Traumata und Sehnsucht
Eine Frau erfährt vom Doppelleben ihres verstorbenen Partners, ein Jugendlicher sucht nach einer verschollenen Liebe, zwei Heranwachsende kämpfen mit dem Auseinanderfallen ihrer Familien: Drei aktuelle Filme in denen Verluste das Leben in neue Bahnen lenken.
Eine Frau erfährt vom Doppelleben ihres verstorbenen Partners, ein Jugendlicher sucht nach einer verschollenen Liebe, zwei Heranwachsende kämpfen mit dem Auseinanderfallen ihrer Familien: Drei neue Filme in denen Verluste das Leben der Helden in neue Bahnen lenken.
In einem niederländisch-deutschen Film erfährt eine Sängerin nach dem Tod ihres Lebenspartners von dessen jahrelangem Doppelleben. Ein japanisches Filmepos erzählt auf mystische Weise die Coming-of-Age-Geschichte zweier Jugendlicher. Und ein amerikanisches Roadmovie schickt seinen jungen Helden auf die Suche nach einem verschollenen Mädchen, das vom It-Girl der Stunde, Cara Delevingne, gespielt wird. Christian Berndt über drei Kinoneustarts der Woche.
"Die getäuschte Frau"
"Wohin fahren Sie? Kann ich mitkommen? – Äh, no, sorry. – Okay."
Die Tramperin fragt an der Raststätte bei mehreren Fernfahrern nach – ohne Erfolg. Dann zieht Nina, so ihr Name, die Musik aus einer Bar an – im Laufe des Abends wird sie sogar auf der Bühne mitsingen.Warum Nina so ziellos durch die Gegend streunt, erfährt man zunächst nicht, man ahnt, dass ihr etwas Schlimmes widerfahren sein muss. Der niederländisch-deutsche Film "Die getäuschte Frau" macht von Beginn an klar, dass es um ein schweres Trauma geht. Irgendwann sieht man Nina an einem Holzkreuz sitzen, das für ein Unfallopfer errichtet wurde – für ihren Lebenspartner, von dem sie eine Tochter hat. Doch der Unfalltod allein hat Nina nicht aus der Bahn geworfen:
"Nina, er war mein Bruder, ich konnte ihn nicht verraten. – Willst Du, dass ich Dir verzeihe oder was? – Nein, nur es ist nicht allein Dein Verlust."
Ninas Lebenspartner hatte jahrelang ein Doppelleben geführt, er hinterlässt mehrere Kinder, von denen sie nichts gewusst hat. Die niederländische Regisseurin Sacha Polak, deren beachtlicher Debütfilm "Hemel" über die Liebeswirren eine jungen Frau auf der Berlinale 2012 ausgezeichnet wurde, erzählt keine chronologische Geschichte. Vielmehr führt sie in kargen, aber ausdrucksvollen Bildern Impressionen einer tiefen Krise vor, die dem impulsiven Rhythmus der charismatischen Hauptfigur folgen. Ninas Leiden wird aber auf Dauer derart pathetisch zelebriert – zusätzlich müssen noch ein Überfall und ein überfahrener Hund als Trauerverstärker herhalten –, dass die Figur hinter diesem aufgehäuften Unglück irgendwann verblasst.
"Still the Water"
Der Tod steht auch im japanischen Film "Still the Water" am Anfang und Ende allen Geschehens. Es beginnt dramatisch mit einer an Land geschwemmten Wasserleiche. Der 16-jährige Kaito ist zufällig dabei, als man den Toten findet, und später wird man erfahren, was dieser Vorfall mit seiner Familie zu tun hat. Die japanische Regisseurin Naomi Kawase, die 2007 in Cannes den Großen Preis der Jury für "Der Wald der Trauer" erhielt, arbeitet auch hier auf mehreren Ebenen. "Still the Water" erzählt intensiv und beeindruckend gespielt die Adoleszenzgeschichte zweier Jugendlicher, die mit auseinanderfallenden Familien und ihrer erwachenden Sexualität zu kämpfen haben. Zugleich erlebt man, wie ihr Schicksal von den Naturgewalten bestimmt wird. Das Meer greift immer wieder machtvoll in die Handlung ein, der Mensch bleibt der Natur ausgeliefert, wofür Kawase metaphorische Bilder von epischer Wucht findet. Aber zu wohlgefällig gerät diese ganzheitliche Weltsicht: Die Alten raten den Jungen, sich dem Lauf der Natur nicht entgegenzustellen, was diese auch brav befolgen, sodass es schließlich sogar mit dem Sex klappt. Diese Harmonieseligkeit lässt "Still the Water" am Ende zwischen virtuos komponierter Bildkunst und esoterischem Edelkitsch schwanken.
"Margos Spuren"
Wie eine Naturgewalt bricht auch die Liebe in das Leben eines Jungen im amerikanischen Film "Margos Spuren". Seit Margo mit ihren Eltern in die Nachbarschaft zog, ist es um Quentin geschehen. Erst waren die beiden Kinderfreunde, als Jugendliche gingen ihre Wege dann auseinander. Quentin ist ein strebsamer Langeweiler geworden, Margo, gespielt von Supermodel und Shooting-Filmstar Cara Delevingne, das aufregendste Mädchen der Schule. Sie nimmt den unsterblich verliebten Quentin gar nicht mehr wahr – bis sie plötzlich eines Nachts zu ihm ins Fenster klettert:
"Margo? – Pst. Ich brauch Deinen Wagen. – Was? – Dein Auto. – Ich hab kein Auto. – Dann das von Deiner Mutter. Und außerdem brauche ich Dich als Fahrer, denn ich muss heute Nacht neun Sachen erledigen, und bei mehr als der Hälfte davon, muss einer den Fluchtwagen fahren. – Was denn, Du willst Straftaten begehen?"
Für Quentin wird es die aufregendste Nacht seines Lebens. Aber kurz nach der Tour ist Margo spurlos verschwunden, niemand weiß, wo sie steckt. Nur Quentin glaubt, versteckte Botschaften von ihr zu bekommen. Zusammen mit seinen Kumpels macht er sich auf die Suche quer durchs Land. Regisseur Jake Schreier, der mit seiner Science-Fiction-Satire "Robot & Frank" 2012 ein kluges wie originelles Debüt hingelegt hatte, erzählt den Jugendbuch-Bestseller "Margos Spuren" als Roadmovie und Coming-of-Age-Film: Das letzte große gemeinsame Abenteuer vor dem Ende der gemeinsamen Schulzeit. Doch der Geschichte fehlt das Anarchische, die Melancholie und der Zauber, der gelungene Filme über den Abschied von der Jugend, wie etwa "Ferris macht blau" auszeichnen. Quentin wird durch die Reise in seiner biederen Angepasstheit eher noch bestätigt, und für seine Freunde dreht sich eh alles nur darum, endlich mal Sex haben dürfen. Der Erkenntniswert dieser Tour wirkt so tiefgehend wie eine Fahrt zu McDonald’s.