"Die jungen Amerikaner wollen Reformen"
Bernie Sanders und Donald Trump sind die Sieger der Kandidaten-Vorwahlen im US-Bundesstaat New Hampshire. Was verrät das über die Bedürfnisse der US-amerikanischen Wähler? Vor allem die jungen US-Bürger hätten die Nase voll vom Establishment, sagt der Politologe Christian Lammert.
Die amerikanischen Parteianhänger sind unzufrieden und verunsichert - deshalb haben der Republikaner Donald Trump und der Demokrat Bernie Sanders derzeit offenbar Aufwind. Das meint Politologe Christian Lammert nach den jüngsten Vorwahlen im US-Bundesstaat New Hampshire.
Speziell bei Donald Trump dürfe man nicht davon ausgehen, dass sich dessen Chancen auf die Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahlen bereits erledigt hätten, sagte Lammert, der als Professor an der Freien Universität Berlin lehrt.
Sanders verbreitet Aufbruchstimmung
Was Bernie Sanders anbelange, so könne man durchaus von einer Stimmung wie seinerzeit bei der Kandidatur von Barack Obama sprechen, vor allem unter jungen Wählern.
"Er ist auch unheimlich gut im Mobilisieren einer Graswurzelbewegung – dass die Leute auch wirklich aktiv und begeistert sind. Die Frage ist, ob er dann wirklich auch die Substanz und die Breite an Themen bieten kann, die Obama 2008 hatte. Da ist sein Wahlkampf doch immer noch sehr auf diese eine Aussage – 'Das politische System ist korrupt' – fokussiert. Und da muss er noch ein bisschen an Substanz nachlegen."
Clinton versucht aufzuholen
Vor allem von den jungen Wählern werde die Botschaft ausgesendet, "dass man die alten Kandidaten und die alten Sprüche nicht mehr haben will". Die jungen Leute wollten Reformen haben. Hillary Clinton stehe für das alte, bei vielen ungeliebte Establishment. Derzeit versuche Clinton deshalb, ihren Rückstand zu Sanders auch dadurch wettzumachen, indem sie nun stärker den Kampf gegen soziale Ungleichheit thematisiere.
Bei den Republikanern hätten gemäßigte Kandidaten derzeit offenbar auch geringere Chancen. Donald Trump könne mit seinen extremen Parolen vor allem bei denen punkten, die große Angst vor Terrorismus und Immigration hätten.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Der Zirkus der Vorwahlen in den USA ist gestern in New Hampshire angekommen, und das Ergebnis ist in etwa so, wie es die Umfragen vorausgesagt haben: Hillary Clinton muss sich ihrem Herausforderer Bernie Sanders, der Senator aus dem benachbarten Vermont, geschlagen geben. Und bei den Republikanern setzt sich der für seine abwegigen Ideen bekannt gewordene Milliardär Donald Trump an die Spitze. Muss uns das überraschen? Und was sagt uns das für die weiteren Vorwahlen und vor allen Dingen die Präsidentschaftswahlen im November? Das will ich jetzt besprechen mit Christian Lammert. Er ist Professor für Nordamerikanische Politik am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Ich grüße Sie, Herr Lammert!
Christian Lammert: Guten Morgen!
Brink: Was lesen Sie aus diesem Ergebnis?
Lammert: Was man jetzt herauslesen kann, sowohl aufseiten der Republikaner als auch aufseiten der Demokraten, ist, dass es einen langen Wahlkampf geben wird. Das wird sich wahrscheinlich bis weit in den Frühsommer noch hineinziehen. Und es ist absolut nicht klar, wer sich jetzt als Favorit später durchsetzen wird. Und damit hat eigentlich keiner vor einigen Monaten gerechnet. Alle Experten hatten gesagt, das Phänomen Donald Trump wird sich bald erledigen. Und auch aufseiten der Demokraten hat man gesagt, ein Bernie Sanders, der sich selbst als demokratischer Sozialist bezeichnet, hätte keine Chance in den USA. Beide haben jetzt gezeigt, dass sie auch Vorwahlen gewinnen können, ziemlich deutlich sogar. Und das heißt, dass das Rennen einigermaßen offen ist.
Brink: Gucken wir erst mal bei den Demokraten noch ein bisschen genauer nach. Also klar, die große Schlappe für Hillary Clinton, Bernie Sanders hat es gemacht. Man bemerkt ja bei seinen Unterstützern so eine Art von Stimmung wie bei der Obama-Kampagne 2008 – oder gehe ich da irr?
Lammert: Nein, da haben Sie vollkommen recht. Auch, wenn man sich anguckt, wer für Bernie Sanders stimmt: Er hat zwar jetzt in New Hampshire fast in allen Wählergruppen gewonnen, lag besser als Hillary Clinton, aber vor allem bei den jungen Menschen kommt Bernie Sanders mit seiner Botschaft gut an. Da mobilisiert er wie Obama 2008. Er ist auch unheimlich gut im Mobilisieren so einer Graswurzelbewegung, dass die Leute auch wirklich aktiv sind und begeistert sind. Wenn man sich anguckt auf den Veranstaltungen, wie er die Leute wirklich begeistern und mobilisieren kann, da kann man schon den Vergleich ziehen.
Trump wirbt mit harten Sprüchen um Wähler
Die Frage ist, ob er dann wirklich auch die Substanz und die Breite an Themen bieten kann, die Obama 2008 hatte. Da ist doch immer noch sein Wahlkampf sehr auf diese eine Aussage, das politische System ist korrupt, fokussiert, und da muss er noch ein bisschen an Substanz nachlegen.
Brink: Also im Sprücheklopfen ganz groß und nicht gerade für seine sprachlichen Finessen bekannt ist ja auch Donald Trump, ganz zu schweigen von seiner unglaublich telegenen Frisur – aber er ist zurück.
Lammert: Er ist absolut zurück, und wir werden jetzt auch, glaube ich, wieder einen superselbstbewussten Donald Trump sehen, falls man das überhaupt noch steigern kann. Er wird jetzt als der Frontrunner in die nächsten Vorwahlen und Caucuses gehen. Und er hat gezeigt nach dieser Niederlage in Iowa, wo er nur Zweiter geworden ist, dass er wirklich in der republikanischen Anhängerschaft und auch – das war ja eine offene Primary, das heißt, auch Unabhängige konnten an diesen Wahlen teilnehmen –, und auch in dieser Gruppe hat er erstaunlich gut abgeschnitten. Und hier sieht man, dass er insbesondere bei den Leuten, die Angst vor Immigration haben, die Angst vor Terror haben, in dieser Gruppe kann er wahnsinnig mobilisieren. Und da haben die etwas moderateren Kandidaten der Republikaner momentan keine Chance.
Brink: Apropos Immigration oder Menschen anderer Herkunft: Marco Rubio, der Senator aus Florida mit kubanischer Herkunft, war ja auch lange gehandelt als so gemäßigter Kandidat irgendwie bei den Republikanern. Jetzt ist auf dem zweiten Platz schon Kasich, der Gouverneur aus Ohio. Ein Gemäßigter – ist das auch ein Signal?
Lammert: Das muss man jetzt wirklich abwarten. Da weiß man nicht genau, ob dieses schlechte Ergebnis von Rubio – und wie es im Moment ausschaut, ist er ja sogar nur auf Platz Fünf gelandet, sogar noch hinter Jeb Bush – ob das auf seine schlechte Performance in der letzten Fernsehdebatte vom vergangenen Wochenende zurückzuführen ist oder ob sich hier irgendein Trend manifestiert. Er ist aber einer der Verlierer sicherlich in dieser Vorwahl.
Die Chancen der gemäßigten Republikaner
Ob John Kasich jetzt wirklich der Gewinner ist, das glaube ich auch nicht. Der hat fast seinen ganzen Wahlkampf auf New Hampshire konzentriert, hat unheimlich viel Ressourcen hier investiert, und da war es nicht ganz überraschend, dass er überdurchschnittlich abschneidet. Aber er wird in den nächsten Vorwahlen in South Carolina und bei den Caucuses in Nevada wieder zurechtgeschrumpft. Und dann muss sich zeigen, ob Jeb Bush jetzt irgendwie vielleicht doch noch mal nach vorn kommen kann oder ob es doch Marco Rubio bleibt, der ja wirklich immer noch diesen Spagat scheinbar am besten schafft zwischen der radikalen Tea-Party-Fraktion innerhalb der republikanischen Partei und trotzdem aktiviert zu werden von der Parteiführung.
Brink: Jetzt gucken wir uns trotzdem mal die Gewinner in New Hampshire an. Immer natürlich auch eingedenk der Tatsache, dass New Hampshire natürlich auch ein besonderer Staat ist, also ein eher linker Staat, wenn man mit diesen Kategorien arbeiten will. Also es sind doch eigentlich die beiden Populisten, Sanders und Trump, nach vorn gekommen. Was sagt das aus, oder was sagt das über die Stimmung bei den Wählern?
Lammert: Bei den Wählern, das kann man immer noch nicht genau sagen, die Vorwahlen sind ja wirklich die Parteianhänger, und jetzt auch in New Hampshire ein bisschen die Unabhängigen, die nicht so radikal sind wie die Aktivisten in den Parteien. Aber was man wirklich hier sieht, ist, dass die aktiven Parteianhänger auf beiden Seiten ziemlich unzufrieden sind mit dem politischen Establishment. Und ich glaube, das ist die Botschaft, die hier ausgesendet wird, dass man die alten Kandidaten und die alten Sprüche nicht mehr haben will.
Clinton gilt als Vertreterin des Establishments
Hillary Clinton zum Beispiel wird interpretiert als: Sie ist Kontinuität für das politische System, das vor allem viele junge Amerikaner nicht mehr haben wollen. Die wollen Reformen haben. Und wenn man sich die ersten Reaktionen von Hillary Clinton in ihrer Rede anschaut, wo sie den Sieg von Bernie Sanders attestiert hat, ist auch schon hier eine Radikalisierung in ihrer Rhetorik zu erkennen. Auch sie spricht jetzt stärker auch soziale Ungleichheit an, um natürlich diese Wählerbasis besser zu mobilisieren und anzusprechen.
Brink: Herzlichen Dank, Christian Lammert, Professor für Nordamerikanische Politik am John-F.-Kennedy-Institut der FU in Berlin. Danke schön für das Gespräch, Herr Lammert!
Lammert: Gerne doch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.