Autor: Dirk Asendorpf
Sprecherinnen und Sprecher: Monika Oschek, Jan Uplegger, Maria Lang, Torsten Föste
Regie: Beatrix Ackers
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Martin Mair
Finnlands Deponie für die Ewigkeit
31:01 Minuten
Wohin mit dem Atommüll: In Finnland glaubt man, dieses Problem gelöst zu haben. Dort wird an der Ostseeküste das weltweit erste Endlager gebaut. Taugt es als Modell für die Entsorgung anderswo – auch hierzulande? Nicht alle sind davon überzeugt.
"Wir fahren jetzt nach Onkalo hinein, unserem Endlager für verbrauchten Nuklearbrennstoff", erklärt Johanna Hansen. Fast täglich passiert die Geologin das streng gesicherte Tor am Eingang eines vier Kilometer langen Tunnels. Mit zehnprozentigem Gefälle führt er tief hinab in den Granit der finnischen Ostseeinsel Olkiluoto.
"Damit Sie wissen, wo wir sind", sagt sie. "Die Zahl auf den grünen Schildern zeigt uns, wie viele Meter wir schon in den Tunnel hineingefahren sind. Wenn man die Null am Ende weglässt, weiß man auch, wie tief unten man ist."
Ein Endlager für Atommüll gibt es noch nirgends
Seit rund 60 Jahren hinterlassen Atomkraftwerke hochradioaktiven Abfall. Allein in der Europäischen Union haben sich über 50.000 Tonnen abgebrannter Brennelemente angehäuft. Bisher werden sie in Zwischenlagern deponiert, meist direkt neben den Atomkraftwerken. Denn ein sicheres Endlager gibt es nirgendwo.
Als weltweit erster und einziger Staat hat Finnland an seiner Ostseeküste vor gut 15 Jahren zumindest mit dem Bau begonnen. Proteste gibt es nicht, und erste Politiker denken sogar darüber nach, das finnische Endlager auch für atomare Abfälle aus anderen europäischen Ländern zu vermarkten.
In Deutschland hat die Endlagersuche 2017 mit einer weißen Landkarte neu begonnen. Erst 2031 soll über einen Standort entschieden werden. Was also können wir von dem finnischen Beispiel lernen?
Nach guten vier Kilometern stoppt Johanna Hansen das Auto. Die Geologin gehört zur Belegschaft von Posiva, dem Unternehmen, das die finnischen AKW-Betreiber für Bau und Betrieb des Endlagers gegründet haben. An den Tunnelwänden ist der freigesprengte Granit mit einer Betonschicht überzogen, die das Herabfallen einzelner Felsbrocken verhindert. Unter der Decke hängen dicke Belüftungsrohre, an den Wänden Kabel und Wasserleitungen.
"Jetzt sind wir auf einer Tiefe von 420 Metern im Demonstrationsgebiet", erläutert Johanna Hansen. "Hier ist der Granit ungefähr zwei Milliarden Jahre alt. Und in dieser ganzen Zeit war er ein ausgesprochen tragfähiges Wirtsgestein. Tatsächlich befinden wir uns hier im Fundament einer sehr alten Bergkette. So wie heute sah es hier schon vor 100 Millionen Jahren aus. Und auch in Zukunft wird es nicht anders aussehen."
In der Vergangenheit habe der finnische Granit während zahlreicher Eiszeiten sogar das Gewicht kilometerdicker Gletscher weitgehend unversehrt überstanden.
"In unseren Daten sehen wir, dass sich keine neuen Risse bilden", erzählt die Geologin. "Die Bewegung geht nur entlang der bestehenden Strukturen, und die sind schon seit einer Milliarde Jahre unverändert. Deshalb wird auch eine neue Eiszeit keinen großen Einfluss auf unsere Endlagertunnel haben."
Granit, Ton und Salz sind geeignete Gesteinsformationen
Weltweit besteht Einigkeit darüber, dass Endlager für die heißen hochradioaktiven Abfälle tief unter der Erdoberfläche gefunden werden müssen. Nur so erscheint es überhaupt möglich, sie bis zum Abklingen der Strahlung über eine Million Jahre vollständig zu isolieren.
Drei Gesteine kommen dafür grundsätzlich in Frage: Neben Granit auch Ton und Salz. Jedes hat Vor- und Nachteile.
Granit ist sehr fest, bildet aber Risse, in die Grundwasser eindringen kann. Ton wiederum ist so weich, dass er ausgetretene radioaktive Teilchen fest umschließt, löst sich nicht in Wasser, leitet aber Wärme schlecht ab. Salz dagegen ist ein guter Wärmeleiter und so fließend, dass es entstehende Risse eigenständig abdichtet. Doch Salz ist wasserlöslich.
Während sich Finnland, Schweden und Tschechien bei der Endlagersuche für Granit entschieden haben, setzen Frankreich, Belgien, Ungarn und die Schweiz auf Tongestein.
Langwierige Erkundungen im Salzstock Gorleben
Die Bundesrepublik hatte sich in den 1970er Jahren auf den Salzstock Gorleben festgelegt, direkt an der damaligen Grenze zur DDR. Von 1986 bis 2012 wurde die Geologie mit einem Erkundungsbergwerk analysiert.
Nur: Ob der Salzstock als nukleares Endlager geeignet ist, bleibt auch danach heftig umstritten. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sieht keinen Grund, den Standort für untauglich zu erklären. Gutachter im Auftrag von Umweltorganisationen dagegen kommen zum Ergebnis, dass dem Salzstock eine wasserundurchlässige Deckschicht fehlt und die festgestellten Gaseinschlüsse gegen seine dauerhafte Standfestigkeit sprechen.
Seit dem Neustart der Endlagersuche werden in Deutschland Granit, Ton und Salz nun wieder gleichberechtigt untersucht. Die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung, kurz BGE, blickt dafür auch aufmerksam nach Finnland, sagt Steffen Kanitz, ihr Geschäftsführer.
"Selbstverständlich schauen wir ins Ausland wenn es darum geht zu lernen aus anderen Wirtsgesteinen", erzählt er. "Deutschland hat ja historisch bedingt sehr viel Wissen im Salz, wir haben weniger im Ton und im Granit. Und das Wissen, das holen wir uns schon aus den Untertagelaboren im europäischen Ausland, selbstverständlich."
Deutsche Politiker besichtigen finnische Baustelle
Auch deutsche Politiker haben sich die finnische Endlagerbaustelle angesehen, schließlich hat die Gesteinswahl gravierende Auswirkungen auf die Standortsuche. So pries Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies 2019 nach einem Besuch die Vorzüge des Granits.
Nicht ohne Hintergedanken: Fiele auch in Deutschland die Entscheidung auf dieses Kristallingestein, wären Gorleben und all die anderen niedersächsischen Salzstöcke aus dem Spiel. Über Tongestein verfügen vor allem Nordrhein-Westfalen und die Schwäbische Alb, geeigneten Granit gibt es am ehesten in Sachsen oder Bayern.
Jedes dieser Bundesländer äußert sich gerne skeptisch wenn es um die Frage geht, ob die eigene Geologie für die Aufnahme des nuklearen Abfalls geeignet sein könnte. Denn niemand will ein konkretes Endlager im eigenen Land haben. In Bayern steht die Ablehnung sogar im Koalitionsvertrag.
"Es gibt ja durchaus politische Wortmeldungen einzelner Bundesländer, die sagen: Wir sind nicht geeignet", sagt Steffen Kanitz. "Koalitionsverträge sind aber kein Maßstab für ein wissenschaftsbasiertes Verfahren."
Bundesweite Suche nach dem besten Standort
Dabei hat auch Bayern einer möglichst objektiven und bundesweiten Suche nach dem besten Standort zugestimmt. Immerhin: Die nötigen geologischen Informationen rückt der Freistaat heraus – so wie auch die anderen Bundesländer.
"Alle stellen uns die Daten zur Verfügung, die wir benötigen, um festzustellen, ob es in den jeweiligen Bundesländern geeignete Gebiete gibt, sogenannte Teilgebiete, die wir dann im Weiteren näher analysieren. Diese Datenabfrage soll eine Aussage darüber treffen, ob wir überhaupt Salz, Ton oder Kristallinvorkommen haben. Das ist die erste Frage. Die zweite Frage ist, ob es ausreichend mächtig ist, das heißt mindestens 100 Meter dick. Die dritte Frage: Haben wir das in einem Tiefenbereich zwischen 300 und 1500 Metern vorliegen?"
In diesem Herbst will die BGE eine Liste der Gebiete veröffentlichen, die alle drei Kriterien erfüllen. Von den rund 300 deutschen Landkreisen werden darauf mindestens zehn und höchsten 100 stehen, sagt Steffen Kanitz, mehr verrät er nicht. Alle Bundesländer könnten betroffen sein, selbst Großstädte.
Ein Endlager unter einer Großstadt?
"Wir wissen nicht, wie sich Siedlungsstrukturen innerhalb von einer Million Jahre entwickeln", erklärt er. "Deswegen spielt die Siedlungsstruktur erst in dem nächsten Verfahrensschritt für uns eine Rolle. Wenn wir unter Bremen eine hervorragend geeignete geologische Formation finden und gleichzeitig auf dem platten Land, dann würde in der Abwägung das Abstandskriterium dazu führen, dass wir den Standort bevorzugen würden auf dem platten Land. Wenn aber die geologische Formation, die sicherstellt, dass die radioaktiven Abfallstoffe für lange Zeit sicher eingeschlossen sind untertage, wenn die besser geeignet wäre unter Bremen, dann müssten wir Bremen vorziehen und dann würden wir das auch vorschlagen."
Möglichst objektiv und transparent sollen auch die folgenden Schritte ablaufen - zunächst mit seismischen Untersuchungen in vielversprechenden Gebieten, dann mit der Festlegung auf zwei mögliche Standorte. An denen wird das Gestein auch Untertage mit Erkundungsbergwerken untersucht.
Und schließlich mit einer Entscheidung, die 2031 in Bundestag und Bundesrat fallen soll – damit der hochradioaktive Atommüll ab 2050 unter die Erde kommen kann. Am sichersten Ort, der sich dafür in ganz Deutschland finden lässt.
Endlagersuche birgt Protestpotenzial
"Dass es Diskussionen geben wird, das ist klar", sagt Steffen Kanitz. Das ist auch notwendig übrigens, damit es die notwendige Beteiligung gibt. Ich bin da nicht so wahnsinnig skeptisch wie andere. Warum bin ich das nicht? Die emotionalen Diskussionen der Vergangenheit, die haben natürlich mit der ganz grundsätzlichen Frage zu tun: Kernkraft ja oder nein. Und diese Frage ist beantwortet. Wir steigen aus, wir steigen bis 2022 aus, und dann ist Schluss mit der konventionellen Energieerzeugung aus Radioaktivität."
Proteste haben die Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland von Anfang an begleitet. Schon vor über 40 Jahren hatte Rebecca Harms die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg mitgegründet. 1980 gehörte sie zu den AKW-Gegnerinnen, die den Bohrplatz in Gorleben besetzten und zur "Republik Freies Wendland" erklärten.
Auch in den Jahrzehnten danach hat sie sich als Grünen-Abgeordnete im niedersächsischen Landtag und im Europaparlament für den Ausstieg aus der Atomenergie eingesetzt. Jetzt befürchtet sie eine Neuauflage alter Kämpfe.
"Sobald an Standorten der Eindruck entsteht, hier wird Endlagerung verfolgt, wird man die alte Auseinandersetzung wie in Gorleben wieder haben", sagt sie. "Und bisher sind wir als Gesellschaft noch nicht so gepolt, dass wir sagen: Das ist ein gemeinsames Problem, das wir lösen müssen. Und so wie ich Politik erlebt habe, fällt es mir auch sehr schwer, mir vorzustellen, dass wirklich ein Konsens unter allen Politikern hergestellt werden kann aus allen Parteien, die sagen: Unter den und den Bedingungen wollen wir tatsächlich auch zustimmen, dass bei uns ein Standort erkundet wird."
Pragmatische Entscheidung in Finnland – ohne Konflikt
Finnland hat seine Entscheidung bereits getroffen – ohne gesellschaftlichen Großkonflikt. Dabei wurde – anders als jetzt in Deutschland – nicht nach dem besten Standort für ein Endlager gesucht, sondern nur nach einem geeigneten. Und der fand sich im Jahr 2000 auf der Ostseeinsel Olkiluoto.
Dort sind schon seit 1978 zwei Atomkraftwerke in Betrieb, ein drittes ist seit 2006 in Bau. Finnland will nicht aus der Kernenergie aussteigen. Ein Endlager direkt neben den Atommeilern vermeidet teure und gefährliche Transporte des Mülls quer durchs Land.
Nein, Angst hat hier niemand, sagt Johanna Huhtala, wir haben uns längst daran gewöhnt. Huhtala ist die stellvertretende Bürgermeisterin von Eurajoki, Olkiluoto gehört zu ihrer Gemeinde. Die Kleinstadt hat 10.000 Einwohner, kann sich ein modernes Rathaus leisten, im Foyer plätschert ein künstlicher Wasserfall. Ein Symbol für die weit über zehn Millionen Euro, die der Nuklearkomplex jedes Jahr in die Gemeindekasse spült.
"Das bedeutet Wohlstand für uns", sagt Johanna Hutala. "Die Nuklearfirmen haben Seniorenwohnungen gebaut und kümmern sich dort auch um Freizeitaktivitäten. Wir haben eine Grundfinanzierung und eine Infrastruktur, die es anderswo in Finnland so nicht gibt. Unsere Vielfalt an Schulen, Krippen und Kindergärten ist ein weiterer Grund dafür, dass Eurajoki so beliebt ist. Im Gymnasium sind die Schulbücher kostenlos, die Gemeinde bezahlt sie. So beteiligen wir die Bürger an den Einnahmen."
Proteste von Anwohnern gab es gegen den Bau der Atomkraftwerke und des Endlagers auf dem Gemeindegebiet nicht. Es hat auch niemand dagegen geklagt. Denn das Vertrauen zu den Betreiberfirmen und den politischen Entscheidungsträgern sei groß, meint die stellvertretende Bürgermeisterin.
Vertrauen in das Know-how der Ingenieure
"Wir vertrauen darauf, dass die Ingenieure und Geschäftsleitungen wissen, was sie tun", sagt Johanna Huhtala. "Sie haben das Know-how, und wir sind überzeugt, dass es Weltklasse ist. Der zweite Grund ist, dass es bei uns in Finnland keine besorgniserregende Korruption gibt. Und drittens herrscht große Offenheit zwischen den Firmen und der Stadtverwaltung. Wenn es Probleme gibt, dann besprechen wir sie. Zweimal im Jahr gibt es ein Treffen mit Politikern und dann wird geklärt, welche Arbeiten geplant sind, was sie dafür brauchen. Und sie fragen uns, was wir von ihnen wollen. Das klappt sehr gut. Ehrlich, wir müssen uns da wirklich keine Sorgen machen."
Johanna Hansen ist eine der Ingenieurinnen, denen die finnische Gesellschaft so viel Vertrauen entgegenbringt. In einem Quertunnel der Endlagerbaustelle, 420 Meter unter der Erdoberfläche, will die Geologin herausfinden, wie sich der Granit verhält, wenn er der Hitze hochradioaktiver Abfälle ausgesetzt ist.
"Das ist hier wirklich ein wichtiger Demonstrationstunnel", sagt Johanna Hansen. "Warum? Hinter dieser Betonwand befindet sich noch einmal ein 50 Meter langer Tunnel. Und dieser Tunnel ist mit Lehm gefüllt. Es ist unser erster vollständiger Lagertest. Am Boden dieses Tunnels sind die Löcher für die Endlagerung. In eines davon haben wir das Kupferrohr für den Test versenkt, umgeben von einem Puffer aus Tonmineralien, sogenanntem Bentonit. In dem Kupferrohr befindet sich eine Heizung, die die Abwärme der Brennstäbe simuliert. Außerdem haben wir viele Sensoren für Druck, Temperatur und Feuchtigkeit in den Löchern. Damit beobachten wir über mindestens 20 Jahre, wie sich das ganze System verhält. Und dann planen wir, das Kupferrohr wieder herauszuholen und zu öffnen."
Planungen in schwedischem Ostseegranit gestoppt
Die Tests sollen eine der wichtigsten Fragen beantworten, über die Wissenschaftler heftig streiten: Wie rostanfällig sind die kupfernen Endlagerbehälter? Schweden hat das Genehmigungsverfahren seines ebenfalls im Ostseegranit geplanten Endlagers gestoppt, um die mögliche Kupferkorrosion in Ruhe untersuchen zu können.
Rebecca Harms ist verwundert, dass sich Finnland dieser Denkpause nicht anschließt.
"Finnland hat einen nassen Granit", erklärt sie. "Die gehen davon aus, dass Wasser zutritt und den Gebinden, die unten eingelagert werden, nicht schadet. Und sie gehen sogar von der Flutung dieses Lagers aus. Also das, was wir als ‚worst case‘ ansehen, ist bei ihnen der Normalfall. Die Finnen ignorieren bisher die Überprüfung des Konzeptes mit Kupferbehältern in Schweden. Die Schweden denken ja gerade neu darüber nach, ob diese Kupfergebinde eigentlich so lange so stabil sind wie sie das sein sollen. Die Finnen machen weiter als würde es diese Kritik und Unterbrechung des Verfahrens in Schweden nicht geben. Und das Bizarre daran ist, dass das ganze finnische Konzept eigentlich das schwedische ist. Die haben das von den Schweden übernommen."
Der ‚worst case‘ als normaler Zustand?
Johanna Hansen weist solche Kritik weit von sich. Das einsickernde Grundwasser werde dem dicken Kupfermantel der Endlagerbehälter nichts anhaben.
"Als Geologin würde ich sagen, dass die abgebrannten Brennstäbe hier wirklich sicher sind", sagt sie. "Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass die Radionuklide, die wir in den Behältern vergraben, niemals das Tageslicht wiedersehen werden. Die Isolierung ist auf hunderttausende Jahre ausgelegt."
Jede Minute müssen schon heute rund 30 Liter Wasser aus der finnischen Endlagerbaustelle herausgepumpt werden, 43 Kubikmeter am Tag. Dicke Tropfen fallen auf eine große Plastikfolie, die unter der Decke der sogenannten Empfangshalle gespannt ist. Hier sollen später einmal die in Kupferrohre verpackten Brennstäbe eintreffen.
"Die Behälter werden durch einen Aufzugschacht herunterkommen", erklärt Johanna Hansen. "Den haben wir bereits gebaut, als nächstes wird er mit Beton ausgekleidet. Er mündet in die Empfangshalle mit seinem kleinen Zwischenlager. Für die ersten paar Hundert Jahre sind die Behälter hoch aktiv, deshalb können sie nur per Fernsteuerung bewegt werden. Alle Vorgänge werden hier also automatisch ausgeführt."
Einmal in den Deponielöchern einbetoniert, sollen die Kupferrohre mit dem hochradioaktiven Abfall nie wieder bewegt werden. Und wenn das Endlager nach 120 Jahren voll ist, wird auch das gesamte Tunnelsystem permanent versiegelt, sagt Janne Mokka. Er ist der Chef von Posiva. So heißt das Unternehmen, das das Endlager baut und später auch betreiben soll.
"Die Idee ist, nichts wieder herauszuholen"
"Das ist ein Endlager", sagt Janne Mokka. "Die Idee ist also, nichts wieder herauszuholen. Unser finnischer Granit leitet die Hitze aus dem radioaktiven Zerfall ganz von alleine ab. Sobald das Endlager voll ist, brauchen wir keinerlei Sicherheitspersonal mehr."
Deckel drauf, Klappe zu? Ganz so einfach ist es auch in Finnland nicht. Schließlich könnten Menschen ganz anders über den Strahlenmüll denken in hundert, tausend oder gar hunderttausend Jahren.
"Wenn sich die Welt ändert, können sich die Sicherheitskritierien ändern", erklärt Janne Mokka. "Oder die Brennstäbe werden irgendwann wertvoll oder was auch immer. Man weiß nicht, was alles passieren wird. Deshalb haben wir uns für ein Design entschieden, dass die Rückholung grundsätzlich erlauben sollte."
In Deutschland verlangt das Standortauswahlgesetz ein entsprechendes Konzept: Nach dem Ende der Einlagerung soll es noch für 500 weitere Jahre möglich sein, den nuklearen Abfall aus dem Untergrund wieder heraufzuholen. BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz muss dafür sorgen, dass diese Anforderung erfüllt werden kann.
"Das heißt der Behälter muss so konstruiert werden", sagt er, "dass er die Gebirgsdrücke und das auftretende chemische Milieu untertage für 500 Jahre sicher übersteht, dass er dort wieder angefasst werden kann nach 500 Jahren, dass er also nicht zerquetscht ist, dass er kein Leck hat. Es hat auch Ansprüche an die Wiederauffindbarkeit: Wir müssen also sicherstellen, dass nachfolgende Generationen wissen, wo die Abfallbehälter liegen. In welcher Qualität, wie das Inventar ist, wie sich das Inventar verhält, et cetera, ist also ein Thema der Dokumentation."
Verseuchtes Salzbergwerk Asse als Negativbeispiel
Doch wie schwierig die Rückholung in der Praxis schon nach wenigen Jahrzehnten ist, erlebt Deutschland gerade im niedersächsischen Salzbergwerk Asse. Von 1967 bis 1978 wurden dort fast 50.000 Tonnen nuklearer Abfälle in einfachen Metallfässern deponiert. Bald gab es Wassereinbrüche, Fässer rosteten, radioaktiv verseuchte Salzlauge breitete sich aus und Teile des Bergwerks drohten einzustürzen.
Schließlich musste der Bundestag 2013 die Rückholung beschließen – ein Milliardenvorhaben, das aufgrund technischer Probleme noch immer nicht begonnen hat. Dabei lagert in der Asse lediglich schwach- und mittelradioaktiver Atommüll. Hochradioaktive Abfälle machen zwar nur zwei Prozent der Gesamtmenge aus, in ihnen steckt aber 99 Prozent der gesamten Strahlenlast.
Das mit unkontrollierbaren Ereignissen verbundene Risiko ist in einem Endlager für hochradioaktive Abfälle also ungleich größer. Kristalliner Granit könnte womöglich den besten Schutz bieten, sicher sagen könne das heute aber noch niemand, sagt Marcos Buser. Der Geologe war Mitglied mehrerer Expertenkommissionen für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle in der Schweiz.
"Natürlich hat das Kristallin bezüglich Standfestigkeit Vorteile gegenüber Steinsalz oder Ton, die an sich bewegende Millieus darstellen wo eine Rückholbarkeit noch schwieriger werden wird", sagt Marcos Buser. "Aber auch beim Kristallin: Die müssen das zuerst beweisen, dass sie das können. Und sie müssen eben auch beweisen: Ja was machen wir, wenn zum Beispiel Kanister Nummer 84b ein Schweißproblem hat und wir sehen, dass einer ganzen Serie von Kanistern die Deckel schlecht draufgeschweißt wurden? Wir müssen die wieder rausholen, wir müssen die wieder nachbearbeiten. Ja was macht man dann? Und ich denke, mit den heutigen technischen Erkenntnissen ist das viel zu früh. Ich würde sogar auch sagen verantwortungslos, weil man ja die ganze Rückholung dieser Abfälle gar nicht experimentiert hat, schon gar nicht im industriellen Maßstab."
Baubeginn in Finnland trotz offener Fragen
Auch nach dem Baubeginn des weltweit ersten Endlagers im finnischen Olkiluoto sind noch viele Fragen offen. Wer in Helsinki mit Politikern darüber spricht, stößt trotzdem auf erstaunliche Gelassenheit. Sogar bei Atte Harjanne. Der 35-jährige Klimawissenschaftler wurde vergangenes Jahr als Abgeordneter der Grünen ins finnische Parlament gewählt. Er ist ein erklärter Befürworter der Kernenergie. Mehr noch: Er kann sich sogar vorstellen, dass Finnland künftig auch Atommüll aus anderen europäischen Ländern aufnimmt.
"Macht uns doch ein Angebot", sagt Atte Harjanne. "Ich wäre froh zu hören, wie viel ihr uns zahlen wollt, um das Zeug unter die Erde zu bringen. Wir können gleich darüber verhandeln."
"Es ist ein guter Grundsatz, dass jedes Land mit Atomkraftwerken seinen eigenen Entsorgungsplan haben sollte, damit das Problem nicht einfach in andere Länder outgesourced werden kann", sagt er. "Aber in der heutigen Welt laufen die Dinge doch anders, wir haben einen offenen Welthandel und warum sollte das hier anders sein? Es könnte ein Geschäftsmodell werden, ich bin sehr dafür, das zu prüfen. Wir sollten die Frage offen diskutieren, anstatt davon auszugehen, dass grenzüberschreitender Atommüllexport gar kein Thema wäre."
Internationaler Atommüllhandel als Option?
Atommüll als Handelsgut? Selbst Juha Aromaa, der Sprecher von Greenpeace Finnland, winkt nicht sofort ab. Anders als Atte Harjanne ist er zwar für den Ausstieg aus der Kernenergie. Doch internationale Transporte kann er sich vorstellen.
"Derzeit ist es illegal, Atommüll zu exportieren oder zu importieren", sagt Juha Aromaa. "Aber wer weiß? Es werden neue Regierungen kommen. Die Frage lässt sich am Ende nur beantworten, wenn wir mehr darüber wissen, welche Endlagerlösung für Mensch und Umwelt am sichersten ist. Und dann wird es um die Sicherheit gehen, nicht um nationale Grenzen."
Einige Länder in Europa haben bisher überhaupt keine Idee, wo sie den nuklearen Abfall auf Dauer lassen könnten, zum Beispiel die Niederlande. Tatsächlich lässt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 den Export von Atommüll auf Grundlage bilateraler Verträge ausdrücklich zu. Dass Deutschland davon Gebrauch macht, schließt das Standortauswahlgesetz von 2017 zwar aus.
Deutschland möglicher Standort einer europäischen Lösung
Doch wenn irgendwann nach einer europäischen Lösung für das strahlende Problem gesucht werde, dann könne sich der Blick sogar auf uns richten, sagt BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz.
"Wir haben in Deutschland das Glück, mit einer wirklich guten Geologie gesegnet zu sein", erklärt er. "Wir haben relativ wenig Erdbeben- und Vulkanregionen, wir haben alle drei Wirtsgesteine – Salz, Ton und Kristallin – und wer über ein europäisches Endlager nachdenkt, der wird sehr wahrscheinlich auf Deutschland kommen."
Und dann ernüchtert feststellen: Bis zur Eröffnung werden noch Jahrzehnte vergehen– selbst wenn es beim bisherigen Terminplan bleibt. Und das bedeutet, dass die rund 1900 Castor-Behälter mit über 15.000 Tonnen hochradioaktiven Abfällen weiterhin in wesentlich schlechter gesicherten Zwischenlagern stehen.
"Und wenn man feststellt – und das wird man feststellen –, dass es länger dauert als gewünscht, dann muss man sich um die Sicherheit der Zwischenlager kümmern", sagt Rebecca Harms. "Wie lange ein Castor, in dem hochradioaktive Abfälle sich befinden, sicher ist, wie lange die Dichtungssysteme halten, das ist ja noch nicht getestet worden. Und als die Zwischenlager entwickelt und genehmigt worden sind, da ist man ja von einer viel rascheren Inbetriebnahme des Endlagers Gorleben in Deutschland ausgegangen."
Im Besucherzentrum funktioniert die Entsorgung schon
Finnland hat die Lösung für die Entsorgung seiner nuklearen Abfälle bereits gefunden. Diesen Eindruck erweckt zumindest das Besucherzentrum, in dem das Endlagerunternehmen Posiva eine Hochglanzversion seines Konzepts präsentiert.
Polierte Ausstellungsstücke und hübsch animierten Videos zeigen, wie die abgebrannten Brennstäbe sicher verpackt und in Bohrlöchern tief unter der Erde versenkt werden sollen.
Durch die raumhohen Glaswände geht der Blick über einen schmalen Ostseearm auf die Atominsel Olkiluoto mit seinen drei Reaktorgebäuden und dem Eingang der Endlagerbaustelle. Tief darunter sind die Sprengarbeiten weitgehend abgeschlossen.
Bis das Endlager tatsächlich in Betrieb gehen kann, werden aber noch viele Jahre vergehen. Kein Problem, meint Janne Mokka, der Chef des verantwortlichen Unternehmens.
"Wir sind dem Plan gefolgt", sagt er. "Posiva hat die Standortsuche in den 1980er-und vor allem 90er-Jahren gestartet. Dann wurde beschlossen, um das Jahr 2000 herum einen Standort auszuwählen und um 2010 herum die Baugenehmigung zu beantragen. Grundsätzlich haben wir uns in den vergangenen 40 Jahren an diesen Plan gehalten. Jetzt können wir sagen: In Finnland haben wir eine Lösung für die sichere Endlagerung der abgebrannten Brennstäbe."
Einlagerung wird Jahrzehnte dauern
Die Einlagerung soll sich über einige Jahrzehnte hinziehen, bestimmt durch die Laufzeit des dritten Atomkraftwerks auf der Insel Olkiluoto. Nach 15 Jahren Bauzeit hat es zwar noch keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt, Janne Mokka plant trotzdem bereits mit dem Ende seiner Lebenszeit.
"Der Reaktor wird 60 Jahre lang laufen, danach müssen die letzten abgebrannten Brennstäbe weitere 30 Jahre abkühlen", erklärt er. "Also wird die Einlagerung ungefähr bis 2120 dauern. Wann genau wir damit beginnen, haben wir noch nicht entschieden. Das ist auch nicht nötig. Es reicht, wenn wir einfach unsere Arbeit machen und loslegen sobald wir die Zeit dafür reif halten."
Janne Mokka klingt, als bestünde die Entsorgung des Atommülls nur noch aus dem gründlichen Abarbeiten eines ausgefeilten Plans mit überschaubarem Zeitrahmen.
"Das Projekt muss seine Beweise erst liefern"
Dabei sind die Hinterlassenschaften der Atomindustrie eine Ewigkeitslast. Sicherheit geht dabei vor Schnelligkeit. Dafür wirbt der Schweizer Geologe Marcos Buser – und er warnt davor, in der finnischen Premiere bereits die beste Lösung dieser Jahrtausendaufgabe zu sehen.
"Natürlich ist die nuclear community hochbegeistert, weil die sagen: Ja, jetzt haben wir endlich ein Projekt, das gut ist", sagt er. "Aber das Projekt muss seine Beweise zuerst liefern. Und das kann man nicht liefern, in dem man das Zeugs dort einlagert. Das heißt noch nicht Sicherheit. Sicherheit heißt, dass man ein solches Projekt begleitet durch Langzeitmonitoring und notfalls eben die Reversibilität umsetzen kann. Ich glaube, dass man sich Zeit lassen muss, hochqualitative Lösungen zu erarbeiten und nicht Zeitmarken zu setzen und zu sagen: Da müssen wir jetzt das Ganze umgesetzt haben. Sondern was entscheidend ist, ist die Qualität der Planungen und die ganze Entwicklung der Technik. Also geben wir uns doch die Chance, das dann zu machen, mit besserer Technik zu machen - als jetzt zu pressieren und schlechte Lösungen umzusetzen."