Vorläufiges Resümee
Peter Handke unternimmt in "Die morawische Nacht" eine Reise, die immer wieder Berührungspunkte zum Leben und Werk des Autors aufweist. So trifft die Hauptfigur, hier immer "ehemaliger Autor" genannt, Protagonisten aus früheren Romanen Handkes. Handke umkreist kunstvoll seinen poetischen Raum.
Das Serbien Peter Handkes gibt es nicht. Es existiert auch nicht auf dem Papier. Wenn das neue Buch dieses Autors über weite Strecken den Fluss Morawa beschreibt und ein Städtchen namens Porodin, dann meint das etwas anderes als das, was man auf der Landkarte finden kann. Der Balkan ist für Handke ein Zustand.
Die Hauptfigur, sie wird meistens als "ehemaliger Autor" bezeichnet, lädt ein paar Freunde auf sein Hausboot am Ufer der Morawa ein. Der Gastgeber ist von einer langen Rundreise durch Europa zurückgekommen und hat vor, während der ganzen Nacht davon zu erzählen. Man merkt recht schnell, dass es sich hier nicht um eine "realistische" Erzählung handelt. Hier schreibt Handke, in verspielter, selbstironischer und manchmal auch inniger Form, über sich selbst. Sogar seine immer wiederkehrenden jähzornigen Ausbrüche erscheinen milde in die Literatur überführt.
Als der "ehemalige Autor" aus seiner Enklave am Ufer der Morawa aufbricht, assoziiert der Leser unwillkürlich einen von Serben bewohnten und von internationalen Schutztruppen kontrollierten Teil des Kosovo: die Busfahrt durch feindliches Gelände, die Steine, die von Kindern geworfen werden und die Glasscheiben des Busses mit lauter kleinen Splitternetzen durchziehen - das Wort "Kosovo" fällt aber nicht, es gibt keine direkte politische Wiedererkennbarkeit.
Viel suggestiver und nachhaltiger ist die blasse, blauweißrote Schrift auf dem blassen Gelb des Busses, die aus einer vergessenen Vergangenheit herüberragt und dadurch per se eine literarische Fiktion darstellt, viel mehr als der konkret vergangene Vielvölkerstaat Jugoslawien. Und die Vorstellung der "Enklave" entspricht auch auffällig genau den ästhetischen Vorlieben des Autors Peter Handke, seiner Rede von "Zwischenräumen", die nicht von außen zu definieren sind und sich einer allzu eindeutigen Funktionszuweisung entziehen.
Von "Jugoslawien" ist nirgends die Rede, das magische Beschwörungswort heißt "Balkan". Und was das Magische daran ausmacht, wird auf der ersten Station der Rundreise deutlich: eine dalmatische Insel, die der Autor als Sechzehnjähriger während seiner ersten Reise aufsuchte und auf der er seinen ersten Roman und seine erste Geliebte fand. Der "ehemalige Autor" hat, wie in dieser Szene, viele Berührungspunkte mit der Biographie des Schriftstellers Peter Handke.
Numancia in der spanischen Steppe, die nächste Station, spielt vor allem im "Versuch über die Jukebox" von 1991 eine zentrale Rolle. Der Autor begegnet im Folgenden auch Figuren und früheren Alter Egos Peter Handkes: Filip Kobal aus der "Wiederholung" und Gregor Keuschnig aus der "Stunde der wahren Empfindung". Es sind abgründige Witze, die sich der Autor wie bei einem Kinderspiel leistet. Und manchmal, wie bei einem trotzigen kleinen Jungen, stampft er auch wütend mit dem Fuß auf.
"Die morawische Nacht" ist ein vorläufiges Resümee des Autors Handke, das man nicht zu ernst und nicht zu leicht nehmen sollte. Er umkreist von neuem seinen poetischen Raum. Dazu gehören Verstiegenheiten, kunstvoll arrangierte Verrücktheiten und trotzige Verweigerung, aber es ist ein Spiel, bei dem, obwohl man auf alles gefasst zu sein scheint, wieder wie nebenbei ungeahnte Entdeckungen zu machen sind, Hummelflügel beispielsweise, Maultrommelspieler und die wilde Trauer von Samarkand.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Peter Handke: Die morawische Nacht
Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
560 Seiten. 28 Euro.
Die Hauptfigur, sie wird meistens als "ehemaliger Autor" bezeichnet, lädt ein paar Freunde auf sein Hausboot am Ufer der Morawa ein. Der Gastgeber ist von einer langen Rundreise durch Europa zurückgekommen und hat vor, während der ganzen Nacht davon zu erzählen. Man merkt recht schnell, dass es sich hier nicht um eine "realistische" Erzählung handelt. Hier schreibt Handke, in verspielter, selbstironischer und manchmal auch inniger Form, über sich selbst. Sogar seine immer wiederkehrenden jähzornigen Ausbrüche erscheinen milde in die Literatur überführt.
Als der "ehemalige Autor" aus seiner Enklave am Ufer der Morawa aufbricht, assoziiert der Leser unwillkürlich einen von Serben bewohnten und von internationalen Schutztruppen kontrollierten Teil des Kosovo: die Busfahrt durch feindliches Gelände, die Steine, die von Kindern geworfen werden und die Glasscheiben des Busses mit lauter kleinen Splitternetzen durchziehen - das Wort "Kosovo" fällt aber nicht, es gibt keine direkte politische Wiedererkennbarkeit.
Viel suggestiver und nachhaltiger ist die blasse, blauweißrote Schrift auf dem blassen Gelb des Busses, die aus einer vergessenen Vergangenheit herüberragt und dadurch per se eine literarische Fiktion darstellt, viel mehr als der konkret vergangene Vielvölkerstaat Jugoslawien. Und die Vorstellung der "Enklave" entspricht auch auffällig genau den ästhetischen Vorlieben des Autors Peter Handke, seiner Rede von "Zwischenräumen", die nicht von außen zu definieren sind und sich einer allzu eindeutigen Funktionszuweisung entziehen.
Von "Jugoslawien" ist nirgends die Rede, das magische Beschwörungswort heißt "Balkan". Und was das Magische daran ausmacht, wird auf der ersten Station der Rundreise deutlich: eine dalmatische Insel, die der Autor als Sechzehnjähriger während seiner ersten Reise aufsuchte und auf der er seinen ersten Roman und seine erste Geliebte fand. Der "ehemalige Autor" hat, wie in dieser Szene, viele Berührungspunkte mit der Biographie des Schriftstellers Peter Handke.
Numancia in der spanischen Steppe, die nächste Station, spielt vor allem im "Versuch über die Jukebox" von 1991 eine zentrale Rolle. Der Autor begegnet im Folgenden auch Figuren und früheren Alter Egos Peter Handkes: Filip Kobal aus der "Wiederholung" und Gregor Keuschnig aus der "Stunde der wahren Empfindung". Es sind abgründige Witze, die sich der Autor wie bei einem Kinderspiel leistet. Und manchmal, wie bei einem trotzigen kleinen Jungen, stampft er auch wütend mit dem Fuß auf.
"Die morawische Nacht" ist ein vorläufiges Resümee des Autors Handke, das man nicht zu ernst und nicht zu leicht nehmen sollte. Er umkreist von neuem seinen poetischen Raum. Dazu gehören Verstiegenheiten, kunstvoll arrangierte Verrücktheiten und trotzige Verweigerung, aber es ist ein Spiel, bei dem, obwohl man auf alles gefasst zu sein scheint, wieder wie nebenbei ungeahnte Entdeckungen zu machen sind, Hummelflügel beispielsweise, Maultrommelspieler und die wilde Trauer von Samarkand.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Peter Handke: Die morawische Nacht
Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
560 Seiten. 28 Euro.