Vorbild Taiwan

Liberalismus und chinesische Werte gehen zusammen

Teilnehmer bei der LGBT-Taiwan Pride
Vergangenheitsaufarbeitung, Homosexuellenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit – Taiwan ist von ganz anderen Werten als China geprägt. © AP Photo/Chiang Ying-ying
Ein Standpunkt von Marko Martin |
Die Toleranz im Westen gegenüber Pekings Politik ist groß. Dabei beruft man sich gern auf die spezifischen "chinesischen Werte". Doch der kleine Inselstaat Taiwan beweist, dass es im gleichen Kulturraum auch ganz anders geht, meint Autor Marko Martin.
Zumindest in einem sind sich neorechte Ideologen, linke Globalisierungskritiker und westliche Konzernlenker einig: "Chinesische Werte", so das gemeinsame Mantra, "müssen respektiert werden, ohne westliche Arroganz". Liegt es an der geballten Wirtschaftsmacht Pekings, dass ansonsten forsch auftretende Topmanager plötzlich kleinlaut werden, um das riesige "Reich der Mitte" nicht zu verärgern?
Ökonomische Interessenlagen erklären jedoch nicht alles. Denn auch das politisch Totalitäre findet verstärkt Beifall. Beweist nicht das "chinesische Modell", dass eine allwissende Partei sehr wohl notwendig sein kann und Wohlstand schafft – und zwar ohne jegliche störende liberale Debattenkultur?
Inzwischen erhält solch diktaturfreundliche Lesart sogar ihre akademische Nobilitierung. Zahlreiche deutsche Sinologen, in ihren Forschungen längst abhängig von den auch hierzulande aus dem Boden schießenden, von Peking finanzierten Konfuzius-Instituten, singen eilfertig das Lied ihrer Brotgeber.
Was da freilich als "Respekt vor außereuropäischen Kulturtraditionen" feilgeboten wird, läuft fast immer auf eine Affirmation des chinesischen Überwachungsstaates hinaus. Dieser jedoch weiß sehr genau um seine Achillesferse. Diese heißt Taiwan.

Versuchte Isolierung

Es ist deshalb kein Zufall, dass die Volksrepublik China in den letzten Monaten verstärkt versucht, die kleine, demokratisch regierte Inselrepublik weiter zu isolieren. Chinesischer Druck verhindert eine Aufnahme Taiwans in UN-Institutionen, wie etwa in die Weltgesundheitsorganisation. Festlandchinesische Bomber patrouillieren vor dem taiwanesischen Luftraum, und Pekings brachiale Diplomatie sorgt dafür, dass immer mehr Entwicklungsländer die Beziehungen mit Taiwan abbrechen, um in den fragwürdigen Genuss billiger, auf Dauer jedoch abhängig machender chinesischer Kredite zu gelangen.
Und auch hierzulande war die Einschüchterungs-Strategie der Parteikommunisten erfolgreich, firmiert auf der Webseite der Deutschen Lufthansa doch inzwischen Taiwan als Teil Chinas – ganz wie von Peking aufoktroyiert.
Weshalb jedoch all dieser Aufwand, um ein winziges Land von der Fläche Baden-Württembergs einzuschüchtern? Geopolitisch ist die winzige Insel trotz US-Unterstützung beinahe ohne Bedeutung, und auch das Pekinger Argument, keinen Separatismus dulden zu können, ist nicht plausibel: In Taiwan, bis Kriegsende japanische Kolonie, danach Zufluchtsort von Maos unterlegenen Bürgerkriegs-Gegnern, hat die Kommunistische Partei nie auch nur einen Augenblick lang regiert.

Kultur ist nicht Schicksal

Die festlandchinesische Aggressivität hat deshalb andere Gründe. Wie kein anderes Land zeigt nämlich Taiwan, dass "Kultur" nichts auf ewig Festgezurrtes ist. Dabei hatten auch die Taiwanesen unter Jahrtausende alten Gehorsamsstrukturen gelebt. Und selbst als "made in taiwan" bereits ein Exportschlager war, herrschte im Inneren das antikommunistisch-illiberale Tschiang Kai-schek-Regime noch mit eiserner Faust.
Als jedoch 1987 der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, kam es nicht etwa zu Chaos, sondern zu verstärktem wirtschaftlichem Aufschwung, politischer Partizipation und dem Aufblühen einer Zivilgesellschaft, die bis heute Taiwan prägt. Umweltgesetzgebung, Vergangenheitsaufarbeitung, Homosexuellenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit, eine allgemein verbreitete Freude an Debatten – und all dies im sogenannten "chinesischen Kulturraum".
Mag sein, dass die Volksrepublik China auf dem Weg zur Weltmacht ist. Die Definition dessen, was "chinesische Kultur" ist, sollte man ihren Machthabern dennoch nicht überlassen. Denn jeden Tag aufs Neue beweist das kleine Taiwan, dass auch in diesem Teil der Welt die Idee einer menschenrechtsbasierten Demokratie zur Realität werden kann.

Marko Martin, Schriftsteller in Berlin, beschäftigt sich seit langem mit verschiedensten Teilen Asien, u.a. veröffentlichte er den literarischen Reportageband "Sonderzone. Nahaufnahmen zwischen Teheran und Saigon" (Zu Klampen Verlag 2008).

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