Zwischen Unbehagen und Wohlbefinden
Der sensationelle US-Filmstart von Clint Eastwoods "American Sniper" über einen Soldaten im Irak-Krieg hinterlässt bei unserem Rezensenten Unbehagen. Wohler fühlt er sich bei der Sommer-Romanze "Heute gehe ich allein nach Hause" - und fremd bei der Romanverfilmung "Als wir träumten".
Filmausschnitt: "Lass mich auf die Straße, Mark. – Häuser durchsuchen ist der gefährlichste Job hier, Mann. Hast Du irgend so einen Retterkomplex? – Nein, ich will nur die Bösen erwischen, aber wenn ich sie nicht sehen kann, kann ich sie nicht abknallen. – All die Jungs kennen Deinen Namen und fühlen sich unbesiegbar mit Dir da oben."
Die US-Soldaten im Irak kennen ihn alle, den besten Scharfschützen der Armee, Chris Kyle. Er sichert für seine Kameraden den Weg im Häuserkampf, aber er will nicht nur aus der Deckung schießen, sondern selbst mitkämpfen. Der amerikanische Film "American Sniper" lässt schon hier keinen Zweifel an der Tapferkeit seines Helden. Und Kyle hat auch keinen Zweifel an seinem Tun, wie er nach der Heimkehr einem Militärpsychologen darlegt:
Filmausschnitt: "Würde es Sie überraschen, wenn die Navy Ihnen etwas über 160 tödliche Treffer anrechnet? – Mh. – Denken Sie manchmal, dass Sie dort Dinge gesehen oder getan haben, die Sie lieber rückgängig machen würden? – Oh, so bin ich nicht, nein. Ich wollte nur meine Jungs schützen, sie haben versucht, unsere Soldaten zu töten, und ich bin bereit, vor meinen Schöpfer zu treten und mich für jeden Schuss zu verantworten."
Eastwoods Filmerfolg lässt Unbehagen zurück
Kyle bedauert nur, nicht noch mehr Feinde getötet zu haben. So drückte sich auch der echte Chris Kyle aus, dessen Geschichte Clint Eastwood mit "American Sniper" verfilmt hat. Der Film hat in den USA einen sensationellen Kinostart erlebt - und er spaltet das Land. Die einen finden ihn kriegsverherrlichend, die anderen patriotisch, und wieder andere bescheinigen dem Film eine kritische Haltung, weil etwa Kyles Traumatisierung durch den Krieg deutlich thematisiert wird.
Es ist eine der Stärken von Eastwoods Filmen, die Ambivalenz von Krieg und Gewalt spürbar zu machen. Aber "American Sniper" reduziert das Problem aufs Private. Dass Kyle verdächtige Iraker wie Hasen abknallt, erscheint als notwendiges Übel im Kampf gegen skrupellose Barbaren. Und Kyle – gespielt von Bradley Cooper – ist psychologisch komplex genug entworfen, um ihn als positive Figur wahrzunehmen. Der Erfolg des Films lässt Unbehagen zurück.
Brasilianische Sommer-Romanze
Eher Wohlbehagen löst dagegen die brasilianische Sommer-Romanze "Heute gehe ich allein nach Hause" aus. Leo ist ein Teenager, der mit einigen Problemen zu kämpfen hat: Er wurde noch nie geküsst, wird von den Eltern überbehütet – und ist blind. Der oft gehänselte Außenseiter wünscht sich weit weg – bis zu jenem Tag, als Gabriel in die Klasse kommt.
Die beiden arbeiten für eine Hausarbeit zusammen, und Leo merkt, dass er Gefühle für den neuen Klassenkameraden entwickelt. Als Gabriel nach dem Lernen seinen Pullover liegen lässt und Leo ihn zufällig auf dem Stuhl ertastet, lässt ihn der Geruch in heftige Wallungen geraten. Regisseur Daniel Ribeiro erzählt vom Liebeserwachen seines blinden Helden so sensibel und natürlich, dass es als das Normalste auf der Welt erscheint, sich im wahrsten Sinne des Wortes blindlings zu verlieben.
Nachwendejugend bleibt Dresen fremd
Die jungen Pioniere marschieren. Andreas Dresens Verfilmung des Romans von Clemens Meyer "Als wir träumten" beginnt in der DDR der Achtzigerjahre. Noch geht alles seinen sozialistischen Gang, der 13-jährige Dani bekommt für seinen politisch einwandfreien Gedichtvortrag Extralob:
Filmausschnitt: "So ist es richtig. Immer aktiv sein, immer mit dem Kollektiv vorneweg, so wird man ein guter Soldat. – Ja Daniel, da kannste was lernen von dem Genossen Oberst."
Zeitsprung: Dani und seine Freunde sind 17 Jahre alt, die DDR gibt es nicht mehr, und alle früheren Lebensplanungen sind obsolet. Die seit Kindheit eng befreundeten Jungs nehmen ihr Leben selbst in die Hand, saufen, feiern und cruisen im geklauten Auto durch Leipzig. Dann hat irgendeiner die Idee mit dem Techno-Club:
Filmausschnitt: "Ich weiß nicht, wie es kam, dass unser Laden plötzlich lief. Vielleicht hatte es sich herumgesprochen, dass wir die jüngsten Discobesitzer waren. In Crottendorf, oder in Leipzig, oder in ganz Deutschland. Eben Underground."
Dresen beschreibt in "Als wir träumten" die frühen Neunzigerjahre in Leipzig sehr anschaulich als Zeit der absoluten Anarchie. Alte Autoritäten sind ungültig, Lehrer und Eltern orientierungslos. Einziger Halt ist die Freundschaft der Jungs, für die nun alles möglich scheint - auch die Gefahr abzurutschen. Leider gelingt es Dresen, der es in Filmen wie "Sommer vorm Balkon" meisterhaft verstanden hat, Menschen in ihren Milieus zu beschreiben, hier nicht, das Lebensgefühl seiner Helden nachfühlbar zu machen. Dresen scheint das Thema dieser Nachwendejugend zu fremd geblieben zu sein.