Der Spagat der CSU
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Ein Wahlsieg in Bayern war der CSU jahrzehntelang sicher. Doch auch dort verschieben sich die politischen Gewichte: Auf der einen Seite werden der Partei bei der Kommunalwahl nun die Grünen gefährlich. Auf der anderen steht die AfD bereit.
Um die grüne Revolution in Bayern zu verstehen, lohnt es sich, in seine äußersten Winkel zu reisen. Zum Beispiel Pechbrunn bei Marktredwitz. Das 1.300-Einwohner-Dörfchen liegt tief im Nordosten des Bundeslandes, etwa 30 Kilometer entfernt von der tschechischen Grenze. An diesem Winternachmittag regt sich nichts in diesem Dorf, nur Schnee fällt unablässig. Im Haus von Ute Döhler aber herrscht freudige Spannung. Schließlich tritt hier zum ersten Mal die grüne Partei an. Mit einem eigenen Ortsverband.
"Ich war jahrelang Alleinkämpferin. Und dann kam plötzlich die Madeleine mit dazu, die Madeleine hat ihre Mama mit dazu gebracht. Und dann kam noch meine Tochter mit dazu. Und nachdem wir uns innerhalb von zwei Monaten vervierfacht haben, habe ich gedacht: Jetzt geht’s."
Vier Mitglieder reichen für einen Ortsverband
Ute Döhler umfasst fröhlich ihre Teetasse. Die vier Köpfe reichen für einen Ortsverband der Grünen. So wie hier in Pechbrunn haben sich in den vergangenen Monaten über 120 solcher Verbände gegründet. Von Mömbris nach Teublitz, von Schwarzenfeld nach Waldkirchen – überall schießen Ortsgruppen der Öko-Partei aus dem Boden. Und das ist neu. Zwar haben die Grünen Großstadtbezirke schon länger fest im Griff. Doch in der Fläche gibt es noch großen Nachholbedarf – und oft noch gar keine Listen. Bis jetzt sah die Grünen-Infrastruktur im Flächenlandkreis Tirschenreuth so aus:
"Ein paar Exoten gab es auch im Landkreis Tirschenreuth. Wir hatten da einen Stammtisch – oder haben ihn immer noch. Und ein paar nette, eingefleischte Grüne, die einen da auch recht nett aufgenommen haben. Das einzige Problem ist halt, dass man dann wirklich, um zum Grünen-Stammtisch zu kommen, auch relativ weit fahren muss im Landkreis. Und das dann mit dem Auto und dann überlegt man schon: Macht man das oder macht man das nicht? Weil das ja auch wieder nicht gut für die Umwelt ist. Aber jetzt habe ich ja meine Leutchen hier, gell Madeleine?"
Ohne Auto geht nichts
Madeleine Schneider macht in diesem Jahr Abi und stößt von der Bewegung Fridays For Future zur Partei. Ihr kleiner Ortsverband tritt bei der Kommunalwahl am 15. März an. Ihr Ziel ist nicht gerade bescheiden: so mächtig wie möglich zu werden. Und eine Umfrage von Mitte Januar gibt ihnen Recht. Sie sieht die Grünen bayernweit bei 25 Prozent. Das bringt die CSU ins Wanken. Auch hier auf dem Land, ihrer einstigen Bastion, entsteht neue Konkurrenz mit Themen, die vor allem bei den Konservativen eine eher kleine Rolle spielten. Madeleine Schneider:
"Einfach den ÖPNV, also öffentlichen Personennahverkehr weiter auszubauen, das ist hier wichtig. Denn aufs Auto kann man hier wirklich nicht verzichten. Und wenn man’s möchte, dann braucht man viel Zeit und Geduld."
Doch die grünen Frauen von Pechbrunn, sie wollen noch etwas anderes ändern. Die Kultur im Dorfrathaus. Ute Döhler erzählt dazu die Geschichte, wie vor einigen Jahren der Schulweihnachtsbaum, eine Blaufichte, auf dem Schulhof gefällt werden sollte.
"Die Kinder haben dann in der Schule protestiert. Die haben Bilder gemalt, sind zum Bürgermeister gegangen, haben gesagt, sie wollen ihren Baum behalten. Und, ja, das gab damals keine guten Reaktionen. Der Bürgermeister hat die Kinder zusammengeschimpft, sie sollen sich gefälligst um ihre Sachen kümmern. Und der Gemeinderat hat entschieden und – ja."
Eine neue demokratische Kultur
Nach einer Petition sei der Widerstand gegen die Fällung nur daran gescheitert, dass eine unbekannte Person den Baum nachts fällte. Der Bürgermeister von Pechbrunn, Ernst Neumann von der CSU, der im März abtritt, möchte sich auf Anfrage zum Baumvorfall nicht äußern. Für Ute Döhler steht fest: Es muss eine neue demokratische Kultur her.
"Es geht halt so nicht mehr. Sondern dass man den Kindern einfach Möglichkeiten zeigt, wie es geht und nicht einfach nur den Baum wegfällt."
Die Euphorie für die Grünen und ihre demokratische Kultur ist inzwischen auch bei CSU-Anhängerinnen und -Anhängern angekommen. Darauf weist der konservative ehemalige Bundestagsabgeordnete Josef Göppel schon länger hin.
"Im Land Bayern beobachte ich, dass das Lebensgefühl der Menschen zum großen Teil von den Grünen jetzt besser repräsentiert wird."
"Irgendwann muss jetzt auch mal gut sein"
Daher fordert Göppel eine stärkere thematische Annäherung seiner Partei an die Grünen:
"Es führt kein Weg dran vorbei. Die Grundlagen der Union einerseits mit einem Wertesystem andererseits mit einer Marktorientierung zu verbinden mit einer klaren ökologischen Ausrichtung. Und dieser Schritt – der wird nun zunehmend von den Grünen besetzt."
Doch von Umweltpolitik ist in diesen Tagen bei der CSU weniger die Rede. Vergangene Woche lancierte die Partei noch die Kampagne: Tempolimit – nein danke! Der verkehrspolitische Sprecher der CSU im Bundestag Alois Rainer:
"Ich denke, die Kampagne ist schon nötig, dass man generell auch mal sagt, wir wollen nicht ständig und dauernd Verbote. Verbote für die Autofahrer. Irgendwann muss jetzt auch einmal gut sein."
Umweltthemen auf dem Land weniger gefragt
Doch warum diese Aktion? Vielleicht, weil zumindest statistisch gesehen, Umweltthemen bei Wählerinnen und Wählern auf dem Land nicht vorne liegen. Das zumindest hat die CSU-nahe Hans-Seidl-Stiftung herausgefunden – in einer Jugendstudie. Deren Chef Markus Ferber betont:
"Es gibt kaum ein Jung-Alt-Gefälle, aber ein starkes Stadt-Land-Gefälle. In der Stadt spielen die Umweltthemen eine größere Rolle als im ländlichen Bereich."
Eike Hallitzky, Chef der bayerischen Grünen, glaubt dagegen nicht an einen Erfolg der Anti-Tempolimit-Kampagne:
"Ich glaube, es ist ein Zeichen, dass die CSU Angst hat vor der Kommunalwahl. Und als Vorsitzender der bayerischen Grünen muss ich mich ja fast bei den CSU-Rasern für die Wahlkampfhilfe bedanken. Denn es ist so: Die große Mehrheit der Bürger ist nach wie vor wie wir für eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen – und sie haben ja auch recht."
Landwirte von CSU enttäuscht
Vergangenes Jahr zwangen Umweltschützerinnen und Umweltschützer Markus Söders CSU zu mehr Artenschutz in Bayern. Söder nutzte diesen Schritt, um sich als grüner Landesvater zu präsentieren. Doch er machte die Rechnung ohne die Landwirtinnen und Landwirte, von denen sich nicht wenige zu der Bewegung "Land schafft Verbindung" zusammengeschlossen haben. Sie sind enttäuscht von der Partei, die sie einst repräsentiert hat wie keine andere – und die sich plötzlich für den Schutz von Streuobstwiesen und Uferrandstreifen einsetzt. Ackerbau-Landwirt Manfred Lang aus Niederbayern, struppiger Schnurrbart, Filzhut, hält bei einer Demonstration in München ein Schild in die Höhe:
"'Tausend Bauern waren immer fleißig – haben CSU gewählt, da waren’s nur noch 30'. Das ist eigentlich ganz einfach zu verstehen. Aus 1.000 Bauern sind 30 geworden. Wir sind die Gleichen geblieben. Aber die CSU will von uns nix mehr wissen."
Offiziell ist die Bewegung "Land schafft Verbindung" unparteiisch. Doch es kann sein, dass die AfD statt der CSU bei den Bauern Stimmen erntet. Im Bayerischen Landtag positionierte sich der AfD-Abgeordnete Gerd Mannes in einer aktuellen Stunde:
"Das verfassungsrechtlich bedenkliche Volksbegehren ‚Rettet die Bienen‘ wurde von allen Parteien bis auf die AfD beschlossen. Wir klagen die fehlerhafte Umsetzung dieses planwirtschaftlichen Bürokratiemonsters an. Die CSU und Ministerpräsident Söder haben sich aus Opportunismus am Feldzug gegen die Landwirte unzweifelhaft mit ihrem Abstimmungsverhalten beteiligt."
Gefahr der Radikalisierung
2018 zählte die Gruppe der Landwirte noch zur treuesten Wahlklientel der CSU, für die AfD stimmten Vertreter aus der Landwirtschaft weniger als aus der Gesamtbevölkerung. Doch wer dieser Tage ohne Mikrofon mit Landwirten spricht, hört Warnungen: In der Bauernschaft bestehe die Gefahr einer Radikalisierung. Das ist auch der CSU bewusst.
Das niederbayerische Deggendorf. Hier erhielt die AfD in einem Wahlbezirk rund um ein Ankerzentrum die höchste Stimmenquote Westdeutschlands. Auch hier demonstrieren im Januar Bauern. Auch hier versucht Markus Söder, wie so oft in diesen Wochen, um Verständnis zu werben. Zehn Minuten lang spricht er vor den Bauern. Seine Partei, die CSU, habe verstanden. Söder verspricht, für eine lockere Düngemittelverordnung einzutreten. Und an den Protest gerichtet, sagt Söder:
"Für mich ist das eher eine Unterstützung in Berlin, damit wir sagen können: Schaut her, da ist ein Punkt erreicht, dass sich was verändern muss. Insofern sind die Demonstrationen jetzt richtig."
Der Spagat der CSU
Dann bittet er um Verständnis. Und dreht sich um. Auf der anderen Straßenseite demonstrieren 50 Jugendliche von Fridays for Future. Denen will er fünf Minuten seine Umweltagenda erklären. Kein Bild könnte besser den Spagat erklären, den die Partei versucht – und der ihr nicht so richtig gelingt, denn laut Umfrage steht die CSU bei derzeit 36 Prozent. Christian Bernreiter, CSU-Landrat von Deggendorf, versucht zu relativieren:
"Die politische Großwetterlage. Spricht die für oder gegen uns? Ich kann Ihnen jetzt aus langjähriger oder jahrzehntelanger Erfahrung sagen, dass sich das immer im Bereich von plus minus fünf Prozent abspielt. Entscheidend sind die Kandidaten vor Ort."
Will heißen: Christian Bernreiter vertraut auf seine eigenen Beliebtheitswerte im Landkreis. Noch hat die AfD wenig Chancen bei der Kommunalwahl. Das liegt aber nicht an den Zustimmungswerten, sondern daran, dass die Partei in vielen Orten noch keine Kandidaten aufstellen konnte.