Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt "Wem gehört dein Leben?" (Kunstkloster art research). Am 30. Juni 2015 sendet der Deutschlandfunk das Hörstück "Metamorphosen", das er mit Heike Tauch verfasst hat.
Goldberg und das Kollektiv
Name und Religion haben in diesem Fall nichts miteinander zu tun: Florian Goldberg hat eine jüdische Namensidentität, nicht mehr. Aber seine Umwelt gibt sich damit nicht immer zufrieden und offenbart damit ihren getrübten Blick fürs Individuum.
"Gestatten, Goldberg" so lautete die Überschrift eines Artikels, der vor einiger Zeit im Spiegel erschien. Er handelte von den Erfahrungen eines nicht-jüdischen Deutschen mit seinem jüdischen Namen. Es ging um Vorurteile und dumme Klischees, die dem Mann entgegengebracht wurden, und es ging um die Konsequenzen, die er daraus zog, nämlich – naheliegend – sich gegen Antisemitismus stark zu machen.
Nun, ich heiße ebenfalls Goldberg und ich bin ebenfalls kein Jude, da bin ich mir dank meiner definitiv nichtjüdischen Mutter sicher. Was meine Vorfahren väterlicherseits betrifft, liegen die Dinge etwas unbestimmter. Aber das tut an dieser Stelle nichts zur Sache.
Worum es hier geht, ist die Frage, wie es um meine eigenen Erfahrungen als nicht-jüdischer Goldberg bestellt ist und welche Schlüsse ich daraus ziehe.
Wie mir scheint, sind diese Erfahrungen vielfältiger und weniger eindeutig, als die im Spiegel beschriebenen. Als Pubertierender in den 70ern wurde ich wegen meiner angeblichen "Judennase" gehänselt – wobei mich der antisemitische Unterton weniger bekümmerte als die Frage, ob meine Nase zu groß sei, um den Mädchen zu gefallen. Später in meinem Austauschjahr an einer amerikanischen Prep-School wurde ich von jüdischen Mitschülern einmal als "German Nazi Pig" verprügelt, ein anderes Mal gefragt, wie meine Familie das sogenannte "Dritte Reich" überlebt habe.
Während meines Studiums in Tübingen war ich eine Weile lang Protegé von Walter Jens, bis ich mich mit ihm überwarf. Nach allem, was ich mit ihm erlebte und was inzwischen über ihn bekannt ist, frage ich mich, ob sein Interesse an mir vielleicht nur meinem Namen beziehungsweise meiner vermuteten Herkunft galt...
Offen philosemitisch
Dasselbe frage ich mich übrigens auch bei verschiedenen jüdischen Kreisen, in die ich immer wieder eingeladen wurde, nicht selten, um mir anzuhören, wie offen antisemitisch oder wie verdeckt antisemitisch, weil offen philosemitisch die Deutschen nach wie vor seien. Meine Einwände, immerhin freundlich aufgenommen, wurden als – vielleicht etwas naive – Beiträge zur Debatte gewertet, nicht als Apologie eines Nichtjuden.
Von solchen wiederum, also nichtjüdischen Deutschen, habe ich als Erwachsener kaum etwas erlebt, was sich als antisemitisch deuten ließe. Das mag damit zu tun haben, dass ich mich meist unter Menschen bewege, die ich bis vor kurzem noch als aufgeklärt bezeichnet hätte. Aber genau dies fällt mir inzwischen schwerer, wenn dieselben Leute, die dank ihres lektüreschweren Geschichtsbewusstseins gar nicht auf die Idee kämen, Juden zu diskriminieren, eben dies mit den Moslems umso ungenierter tun.
Das ist hier natürlich etwas verkürzt dargestellt, bezeichnet aber den Kern des Problems: Die unselige und schwer zu überwindende Neigung, einander nicht als Individuen zu begegnen, sondern als Vertretern eines Kollektivs, Verallgemeinerungen also, an denen positiv oder negativ besetzte Narrative kleben. Die Juden, die Deutschen, die Moslems, die Türken, die Griechen, die Russen!
Abgespeicherte Geschichten
Niemanden davon habe ich je kennen gelernt, sondern immer nur einzelne Menschen, die ich aufgrund ihrer Eigenheiten mochte oder nicht. Die Erkenntnis ist nicht neu, schon klar. Aber doch verlangt sie mir ab, mich ständig wieder den abgespeicherten Geschichten zu entreißen, die meinen Blick für das Individuum trüben, mit dem ich hier und jetzt zu tun habe. Keine Kleinigkeit, aber notwendig, um mich verantwortlich in der Welt zu bewegen.
Meine positivste Erfahrung als vermeintlicher Jude habe ich übrigens bei einer Dame gemacht, von der ich in Frankreich ein Ferienhaus mieten wollte. Als ich sie zur Vertragsunterzeichnung traf, stellte sich heraus, dass ihr Mann Palästinenser war. Um meine Herkunft ging es mit keiner Silbe. Wir saßen zusammen und tranken Tee und verstanden uns prächtig. Aber als ich die Unterschrift leistete, lächelte der Mann und sagte:
"Sehen Sie, das ist Frieden: wenn ein Said einem Goldberg sein Haus vermietet!"