Vorsprung durch Bibellesen
Max Weber führte den wirtschaftlichen Erfolg von Protestanten auf deren Arbeitsethos zurück. Eine neue Untersuchung widerlegt Webers These: Die beiden Volkswirtschaftler Sascha Becker und Ludger Wößmann von der Uni München sehen den Grund für den wirtschaftlichen Vorsprung der Protestanten in ihrer höheren Bildung. Und die entstand aus der Forderung Martin Luthers, jeder Christ müsse die Bibel lesen können.
Kapitalbesitz und Unternehmertum haben "ganz vorwiegend protestantischen Charakter" – so formulierte vor über 100 Jahren der Soziologe Max Weber und bezog das sowohl auf die Unternehmer selbst als auch auf die Belegschaften. Der Hintergrund: Im Zuge der Reformation veränderte sich die christliche Ethik der Protestanten: Nun galt es als gottgefällig, im Beruf seine Pflicht zu tun und sich selbst hintan zu stellen. Der protestantische Weg zum Seelenheil führte also über die Erfüllung der Arbeitspflicht – während sich die Katholiken das Himmelreich mit guten Taten verdienen wollten. Und somit, schrieb Weber, seien die Protestanten für den modernen Kapitalismus besser gerüstet gewesen.
Aber Professor Ludger Wößmann vom Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung und sein Kollege Sascha Becker widersprechen. Sie führen den Wirtschaftserfolg der Protestanten nicht auf den Geist christlicher Askese zurück, sondern vielmehr auf Luthers Idee der Schulbildung für alle. Ludger Wößmann:
"Wenn man in die historischen Schriften Luthers geht, dann sieht man sehr viele Belege dafür, dass er das auch ganz explizit gefordert hat: Er hat die Ratsherren der deutschen Städte aufgefordert, Schulen zu bauen und zu erhalten, er hat die Eltern aufgefordert, die Kinder zur Schule zu schicken mit dem einzigen Ziel, jeder gute Christ sollte die Bibel lesen können. Nun ist unsere Verbindung zur Wirtschaft, dass das einen nicht tendierten Nebeneffekt hatte, nämlich den, dass Einen dieses Lesenkönnen auch im wirtschaftlichen Bereich erfolgreicher macht."
Demnach hätten nicht ethische Unterschiede der beiden Religionen, sondern die höhere Bildung der Protestanten ihren wirtschaftlichen Vorsprung bewirkt. Die beiden Volkswirtschaftler vertieften sich in alte Archive, um Belege für ihre ziemlich aufregende These zu suchen. Ihre immense Fleißarbeit lohnte sich: Sie fanden preußische Statistiken aus den 1870er Jahren und hatten damit aller Wahrscheinlichkeit nach dieselben Quellen vor sich, die auch Max Weber gedient hatten. Sie enthielten Bewohnerzahlen von Katholiken und Protestanten, Alphabetisierungsquoten, Einkommenssteuern und weitere wirtschaftliche Daten – sprich Angaben darüber, inwieweit eine Region sich bereits weg von der Agrarwirtschaft hin zur Industrialisierung entwickelt hatte.
"Der Punkt, der es vielleicht auch so spannend macht, ist: Wenn Max Weber damals einen PC auf dem Tisch gehabt hätte, dann hätte er das auch nachprüfen können. Nur konnte man natürlich damals noch nicht Daten über 450 Kreise anschauen, um zu sehen, ob´s denn jetzt vor Allem die Bildung ist oder andere Dinge mit dem Protestantismus, die eventuell unterschiedliche Wirtschaftskraft ausmachen. Was wir nun sehen, ist in der Tat, dass die protestantischen Kreise damals wirtschaftlich erfolgreicher waren, dass sie aber auch wesentlich höhere Alphabetisierungsquoten aufzuweisen hatten. Und wenn wir versuchen, das auseinanderzurechnen, dann können wir zeigen, dass tatsächlich so gut wie der ganze Unterschied im wirtschaftlichen Erfolg zwischen protestantischen und katholischen Kreisen auf der höheren Bildung beruht."
Den Reformationshistoriker Tim Lorentzen von der Theologischen Fakultät der Uni München beeindruckt an der Studie, dass sie die mit Luther beginnende Kette von Konsequenzen in Bildung und Ökonomie bis heute aufzeigt. Dabei war Luthers Bemühen um Bildung keineswegs auf wirtschaftlichen Erfolg angelegt – ihm ging es um ganz Anderes.
Lorentzen: "Wenn der Einzelne aus Gnade erlöst ist, dann muss er natürlich zunächst einmal wissen, worin diese Gnade eigentlich besteht. Zunächst ist die Predigt das entscheidende Medium. Um sich selbst ein Urteil zu bilden, muss man lesen können. Deshalb die Schulbildung. Nun ist es ja so, dass die Reformatoren die Schule nicht erst erfunden haben. Das gibt es schon vorher – aber es gibt nicht so sehr den Anspruch einer universellen Bildung für das ganze christliche Gemeinwesen. Wir können das an Kirchenordnungen Norddeutschlands sehr schön nachvollziehen, weil hier die allgemeine Bildung, auch die Elementarbildung, das Lesen und Schreiben, so begründet wird, dass über Generationen hinweg das christliche Gemeinwesen geradezu gesichert wird in seinem Bestand, in seiner christlichen Existenz – und zwar als evangelisches Gemeinwesen, nicht in der Form, dass Bildung den Menschen unmittelbar veredeln würde, wie es die Humanisten noch gedacht haben. Das ist der große Unterschied und die Neuerung."
Luthers Forderung nach Bildung, die sich quasi nebenbei als überaus fruchtbar für wirtschaftlichen Erfolg erwies, ist heute genau wegen dieses Zusammenhangs aktueller denn je. Dasselbe gilt aber auch für sein eigentliches Motiv – nämlich die Vermittlung christlicher beziehungsweise ethischer Werte. Der moderne Unterschied: Inzwischen verknüpfen die Vordenker das Eine mit dem Anderen.
Lorentzen: "Es müssen ja – das ist heute nicht anders – Anreize geschaffen werden, damit Eltern ihre Kinder zur Schule schicken. Das können Sie leicht tun, wenn die Jungen auf die Lateinschule gehen und die Perspektive haben, dass sie mal Karriere machen können. Es fällt aber schwerer, wenn Sie etwa eine Handwerkerfamilie überreden müssen, dass sie auf fünf Kinder verzichten muss für die Zeit, in der sie zur Schule gehen. Und hier kommt etwa die Argumentation des Evangeliums für das christliche Gemeinwesen ins Spiel. Es kommt aber auch ins Spiel, dass dies genau 'einer Stadt Bestes wäre', wie Luther sagt, dass in ihr gute, fromme, ehrsame, ehrliche, freundliche Menschen leben. Die Stadt wird also geradezu humanitär gehoben."
Ludger Wößmann und Sascha Becker haben sich übrigens auch die Daten aus unseren Tagen angesehen. Und siehe da: Es ist tatsächlich noch immer so: Protestanten absolvieren im Durchschnitt mehr Bildung und verdienen auch mehr als Katholiken. Nur bei gleichem Bildungsgrad ist auch das Einkommen gleich.
Aber Professor Ludger Wößmann vom Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung und sein Kollege Sascha Becker widersprechen. Sie führen den Wirtschaftserfolg der Protestanten nicht auf den Geist christlicher Askese zurück, sondern vielmehr auf Luthers Idee der Schulbildung für alle. Ludger Wößmann:
"Wenn man in die historischen Schriften Luthers geht, dann sieht man sehr viele Belege dafür, dass er das auch ganz explizit gefordert hat: Er hat die Ratsherren der deutschen Städte aufgefordert, Schulen zu bauen und zu erhalten, er hat die Eltern aufgefordert, die Kinder zur Schule zu schicken mit dem einzigen Ziel, jeder gute Christ sollte die Bibel lesen können. Nun ist unsere Verbindung zur Wirtschaft, dass das einen nicht tendierten Nebeneffekt hatte, nämlich den, dass Einen dieses Lesenkönnen auch im wirtschaftlichen Bereich erfolgreicher macht."
Demnach hätten nicht ethische Unterschiede der beiden Religionen, sondern die höhere Bildung der Protestanten ihren wirtschaftlichen Vorsprung bewirkt. Die beiden Volkswirtschaftler vertieften sich in alte Archive, um Belege für ihre ziemlich aufregende These zu suchen. Ihre immense Fleißarbeit lohnte sich: Sie fanden preußische Statistiken aus den 1870er Jahren und hatten damit aller Wahrscheinlichkeit nach dieselben Quellen vor sich, die auch Max Weber gedient hatten. Sie enthielten Bewohnerzahlen von Katholiken und Protestanten, Alphabetisierungsquoten, Einkommenssteuern und weitere wirtschaftliche Daten – sprich Angaben darüber, inwieweit eine Region sich bereits weg von der Agrarwirtschaft hin zur Industrialisierung entwickelt hatte.
"Der Punkt, der es vielleicht auch so spannend macht, ist: Wenn Max Weber damals einen PC auf dem Tisch gehabt hätte, dann hätte er das auch nachprüfen können. Nur konnte man natürlich damals noch nicht Daten über 450 Kreise anschauen, um zu sehen, ob´s denn jetzt vor Allem die Bildung ist oder andere Dinge mit dem Protestantismus, die eventuell unterschiedliche Wirtschaftskraft ausmachen. Was wir nun sehen, ist in der Tat, dass die protestantischen Kreise damals wirtschaftlich erfolgreicher waren, dass sie aber auch wesentlich höhere Alphabetisierungsquoten aufzuweisen hatten. Und wenn wir versuchen, das auseinanderzurechnen, dann können wir zeigen, dass tatsächlich so gut wie der ganze Unterschied im wirtschaftlichen Erfolg zwischen protestantischen und katholischen Kreisen auf der höheren Bildung beruht."
Den Reformationshistoriker Tim Lorentzen von der Theologischen Fakultät der Uni München beeindruckt an der Studie, dass sie die mit Luther beginnende Kette von Konsequenzen in Bildung und Ökonomie bis heute aufzeigt. Dabei war Luthers Bemühen um Bildung keineswegs auf wirtschaftlichen Erfolg angelegt – ihm ging es um ganz Anderes.
Lorentzen: "Wenn der Einzelne aus Gnade erlöst ist, dann muss er natürlich zunächst einmal wissen, worin diese Gnade eigentlich besteht. Zunächst ist die Predigt das entscheidende Medium. Um sich selbst ein Urteil zu bilden, muss man lesen können. Deshalb die Schulbildung. Nun ist es ja so, dass die Reformatoren die Schule nicht erst erfunden haben. Das gibt es schon vorher – aber es gibt nicht so sehr den Anspruch einer universellen Bildung für das ganze christliche Gemeinwesen. Wir können das an Kirchenordnungen Norddeutschlands sehr schön nachvollziehen, weil hier die allgemeine Bildung, auch die Elementarbildung, das Lesen und Schreiben, so begründet wird, dass über Generationen hinweg das christliche Gemeinwesen geradezu gesichert wird in seinem Bestand, in seiner christlichen Existenz – und zwar als evangelisches Gemeinwesen, nicht in der Form, dass Bildung den Menschen unmittelbar veredeln würde, wie es die Humanisten noch gedacht haben. Das ist der große Unterschied und die Neuerung."
Luthers Forderung nach Bildung, die sich quasi nebenbei als überaus fruchtbar für wirtschaftlichen Erfolg erwies, ist heute genau wegen dieses Zusammenhangs aktueller denn je. Dasselbe gilt aber auch für sein eigentliches Motiv – nämlich die Vermittlung christlicher beziehungsweise ethischer Werte. Der moderne Unterschied: Inzwischen verknüpfen die Vordenker das Eine mit dem Anderen.
Lorentzen: "Es müssen ja – das ist heute nicht anders – Anreize geschaffen werden, damit Eltern ihre Kinder zur Schule schicken. Das können Sie leicht tun, wenn die Jungen auf die Lateinschule gehen und die Perspektive haben, dass sie mal Karriere machen können. Es fällt aber schwerer, wenn Sie etwa eine Handwerkerfamilie überreden müssen, dass sie auf fünf Kinder verzichten muss für die Zeit, in der sie zur Schule gehen. Und hier kommt etwa die Argumentation des Evangeliums für das christliche Gemeinwesen ins Spiel. Es kommt aber auch ins Spiel, dass dies genau 'einer Stadt Bestes wäre', wie Luther sagt, dass in ihr gute, fromme, ehrsame, ehrliche, freundliche Menschen leben. Die Stadt wird also geradezu humanitär gehoben."
Ludger Wößmann und Sascha Becker haben sich übrigens auch die Daten aus unseren Tagen angesehen. Und siehe da: Es ist tatsächlich noch immer so: Protestanten absolvieren im Durchschnitt mehr Bildung und verdienen auch mehr als Katholiken. Nur bei gleichem Bildungsgrad ist auch das Einkommen gleich.