"Vorfreude, aber auch so ein bisschen Bangen"

Jan Pallokat und Stephan Laak im Gespräch mit Frank Meyer |
Vor Beginn der ersten Qualifikationsspiele zur Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine sehen die ARD-Korrespondenten Jan Pallokat und Stephan Laak Fortschritte in der Vorbereitung auf das Großereignis. Uefa-Chef Michel Platini habe sich überzeugt davon gezeigt, dass alles rechtzeitig fertig würde, sagte Laak.
Frank Meyer: Es war eine schwere Zeit, die Zeit nach der Fußball-Weltmeisterschaft, für manche jedenfalls, aber nun beginnt ja endlich die Europameisterschaft, wenigstens ein bisschen. Heute Abend gibt es die ersten beiden Qualifikationsspiele - zwischen Deutschland und Belgien und zwischen der Türkei und Kasachstan. Die eigentliche Fußball-EM der Männer soll dann am 8. Juni 2012 im Warschauer Nationalstadion beginnen. Das ist die erste Europameisterschaft, Fußball-Europameisterschaft überhaupt in Osteuropa. Die Vorbereitung dafür sollen in Polen so einigermaßen, in der Ukraine aber herzlich schlecht laufen. Und darüber wollen wir jetzt reden mit unseren Korrespondenten in der Ukraine und in Polen, mit Stephan Laak und mit Jan Pallokat. Seien Sie beide herzlich willkommen!

Jan Pallokat: Hallo!

Stephan Laak: Hallo!

Meyer: Jan Pallokat, in den letzten Jahren wurde immer wieder über die Probleme der Ukraine bei der EM-Vorbereitung berichtet. Sie sind in Warschau, läuft denn in Polen – von dort hören wir gar nichts – läuft denn da alles so reibungslos?

Pallokat: Ja, läuft wahrscheinlich wirklich ein bisschen im Schatten der Probleme im Nachbarland, aber Probleme gibt es auch hier, wie wahrscheinlich immer bei solchen Großprojekten, wo ja wirklich ganz verschiedene Seiten zusammenarbeiten müssen. Also die gute Nachricht ist erst mal, dass die vier Stadien wohl tatsächlich rechtzeitig fertig werden, in etwa zwei Wochen wird hier das erste, das Stadion in Posen, in Poznan, mit Rockkonzert eröffnet, das musste auch nur umgebaut werden. Warschau, Breslau, Danzig, da gibt es Neubauten.

Die schlechte Nachricht ist – und das ist hier auch ein Thema, auch wenn es anscheinend nicht so sehr über die Grenzen schwappt: Die ganzen Vorhaben, und das waren sehr ambitionierte Vorhaben rund um die Infrastruktur, die es so gab, die werden teilweise nicht rechtzeitig fertig werden, das zeigt sich jetzt schon. Der Rechnungshof sprach sogar davon, dass 40 Prozent der Vorhaben gefährdet sind. Die Politik sagt so ein bisschen, na ja, das sind auch veraltete Daten, die da benutzt werden, aber von den 3000 Kilometer Autobahn, die da gebaut werden sollten, wird wohl bestensfalls ein Drittel fertig, und beweist, dass nicht alles so gut läuft. Eine Radfahrt, die vor Kurzem zu besehen war hier vom stellvertretenden Infrastrukturminister, der musste nämlich ein Autobahnteilstück, 200 Kilometer lang, mit dem Rad fahren, weil er nämlich mit den Journalisten gewettet hatte, dass es fertig wird. Es geht da um ein wichtiges Nord-Süd-Element, und es wird eben nicht fertig, und deswegen musste er nun die Wette einlösen und Rad fahren.

Meyer: Sie haben die vier Stadien erwähnt. Es gibt nun immer wieder Berichte, dass in Polen, ich weiß nicht, ob jetzt wirklich heimlich, aber zwei zusätzliche Stadien vorbereitet werden, nämlich in Krakau und in Chorzów, die dienen sollen als eventuelle Ausweichstadien, falls in der Ukraine nicht alle vier Stadien fertig werden. Stimmt das denn, werden die vorbereitet?

Pallokat: Ja, die sind sogar ganz offiziell erst einmal Ersatzstandorte von Anfang an gewesen für den Fall, dass auch in Polen bei den Stadien was nicht klappt, zum Beispiel in Breslau gab es auch beim Bau zwischenzeitlich Schwierigkeiten, und hinter vorgehaltener Hand sagt man natürlich, na ja, wenn es mit der Ukraine nicht klappt, können wir auch übernehmen. Da gab es ja so eine ganze Menge von Notfallvarianten. Es hieß ja auch zwischenzeitlich, wenn es in der Ukraine nicht klappt, könnte Deutschland als Partnerland wiederum ins Spiel kommen. Aber der UEFA-Chef, Platini, ist ja derzeit sehr, sehr optimistisch, manche sagen zweckoptimistisch, und er sagt: Es wird die Spiele geben in zwei mal vier Stadien, nämlich in vier Stadien in der Ukraine und in vier Stadien hier in Polen. Und bereits im Oktober soll dann ja auch vorgelegt werden, wo welche Spiele stattfinden. Also, ja, Zweckoptimismus oder nicht, es sieht derzeit nicht so aus, dass beispielsweise Krakau – die sind sehr enttäuscht da, dass sie kein Austragungsort wahrscheinlich sein werden –, es sieht nicht danach aus, dass sie doch zum Zug kommen.

Meyer: Dann schauen wir uns das doch mal an, Stephan Laak, die vier Stadien in der Ukraine, werden die denn tatsächlich fertig, wie sieht das aus?

Laak: Ja, der ukrainische Präsident Janukowitsch, der strotzt ja vor Selbstbewusstsein und Zuversicht, wenn es um die Fertigstellung dieser Bauten geht, und ich finde auch nicht so ganz zu Unrecht, denn zwei Stadien sind bereits fertig, einmal das Stadion in Charkiw/Charkow, das ist die Arena vom Fußballclub FC Metalist Charkiw, es wurde schon 1926 gebaut und seitdem häufig erneuert. Für die EM-Endrunde 2012 wurde das Fassungsvermögen auf über 40.000 Zuschauer erweitert.

Und von den Menschen in Charkiw wird dieses Stadion bereits liebevoll die Spinnenarena genannt, denn die Dachstützen, die sehen so ein bisschen aus wie Spinnenbeine. Dann gibt es ein ultramodernes Stadion in Donezk, vom UEFA-Cup-Sieger FC Shakhtar Donezk, das wurde bereits im August 2009 eröffnet und von dem reichen Besitzer dieses Fußballclubs, Rinat Ahmetov, finanziert. Es hat beispielsweise eine beleuchtete, außen liegende Infrarotheizung, die man zur EM hoffentlich nicht benötigen wird.

Aber jetzt gucken wir mal auf die Problemkinder. Das waren zum einen Kiew, wo ja auch das Finale der Europameisterschaft stattfinden soll, und Lviv, das ehemalige Lemberg, zunächst mal zur ukrainischen Hauptstadt. Dort ging ja lange Zeit überhaupt nichts voran. In Kiew wird das dortige Olympiastadion umgebaut, es soll die größte Arena bei der Euro 2012 werden. Hier mussten zum Beispiel Tribünen erneuert werden, auch ist eine futuristisch anmutende, lichtdurchflutete Dachkonstruktion geplant.

Und mittlerweile lassen sich die Umrisse dieses neuen Stadions deutlich erkennen, auch wenn da noch viel zu tun ist. Im Sommer nächsten Jahres, am 1. Juni 2011, soll diese Spielstätte eröffnet werden, und UEFA-Chef Platini lobte zuletzt den Stand der Vorbereitungen und zeigte sich überzeugt, dass alles rechtzeitig fertig würde. Er hat ja immer gesagt, ohne diesen Austragungsort Kiew würde es auch kein Austragungsland Ukraine geben. Jetzt vielleicht mal der Blick nach Lviv, ins ehemalige Lemberg. Dort wird vor den Toren der Stadt ein komplett neues Stadion gebaut. Ich habe mir das im Dezember selbst angeguckt und war ehrlich gesagt schockiert. Da ragten wirklich nur so ein paar Betonsäulen aus dem Acker, Bautätigkeit war überhaupt nicht zu erkennen. Also zwischenzeitlich hat man dann den zuständigen Bauunternehmer für dieses EM-Stadion in Lviv wegen zu langsamer Arbeiten von seiner Tätigkeit entbunden.

Meyer: Kein gutes Zeichen.

Laak: Nee, jetzt ist da eine Firma aus der Ostukraine zuständig, und es werden tatsächlich deutliche Fortschritte erzielt. Das kann man sich übrigens auch im Internet angucken. Es gibt eine Seite, wo man die Bauarbeiten live im Internet verfolgen kann, und man sieht dort, dass bereits der komplette untere Teil der Tribünen steht, also es ist wirklich ein Fortschritt, den ich mir so nicht hätte vorstellen können. Und es gibt, würde ich auch sagen, berechtigte Hoffnung, also dass bis zum Sommer, dort soll das Stadion ja am 1. Juli eröffnet werden, dann die Arena auch fertig ist.

Meyer: Also doch Hoffnung für die vier Stadien in der Ukraine für die Fußball-EM 2012. Heute beginnt die Qualifikation für die Europameisterschaft, und darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit unseren Korrespondenten für Polen und für die Ukraine, Jan Pallokat und Stephan Laak. Stephan Laak, Sie haben gerade über die beiden Problemkinder gesprochen, aber diese Probleme sind ja nur die eine Seite der Probleme, über die immer berichtet werden aus der Ukraine im Blick auf die EM. Es heißt dann auch, es fehlen Hotelzimmer, Flughäfen sind zu klein, Straßen sind nicht ausreichend ausgebaut. Wie sieht es denn damit aus, ist das zu schaffen bis 2012?

Laak: Das ist schwer zu sagen. Es war ja in der Tat befürchtet worden, das größte Problem sei am Ende diese schlechte Infrastruktur, insbesondere bei den Flughäfen – also umständliche Abfertigungen, verlorene gegangene Gepäckstücke sorgen ja immer wieder für Ärger. Ausnahmslos alle Terminals galten als extrem überaltert, teilweise gab es ja noch nicht mal Gepäckbänder geschweige denn gewöhnliche Check-in-Schalter. Das habe ich zum Beispiel in Lemberg erlebt, wo der provisorische Check-in tatsächlich so unauffällig war, dass ich den gar nicht bemerkt hatte, obwohl ich direkt davor stand. Mittlerweile geht es aber auch bei diesen Flughäfen voran, insbesondere in Kiew und Donezk, wo die neuen Terminals Gestalt annehmen.

Auch in Lviv hat man mit dem Neubau des Flughafens begonnen, aber ich wage nicht vorherzusagen, ob das alles rechtzeitig fertig wird. Nach meinem Eindruck sind die Bauzeiten und die jeweiligen geplanten Eröffnungen wirklich sehr, sehr knapp berechnet. Alles soll angeblich Ende 2011 fertig sein, also kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft, da darf es dann also wirklich nicht mehr zu Verzögerungen kommen. Vielleicht wird man am Ende dort auf provisorische Lösungen zurückgreifen müssen. Beim Thema Straßenbau wird man mit Sicherheit nicht alle geplanten Projekte umsetzen können, das hat Vizepremier Kolesnikow bereits auch zugegeben. Es hieß, nur die wichtigsten Projekte sollten umgesetzt werden, also die Anfahrtswege zu den Flughäfen, zu den Stadien, zu den wichtigsten Hotels. Also wer die EM nutzen möchte für Ausflüge ins Land, in die Ukraine, der muss sich wahrscheinlich auf ein paar holprige Strecken gefasst machen.

Meyer: Ja, wir haben ja gerade aus Polen gehört, dass es da ähnliche Probleme gibt beim Ausbau des Autobahnnetzes. Wie ist denn die Stimmung in der Ukraine im Blick auf diese Europameisterschaft, ist das überhaupt im Moment präsent, gibt es da Vorfreude oder eher Ernüchterung, auch angesichts der Probleme jetzt bei der Vorbereitung?

Laak: Als ich im Winter in der Ukraine war, hat man die Vorfreude wirklich deutlich gemerkt. Ich habe viele Leute gesprochen, in Kiew, im Westen des Landes, und ich muss Ihnen sagen, ich habe keinen Einzigen getroffen, der nicht begeistert war von dieser Idee, die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land zu Gast zu haben. Und da sehe ich auch wirklich so die ganz, ganz große Chance dieser EM, auch wenn nicht alles perfekt wird. Das Land ist absolut fußballbegeistert, man freut sich auf die vielen Fans aus Europa, und ich denke, dass das wirklich gute Chancen hat, ein großes, großartiges Fest zu werden in der Ukraine.

Meyer: Jan Pallokat, ist das in Polen ähnlich?

Pallokat: Na, so richtig ist das Fieber hier noch nicht angekommen. Es ist so ein bisschen sicherlich auch Vorfreude, aber auch so ein bisschen Bangen, was machen wir für eine Figur hier. Also diese doch immer noch sehr schlechte Infrastruktur macht doch vielen Sorgen und auch der schlechte Zustand der polnischen Nationalmannschaft momentan. Da sagen mir eigentlich viele Gesprächspartner, oh Gott, oh Gott, das kriegen wir bestimmt nicht hin bis dahin, da machen wir eine sehr, sehr schlechte Figur. Also na ja, vielleicht kommt das noch in Gang. Polen ist ja auch anders als die Ukraine schon doch noch enger verwurzelt in Europa, im Westen Europas, hat hier viele andere Anlässe, Kontakt aufzunehmen, viele Besucher auch aus anderen Anlässen, da ist nun dieses Fußballereignis sicherlich nicht das Einzige in der nächsten Zeiten und in den letzten Jahren, was dazu geführt hat, dass die Leute eben miteinander feiern konnten.

Meyer: Und wie ist das im Verhältnis der beiden Ländern, zwischen Polen und der Ukraine gab es in der Geschichte ja auch erhebliche Spannungen, auch historische Wunden zwischen den beiden Ländern – spielt das bei dieser Vorbereitung jetzt irgendeine Rolle, wenn man zum Beispiel daran denkt, dass Polen da zwei Stadien vorbereitet eventuell als Ersatz für ukrainische?

Pallokat: Es ist ja überhaupt eigentlich das einzige, soweit ich sehen kann größere Gemeinschaftsprojekt, was die beiden Nachbarn da auf die Beine gestellt haben. In der Tat ist das Verhältnis ein bisschen ambivalent. Auf der einen Seite hat Polen die Ukraine unterstützt, war das erste Land, das die Unabhängigkeit damals anerkannte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und hat sich ja auch sehr stark gemacht für die orangene Revolution, nun hat sich inzwischen die Lage in der Ukraine wieder geändert.

Auf der anderen Seite, das, was Sie ansprachen, das schwierige Verhältnis aus der Geschichte, gerade auch ein recht kritischer Blick auf die Nationalbewegung in der Ukraine, die ja in Teilen seinerzeit dann sich auch mit Nazideutschland in gewisser Weise verbündet hatte, das wird sehr kritisch gesehen. Und insofern ist die Zusammenarbeit auch tatsächlich eine große Chance, weil es eben das einzige, soweit ich sehen kann, große Projekt ist. Nun ist die Zusammenarbeit auf einzelne wenige Treffen beschränkt bislang. Also ich habe den Eindruck, beide Länder planen da so ein bisschen für sich, außer bei Sicherheitsfragen und bei Fragen, die nun wirklich grenzüberschreitend von Bedeutung sind. Das wird sich ja sicherlich verstärken und vertiefen, je näher die Veranstaltung dann wirklich rückt.

Meyer: Also eine Chance, die man noch nutzen kann in den nächsten Jahren. Heute beginnt die Qualifikation für die Fußball-EM 2012. Über den Stand der Vorbereitungen in Polen und der Ukraine haben wir gesprochen mit unseren Korrespondenten Jan Pallokat und Stephan Laak. An Sie beide herzlichen Dank!