Und immer droht die Abschiebung
Vom Krieg traumatisiert, müssen sie sich in Deutschland zurechtfinden und eine neue Sprache lernen. Manche haben schon einen Ausbildungsplatz sicher. Doch das BAMF kann all die Pläne durchkreuzen. Ein Besuch in der Berufsschule 2 im oberbayerischen Rosenheim.
"Dann machen wir ganz kurz die Anwesenheit, schauma mal, wer heut da ist. Den Abdullah hab ich schon gesehen, wunderbar. Khaled ist auch da – einer der ersten. Jetzt hamma 1,2,3,4,5,6,7…8, guten Morgen Mossa, Schüler, das heißt es ist langsam unterrichtbar, das heißt, wir werden jetzt bald starten."
Es ist zehn nach acht an diesem regnerischen Oktobertag, der Unterricht in der Berufsschule 2 im oberbayerischen Rosenheim hat eigentlich längst begonnen. Doch Lehrer Kristof Kühnel bleibt gelassen. Nicht alle seiner Schüler aus Somalia, Syrien oder Afghanistan sind in ihrem Leben vor der Flucht regelmäßig in die Schule gegangen. Manche wissen nicht einmal, wie man einen Ordner führt. Und sie alle will Klassenleiter Kristof Kühnel in den nächsten zwei Jahren fit machen für eine Ausbildung. Es ist die erste Flüchtlingsklasse für den jungen Lehrer. Noch steht er ganz am Anfang, noch ist er optimistisch:
"Also wir werden sicher welche haben, die in eine Ausbildung gehen, ich hoffe, das ist der Großteil. Wir werden sicher welche haben, die ins Berufsleben direkt einsteigen, ansonsten, studieren ist noch nicht wirklich absehbar."
Unterricht im Container
Insgesamt drei neue Flüchtlingsklassen gibt es in diesem Schuljahr an der Berufsschule – zusätzlich zu den zwei Flüchtlingsklassen vom letzten Jahr. Der Platz fehlt, daher unterrichtet Kristof Kühnel seine Klasse in einem Container. Man lerne improvisieren, sagt der junge Lehrer und grinst. Denn die Ausstattung im Klassenzimmer ist spartanisch, die Schüler sitzen an Bistro-Tischen, ein Lehrerpult gibt es nicht. Ohne sein Engagement sähe das Zimmer aber noch viel schlimmer aus:
"Ich hab jetzt die ganzen Sachen aus dem Müll zusammengeklaubt, das heißt, wir haben jetzt inzwischen Drehstühle, wir haben jetzt eine Karte an der Wand. Ein Beamer wäre super, ein Computer wäre toll, ein Pult wär toll. Also ich hab halt auch so wilde Träume."
Ein paar Schritte weiter, im Schulgebäude neben dem Container bittet Rektorin Christiane Elgass in ihr Büro. Die Schüler der Klasse von Kristof Kühnel werden zwei Jahre hier die Schule besuchen, erklärt die Rektorin. Im ersten Jahr liegt der Schwerpunkt auf dem Deutschlernen, im zweiten Jahr sollen die Schüler dann Praktika machen. Und danach fit sein für eine Ausbildung - wenn alles gut geht – aber so sicher ist sich da Christiane Elgass nicht.
"Ich wünsch mir für die Schüler, dass sie in den zwei Jahren einen großen Schritt weiterkommen, ich weiß nicht, ob sie die Ausbildungsreife schaffen, ob man in zwei Jahren diese sprachlichen Defizite aufarbeiten kann."
Der Rausschmiss droht
Februar, das erste Halbjahr ist so gut wie vorbei. Einiges hat sich getan in den letzten Monaten: Zum Beispiel gibt es endlich ein Lehrerpult und richtige Schulbänke, die meisten Schüler haben große Fortschritte gemacht.
Aber Lehrer Kristof Kühnel ist nicht mehr ganz so unbeschwert wie am Anfang – ihm setzt unter anderem zu, dass er einen Schüler von der Schule verweisen musste. Weil er einfach nicht regelmäßig zur Schule kam, der ganze Einsatz von Lehrer und Sozialpädagogen war umsonst. Auch mit einem anderen Schüler gibt es große Schwierigkeiten – er ist ins Drogenmilieu abgerutscht.
"Und der hat sich aber dann auch selber hilfesuchend an die Sozialpädagogen gewendet und sich Hilfe gesucht bei der Caritas. Und der kommt jetzt seitdem auch wieder regelmäßig, und obwohl der jetzt die Fehltage erreicht hätte, mit denen ich ihn von der Schule schmeißen müsste, drück ich bei dem beide Augen zu, weil ich hoffe, dass er es noch packt und die Kurve kriegt."
Entscheidung beim BaMF
Bei vielen Schülern steht gerade die entscheidende Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, andere haben sie gerade hinter sich. Einige haben auch eine Ablehnung bekommen. Deshalb will Kristof Kühnel seine Schüler in dieser Stunde auf die Anhörung vorbereiten. Was Kristof Kühnel da macht, steht nicht im Lehrplan.
"Ich hab ein bisschen Wut im Bauch, weil das Schüler sind, die total engagiert sind, die pünktlich kommen, die alle Regeln akzeptieren, die Träume haben, die in der Schule wirklich gut sind und sich total bemühen und dann wirklich mit einem Federstrich des Landes verwiesen werden und aller Chancen beraubt werden. Diese Schüler kommen dann trotzdem noch zum Unterricht, pünktlich machen ihre Hausaufgaben und arbeiten mit, obwohl sie den negativen Bescheid haben. Und ich versuch jetzt denen einfach so gut es geht irgendwie zu helfen, dass sie hier bleiben können, das ist mir einfach sehr wichtig."
Die Wahrheit ist wichtig
Kristof Kühnel erklärt, was auf die jungen Flüchtlinge zukommt, dass sie unbedingt die Wahrheit sagen müssen, ihre ganze Geschichte erzählen. Mossa, ein junger Syrer, beginnt plötzlich zu erzählen, von früher, als er in einem Stadtviertel von Damaskus, den Krieg erlebt hat. Das Viertel war belagert, erzählt er, alle haben gehungert. Seine Familie hat Hunde gegessen, Katzen. Und dann waren da noch die Bomben:
"Mein Familie schlafen im Badezimmer, weil Badezimmer im Unter – im Keller? – im Keller, ja. Fünf Stöcke und dann alle im Keller. Und dann kommt eine große Bombe und dann alle unter Keller. Und dann alles weg und dann alle weiß. Und dann mein Papa sagt alles gut? Und dann Mossa, alles gut? Aya, meine Schwester, alles gut? Kein Tod? Bitte, bitte, sag. Das auch so schwierig."
Mossa zieht sein Handy aus der Tasche, zeigt ein Foto seiner Schwester. Eine hübsche junge Frau – mit schweren Verletzungen. Mittlerweile ist sie tot. Es ist still im Klassenzimmer. Ein traumatisierter Junge aus dem Iran läuft nach draußen, für ihn ist das zu viel. Lehrer Kristof Kühnel beschließt, eine Pause zu machen. Auch er wirkt etwas mitgenommen, die Geschichten seiner Schüler sind nicht leicht zu ertragen.
"Das belastet mich eigentlich schon sehr, das nehm ich auch mit nach Hause. Das ist schwer, da abzuschalten. Und es ist auch manchmal schwer, da die richtigen Worte und die richtige Reaktion zu finden. Also ich bin dafür ja nicht ausgebildet. Das Ärgerlichste ist eigentlich, man hat das Gefühl, man möchte helfen, man möchte irgendwas tun, damit es dem armen Kerl besser geht. Man leidet da regelrecht mit und ist selber eigentlich nur hilflos. Und das ist das eigentlich wirklich Frustrierende an der ganzen Geschichte."
"Ich bin gleich skeptisch"
Es ist mittlerweile Juli, das Schuljahr ist fast zu Ende. Schulleiterin Christiane Elgass geht gerade Zeugnisnoten durch. Am Anfang des Schuljahres war sie sehr skeptisch, ob die jungen Flüchtlinge es wirklich schaffen werden, alles nachzuholen, ob sie reif werden für eine Ausbildung. Die allererste Flüchtlingsklasse hier an der Schule hat jetzt ihren Abschluss gemacht, sagt sie. Mit überraschend guten Noten. Trotzdem ist sie nicht sonderlich optimistisch, was die Zukunft ihrer Schüler angeht.
"Ich bin gleich skeptisch, was nichts damit zu tun hat, dass ich nicht von der Leistung insgesamt überzeugt wäre, aber die Rahmenbedingungen eben, die drohende Abschiebung hat vieles verunsichert, auch die Arbeitgeber verunsichert und da wird sich manch einer überlegen, ob er einen Ausbildungsplatz anbietet und das finden wir natürlich schade."
Bayerns harter Kurs beim Thema Flüchtlinge führt dazu, dass Arbeitgeber die Erfahrung machen mussten: Der Schüler, der eigentlich in ein paar Monaten ihr Lehrling werden sollte, bekommt einfach keine Erlaubnis, eine Ausbildung zu machen. Die Schüler in Kristof Kühnels Klasse haben noch ein Jahr Zeit, einige haben sogar schon jetzt einen Ausbildungsplatz sicher. Aber auch hier ist klar: Für viele wird es schwer werden.