Vorsingen im Dachzimmer

Von Xaver Frühbeis |
Die Comedian Harmonists waren die erste deutsche Boy Group von Rang. Sieben Jahre haben sie nur zusammen gesungen, doch in dieser kurzen Zeit mehrten sie Ruhm und Reichtum beachtlich.
"Achtung selten. Tenor und Bass, Berufssänger, nicht über 25, schön klingende Stimmen, für einzig dastehendes Ensemble unter Angabe der täglich verfügbaren Zeit gesucht."

Eine berühmt gewordene Kleinanzeige, kurz vor Weihnachten 1927 erschien sie im Berliner Lokal-Anzeiger, aufgegeben von einem jungen Musiker namens Harry Frommermann, der Mitstreiter suchte auf dem Weg zum Erfolg. Gesungene Unterhaltungsmusik, das bedeutete in Deutschland: Operette, Marschlieder, Männergesangsverein.

Frommermann hatte Anderes im Sinn. Aus Amerika nämlich war die Kunde gekommen von Vokalgruppen, die eine ganz andere Musik machten, zeitgemäß, leichtfüßig und aufregend anregend.

So sangen die Revellers aus den USA, die aber nie in Deutschland auftraten. Frommermann hatte einen Agenten gefragt, wieso. Antwort: Die seien zu teuer. Über tausend Dollar würden sie für einen Abend verlangen, und die bekämen sie auch. Eine hochinteressante Antwort für einen ehrgeizigen Menschen. Frommermann setzte sich hin und schrieb sechs Monate lang Arrangements in der Art der Revellers. Dann hieß es: geeignete Sänger finden. Nach der Annonce im Lokal-Anzeiger standen sie vor Frommermanns kleinem Dachzimmer Schlange, vom 5. Stock bis hinaus auf die Straße. Vorsingtermin war der 29. Dezember und unter all den Bewerbern nur ein einziger Treffer: Robert Biberti, der Bassist.

"Ich stellte mich hin und sang 'O Isis und Osiris', dass die Wände wackelten. Dann sagte Harry: Kennen Sie die Revellers? - Die Revellers? Das fragen Sie mich? Seit Jahren kenne ich die Revellers! Das ist das Unerhörteste, was es bisher gegeben hat. Das sind Artisten der Kehle."

Frommermann setzte sich ans Klavier und führte Biberti eines der Arrangements vor, die er im Stil der Revellers geschrieben hatte.

"Einmalig. Völlig anders als alles, was wir auf diesem Gebiet kannten. Ich roch, dass das eine Sensation werden könnte."

An diesem 29. Dezember 1927 gründeten Harry Frommermann und Robert Biberti die Comedian Harmonists. Nur waren sie für ein Sextett noch ein paar Mann zu wenig. Doch Biberti hatte einen großen Bekanntenkreis. Aus einem Opernchor schaffte er Asparuch Leschnikoff heran, einen bulgarischen Exoffizier, der nur rudimentär Deutsch sprach und keine Noten lesen konnte. Aber wegen seiner herrlichen Tenorstimme war der Mann ein Schatz. Dazu kam der Bariton Roman Cycowski, auch er Opernsänger und jüdischer Herkunft, ebenso der zweite Tenor Erich Abraham-Collin. Den Pianisten besorgte Leschnikoff. Eines Morgens weckte er Erwin Bootz aus dem Schlaf mit den Worten:

"Erwinchen, musst du kommen wie möglich schnelle!"

Man wollte eine Probe halten, dabei war Erwinchen dringend von Nöten. So entstanden die Comedian Harmonists.

Der Rest war mühsam: täglich vier Stunden Proben, unentwegt und ohne Bezahlung, dafür mit um so mehr Hoffnung und Zuversicht. Das erste Vorsingen: ein Fiasko. Ein zweites führt zu einem Auftritt in einer großen Berliner Revue. Allerdings muss dort lediglich eine kleine Zwischenaktmusik erledigt werden, die sechs werden geschmackvoll verkleidet, als Italiener und Zigeuner. Danach wieder die alte Tour: vorsingen, Agenten überzeugen, abgelehnt werden, durchhalten, weitermachen. Zwei Jahre nach der Gründung ist es endlich soweit. Die Comedian Harmonists gehen mit einem abendfüllenden Konzertprogramm auf Tournee. Am ersten Abend schon zeichnet sich der Siegeszug des Ensembles ab.

"Ich habe geweint vor Freude. Wir bekamen einen Applaus, den wir nie zuvor gekannt hatten. Wir hatten Angst, das Haus kommt runter."

Innerhalb von zwei Jahren haben sie es geschafft: Aus dem Nichts aufgestiegen zu Deutschlands großem, einzigartig dastehenden Unterhaltungsgesangsensemble. Den Niedergang der Comedian Harmonists besorgten Hitlers Rassengesetze binnen vier Monaten. Drei von sechs Sängern waren jüdisch. Sie verließen Deutschland, gingen nach Wien und gründeten ein neues Ensemble. Die Anderen blieben im Land, auch sie gründeten ein neues Ensemble, das sie, brav deutsch, Meistersextett nannten. Den großen Erfolg jedoch, den sie als Comedian Harmonists miteinander gehabt hatten, den erreichten sie nie mehr wieder.