Europa muss in der Außenpolitik einig sein
In einer "multipolaren Welt" müsse die Europäische Union einig sein, mahnt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Außenpolitisch könne sie sonst kaum Einfluss nehmen, sagte er vor dem G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländern in Australien am Wochenende.
Korbinian Frenzel: Vor 25 Jahren haben wir eine Welt zusammenbrechen sehen, und es dürfte kaum einen gegeben haben, der sich darüber nicht gefreut hätte. Das Ende des Ost-West-Konfliktes, Berlin frei, alles möglich. Heute bricht wieder die Welt zusammen, so kann es einem vorkommen, wenn man in die Ukraine schaut, nach Syrien, in den Nahen Osten insgesamt, und darüber freuen kann sich eigentlich keiner. Steht die Welt hilflos vor dem Zusammenbrechen aller oder vielleicht besser gesagt alter Ordnungen?
Zu Gast jetzt bei uns im Studio 9 ist der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, bis vor einem Jahr Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, heute Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Einen schönen guten Morgen!
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Die wichtigsten Präsidenten, Regierungschefs und Kanzler kommen einmal mehr zusammen beim G20-Gipfel. Liegt in diesen Runden überhaupt noch die Macht, die Entwicklungen in der Welt zu steuern?
Polenz: Ich glaube, den Anspruch haben die G20 gar nicht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sie das Verhalten ihrer eigenen Länder, die sie repräsentieren, in einer Weise koordinieren, dass daraus eine gewisse Ordnung entsteht, etwa, was die Finanzmärkte angeht.
Frenzel: Es gibt aber natürlich die Hoffnung, und die ist auch verbunden mit Institutionen wie der G20, dass das, was nicht klappt auf Ebene der Vereinten Nationen, weil einfach zu viele dabei sind, dass das in kleineren Zirkeln besser klappen könnte. Brauchen wir nicht so etwas, größer als die G7, G8, aber eben doch kleiner als die Vereinten Nationen, um nicht nur Finanzmärkte zu regulieren?
Polenz: Sicher brauchen wir die G20, und sie sprechen ja auch nicht nur über die Finanzmärkte, sie sprechen, denke ich, auch über die Bekämpfung des Klimawandels, oder was man tun kann, um Armut und Elend in der Welt durch eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu verhindern oder dem wenigstens entgegenzuwirken. Das Problem bei den Konflikten, die wir haben – Sie haben Syrien und andere erwähnt –, ist nur, dass ohne Intervention von außen in diese Konflikte sie wahrscheinlich noch ziemlich lange dauern werden. Und zu dieser Intervention von außen kommt es aber nicht, weil es dafür an koordinierter Interventionsbereitschaft mangelt.
Frenzel: Man könnte ja auch sagen, es ist diese Bereitschaft da, zumindest die Bereitschaft, den Islamischen Staat zurückzudrängen, die Islamisten. Alle wollen das. Es werden jetzt Waffen geliefert, es werden Angriffe geflogen, und doch scheint es nicht zu gelingen. Das bringt mich wieder zu dem Gedanken: Erleben wir da Große, Mächtige machtlos?
"Die Sehnsucht nach einer Weltregierung mag es geben"
Polenz: Die Sehnsucht nach einer Weltregierung, die für unsere Welt das regelt, was wir unseren eigenen Regierungen zutrauen, was sie ja auch gewährleisten - innere Sicherheit, Frieden, ein staatliches Gewaltmonopol – diese Sehnsucht mag es geben. Ich teile sie nicht als eine realistische Perspektive. Eine Weltregierung wird es nicht geben, und das, was Karl Kaiser zu Beginn des 21. Jahrhunderts als große Trends ausgemacht hat, nämlich ein gleichzeitiges Ringen um mehr Integration einerseits, eine positive Entwicklung, andererseits aber eben auch immer mehr Fragmentierung auf der Welt bis hin zu zerfallenden Staaten und den Konflikten, über die wir gerade geredet haben – ich glaube, das ist das Schicksal, mit dem man sich auseinandersetzen muss.
Frenzel: Ich bleibe mal bei den naiven Gedanken und naiven Überlegungen zu der Weltregierung. Der Geist von 1989, den wir jetzt ja an diesem Wochenende, an diesem Sonntag, ganz stark beschworen haben und erlebt haben, noch mal erlebt haben. Da gab es ja diese Hoffnung, dass eigentlich die Grundfragen geklärt seien. Dass es am besten ist, wenn Menschen in Demokratie leben. Dass es so etwas wie eine freie und soziale Marktwirtschaft geben sollte. Warum setzen sich diese Gedanken so schwer durch? Warum verlieren sie im Moment sogar gerade an Boden?
Polenz: Sie waren deshalb auch bis zu der zugespitzten These vom Ende der Geschichte so wirkmächtig, weil der Konflikt des Kalten Krieges der dominante Konflikt war zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden Supermächten und ihren Verbündeten. Und als der dann zu Ende war, konnte man tatsächlich die Illusion haben, damit ist sozusagen der Grundkonflikt aus der Welt. Und wir haben nun festgestellt, dass diese Zeit des Kalten Krieges im Grunde eine historische Ausnahmesituation war –
Frenzel: Das heißt, dieses Chaos, das wir jetzt erleben, ist eigentlich die Normalität?
Polenz: Ja, so würde ich es sehen. Wenn man sich also – und in diesem Jahr haben wir das ja vielfach, denke ich, getan – mit der Situation vor 1914 auseinandersetzt und dann noch etwas weiter vielleicht zurückschaut, dann sieht man, dass doch dieses auch anarchische Element zur Welt dazugehört, nur jetzt mit dem Problem, dass zur Anarchie Atomwaffen kommen, dass zur Anarchie die Globalisierung kommt, und deshalb alle diese Konflikte praktisch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft bestehen, weil Entfernungen in der globalisierten Welt nicht mehr die Rolle spielen wie früher.
Frenzel: Sagen Sie das analysierend, mit einer Art Achselzucken, oder sagen Sie das auch mit der Idee, mit der Skizze, wie man Ordnung in diese chaotische Welt bringen könnte?
"Weit entfernte Konflikte betreffen uns eben doch"
Polenz: Nein, ich sage es überhaupt nicht achselzuckend, sondern zunächst einmal, um einer Stimmung, die es ja auch bei uns gibt, entgegenzuwirken, Konflikte, die auf dem Globus scheinbar entfernt von uns stattfinden, beträfen uns nicht. Sie betreffen uns eben doch, weil die Globusentfernung täuscht. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, wenn man Demokratien dazu gewinnen will, mit der Zustimmung ihrer Bevölkerung sich zur Lösung solcher scheinbar weit entfernten Konflikte auch zu engagieren.
Frenzel: Es gibt ja die Forderung des Bundespräsidenten, auch anderer, Deutschland muss bei dieser Ordnung der Welt eine Rolle spielen, also das, was Sie angesprochen haben, diese öffentliche Debatte, die da angestoßen wird. Aber ist es nicht geradezu naiv zu glauben, Deutschland könnte eine stärkere ordnende Rolle spielen, wenn selbst Supermächte wie die USA eigentlich keinen Einfluss mehr haben?
Polenz: Ja, natürlich würde sich Deutschland überheben. Deutschland spielt eine gewichtige Rolle in der unmittelbaren Nachbarschaft und in der Europäischen Union, und diese Rolle, finde ich, spielt Deutschland sehr verantwortungsbewusst im Sinne von Integration, von Solidarität, von Weiterentwicklung von Reformen. Und viele Länder in der Nachbarschaft – denken Sie daran, 2004 sind die mittel-/osteuropäischen Länder der Europäischen Union beigetreten, haben schwierige Transformationsprozesse damit zu einem ersten Abschluss gebracht. Das ist alles auch Erfolg dieser Politik. Aber in der Welt kann Deutschland genauso wenig wie Großbritannien oder Frankreich oder andere, auch größere europäische Länder auf sich gestellt keine nennenswerte Einflussrolle spielen. Das können wir als Europäer nur gemeinsam.
Frenzel: Zurzeit tagen die Anrainerstaaten des Pazifiks in Peking, die APEC. Ist das eine Region, sind das Länder, wie China voran, die Player sein könnten, diese Welt zu ordnen, oder sind Sie eher neue Problemquellen?
Polenz: Also, Sie sind in jedem Fall erst mal Player. Wir reden von der Welt des 21. Jahrhunderts als einer multipolaren Welt und meinen natürlich, dass China neben den USA, neben Russland, aber vielleicht auch Ländern wie Brasilien oder Südafrika in dieser Welt eine entscheidende Rolle spielen wird. Und ob Europa eine Rolle spielen wird, das hängt eben davon ab, ob es uns gelingt, immer wieder uns zu einigen auf eine gemeinsame Sicht außenpolitischer Fragen, und dann auch gemeinsam zu handeln. Das ist dabei die offene Frage. Und wenn wir das nicht schaffen, dann sind wir eben nicht Akteur als Europäer in dieser multipolaren Welt, sondern das Spielfeld für andere.
Frenzel: Ruprecht Polenz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Polenz: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.