Jenseitsglaube im Islam

Himmel und Hölle im Wandel der Zeiten

09:01 Minuten
Brunnen im Zentrum des Gartens des Bahia-Palastes in Marrakesch.
Die islamische Gartenbaukunst versucht das Paradies auf Erden zu reproduzieren. Hier: Der Garten im Bahia Palast, Marrakesch. © Getty Images / Chris Griffiths
Von Nabila Abdel Aziz |
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Paradiesjungfrauen und Höllenfeuer: Vorstellungen vom Jenseits haben islamische Mystiker zu Gedichten inspiriert und werden als Motivation für Selbstmordattentäter missbraucht. Doch was sagen die islamischen Quellen zu Himmel und Hölle?
„Für jene wird es die Gärten Edens geben, in denen unter ihnen Flüsse strömen. Geschmückt sind sie darin mit Armreifen aus Gold, und sie tragen grüne Gewänder aus Seide und schwerem Brokat und lehnen auf überdachten Liegen. Wie trefflich ist die Belohnung und wie schön der Rastplatz!“
So schildert der Koran das Paradies in Sure 18. Ein schattiger Garten mit dichtem Blätterwerk, Dattelpalmen, Granatäpfel und Trauben, sanft strömende Gewässer, goldenes Geschmeide, Engel, die die Menschen im Paradies mit dem Gruß des Friedens empfangen. Ein Garten, in dem, so steht es in der Sure 41, die Menschen das bekommen sollen, was ihre Seelen sich wünschen.

Belohnung für gute Taten

Hierhin gelangen die, so beschreiben es der Koran und die Aussprüche des Propheten Muhammad, die mehr gute als schlechte Taten begangen haben und denen Gott ihre Sünden verziehen hat. Ob dieser Ort nur für Musliminnen und Muslime offen ist oder auch für Menschen anderen Glaubens – darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.
Historische Illustration eines Paradiesgarten mit einem Wasserlauf, der durch Zypressen fließt.
Persische Miniatur eines Paradiesgartens, ca. 1300.© imago images / United Archives International
In der islamischen Jenseitsvorstellung gibt es aber noch einen Ort: Jahannam, die Hölle. Der Koran beschreibt, wie Gott zu den Höllenbewohnern sprechen wird:

Heute haben Wir euch vergessen, so wie ihr das Eintreffen dieses Tages vergaßt. Eure Herberge ist das Feuer und ihr habt keine Helfer.

Die Idee eines Ruheortes für die Gläubigen – und die eines ewigen Feuers. Und die Vorstellung von einem Gericht, das Menschen am Ende aller Zeiten entweder an den einen oder den anderen Ort schicken wird. Diese Ideen teilt der Islam mit vielen anderen Religionen, so Milad Karimi, Professor am Zentrum für Islamische Theologie in Münster.

Der Tod hat nicht das letzte Wort

„Genau darin ist auch eine Brücke zum Judentum und zum Christentum zu sehen", sagt Karimi. "Darin sind wir verwandt, und wir sind auch darüber hinaus in der Idee verwandt, dass wir an einen Gott glauben, der über das Irdische hinaus, also über den Tod hinaus, seine Göttlichkeit wirksam zeigt, indem er dem Tod nicht das letzte Wort gibt.“
Der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi trägt ein rotbraunes Sakko und eine gleichfarbige Fliege und spricht in ein Mikrofon, das er in der rechten Hand hält.
Ahmad Milad Karimi, Islamwissenschaftler und Religionsphilosoph© imago / epd-bild / Jens Schulze
Menschen könnten es sich eben nicht in ihren Gräbern gemütlich machen, sondern sowohl im Judentum als auch im Christentum – und insbesondere auch im Islam – glaube man daran, „dass es einen Gott gibt, der alle Menschen über den Tod hinaus zur Rechenschaft ziehen wird. Über das, was sie in ihrem Leben getan oder nicht getan haben.“

Anreize für Attentäter

Trotz der Gemeinsamkeiten – manche Aspekte der islamischen Jenseitsvorstellungen haben aus westlicher Perspektive auch Befremden ausgelöst. Besonders die Existenz der sogenannten "Paradiesjungfrauen". Ähnliche Wesen gibt es bei den Zoroastriern oder im Hinduismus.
Huri, das Wort, das der Koran für die Paradiesjungfrauen benutzt, beschreibt die Eigenschaft, Augen mit einem besonders starken Kontrast zwischen Iris und Augapfel zu haben – also besonders schwarze Augen. Anscheinend etwas, das in der arabischen Welt zur damaligen Zeit als besonders attraktiv galt.

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„Huris mit schönen großen Augen, gleich wohlverwahrten Perlen“, heißt es etwa in den Versen 22 und 23 der Sure 56. In den vergangenen Jahrzehnten benutzten Extremisten das Versprechen der Huris dazu, junge Menschen zu Selbstmordattentaten zu motivieren. Dass 72 Jungfrauen im Paradies auf Männer warten, findet sich in der Tradition, steht jedoch nicht im Koran.

Sinnliche Genüsse im Paradies

Und ganz klar ist auch nicht, wer oder was die Huris genau sind: Der Koranexeget at-Tabari, der im 10. Jahrhundert in Bagdad lebte, zitiert den Propheten Muhammad damit, dass es sich bei den Frauen im Paradies einfach um verstorbene muslimische Frauen handelt. Sie bleiben nach ihrer Wiederauferstehung – genau wie die Männer – ewig jung. Moderne Kommentatoren wie Muhammad Asad sprechen davon, dass in der koranischen Sprache nicht eindeutig erkennbar sei, ob es sich bei den Huris um männliche oder weibliche Wesen handelt.
Egal, wer genau die Huris sind – in der muslimischen Tradition war die Vorstellung von sinnlichen Genüssen im Paradies weit verbreitet. Für traditionelle Musliminnen und Muslime jedoch kein Grund zu erröten, sagt die Religionswissenschaftlerin Leyla Jagiella: Körper und Geist bilden eine Einheit, deswegen sei Sex nichts Schmutziges.
Leyla Jagiella sitzt in einem Sessel und spricht ins Mikrofon.
Leyla Jagiella, Religionswissenschaftlerin und Trans*-Aktivistin© Arne List
„Das Christentum hat natürlich eine ganz andere Vorstellung, und westliche Gesellschaften sind von dieser christlichen Vorstellung stark geprägt. Da heißt es im Neuen Testament, dass wir im Jenseits wie Engel sein werden, und Engel haben keine körperliche Geschlechtlichkeit", erklärt Jagiella.
"Aber ein bisschen ist das auch paradox, denn sowohl Christen als auch Muslime glauben traditionellerweise eigentlich an eine körperliche Auferstehung. Das heißt, das Jenseits ist ganz traditionell immer auch eine körperliche Angelegenheit. Und deswegen ist es für Muslime eben auch ganz selbstverständlich, dass in diesen Vorstellungen auch Sexualität eine Rolle spielt.“

Glück in der Gegenwart Gottes

Dass Intimität im Jenseits eine Rolle spielt, ist für Musliminnen und Muslime also nicht unbedingt problematisch. Dass die Beschreibungen jedoch vor allem an Männer adressiert zu sein scheinen, hat die feministische Koranexegese herausgefordert. In Sure 37, Vers 47 werden den Männern „Frauen mit schönen großen Augen“ versprochen. In anderen Versen, wie zum Beispiel Sure 55, 56 ist explizit von „Jungfrauen“ die Rede.
Historische Darstellung des Paradieses im Islam mit sieben übereinander geschichteten Himmelsetagen über der Kaaba in Mekka.
Persische Miniatur der Kaaba in Mekka mit einer Treppe in den Himmel.© picture alliance / Leemage
Dina El Omari, Professorin am Zentrum für islamische Theologie an der Uni Münster, hat dazu geforscht, wie sich die Beschreibungen des Paradieses verändern – von den früheren zu den späteren Suren des Korans. Das Interessante: Irgendwann verschwindet die Figur der Paradiesjungfrau.
„Männlich-weiblich wird dann gar nicht mehr wirklich adressiert", erklärt El Omari, "sondern nur noch das Kollektiv wird adressiert. Also: 'ihr Gläubigen', ihr tretet sozusagen ein ins Paradies. Auch das Paradies selber wird dann nur noch sehr schlicht mit Bächen und Flüssen und so weiter beschrieben, aber nicht mehr dieses Materialistische, das ja sehr überladen ist. Und das endet zur Endzeit der Offenbarung, dann kommen wir da an, dass es eigentlich um die Gegenwart Gottes geht, also dass alle in die Gegenwart Gottes eintreten und dass es darum letztendlich geht und nicht um diese materiellen Luxusgüter oder was auch immer dann eben diesen Zustand der Glückseligkeit verdeutlichen soll.“

Alles Jenseitige ist im Diesseits eine Hoffnung

Für Dina El Omari hat der Koran in den Anfängen seiner Entstehung Menschen bei ihren Vorstellungen von Glückseligkeit abgeholt, die spezifisch für die arabische Halbinsel im 7. Jahrhundert waren: schattige Gärten, Wasser, Frauen mit großen schwarzen Augen. In den späteren Suren wird die Beschreibung des Paradieses jedoch immer abstrakter – am Ende geht es um ein Dasein in der Gegenwart Gottes als größtem Frieden.
Dina El Omari steht vor einem Bücherregal.
Dina El Omari, Professorin für islamische Theologie in Münster© privat
Dem stimmt Milad Karimi von der Uni Münster zu. „Wer diese Beschreibungen der Hölle und des Paradieses, die sowohl im Koran als auch aus dem Leben des Propheten überliefert worden sind, wortwörtlich nimmt und nicht deren Geist erkennt, der infantilisiert auch seine eigene Religion", sagt Karimi.
"Es wird lächerlich zu meinen, wir wüssten ganz genau, also wortgetreu, was uns im Jenseits erwartet. Alles Jenseitige wird in der großen Geistesgeschichte des Islams als eine Hoffnung verstanden, eine Hoffnung, die wir nur in Form eines Gleichnisses oder vieler Gleichnisse uns aneignen können: ahnend, hoffend und in Demut.“

Jenseits von Himmel und Hölle

Und obwohl das Paradies und die Hölle in der muslimischen Theologie und Lebenswelt immer eine Rolle gespielt haben, gibt es auch eine Denktradition, die ihre Bedeutung relativiert. Dafür steht zum Beispiel die Mystikerin Rabia al Adawiyya, die im 8. Jahrhundert in Basra lebte.
In einer Anekdote über sie wird erzählt, dass sie eines Tages mit einer Fackel in einer Hand und Wasser in der anderen durch die Straßen ihrer Stadt lief. Auf die Frage, was sie vorhatte, antwortete sie:
„Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und niemand mehr Gott aus Furcht vor der Hölle oder in Hoffnung aufs Paradies anbete, sondern nur noch um seiner ewigen Schönheit willen.“
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