihnen wichtig ist, auch als Christ, ja der evangelischen Kirche wichtig ist. Da kommen wir zu einer Kernfrage: Welche Rolle spielt denn das Christsein noch in dieser globalisierten Arbeitswelt?
Wegner: Ja, das ist eine schöne Frage! Also, ich glaube, dass es nach wie vor viele Christenmenschen in der Arbeitswelt gibt, dass es auch viele Christenmenschen gibt – dazu haben wir in unserer Denkschrift auch ausführlich noch mal aufgefordert – die sich für Solidarität und Menschlichkeit und Selbstbestimmung in der Arbeitswelt einsetzen.
Das ist die Aufgabe von Christen heutzutage. Und als Kirche ermutigen wir sie dazu und versuchen, ihnen auch zu helfen, dementsprechend sich gut in den Betrieben aufstellen und verhalten zu können. Wir fordern in dieser Denkschrift Christenmenschen im Übrigen auch auf, sich in den Gewerkschaften zu engagieren, weil sie sich in den Gewerkschaften dann auch für andere, für ihre Kollegen sie sich mit engagieren, sich sozusagen für ihren Nächsten mit einsetzen, das gehört zum Christsein mit dazu.
Brink: Das heißt, Sie unterstützen also sozusagen eine Mitgliedschaft bei den Gewerkschaften als neue Aufgabe?
Christen sollen sich in Gewerkschaften engagieren
Wegner: Ja, das haben wir aber schon immer gemacht, die Kirche hat sich schon immer – nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig, 1955 ging das mal los mit großen Beschlüssen – schon immer für die Einheitsgewerkschaft ausgesprochen und Christenmenschen ermahnt, dort mitzuarbeiten, weil die Solidarität der Arbeitnehmer ein großer auch christlicher Wert ist.
Brink: Aber ist es denn so einfach, für alle zu sprechen? Weil Sie immer die Solidargemeinschaft, darauf will ich immer noch mal abheben ... Es gibt ja so viele unterschiedliche Berufe, gerade in dieser digitalisierten und globalisierten Welt, in der wir uns befinden. Und wenn ich mal von den großen Firmen abgehe und dann in den kleinen Bereich gehe, wie lässt sich denn so was wie Solidargemeinschaft ausüben, wenn man zu Hause sitzt? Wenn man zum Beispiel nur am Computer sitzt und dort für eine Firma arbeitet, die man eigentlich gar nicht kennt?
Wegner: Na ja, auch ein Home-Office-Arbeiter hat ja Interessen, was seine Arbeit anbetrifft, Interessen an Lohn, Interessen an Arbeitsplatzgestaltung und so weiter. Auch ein Home-Office-Arbeiter braucht im Prinzip einen Betriebsrat, der sich um seine Interessen kümmert. Das wird nur häufig vergessen, weil die Situation so vereinzelt ist. Aber im Prinzip braucht so jemand das. Natürlich ist das eine Frage der Aufklärung und der Ansprache dieser Menschen, dass dies wieder besser gelingt.
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