Bombenanschlag auf die "Goldene Moschee"
Der irakische Ableger der Terrororganisation Al Kaida verübte vor zehn Jahren einen Anschlag auf die Goldene Moschee der Schiiten in Samarra. Die Terroristen wollten damit die Gewalt zwischen den Konfessionen schüren, wenig später nannten sie sich das erste Mal Islamischer Staat.
Die Schiiten in Iran und Irak sind fast alle Angehörige der Zwölfer-Schia. Sie glauben an die Rechtmäßigkeit von zwölf Imamen, die in der Nachfolge des Propheten Muhammad in der islamischen Gemeinde als Vorsteher gewirkt haben. Ihre Gräber liegen größtenteils im Irak und sind heilige Pilgerorte der Schiiten. In Samarra, der alten Residenzstadt des sunnitischen Kalifats, gut hundert Kilometer nördlich von Bagdad, liegen zwei der zwölf schiitischen Imame begraben. Nach dem vorletzten in dieser Reihe, der im 9. Jahrhundert lebte, nennt man die Goldene Moschee von Samarra auch "al-Askari-Schrein". Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:
"Er ist aber so bedeutend vor allem deshalb, weil ein ganz wichtiges Ereignis der schiitischen Geschichte sich dort abgespielt hat. Der zwölfte Imam nämlich, Muhammad al-Mahdi, soll am Ort dieses Schreines in den Keller gegangen sein, dort ist er verschwunden. Und seitdem gilt er den Schiiten als entrückt. Er soll aber am Ende der Zeiten als messiasähnliche Figur wiedererscheinen und die Ereignisse einleiten, die dann zum Jüngsten Tag führen."
Unter Saddam Hussein waren die Schiiten im Irak marginalisiert. Nach der Invasion der USA im Jahr 2003 brach die staatliche Ordnung zusammen, die Armee wurde aufgelöst. Schiitische Politiker gelangten - von den Amerikanern unterstützt - in Schlüsselpositionen. Plötzlich sahen sich die Sunniten, die im alten Regime das Sagen hatten, an den Rand gedrängt. Die Verlierer der Nachkriegsordnung organisierten den Widerstand gegen die amerikanische Besatzungsmacht. Und dschihadistische sunnitische Terrororganisationen wie die irakische Al Kaida fanden Zulauf unter frustrierten ehemaligen Offizieren und Parteimitgliedern.
"Im Jahr 2005 hatte eine Regierung schiitischer Islamisten die Macht übernommen. Seitdem war es immer deutlicher geworden, dass einige aufständische Gruppierungen versuchten, einen Bürgerkrieg zu entfesseln. Der Gedankengang war, dass, wenn die Schiiten zurückschlagen gegen sunnitische Zivilisten, es Organisationen wie Al Kaida gelingen könnte, sich an die Spitze des Aufstands der Sunniten zu stellen und irgendwann dann die Macht zu übernehmen und einen Islamischen Staat zu begründen."
Anschlag hatte große Symbolkraft
Am 22. Februar 2006 verübten sunnitische Terroristen einen Sprengstoffanschlag auf den schiitischen al-Askari-Schrein in Samarra. Die religiöse Dimension des Konfliktes trat immer offener zutage. Die goldene Kuppel der Moschee brach ein. Bei der Aktion wurde niemand getötet. Für die Al Kaida-Terroristen stand hier die Symbolkraft im Vordergrund.
"In Deutschland würde ich sagen, dass die Zerstörung des Schreins vergleichbar wäre mit der Zerstörung des Kölner Doms beispielsweise. Zumindest würde das klarmachen, warum die Reaktion von Schiiten im Irak, aber auch weltweit damals so empört war, während dieses Ereignis dann doch in der westlichen Öffentlichkeit eher wenig wahrgenommen wurde."
Die Strategie der Terroristen ging auf. All die Appelle schiitischer Politiker in Bagdad wie auch der irakischen Ayatollahs, Ruhe zu bewahren, nützten nichts. Der Anschlag von Samarra provozierte immer mehr Übergriffe durch schiitische Milizen, nicht nur gegen Aufständische, sondern auch gegen sunnitische Zivilisten.
"Es begann ein kurzer, aber mit außergewöhnlicher Brutalität geführter Bürgerkrieg, der das Land fast an den Rand des Abgrundes brachte. Und es schien damals für einige Zeit bis 2007 so, als würde den Amerikanern jegliche Kontrolle über dieses Land entgleiten."
Blutige Niederschlagung des sunnitischen Aufstands
Die schiitischen Milizen konnten mit Unterstützung der Amerikaner den sunnitischen Aufstand niederschlagen und den Bürgerkrieg zu ihren Gunsten entscheiden. Doch das Bomben ging weiter. Im Juni 2007 traf es die beiden Minarette der Goldenen Moschee von Samarra. Sie stürzten zusammen. Zu diesem Zeitpunkt nannten sich die Verantwortlichen für die Anschläge von Samarra bereits Islamischer Staat. Ihr Kampfgebiet war und ist bis heute das sogenannte "sunnitische Dreieck", das mehrheitlich von Sunniten bewohnte Gebiet im Westen des Irak, in dem auch Samarra mit dem schiitischen Schrein liegt. Guido Steinberg:
"Die Stadt Samarra ist im Moment unter der Kontrolle der Zentralregierung. Eine politische Katastrophe, weil die Präsenz schiitischer Milizen auf Dauer die Vorbehalte unter Sunniten weiter schürt. Das Land ist zutiefst gespalten. Und gerade in Orten der konfessionellen oder ethnischen Bruchlinie, da wird auch mit besonderer Brutalität immer noch gekämpft."
Die Goldene Moschee von Samarra ist mittlerweile wieder aufgebaut. Doch die Gegend ist weiterhin für schiitische Pilger unsicher, nicht weit entfernt beginnt das Hoheitsgebiet des sogenannten Islamischen Staates.