Allgemeine Dienstpflicht für alle − bringt uns das zusammen?
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Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine allgemeine Dienstpflicht vorgeschlagen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Die Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann stimmt zu, der Sozialforscher Jan Wetzel ist skeptisch − ein Streitgespräch.
"Es droht, etwas verloren zu gehen, ohne das eine Gesellschaft auf Dauer nicht bestehen kann: der Zusammenhalt seiner Bürgerinnen und Bürger", sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer der Funke Mediengruppe. Um diesen Zusammenhalt wieder zu kräftigen, hat die Verteidigungsministerin vorgeschlagen, eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland einzuführen.
Die Union debattiert die Dienstpflicht
Junge Frauen und Männer sollen demnach verpflichtet werden, ein Jahr bei der Bundeswehr, in der Pflege, bei der Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk zu arbeiten - wie einst beim Wehr- und Zivildienst, die 2011 ausgesetzt wurden.
Diesen Vorschlag hat die CDU nun in einem Werkstattgespräch diskutiert, mit dabei war auch die Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann. "Ich finde, das ist eine sehr gute Idee, die wir dringend prüfen sollten", sagt sie: "Wenn ich es heute zu entscheiden hätte, würde ich mich dafür entscheiden."
In Deutschland gebe es "großartige Freiwilligendienste" und auch ein "bemerkenswertes ehrenamtlichen Engagement von Jugendlichen", aber nur von einem kleinen Teil, etwas mehr als zehn Prozent. "Gleichzeitig haben wir in der Gesellschaft ein Ausbleiben oder Schwächerwerden von gemeinschaftsstiftenden Institutionen", so Wiesmann. Das führe dazu, dass die Gesellschaft auseinanderfalle. Dem könne man nur wenig entgegensetzen, weil die Wehrpflicht ausgesetzt worden sei. Jugendliche suchten Orientierung. Sie hätten aber wenig Zeit, sich fürs Leben zu rüsten.
"Ungleichheit lässt sich nicht per Dekret beenden"
Der Sozialforscher Jan Wetzel vom Wissenschaftszentrum Berlin ist der Ansicht, dass man für ein solches Dienstjahr durchaus politische Mehrheiten finden kann - allerdings gebe es Fliehkräfte in der Gesellschaft, die immer stärker würden, wie etwa die gesteigerte Mobilität, ein höherer Druck in der Arbeitswelt und große Ungleichheit. "Man kann viele dieser Entwicklungen nicht per Dekret beenden", sagt er.
Wetzel sieht die Ungleichheit schon bei der Geburt angelegt. Angesichts der enormen Ungleichheit etwa bei der Bildung sieht er es kritisch, an Pflichtgefühl und an den Wertekonsens zu appellieren: "Ich glaube nicht, dass die Lust nicht da ist für freiwilliges Engagement", sagt der Sozialforscher.
"Das ist heute mehr da als je zuvor, aber die Bedingungen sind ganz schlecht in vielen Bereichen – und zwar in allen Lebensphasen", betont er. Vor diesem Hintergrund werde es nicht funktionieren, die von Kramp-Karrenbauer vorgeschlagene Dienstpflicht einzuführen - "ohne die Voraussetzungen zu schaffen".
"Der Sozialstaat hat viel geleistet"
Wiesmann zufolge versucht die Politik bereits, gleiche Chancen herzustellen. "Am Ende werden Ungleichheiten weiterbestehen, das werden wir nicht aushebeln können. Aber: Bei aller Ungleichheit ist es doch wichtig, dass wir einen gemeinsamen Wertekonsens in unserer Gesellschaft aufrechterhalten." Sie verteidigt die Familienpolitik der Bundesregierung: Diese habe Spielräume geschaffen, wie etwa mit dem Recht, Teilzeit zu arbeiten. Der Sozialstaat habe bereits viel geleistet. Und auch nach Einführung einer Dienstpflicht werde man nicht aufhören, weiter Politik zu machen.
(leg)