Auf der Uni der Straße
Ein ungewöhnliches Bildungsangebot: In Bremen können Obdachlose die Uni der Straße besuchen. Hier wird gelehrt, diskutiert, kommuniziert und gezeigt, dass Wissen in wirtschafts- und finanzpolitischen Frage auch für ein Leben auf der Straße von Bedeutung sein kann.
Seit zwei Monaten hat Holger mittwochs um 17 Uhr einen festen Termin. Er besucht die Uni - und beschäftigt sich zum ersten Mal mit Goethe, Habermas, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mit 51.
"Tag - ich wollte nicht als Streber dastehen, weil ich immer als erster reinkomme …"
"Oh - sehr cool, sehr cool, aber ich wusste, dass du kommst von daher …"
Cory Patterson, der Sozialarbeiter, begrüßt ihn herzlich. Er betreut die Studierenden - an der etwas anderen Uni - der Universität der Straße. Die Vorlesungen finden im Cafe Papagei statt, dem Treff der Inneren Mission für Obdachlose - sauber, hell und sehr bunt. Papagei eben. Mitten in Bremen und doch abseits des Trubels.
Kurz nach Holger kommt ein älterer großgewachsener Herr. Haar und Bart weiß und ordentlich geschnitten. Aufrecht, Jackett und Jeans. Nur die Hände zittern ein ganz klein wenig.
"Kann ich was für sie tun? Ich wollte ins Cafe Papagei, wo ist denn das?"
"Das ist hier, aber das ist schon zu."
"Da soll aber ein Vortrag sein."
"Das ist richtig, genau, der Uni der Straße."
"Genau."
"Waren sie angemeldet?"
"Nee, muss man sich da anmelden?"
"Ja, ich hab das ganz gerne, damit ich weiß, wieviel Kaffee ich organisiere, und für unsere Statistik natürlich. Darf ich Ihren Namen erfahren?"
Der Mann zögert - lange.
"Ich frag´ auch bloß, hinterher gibt es ´ne Teilnahmebestätigung, da schreib ich den Namen dann rein."
Cory lässt den Mann rein. Nach ihm kommt noch Piet, ein Ex-Jockey. Und Sven, arbeitsloser Maler.
"Tag - ich wollte nicht als Streber dastehen, weil ich immer als erster reinkomme …"
"Oh - sehr cool, sehr cool, aber ich wusste, dass du kommst von daher …"
Cory Patterson, der Sozialarbeiter, begrüßt ihn herzlich. Er betreut die Studierenden - an der etwas anderen Uni - der Universität der Straße. Die Vorlesungen finden im Cafe Papagei statt, dem Treff der Inneren Mission für Obdachlose - sauber, hell und sehr bunt. Papagei eben. Mitten in Bremen und doch abseits des Trubels.
Kurz nach Holger kommt ein älterer großgewachsener Herr. Haar und Bart weiß und ordentlich geschnitten. Aufrecht, Jackett und Jeans. Nur die Hände zittern ein ganz klein wenig.
"Kann ich was für sie tun? Ich wollte ins Cafe Papagei, wo ist denn das?"
"Das ist hier, aber das ist schon zu."
"Da soll aber ein Vortrag sein."
"Das ist richtig, genau, der Uni der Straße."
"Genau."
"Waren sie angemeldet?"
"Nee, muss man sich da anmelden?"
"Ja, ich hab das ganz gerne, damit ich weiß, wieviel Kaffee ich organisiere, und für unsere Statistik natürlich. Darf ich Ihren Namen erfahren?"
Der Mann zögert - lange.
"Ich frag´ auch bloß, hinterher gibt es ´ne Teilnahmebestätigung, da schreib ich den Namen dann rein."
Cory lässt den Mann rein. Nach ihm kommt noch Piet, ein Ex-Jockey. Und Sven, arbeitsloser Maler.
Wirtschaftstheorie für Analphabeten
"Moin!"
"Guten Tag!"
Oben - im Seminarraum - kämpft Michael Vogel mit dem Beamer. Für seine Vorlesung "Kein Geld ohne Schulden" hat er Charts vorbereitet. Sie zeigen Internationale Finanzströme und Geldkreisläufe. Der Wirtschaftsprofessor der Hochschule Bremerhaven hat sich wie zu jeder anderen Vorlesung vorbereitet. Es war seine Idee diese Uni. Er will damit bei den Besuchern Erlebnisse erzeugen.
Michael Vogel: "… die sie erinnern vielleicht an Interessen, die sie als Kinder hatten oder Dinge, die irgendwie verschüttet gegangen sind und die wir gemeinsam vielleicht wieder freischaufeln können."
Auf dem Tisch stehen zwei Bleche Kuchen, eine große Thermoskanne. Es dauert aber lange, bis jemand sich bedient. Denn wegen Kaffee und Kuchen ist keiner gekommen. Auch Holger nicht.
Holger: "Dass man … ich weiß nicht, dass man, was man versäumt hat, ein bisschen wieder nachzuholen ne, weil - auch wenn es doof klingt, aber Uni der Straße. Dass man wieder von sich aus sagen kann, ich will doch noch irgendwas lernen weil der Mensch hört nie auf zu lernen. Keine kann sagen, ich bin mit irgendwas fertig und kann alles."
Es ist noch Zeit für eine Zigarette. Und Holgers Geschichte.
"Ich war verheiratet und habe 15 Jahre bei McDonald gearbeitet."
"Guten Tag!"
Oben - im Seminarraum - kämpft Michael Vogel mit dem Beamer. Für seine Vorlesung "Kein Geld ohne Schulden" hat er Charts vorbereitet. Sie zeigen Internationale Finanzströme und Geldkreisläufe. Der Wirtschaftsprofessor der Hochschule Bremerhaven hat sich wie zu jeder anderen Vorlesung vorbereitet. Es war seine Idee diese Uni. Er will damit bei den Besuchern Erlebnisse erzeugen.
Michael Vogel: "… die sie erinnern vielleicht an Interessen, die sie als Kinder hatten oder Dinge, die irgendwie verschüttet gegangen sind und die wir gemeinsam vielleicht wieder freischaufeln können."
Auf dem Tisch stehen zwei Bleche Kuchen, eine große Thermoskanne. Es dauert aber lange, bis jemand sich bedient. Denn wegen Kaffee und Kuchen ist keiner gekommen. Auch Holger nicht.
Holger: "Dass man … ich weiß nicht, dass man, was man versäumt hat, ein bisschen wieder nachzuholen ne, weil - auch wenn es doof klingt, aber Uni der Straße. Dass man wieder von sich aus sagen kann, ich will doch noch irgendwas lernen weil der Mensch hört nie auf zu lernen. Keine kann sagen, ich bin mit irgendwas fertig und kann alles."
Es ist noch Zeit für eine Zigarette. Und Holgers Geschichte.
"Ich war verheiratet und habe 15 Jahre bei McDonald gearbeitet."
Seit acht Jahren auf der Straße
Dort musste er nicht lesen und schreiben - das kann er nämlich nicht. Holger ist groß und kräftig - unter dem blauen T-Shirt spannen die Muskeln. Die Tattoos an den Armen erzählen Geschichten von den letzten acht Jahren auf der Straße. Da ist er nach seiner Scheidung gelandet, mit 32.000 Euro Schulden. Privatinsolvenz - das stand in der letzten Woche auf dem Stundenplan.
Holger: "… da war ein Richter von Bremerhaven hier, so ein Insolvenzrichter, das ist ja schon ne Adresse dann - und der war so locker und menschlich - allein das - weil man schiebt solche Leute ja auch schnell in die Schublade auch Professoren oder so weil wenn man die auf der Straße sieht, so einer spricht doch nicht mit mir. Das sind aber genau Menschen wie du und ich und das gibt einem so ein bisschen wieder Selbstwertgefühl."
"Was man da auch sieht auf dem Diagramm - im unteren Diagramm ist die blaue Fläche viel größer als im oberen Diagramm …"
Die Vorlesung hat begonnen. Es geht um die Geschichte des Geldes, das Bankensystem, um Macht und Monopole, die Finanzkrise, aber auch Goethe und das Humboldtsche Bildungsideal.
"Interessant ist, das Gedankenexperiment, was wäre, wenn alle ihre Schulden zurückzahlen würden."
"Dann dürfte es nach der Theorie kein Geld mehr geben."
"Und keiner könnte mehr investieren."
"Genau, ja, ja."
"Also stellen sie sich das mal vor - wir kriegen doch von Kindesbeinen an beigebracht, wenn man sich Geld leiht, dann muss man es wieder zurückzahlen, Schulden muss man bezahlen, wenn das jetzt alle ernst meinen und ihre Schulden bezahlen, dann gibt es kein Geld mehr und die gesamte Wirtschaft wäre mit einem Mal völlig platt."
"Wieso glauben wir eigentlich, dass das Geld vorn wert sei - oder was passiert, wenn wir diesen Glauben verlieren - jetzt ist der Kaffee alle, ne - …"
"Warum man das glaubt ist eigentlich ´ne total simple logische Antwort ..."
Die Stunde ist schon längst um, aber die Männer diskutieren noch - über Grundeinkommen, eine Reform des Finanzsystems.
Vogel: "Ich bin jedenfalls total begeistert über das aktive Engagement und das Einbringen - ich wünschte mir mit meinen Studis, dass in diesem engagiertem Maße zu erleben - Studierende tendieren dazu, so etwas eher zur Kenntnis zu nehmen und zu fragen, ist das prüfungsrelevant - bei Ihnen ist das lebensrelevant, das ist der Unterschied."
Holger: "… da war ein Richter von Bremerhaven hier, so ein Insolvenzrichter, das ist ja schon ne Adresse dann - und der war so locker und menschlich - allein das - weil man schiebt solche Leute ja auch schnell in die Schublade auch Professoren oder so weil wenn man die auf der Straße sieht, so einer spricht doch nicht mit mir. Das sind aber genau Menschen wie du und ich und das gibt einem so ein bisschen wieder Selbstwertgefühl."
"Was man da auch sieht auf dem Diagramm - im unteren Diagramm ist die blaue Fläche viel größer als im oberen Diagramm …"
Die Vorlesung hat begonnen. Es geht um die Geschichte des Geldes, das Bankensystem, um Macht und Monopole, die Finanzkrise, aber auch Goethe und das Humboldtsche Bildungsideal.
"Interessant ist, das Gedankenexperiment, was wäre, wenn alle ihre Schulden zurückzahlen würden."
"Dann dürfte es nach der Theorie kein Geld mehr geben."
"Und keiner könnte mehr investieren."
"Genau, ja, ja."
"Also stellen sie sich das mal vor - wir kriegen doch von Kindesbeinen an beigebracht, wenn man sich Geld leiht, dann muss man es wieder zurückzahlen, Schulden muss man bezahlen, wenn das jetzt alle ernst meinen und ihre Schulden bezahlen, dann gibt es kein Geld mehr und die gesamte Wirtschaft wäre mit einem Mal völlig platt."
"Wieso glauben wir eigentlich, dass das Geld vorn wert sei - oder was passiert, wenn wir diesen Glauben verlieren - jetzt ist der Kaffee alle, ne - …"
"Warum man das glaubt ist eigentlich ´ne total simple logische Antwort ..."
Die Stunde ist schon längst um, aber die Männer diskutieren noch - über Grundeinkommen, eine Reform des Finanzsystems.
Vogel: "Ich bin jedenfalls total begeistert über das aktive Engagement und das Einbringen - ich wünschte mir mit meinen Studis, dass in diesem engagiertem Maße zu erleben - Studierende tendieren dazu, so etwas eher zur Kenntnis zu nehmen und zu fragen, ist das prüfungsrelevant - bei Ihnen ist das lebensrelevant, das ist der Unterschied."