"Ich will eine starke Wirtschaft"
Die Grünen als ökonomische Spaß- und Wachstumsbremse - das war einmal. Jedenfalls wenn es nach den Vorstellungen grüner Landespolitiker wie der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke geht, die einen wirtschaftsfreundlichen Kurs wünschen.
Heute beginnt in Hamburg die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen, auf der auch über eine neue Wirtschaftspolitik der Partei debattiert werden soll. Denn Grünen-Politiker aus Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fordern einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs, darunter auch Eveline Lemke, stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz.
Dieter Kassel: Heute beginnt in Hamburg die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen, und die könnte richtungsweisend werden, mindestens genau so wahrscheinlich ein Richtungsstreit, denn es gibt ein gewisses Nord-Süd-Gefälle oder, genauer gesagt, ein Nord-Ost/Süd-West-Gefälle. Ihre Partei solle eine moderne Wirtschaftspartei werden, das wollen vor allem Grünen-Politiker aus Hessen, Baden-Württemberg und auch Rheinland-Pfalz, und am Telefon ist deshalb jetzt die stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesplanung in Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke. Schönen guten Morgen, Frau Lemke!
Eveline Lemke: Guten Morgen, Herr Kassel!
Den Parteitag mit Wirtschaftsthemen "rocken"?
Kassel: Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, fordert, die Grünen sollen eine "neue klassische Wirtschaftspartei" werden. Wie wollen Sie sich denn dann noch von anderen Parteien unterscheiden?
Lemke: Ich glaube, das wird ganz einfach sein. Nur, wir müssen ein bisschen daran erinnern, und ich fände es natürlich auch klasse, wenn man sagen würde, man kann so einen grünen Parteitag mit Wirtschaftsthemen rocken. Das ist im Moment noch nicht ganz so das Gefühl in unserer Partei, aber das könnte entstehen. Ich will Ihnen nämlich auch sagen, wie: Deutschland ist ja das Erfinderland. Hier gibt es die ganzen Ingenieure, und Made in Germany ist ja ein Markenartikelbegriff in der Welt. So, und wenn wir irgendwohin kommen in Rheinland-Pfalz, haben wir auch eine Exportquote von 54 Prozent, das heißt, jeder zweite Arbeitsplatz hängt von der Außenwirtschaft ab. Und da fahre ich natürlich auch oft mit.
Wenn wir also nach China kommen, wo die Leute mit Mundschutz in Schanghai herumlaufen, weil sie die Luft nicht atmen können, und das Trinkwasser auch nicht aus der Leitung kommt, sondern aus der Flasche, dann wird unsere Technologie, die die Grünen hier gepusht haben über Jahre, weil wir nämlich auf saubere Umwelt Wert gelegt haben, da gebraucht. Die brauchen sauberes Wasser, die brauchen saubere Luft, die wollen auch saubere Autos fahren.
"Wir brauchen sogar die BASF"
Also, die weiße Industrie wird da von Deutschland erwartet, und die bringen wir mit, die haben wir im Gepäck, die verkaufen wir. Deswegen jeder zweite Arbeitsplatz, und wird das auch bleiben, aber nicht eben mehr mit dem Auto, mit dem das so verknüpft ist, sondern in Zukunft mit diesen Technologien. Und das macht Deutschland schon jetzt stark. Wir sind ein starker Industriestandort, Rheinland-Pfalz einer der stärksten in dieser Republik auch, und es ist weiße Industrie. So, und das muss man auch ruhig mal, darf man bewusst machen. Wir brauchen sogar die BASF, mit denen kommen wir super-gut klar auch in Rheinland-Pfalz. Die haben hier eine Milliarde investiert. D
er Unterschied liegt manchmal darin, welche Produkte sie herstellen und wie. Und wenn wir sagen, die Produkte, die wir herstellen, die dienen den Menschen und dem Klima und diesem Planeten und sind eben nicht nur, dienen nicht nur der Mobilität, sondern verbrauchen weniger Ressourcen, darauf kommt es uns an, dann ist das grün, und dann unterscheiden wir uns. Und dann ist es auch gewollt, und dann fühlt es sich auch gut an.
Wirtschaft, Politik und Bürger im Dialog
Kassel: Aber wie gehen Sie denn ganz konkret in dem Bundesland, in dem Sie Wirtschaftsministerin sind, wie gehen Sie denn mit Fällen um, wo es einen Widerspruch gibt zwischen ökonomischen Interessen und ökologischen?
Lemke: Zuhören. Dialoge führen. Ganz eng mit den Unternehmen, den Kammern, den Bürgern im Gespräch sein und vor allen Dingen beide Seiten zusammenbringen. Wir haben zum Beispiel einen Industriedialog jetzt über zweieinhalb Jahre geführt mit 350 Unternehmen, wo wir uns die Frage gestellt haben, wie wollen wir unsere Industriezukunft sicher aufstellen, und wie wollen wir auch motivieren, dass in Industrie investiert wird.
Also, es gab ja immer so die Old Economy und die New Economy. Old war Industrie und quasi irgendwie schlecht, und new soll die Dienstleistungsindustrie sein, und deswegen ja sauber. Und jetzt erleben wir ja, dass die Old Economy, also die Industrie, eigentlich uns genau dahin verholfen hat, wo wir sind, nämlich im Einklang, auch mehr im Einklang mit der Natur produzieren zu können, als das woanders in der Welt der Fall ist.
Wir brauchen eine breite Strategie
Kassel: Aber wenn das – entschuldigen Sie, wenn ich Sie da jetzt eben unterbreche –, aber wenn das gerade mal wirklich sehr schwierig ist, nehmen wir doch ein konkretes Beispiel aus Ihrem Bundesland, aus dem Nordwesten Ihres Bundeslandes: der Abbau von Quarzsand in der Eifel zum Beispiel. Da gibt es doch den Vorwurf, da würden Sie nun Dinge planen, zusammen mit der Industrie, die dem, was Umweltverbände möchten, widersprechen. Das habe ich wiederholt gehört. Was machen Sie denn da?
Lemke: Das ist ein Super-Beispiel, weil diesen Konflikt, den haben wir ja schon sehr lange, und es braucht auch eine breite Strategie. Ein Beispiel ist, wie wir es in Hessen gemacht haben, und das werden wir jetzt auch in der Eifel machen, ein Format der sogenannten Runden Tische anzubieten. Das kommt meistens dann vor einer Mediation, wo wir wirklich die Menschen der Region mit den Bergbauunternehmern und mit den kommunalen Entscheidern an einen Tisch zusammen bringen, um die jeweiligen Bedarfe auch miteinander zu erörtern. Und dann längerfristig auch Rohstoffe planen zu können, sodass das nicht passiert, was die Leute auch nicht wollen, nämlich, dass die ganzen kleinen netten Hügel in der Eifel verschwinden und man auch keinen Tourismus mehr machen kann, weil das natürlich wichtige Arbeitsplätze sind. Das schalten wir im Moment vor das Planungsverfahren, und ich will mal nicht sagen, es ist ein Pilotprojekt, aber so ähnlich ist es.
Das Verfahren moderieren und entpolitisieren
Es ist ein Bürgerbeteiligungsformat, was der weiteren Rohstoffplanung dienen soll, damit auch die Bergbauunternehmer Sicherheit haben für die Zukunft, wo sie dann welchen Stoff ausbeuten dürfen. Und gleichzeitig haben wir eine zweite Strategie: Die setzt darauf, dass die Unternehmer auch umstellen und zunehmend auch Recyclingtechnologien zur Anwendung bringen. Da gehört ganz viel zu, zum Beispiel, den Quarzsand auch zu ersetzen durch andere Recyclingbaustoffe, die wir schon in der Straße haben – wenn Sie Quarzsand wieder in die Straße bringen, damit die Straße nicht aufplatzt, das ist nur ein Beispiel, also bei Frost.
Da muss man auch sehr ins Detail gehen, das heißt, Sie brauchen viel Zeit. Es ist ungeheuer anstrengend für alle Beteiligten. Sie müssen es moderieren lassen. Man muss es ein Stück entpolitisieren. Ich gehe auch davon aus, wenn jetzt der Beschluss gefasst werden wird von der Raumordnungsgemeinschaft, sich auf dieses Verfahren einzulassen und den ganzen Bereich Bergbau aus der Planung auszunehmen, was ich sehr hoffe, dass die das tun werden. Das ist mein Angebot. Ich werde das auch bezahlen. Und dann, dann kriegen wir eine ganz andere ...
Kassel: Bevor wir da zu sehr ins Detail gehen –
Lemke: Ja, wir müssen ins Detail gehen! Das kann man nicht ohne Detail machen. Und ich lehne es auch ab, da nur immer pauschaliert vorzugehen, weil ich natürlich auch will, dass die Leute am Ende Fliesen in den Bädern haben, wenn Sie Ton ausbeuten müssen. Wir alle haben hübsche Häuser, Gärten, Vorgärten, und viel Material, was wir gerade im Bau einbringen, und es kommt auch aus der Eifel. Und wir wollen das auch weiterhin haben.
Gemeinsam mit RWE ins neue Energiezeitalter
Kassel: Nun wissen Sie aber, dass Dinge natürlich gerne auch verkürzt wahrgenommen werden, und Ihr Amtskollege in Hessen und natürlich auch Parteikollege, Tarek Al-Wazir hat vor Kurzem bei einem Empfang der Frankfurter Industrie- und Handelskammer wörtlich Folgendes gesagt: "Die Industrie ist ein Anker der wirtschaftlichen Stabilität, ein Problemlöser und Partner der hessischen Landesregierung." Glauben Sie, dass so was bei typischen Grünen-Wählern gut ankommt?
Lemke: Ich glaube, es sind immer mehr, und es sind auch mehr Mitglieder, die wir haben in unserer Partei, die aus der Industrie kommen. Das hat sich mächtig verschoben. Dieses typische Unterscheiden in gute Wirtschaft und schlechte Wirtschaft, das ist mal einfach vorbei. Es gibt da nicht die Guten und die Bösen. Auch jeder, der vielleicht mal irgendwas gemacht hat, was vielleicht nicht so toll war für die Umwelt, der muss ja wieder eine neue Chance kriegen.
Sehen Sie, ich arbeite auch mit der RWE zusammen beim Thema Energiewende. Die stellen sich auch neu auf, und wenn wir das AKW Mühlheim-Kärlich abreißen werden gemeinsam, da wird es eine Riesenparty geben, weil wir sagen, das neue Energiezeitalter beginnt. Und auch RWE als alter Player, den die Grünen nicht so toll fanden, findet in Zukunft bei mir hier in Rheinland-Pfalz seine Rolle und seinen Platz. Und da gibt es keine ewigen Verurteilungen. So können wir doch in der Gesellschaft nicht miteinander umgehen.
Die Wirtschaft stark machen
Kassel: Das ist sicher richtig. Aber eine Frage zum Schluss, auch wieder mit Bezug auf die Bundesdelegiertenkonferenz. Sie sagen, wie wir alle, Parteitag, aber es heißt ja offiziell bei Ihnen nicht so in Hamburg. Täuscht mich mein Eindruck, dass immer die grünen Landespolitiker, die irgendwo mitregieren viel wirtschaftsfreundlicher sind als die, die es nicht tun?
Lemke: Ja, das ist natürlich eine Frage, wie viel Kontakt Sie haben. Ich begegne jeden Tag Unternehmerinnen und Unternehmern, und wir ringen darum, wie wir das hinbekommen, gute Investitionen für tolle Produkte und Innovation auf den Weg zu bringen. Wir haben Förderprogramme umgestellt, und dann lernt man genau kennen, was deren Schwierigkeiten sind. Ich möchte die Wirtschaft stark machen. Ich möchte, dass sie richtig solide Arbeitsplätze schaffen, die nachhaltig funktionieren, und dann weiß ich manchmal, wo sind die Klemmen. Wo wird Geld gebraucht, warum kann nicht geforscht werden?
Für eine andere Steuerpolitik der Grünen
Gerade der Mittelstand – ist ja 99 Prozent hier in Rheinland-Pfalz – braucht Unterstützung bei Innovation und Technologieentwicklung, und dann wissen wir auch, wie wichtig das ist, wenn die sagen, eine Steuer nicht zu hoch, und geht uns nicht an unser Eigentum, seht zu, dass wir bei der Erbschaftsteuer nichts verkehrt machen. Das sind ja die Themen, die dann das Unternehmertum da aufregen.
Und dann muss man wirklich darüber reflektieren, ob die Steuerpolitik mit dem Angebot des letzten Wahlkampfes richtig war. Das war sie nicht. Da haben wir vom Wähler eine Klatsche gekriegt. Also müssen wir auch an diese Themen wieder ran. Und da ist die Debatte bei uns in der Partei bei uns in der Partei noch gar nicht so substantiiert geführt worden. Da fangen wir jetzt gerade erst mit an, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir sagen, auch die Wirtschaft muss da gestärkt werden, der Mittelstand, weil das ist wirklich die Säule – da hat Tarek Al-Wazir recht –, das ist die Säule auch unserer Gesellschaft. Ohne Arbeit hätten wir noch mal wieder eine ganz andere Situation, und deswegen müssen wir gemeinsam das entwickeln und dürfen da auch niemanden überfordern. Und ich will eine starke Wirtschaft.
Kassel: Die Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, über die wirtschaftliche Zukunft ihrer Partei, der Grünen, um die es auch ab heute in Hamburg auf dem – jetzt nennen wir es doch beide mal wieder so – Bundesparteitag gehen wird. Frau Lemke, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Lemke: Gerne! Schönen Tag noch!
Kassel: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.