Vorgespult

Traditionell, schrill und avantgardistisch

Nachtleben in Japan: Auf einem Hip-Hop-Konzert in Tokyo
Nachtleben in Japan: Auf einem Hip-Hop-Konzert in Tokyo © dpa / picture alliance / Everett Kennedy Brown
Von Christian Berndt · 11.07.2015
Diese Woche in "Vorgespult": Regisseur Thomas Vinterberg verfilmt einen Romanklassiker aus dem 19. Jahrhundert. Eine US-Doku führt im Zug quer durch die USA. Und ein japanischer Film zeigt ein im Chaos versunkenes Tokio als Hip-Hop-Spektakel.
"Miss. Ich bringe euch ein Lamm. – Oh! (Mähen) Danke Mr. Oak. – Es kam zu früh und schafft es nicht über den Winter. Ich dachte, vielleicht möchtet Ihr es großziehen. – Ich danke euch, das ist sehr nett."
Bathsheba bekommt Besuch von Schäfer Oak. Zwischen der jungen Frau, die bei ihrer Tante auf dem Land lebt, und dem sanften, aber männlichen Hirten hat es gefunkt. Seinen Heiratsantrag lehnt die selbstständige Frau jedoch ab - binden will sie sich nicht. Es ist eine recht moderne Frauenfigur, die der britische Dichter Thomas Hardy 1874 in seinen Roman "Am grünen Rand der Welt" entworfen hat. Nun hat der der dänische Regisseur Thomas Vinterberg das Buch unter dem gleichnamigen Titel verfilmt. Wie in der Vorlage verlieren sich die beiden Helden auch hier zunächst aus den Augen, als Bathsheba die Farm ihres Onkels erbt. Dort nimmt sie gleich das Heft in die Hand:
"Von jetzt an habt ihr eine Herrin, keinen Herrn mehr. Ob ich für die Landwirtschaft tauge, weiß ich nicht, aber ich werde mein Bestes tun. Glaubt nicht, nur weil ich eine Frau bin, kenne ich nicht den Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Ich werde auf den Beinen sein, wenn ihr noch schlaft, ich werde auf dem Feld sein, bevor ihr aufsteht."
Durch Zufall kreuzen sich Bathshebas und Oaks Wege wieder, aber die neue Gutsherrin heiratet lieber einen schneidigen Offizier – es wird nicht ihr letzter Fehler sein. Bathsheba muss erst Irrungen und Wirrungen durchleben, bis sich ihr Schicksal fast märchenhaft erfüllt. Eine solche Erzählkonstruktion ist im Jahr 2015 nur bedingt spannend, und auch die Inszenierung Vinterbergs, der vor 20 Jahren als Mitbegründer der Dogma-Bewegung für ein radikal wirklichkeitsnahes Kino eintrat, gerät erstaunlich gestrig – mit süßlicher Musik und, anders als in der realistischen Vorlage, etwas zu idyllischer Landromantik. Aber weil "Am grünen Rand der Welt" handwerklich gekonnt gemacht und gut besetzt ist, unter anderem mit der gefragten Carey Hannah Mulligan in der Hauptrolle, wirkt das altmodische Kostümdrama dann doch wieder verblüffend kurzweilig.
Unterwegs auf stillgelegten Zugstrecken
Auch auf altmodischen Wegen, dabei aber sehr zeitgemäß, bewegt sich der Dokumentarfilm "Station to Station". Der amerikanische Multimedia-Künstler Doug Aitken hat sich einen Zug aus den großen, alten Tagen der Bahnfahrt ausgeliehen, um mit Künstlerkollegen drei Wochen quer durch die USA zu reisen - auf Strecken, die großenteils längst stillgelegt sind. Für Aitken hat die Eisenbahn trotz jahrzehntelangen Niedergangs in den USA Zukunft:
"In Zukunft wird die Bahn einer der wenigen Orte sein, an dem sich Privilegierte und Besitzlose persönlich begegnen. Sie tun es nicht in den Städten und den Vororten, im Zug dagegen durchmischt sich alles. Vielleicht formt sich hier eine neue Gesellschaft, wenn wir es zulassen."
Mit auf der Reise sind Musiker, Künstler und Fotografen wie Patti Smith und William Eggleston. Im geräumigen Zug hat Aitken ein Aufnahmestudio und einen Schnittraum eingerichtet, an Bahnstationen finden spontane Konzerte und Happenings mit den Einwohnern statt. "Station to Station" dokumentiert dieses einmalige Kunstprojekt von 2013, und auch wenn sich der Enthusiasmus der Akteure im Film nur begrenzt überträgt, macht es doch Spaß, dieser sehr amerikanischen Form sinnlicher Kunstvermittlung zu folgen:
Hip-Hop-Musical nach einem Manga-Comic
Überaus sinnlich vermittelt sich auch der japanische Film "Tokyo Tribe". Nach einem Manga-Comic erzählt das Hip-Hop-Musical von einem in Anarchie zerfallenen Tokio der Zukunft, das aufgeteilt ist unter verfeindeten Clans – von den bösen Yakuza Buppa über die Gira Gira Girls bis zu den guten Jungs von Musashino-Saru:
Der furchtbare Clan-Chef Buppa will als Shogun über die Stadt herrschen, sein exzentrischer Sohn Nkoi hält sich nackte Frauen und Jünglinge als lebendes Mobiliar. Regisseur Sion Sono hat "Tokyo Tribe" als knallbunte Rap-Oper mit Sex, Gewalt, und schrillem Pop-Ambiente verfilmt. Für Sono, der sich mit Filmen wie "Love Exposure" den Ruf als Japans avantgardistischster Regisseur verdiente, ist "Tokyo Tribe" erstaunlich konventionell als konservativer Kampf zwischen Gut und Böse inszeniert.
Aber dafür ist der blutige Hip-Hop-Battle mit Verve erzählt und fährt an Darstellern alles auf, was in Japans Rap-Szene Rang und Namen hat. Ein Spektakel, das nicht zuletzt durch den eigenwilligen, japanischen Hip Hop – einer mit Englisch versetzten Kunstsprache – seinen Reiz gewinnt. Und dabei launig eine ziemlich gebrochene Macho-Kultur vorführt.
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