Geschlechterdebatte

Ein Vortrag, eine Absage und ein gesellschaftlicher Konflikt

Illustration: Eine Person: halb Frau, halb Mann.
Es gibt nur wenige Themen, die so kontrovers diskutiert werden wie aktuell die Geschlechtsidentität. © Getty Images / DigitalVision
Eine Biologin will einen Vortrag über Zweigeschlechtlichkeit an der Berliner Humboldt-Universität halten. Auch weil sie sich zuvor abwertend zu Transgeschlechtlichkeit äußerte, gab es Protest. Nun wurde der Vortrag nachgeholt, doch der Konflikt bleibt.
Es gibt nur wenige Themen, die die Gemüter so erhitzen wie die Kontroverse um die Geschlechtsidentität. Schauplatz der jüngsten Auseinandersetzung ist die Berliner Humboldt-Universität. Dort hat am Donnerstag die Biologin Marie-Luise Vollbrecht einen Vortrag zu „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt" gehalten.

Warum wird an der Humboldt-Universität über einen Vortrag gestritten?

Auslöser war der geplante Auftritt der Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht zunächst bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 2. Juli - und die Absage durch die Hochschulleitung. In dem nun nachgeholten, zuvor aber auch bereits im Internet veröffentlichten Vortrag referiert die Biologin darüber, dass es – so die von ihr vermittelte Lehrmeinung ihres Fachs – nur zwei Geschlechter gibt.
Vollbrecht ist keine Unbekannte, sie hatte bereits einen Monat zuvor mit anderen Autoren in der Zeitung „Welt“ einen Beitrag publiziert. In diesem wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeworfen, die Zweigeschlechtlichkeit infrage zu stellen und damit eine gefährliche Agenda zu verfolgen.
Kritiker werfen Vollbrecht zudem vor, sich in den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter transfeindlich geäußert zu haben. Sie würde so das Recht von Transmenschen missachten, selbstbestimmt über ihre Identität zu entscheiden.

Worum geht es in der Kontroverse?

Der Vortrag war erneuter Auslöser für einen seit Langem geführten Konflikt um Transgeschlechtlichkeit. Während die einen die Zweigeschlechtlichkeit hervorheben, betonen die anderen die Vielfalt der Geschlechter und geschlechtlicher Identitäten.
Dabei muss zwischen den englischen Begriffen Gender und Sex unterschieden werden. Ersterer beschreibt die soziale und letzterer die biologische Seite von dem, was im Deutschen mit dem Wort Geschlecht bezeichnet wird, wie die Wissenschaftsjournalistin Christine Westerhaus erläutert.
Politisch wird der Konflikt äußerst hart geführt. Beispielhaft steht dafür etwa die Auseinandersetzung um die schottische Autorin Joanne K. Rowling oder die um Äußerungen der deutschen Feministin Alice Schwarzer. Auch an Universitäten ist die Auseinandersetzung immer wieder Thema.

Wie waren die Reaktionen auf den geplanten Vortrag?

Mit der Ankündigung des Auftritts Vollbrechts an der HU Berlin wurde Kritik laut. Nachdem Studierende öffentlich ankündigten gegen den Vortrag zu protestieren, sagte die Hochschule die Veranstaltung aufgrund von Sicherheitsbedenken ab.
Die Diskussion um den abgesagten Vortrag schlug hohe Wellen. Selbst Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) meldete sich zu Wort und kritisierte die Unileitung. Nun sprach sie im Anschluss an Vollbrechts Vortrag auf einem Podium zum Thema „Meinung, Freiheit, Wissenschaft – der Umgang mit gesellschaftlichen Kontroversen an Universitäten". Vollbrecht selbst nahm an dem Podium nicht teil.
Doch ist die Kontroverse noch lange nicht beendet, denn sie steht beispielhaft für einen gesellschaftlichen Konflikt um die Deutungshoheit darüber, was Geschlecht ist und welche politischen und gesellschaftlichen Folgen sich daraus ergeben.

Wie wurde das Vorgehen der Humboldt-Universität bewertet?

Sowohl die Kritiker Vollbrechts als auch die Biologin sind mit dem Vorgehen der Humboldt-Universität unzufrieden. Während die einen der HU Transfeindlichkeit vorwerfen, sehen die anderen eine sogenannte Cancel Culture am Werk – also das gezielte Ausgrenzen und Ausladen von Vertretern unliebsamer politischer Meinungen.

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Gemein ist beiden Positionen, dass sie das Vorgehen der Universität und deren Begründung der Absage wegen Sicherheitsbedenken kritisieren. Dies wird auch von anderen Beobachtern geteilt, etwa dem Hochschulverband. Dabei wird wie bei anderen gesellschaftlichen Konflikten auch darüber gestritten, inwieweit diese im wissenschaftlichen Rahmen ausgetragen werden können und Hochschulen der Ort dieser Auseinandersetzungen sind.

Welche Rolle spielten die Medien?

Beide Seiten des Konflikts wurden in den Medien abgebildet. Bei dieser Abbildung wurden auch jeweils politische Standpunkte und Haltungen mit verhandelt. Dies spiegelte sich etwa darin wider, welche der Positionen besonders in den Vordergrund gestellt wurden und ob diese als berechtigte Anliegen wiedergegeben wurden.
Die Journalistin Lydia Meyer kritisiert die Berichterstattung zu der Kontroverse um den Vortrag . In vielen Medien sei Vollbrecht, die sich sehr transfeindlich auf Twitter äußere, „extrem unkritisch“ begegnet worden. Es würde der Eindruck vermittelt, an der HU herrsche Zensur und die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Das sei „sehr gefährlich, gerade bei Themen, wo es um vulnerable Gruppe geht, die keine Lobby haben, wo es in der Gesellschaft viele Wissenslücken und Berührungsängste gibt“, sagt sie.
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