Vorbild Finnland?

Von Tim Krohn |
Seit die Finninnen 1906 als erste Frauen Europas das Wahlrecht erhielten, gilt das Land in der Gleichstellung von Frauen als vorbildlich. Und auch was Kitaplätze, Betreuungsgeld und Kindergeld betrifft wird gerne als Vorbild angeführt.
Jasper ist heute bockig. Der Einjährige aus einem Vorort von Helsinki muss wieder in den Kindergarten. Ob er sich denn gar nicht freue, fragt ihn die Mutter und bekommt wieder mal ein unüberhörbares "Nein" als Antwort.

Jaspers Antwort ist nicht wirklich überraschend. Denn der Junge muss heute wieder über Nacht in der Kita bleiben. Laura, seine Mutter, ist alleinerziehende Krankenschwester und auf die 24-Stunden-Kita angewiesen.

"Natürlich wäre ich lieber mit meinem Kind zusammen. Ich muss aber arbeiten gehen. Ich mag die Nachtschicht zwar nicht, aber es bleibt mir nichts anderes übrig!"

Neun solcher Schicht-Kindergärten gibt es in Helsinki schon. Und der Bedarf nach ihnen steigt weiter. Die Lebenshaltungskosten sind hoch, die Jobs werden schlechter. Es läuft also längst nicht alles rund im "PISA-Wunderland" im hohen Norden.

Das umfassende Fürsorgesystem ist ein zentraler Pfeiler der finnischen Gesellschaft. Ohne ihn würde hier so manches in sich zusammenbrechen. Das ist der Deal: Die Finnen zahlen hohe Steuern und der Staat bietet dafür im Gegenzug umfassende Betreuungsangebote - ein erprobtes Zusammenspiel aus Kitaversorgung, Kinder- und Betreuungsgeld.

Etwa fünf Wochen vor der Geburt steigen die meisten Mütter aus ihrem Job aus. Das Mutterschaftsgeld wird bis zu 17 Wochen lang gezahlt. Die Väter dürfen immerhin drei Wochen lang zu Hause bleiben. Später kann ein Elternteil dann Erziehungsurlaub nehmen. Der Arbeitsplatz bleibt in dieser Zeit gesetzlich garantiert erhalten.

Bis zum dritten Lebensjahr des Kindes dürfen Mutter oder Vater zu Hause bleiben. Wer das macht, bekommt das "Koti-Hoi-Dontuki" - ein Betreuungsgeld, dessen Modell sich in letzter Zeit wohl vor allem die Politiker aus Deutschland so genau angeschaut haben. Die Höhe berechnet sich nach dem letzten Monatseinkommen, liegt im Schnitt bei rund 330 Euro - deutlich höher als bei dem deutschen Modell. In etwa jeder zweite Finne greift darauf zurück, nicht immer allerdings so ganz freiwillig.

Denn wer einen festen Arbeitsplatz hat, zieht am Ende doch die Kita vor. Während das Kindergeld sowieso automatisch auf das Konto der Eltern fließt, gehen Jasper und seine Freunde also in die Kita. Die Eltern können im Idealfall zwischen mehreren Angeboten wählen oder sich auch für staatliche Zuschüsse für eine Tagesmutter entscheiden. Die Kosten sind niedrig, nach Einkommen gestaffelt.

Jaspers Mutter Laura zum Beispiel zahlt 140 Euro im Monat. Nach 16 Monaten zu Hause war Laura schon wieder zurück auf ihrer alten Stelle. Um ihren Sohn kümmern sich jetzt Leute wie Tuovi Wallén. Die Kindergärtnerin will heute mit Jasper und den anderen einen Kuchen backen.

"In Finnland gehen die Kinder, wenn sie etwa ein Jahr oder elf Monate alt sind in den Kindergarten. Und ich finde, das ist für die Kinder ganz und gar nicht schlecht."

Worüber man sich sicher lebhaft streiten kann. Auch in Finnland sind längst nicht mehr alle der Meinung, dass der Staat gleich von der Wiege an das Leben bestimmen soll. Erziehung war hier traditionell nie Privatsache. Dank der engmaschigen Hilfe ist es heute durchaus möglich, auch mit fünf oder sechs Kindern noch voll berufstätig zu sein.