Vorgespult

Joaquin Phoenix als mordlustiger Philosophieprofessor

Szene aus "Irrational Man" von Woody Allen: Abe (Joaquin Phoenix) fasst einen Mordplan, und seine Lebensgeister erwachen völlig neu – auch beim Sex.
Szene aus "Irrational Man" von Woody Allen: Abe (Joaquin Phoenix) fasst einen Mordplan, und seine Lebensgeister erwachen völlig neu – auch beim Sex. © picture alliance / dpa
Von Christian Berndt |
Neue Werke von Peter Greenaway und Woody Allen starten kommende Woche im Kino. Bernd Sobolla mit Kurzrezensionen zu "Eisenstein in Guanajuato" und "Irrational Man". Außerdem empfiehlt er "Virgin Mountain", einen isländischen Spielfilm über einen übergewichtigen Tanzkurs-Teilnehmer.
- Ich habe mir noch nie die Schuhe putzen lassen. So etwas machen wir schon lange nicht mehr in Sowjet-Russland.
- Wir sind in Mexiko, versuchen Sie es doch mal.
- Señor?"
Ein Russe in Mexiko. 1931 reist der berühmte Filmregisseur Sergej Eisenstein nach Mexiko, um dort einen Film zu drehen. Aber der heitere religiöse Mystizismus und die farbenfrohe Sinnlichkeit des Landes werfen den Exzentriker völlig aus der Bahn. In seinem neuen Film "Eisenstein in Guanajuato" schildert der britische Meister des Kunstkinos Peter Greenaway eine prägende Phase aus dem Leben des legendären Filmpioniers. Nach der Ankunft wird Eisenstein der junge Palomino als Stadtführer zugeteilt:
"Sex und Tod, die zwei Unverhandelbaren. Eros und Tanatos. – Es scheint mir, als hätten Sie sich selbst mit dem Tod hier bekannt gemacht. Jetzt müssen Sie sich mit dem Sex in Mexiko bekannt machen. – Vielleicht könnten Sie mich mit dem Sex in Mexiko und der Welt bekannt machen?"
Palomino tut wie geheißen und entjungfert den homosexuellen 33-Jährigen - was der Film in unverhüllter Deutlichkeit vorführt. Diese Affäre gab es wohl tatsächlich. Ansonsten lässt Greenaway, der seit "Der Kontrakt des Zeichners" von 1982 mit assoziativer Bildkunst fulminant gegen das Erzählkino opponierte, seinen Ideen zu Eisensteins Mexikoaufenthalt freien Lauf. Mit Parallelmontagen und den stilisierten, prallen Bildern von religiösen Riten, der Kloake und vom Sex macht das aus "Eisenstein in Guanajuato" ein sinnenfrohes, versponnen-anspielungsreiches Spektakel über den Ausbruch eines Genies.
Der Held des isländischen Filmes "Virgin Mountain" ist ein Sonderling ganz anderer Art. Fusi ist über Vierzig, übergewichtig, lebt bei seiner Mutter und hatte noch nie eine Freundin. Eines Tages bekommt er einen Tanzkurs geschenkt. Fusi geht hin, traut sich aber nicht aus dem Auto. Unerwartet fragt ihn eine Kursteilnehmerin, ob sie mitfahren darf:
- Kannst Du mal was sagen? Oder bist Du so ein Perverser, der Frauen auflauert, um sie abzumurksen?
- Hat die Tanzschule Spaß gemacht?
- Woher weißt du, dass ich da war? Schnüffelst Du hinter mir her? Also doch ein Perverser?
- Nein, nein, ich war auch da, ich hätte auch mitmachen sollen.
- Du bist wieder gegangen?
- Ich hatte keine Lust.
- Schau doch mal rein. Ist gar nicht so übel. Ich pass auf Dich auf, eine Hand wäscht die andere."
Es entwickelt sich ein erster Kontakt. Aber weil Sjöfn, wie seine Tanzpartnerin heißt, unter schweren Depressionen leidet, zieht sie sich bald zurück. Und als Fusi, nachdem er aus Gutmütigkeit ein Nachbarsmädchen im Auto mitgenommen hat, wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch angezeigt wird, scheint alles in der Katastrophe zu enden.
Regisseur Dagur Kari, der schon in seinem preisgekrönten Debütfilm "Nói Albinói" bewegend von Außenseiterexistenzen erzählte, hat auch hier einen vielschichtigen Filmcharakter entworfen. Fusi ist kein bemitleidenswerter Freak, seine stoische Gleichmut erweist sich in der Not als Stärke, mit der er nicht nur Rückschläge wegsteckt, sondern auch Sjöfn eine Stütze ist. Selten hat ein Film soviel Kraft aus der Tristesse gezogen.
Anders als Fusi ist der Außenseiter in Woody Allens neuem Film "Irrational Man" durchaus beliebt. Dem lässigen Philosophieprofessor Abe, gespielt von Joaquin Phoenix, fliegen die Herzen zu, aber das kann ihn nicht von seiner Schwermut befreien. Der desillusionierte Idealist leidet unter der sinnlosen Ungerechtigkeit des Daseins. Bis er Studentin Jill, gespielt von Emma Stone, kennenlernt:
- Sie wollten mich sprechen?
- Ja, Ihre Hausarbeit war recht gut.
- Wirklich?
- Normalerweise paraphrasieren die Studenten nur, was sie lesen, aber Ihre Gedanken waren frisch und gut formuliert.
- Offen gesagt war ich sehr beeinflusst von Ihren Ideen über Beliebigkeit und Zufall. Wenn Sie mir ein paar Dinge erklären könnten, würde ich mich sehr freuen.
- Klar, aber geht das auch draußen, bevor ich hier drinnen ersticke?"
Abe und Jill freunden sich an. Dann, eines Tages, belauschen sie ein Gespräch über den korrupten Richter Spangler – und Abe ist elektrisiert: Der Tod des Richters würde – anders als alle Philosophie – die Welt ein Stück besser machen, ist er überzeugt.
Abe fasst einen Mordplan, und seine Lebensgeister erwachen völlig neu – auch beim Sex. Erneut variiert Woody Allen in "Irrational Man" philosophische Fragen um Verbrechen und Strafe und die Macht des Zufalls. Jill fungiert dabei als Abes moralische Gegeninstanz, aber die selbstgefällige, matte Intellektuellenwelt um sie herum ist gegenüber der Kraft des Überzeugungstäters keine echte Alternative.
Wie in "Match Point" fiebert man eher mit dem Verbrecher. Und wieder ist es ein dummer Zufall, der am Ende alles entscheidet - womit Woody Allen sein filmisches Philosophiewerk um eine neue, glänzende Fingerübung der nihilistischen Spekulation erweitert hat.