Vorwürfe gegen Pfarrer König "an den Haaren herbeigeholt und absurd"
Eine Reihe von Merkwürdigkeiten im Verfahren gegen den Jugendpfarrer Lothar König hat der sächsische Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi (B 90/Grüne) ausgemacht. Bei dem Verfahren gehe es offensichtlich darum, "alle die Personen, die gegen die Neonazis demonstrieren wollen, abzuschrecken".
Dieter Kassel: Jedes Jahr im Februar jährt sich der Bombenabwurf auf Dresden, jedes Jahr machen rechte Gruppierungen mobil und wollen das Gedenken vereinnahmen, und jedes Jahr gibt es Gegendemonstrationen. Die wurden in den vergangenen Jahren immer größer, aber das könnte sich ändern, denn die Justiz in Dresden geht immer härter gegen Demonstranten – wohlgemerkt, gegen die Anti-Neonazi-Demonstranten – vor. Weil er am 19. Februar 2011 zu Gewalt gegen die Polizei aufgerufen haben soll, steht ab heute der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König vor Gericht.
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Hintergründe von Blanka Weber (MP3-Audio).
Katharina König in einem Bericht von Blanka Weber. Der Vater von Katharina König, der Pfarrer Lothar König, steht seit elf Minuten, wenn es pünktlich losgegangen ist, in Dresden vor Gericht. Und wir wollen über diesen Prozess und über das Verhalten der Dresdner Justiz jetzt mit Johannes Lichdi sprechen. Er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Parlament, ist Anwalt und Mitglied im Grundrechtekomitee einer Bürgerrechtsorganisation, die die Prozesse gegen Beteiligte an den Demonstrationen vom Februar 2011 verfolgt. Er ist für uns jetzt am Telefon unterwegs in Frankreich. Schönen guten Morgen, Herr Lichdi!
Johannes Lichdi: Guten Morgen!
Kassel: Halten Sie es für vorstellbar, dass Lothar König vielleicht – sagen wir es mal so – in der Hitze des Moments, damals, vor über zwei Jahren wirklich die falschen Worte gewählt hat und mehr oder weniger unabsichtlich vielleicht tatsächlich zur Gewalt aufgerufen hat?
Lichdi: Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich habe Lothar König in einer Situation am 19. Februar 2011 selbst erleben können, und dort hat er nach meinem Eindruck beruhigend auf die Menge eingewirkt. Es war eine Polizeikette aufgezogen, es waren Wasserwerfer aufgezogen, es war durchaus auch eine gewisse aufgehetzte Stimmung, und er war dort eher der ruhende Pol. Also ich kann mir das nicht vorstellen.
Es ist ja auch bemerkenswert, dass die Staatsanwaltschaft Dresden Lothar König selbst überhaupt keine Gewalttat unterstellt, sondern meint, dass er mit gewissen Redewendungen wie 'schaut mal, da ist die Polizei', oder durch das Abspielen angeblicher aggressiver rhythmischer Musik – es handelt sich wohl um die Stones, die er immer einlegt – die Menge aufgehetzt haben soll, jetzt gewalttätig gegen Polizeibeamte vorzugehen
Das ist aus meiner Sicht dermaßen an den Haaren herbeigeholt und absurd, dass es meines Erachtens hier nicht um strafrechtliche Verfahren geht. Sondern es geht offensichtlich darum, alle die Personen, die gegen die Neonazis demonstrieren wollen, die ihr Recht auf Gegendemonstration ausüben wollen, die abzuschrecken.
Kassel: Aber es ist ja trotzdem ein rechtsstaatlicher Prozess, der da heute gerade eben begonnen hat, das heißt, die Justiz muss ja, wenn keine Beweise, doch zumindest eindeutige Indizien haben.
Lichdi: Na ja, also da sind durchaus Zweifel angebracht. Sie wissen ja, dass der Rechtsanwalt Eisenberg von Lothar König erst vor zwei Wochen ein Aktenkonvolut gefunden hat, das nach Aussage des Richters, der jetzt zu Gericht sitzt, erst nachträglich den Gerichtsakten beigefügt worden ist. Der Richter selbst kann sich das nicht erklären, und der Anwalt Eisenberg meint, dieses Material habe durchaus entlastenden Charakter, deshalb wurde der Prozess ja auch um zwei Wochen verschoben.
Also es gibt ja eine Reihe von Merkwürdigkeiten bei dem Prozess, die es eben verdienen, dass man ihn sehr genau beobachtet und dass man eben auch genau darauf achtet. Ich hoffe, dass hier das Amtsgericht Dresden, und wenn nicht das Amtsgericht Dresden, dann doch übergeordnete Instanzen, hier klarstellen, was die Wahrheit ist, und Lothar König vollständig entlasten.
Kassel: Ich finde die Signale, die nach der Demonstration von 2011 von der Justiz ausgegangen sind, zum Teil aber widersprüchlich, Herr Lichdi. Es sind insgesamt dann nach und nach so rund 350 Verfahren gegen Demonstrationsteilnehmer eingeleitet worden, aber aus den allermeisten ist ja nichts geworden. Es gab Verfahrenseinstellungen, es gab zahlreiche Umwandlungen in Strafbefehle, von diesen Strafbefehlen wiederum wurden so rund 80 Prozent gar nicht vollstreckt. Das heißt, auf der einen Seite scheint man dann doch wieder Nachsicht zu üben, und will man dann auf der anderen vielleicht ein Exempel statuieren?
Lichdi: Ja, Sie sprechen jetzt die zahlreichen Verfahren gegen die Blockierer, ich sage lieber, die Platzbesetzer, an. Es handelt sich dabei um den Personenkreis, der am Bereich Löfflerstraße, Reichenbachstraße die Kreuzung besetzt haben soll, um dort den Aufmarsch der Neonazis zu verhindern. Es ist ja in Dresden und in ganz Deutschland der Eindruck erweckt worden, als ob es sich dort um militante Gewalttäter handeln würde. Tatsächlich haben sich die Leute friedlich auf eine Straße gesetzt, und diese zahlreichen Verfahren dienen offensichtlich dazu, zu zeigen, dass der damalige brutale Polizeieinsatz gerechtfertigt gewesen ist.
Wenn wir uns die Ausgänge der Verfahren ansehen, dann müssen wir feststellen, dass es bisher überhaupt nur sechs Verurteilungen gegeben hat, angeblich wegen Störung einer Versammlung nach Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes – eine Vorschrift, die meines Wissens auch nur in Sachsen so angewendet wird. Von diesen sechs Verfahren gab es immerhin zwei Freisprüche. Einer wurde vom OLG Dresden aufgehoben und zurückverwiesen. Und bei zwei Verurteilungen konnte man nur deswegen nicht Berufung zum Landgericht Dresden einlegen, weil eben die Verurteilung nur 15 Tagessätze, also unter der Berufungssumme gelegen hat. Trotzdem wird der Eindruck erweckt, als ob hier flächendeckend Leute, Menschen, gewalttätig geworden wären. Das ist selbst durch die bisherigen Abschlüsse der Verfahren in keiner Weise gedeckt.
Kassel: Nun gibt es ja bei Demonstrationen auch in anderen Fällen des Lebens immer den Unterschied zwischen vielleicht moralisch gerechtfertigtem Handeln und wirklich straffreiem Handeln. Ich möchte dazu gerne ganz kurz Jochen Rozek zitieren, er ist Staatsrechtler an der Universität Leipzig, und er hat in einem Interview gesagt,Zitat: "Jene, die zu Blockaden aufrufen, begehen zivilen Ungehorsam. Das kann man politisch in Ordnung finden. Aber dann muss man auch bereit sein, die rechtlichen Konsequenzen zu tragen, und darf sich hinterher nicht beklagen, wenn man zur Rechenschaft gezogen wird." Ist das nicht zumindest formal betrachtet korrekt?
Lichdi: Nein, ich denke, dass hier Jochen Rozek irrt. Er verkennt, dass alleine die Besetzung eines Ortes, also die sogenannte Blockade, unter dem Grundrecht des Artikels acht steht. Das haben Gerichte außerhalb von Sachsen schon seit Jahren so entschieden. Es gibt auch eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2011, eine Kammerentscheidung. Nur in Sachsen wird dieser Grundsatz missachtet. Es kann durchaus sein, dass eine Platzbesetzung dann dem Recht der Neonazis auf Demonstration, das ihnen ja auch zusteht, weichen muss. Aber was hier in Dresden im Jahre 2011 passiert ist, ist etwas völlig anderes. Die Polizei hat eine sogenannte Aufenthaltsverbotszone in der gesamten Südvorstadt Dresden ausgerufen, die im Übrigen keiner kannte. Hat dort versucht abzuriegeln, und alle Menschen, die dort in dieser Zone angetroffen wurden und dort versucht haben, von ihrem Recht auf Gegendemonstration Gebrauch zu machen, die wurden pauschal als linksautonome Gewalttäter verunglimpft und auch entsprechend behandelt. Und das ist mit dem Grundrecht aus Artikel acht nicht vereinbar.
Es kann dann sein, wenn dann die Blockade, die Platzbesetzung möglicherweise, unter Umständen – wenn eben der Naziaufzug nicht drum herum geführt werden kann – diesem weichen muss, dann kann man in den Bereich der Strafbarkeit kommen. Hier wird aber von vornherein unterstellt, dass alle Personen, die sich in diesem Bereich aufgehalten haben, sich strafbar gemacht haben, und das ist im Grunde eigentlich auch der Fall bei Lothar König. Letztlich wird ihm vorgeworfen, dass er sich in diesem Bereich aufgehalten hat, dass er dort seinen Lautsprecherwagen gefahren hat, dass er dort Durchsagen gemacht hat. Aber im Grunde ist ihm ja nichts vorzuwerfen.
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur heute mit dem Grünen-Politiker und Rechtsanwalt Johannes Lichdi über den Prozess, der soeben begonnen hat, gegen den Pfarrer Lothar König vor dem Amtsgericht in Dresden. Was unterstellen Sie denn dem Gericht, oder welchen Verdacht haben Sie? Ist das eine gewisse Abneigung gegen linke Demonstranten, oder ist das sogar eine gewisse Sympathie für die Rechten?
Lichdi: Also dem Gericht unterstelle ich jetzt erst mal gar nichts, weil der Prozess hat ja erst begonnen, und ich gehe davon aus, dass er freigesprochen wird, Lothar König. Wir haben allerdings nach dem Jahre 2010, als es zum ersten Mal gelungen ist, durch die Mobilisierung vieler Tausender Dresdner Bürgerinnen und Bürger die Neonazidemonstration am Neustädter Bahnhof im Grunde festzunageln, sodass sie nicht laufen konnte, hatten wir im Jahre 2011 eine Marschrichtung, muss ich schon sagen, seitens des Innenministeriums, was die Polizei durchgesetzt hat, die darauf ausgerichtet war, diese vermeintliche Scharte aus dem Jahr 2010 auszuwetzen.
Es wurde eben diese sogenannte Aufenthaltsverbotszone in der gesamten Südvorstadt Dresden ausgerufen, es sollte versucht werden, das sogenannte Trennungsgebot durchzusetzen. Es heißt, in der Südvorstadt nur Nazis, und die Gegendemonstranten dürfen sich dann auf der anderen Elbseite dann tummeln. Dieses Konzept ist furchtbar gescheitert, es hat zu dieser Gewalteskalation geführt, die ich sehr bedauere, und jetzt soll eben durch diese Prozesse eben auch gegen Lothar König nachträglich nachgewiesen werden, dass dieses Verfahren der Polizei letztendlich vom Innenministerium in Sachsen gerechtfertigt war. Und dazu braucht man eben Verurteilungen, dazu braucht man Verurteilungen gegen solche Symbolfiguren wie Lothar König, man braucht aber auch Verurteilungen gegen die friedlichen Platzbesetzer.
Kassel: Glauben Sie wirklich, dass das die Folge haben könnte, die Katharina König vor unserem Bericht angedeutet hat, nämlich, dass sich – es kommen ja viele Menschen von außerhalb nach Dresden, um gegen die Nazis zu demonstrieren jeden Februar –, dass manche sich jetzt nicht mehr trauen werden in Zukunft?
Lichdi: Also das hoffe ich nicht. Wir sind jetzt aus Dresden sehr froh, dass so viele Menschen in den letzten Jahren gekommen sind. Und wir heißen sie herzlich willkommen, und wir wünschen uns, dass das auch weiterhin so passiert. Allerdings kann ich das schon sehr gut nachvollziehen, wenn Katharina König sagt: Also in andere Bundesländer fahren wir gerne, um zu demonstrieren gegen die Neonazis, aber in Sachsen überlegen wir uns das schon zweimal. Das kann natürlich nicht sein, also Sachsen ist ein Teil der Bundesrepublik Deutschland, und hier gilt auch das Grundgesetz. Und es geht jetzt darum, dies auch in Sachsen und in Dresden durchzusetzen.
Herr Kassel, ich möchte Ihnen aber auch noch sagen: Es war eine Situation im Jahre 2011, die Polizei hat in den Jahren 2012 und 2013 durchaus gelernt und hat eine völlig andere Strategie sowohl in Dresden als auch in Chemnitz und in anderen sächsischen Städten gewählt. Jetzt wird seit zwei Jahren das Grundrecht auf Gegendemonstrationen gewahrt, und es ist in den letzten zwei Jahren auch nicht mehr zu Gewalttätigkeiten gekommen. Also ich denke doch, dass hier in der Polizeitaktik, in der Polizeiführung, auch in der sächsischen Politik ein gewisser Lernprozess eingesetzt hat. Und deswegen ist ja das Verfahren gegen Lothar König ja so anachronistisch. Es passt überhaupt nicht mehr in die Zeit, es ist eigentlich ein Nachklapp aus einer Zeit, die, denke ich doch, so hoffe ich doch, auch in Sachsen überwunden ist.
Kassel: Wir werden über diesen Nachklapp und wie er in Dresden vor dem Amtsgericht weitergeht, natürlich Sie informieren in unserem Programm. Das war ein Gespräch mit Johannes Lichdi, er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag und ist auch als Rechtsanwalt aktiv. Herr Lichdi, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und für das Gespräch!
Lichdi: Gerne, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Katharina König in einem Bericht von Blanka Weber. Der Vater von Katharina König, der Pfarrer Lothar König, steht seit elf Minuten, wenn es pünktlich losgegangen ist, in Dresden vor Gericht. Und wir wollen über diesen Prozess und über das Verhalten der Dresdner Justiz jetzt mit Johannes Lichdi sprechen. Er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Parlament, ist Anwalt und Mitglied im Grundrechtekomitee einer Bürgerrechtsorganisation, die die Prozesse gegen Beteiligte an den Demonstrationen vom Februar 2011 verfolgt. Er ist für uns jetzt am Telefon unterwegs in Frankreich. Schönen guten Morgen, Herr Lichdi!
Johannes Lichdi: Guten Morgen!
Kassel: Halten Sie es für vorstellbar, dass Lothar König vielleicht – sagen wir es mal so – in der Hitze des Moments, damals, vor über zwei Jahren wirklich die falschen Worte gewählt hat und mehr oder weniger unabsichtlich vielleicht tatsächlich zur Gewalt aufgerufen hat?
Lichdi: Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich habe Lothar König in einer Situation am 19. Februar 2011 selbst erleben können, und dort hat er nach meinem Eindruck beruhigend auf die Menge eingewirkt. Es war eine Polizeikette aufgezogen, es waren Wasserwerfer aufgezogen, es war durchaus auch eine gewisse aufgehetzte Stimmung, und er war dort eher der ruhende Pol. Also ich kann mir das nicht vorstellen.
Es ist ja auch bemerkenswert, dass die Staatsanwaltschaft Dresden Lothar König selbst überhaupt keine Gewalttat unterstellt, sondern meint, dass er mit gewissen Redewendungen wie 'schaut mal, da ist die Polizei', oder durch das Abspielen angeblicher aggressiver rhythmischer Musik – es handelt sich wohl um die Stones, die er immer einlegt – die Menge aufgehetzt haben soll, jetzt gewalttätig gegen Polizeibeamte vorzugehen
Das ist aus meiner Sicht dermaßen an den Haaren herbeigeholt und absurd, dass es meines Erachtens hier nicht um strafrechtliche Verfahren geht. Sondern es geht offensichtlich darum, alle die Personen, die gegen die Neonazis demonstrieren wollen, die ihr Recht auf Gegendemonstration ausüben wollen, die abzuschrecken.
Kassel: Aber es ist ja trotzdem ein rechtsstaatlicher Prozess, der da heute gerade eben begonnen hat, das heißt, die Justiz muss ja, wenn keine Beweise, doch zumindest eindeutige Indizien haben.
Lichdi: Na ja, also da sind durchaus Zweifel angebracht. Sie wissen ja, dass der Rechtsanwalt Eisenberg von Lothar König erst vor zwei Wochen ein Aktenkonvolut gefunden hat, das nach Aussage des Richters, der jetzt zu Gericht sitzt, erst nachträglich den Gerichtsakten beigefügt worden ist. Der Richter selbst kann sich das nicht erklären, und der Anwalt Eisenberg meint, dieses Material habe durchaus entlastenden Charakter, deshalb wurde der Prozess ja auch um zwei Wochen verschoben.
Also es gibt ja eine Reihe von Merkwürdigkeiten bei dem Prozess, die es eben verdienen, dass man ihn sehr genau beobachtet und dass man eben auch genau darauf achtet. Ich hoffe, dass hier das Amtsgericht Dresden, und wenn nicht das Amtsgericht Dresden, dann doch übergeordnete Instanzen, hier klarstellen, was die Wahrheit ist, und Lothar König vollständig entlasten.
Kassel: Ich finde die Signale, die nach der Demonstration von 2011 von der Justiz ausgegangen sind, zum Teil aber widersprüchlich, Herr Lichdi. Es sind insgesamt dann nach und nach so rund 350 Verfahren gegen Demonstrationsteilnehmer eingeleitet worden, aber aus den allermeisten ist ja nichts geworden. Es gab Verfahrenseinstellungen, es gab zahlreiche Umwandlungen in Strafbefehle, von diesen Strafbefehlen wiederum wurden so rund 80 Prozent gar nicht vollstreckt. Das heißt, auf der einen Seite scheint man dann doch wieder Nachsicht zu üben, und will man dann auf der anderen vielleicht ein Exempel statuieren?
Lichdi: Ja, Sie sprechen jetzt die zahlreichen Verfahren gegen die Blockierer, ich sage lieber, die Platzbesetzer, an. Es handelt sich dabei um den Personenkreis, der am Bereich Löfflerstraße, Reichenbachstraße die Kreuzung besetzt haben soll, um dort den Aufmarsch der Neonazis zu verhindern. Es ist ja in Dresden und in ganz Deutschland der Eindruck erweckt worden, als ob es sich dort um militante Gewalttäter handeln würde. Tatsächlich haben sich die Leute friedlich auf eine Straße gesetzt, und diese zahlreichen Verfahren dienen offensichtlich dazu, zu zeigen, dass der damalige brutale Polizeieinsatz gerechtfertigt gewesen ist.
Wenn wir uns die Ausgänge der Verfahren ansehen, dann müssen wir feststellen, dass es bisher überhaupt nur sechs Verurteilungen gegeben hat, angeblich wegen Störung einer Versammlung nach Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes – eine Vorschrift, die meines Wissens auch nur in Sachsen so angewendet wird. Von diesen sechs Verfahren gab es immerhin zwei Freisprüche. Einer wurde vom OLG Dresden aufgehoben und zurückverwiesen. Und bei zwei Verurteilungen konnte man nur deswegen nicht Berufung zum Landgericht Dresden einlegen, weil eben die Verurteilung nur 15 Tagessätze, also unter der Berufungssumme gelegen hat. Trotzdem wird der Eindruck erweckt, als ob hier flächendeckend Leute, Menschen, gewalttätig geworden wären. Das ist selbst durch die bisherigen Abschlüsse der Verfahren in keiner Weise gedeckt.
Kassel: Nun gibt es ja bei Demonstrationen auch in anderen Fällen des Lebens immer den Unterschied zwischen vielleicht moralisch gerechtfertigtem Handeln und wirklich straffreiem Handeln. Ich möchte dazu gerne ganz kurz Jochen Rozek zitieren, er ist Staatsrechtler an der Universität Leipzig, und er hat in einem Interview gesagt,Zitat: "Jene, die zu Blockaden aufrufen, begehen zivilen Ungehorsam. Das kann man politisch in Ordnung finden. Aber dann muss man auch bereit sein, die rechtlichen Konsequenzen zu tragen, und darf sich hinterher nicht beklagen, wenn man zur Rechenschaft gezogen wird." Ist das nicht zumindest formal betrachtet korrekt?
Lichdi: Nein, ich denke, dass hier Jochen Rozek irrt. Er verkennt, dass alleine die Besetzung eines Ortes, also die sogenannte Blockade, unter dem Grundrecht des Artikels acht steht. Das haben Gerichte außerhalb von Sachsen schon seit Jahren so entschieden. Es gibt auch eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2011, eine Kammerentscheidung. Nur in Sachsen wird dieser Grundsatz missachtet. Es kann durchaus sein, dass eine Platzbesetzung dann dem Recht der Neonazis auf Demonstration, das ihnen ja auch zusteht, weichen muss. Aber was hier in Dresden im Jahre 2011 passiert ist, ist etwas völlig anderes. Die Polizei hat eine sogenannte Aufenthaltsverbotszone in der gesamten Südvorstadt Dresden ausgerufen, die im Übrigen keiner kannte. Hat dort versucht abzuriegeln, und alle Menschen, die dort in dieser Zone angetroffen wurden und dort versucht haben, von ihrem Recht auf Gegendemonstration Gebrauch zu machen, die wurden pauschal als linksautonome Gewalttäter verunglimpft und auch entsprechend behandelt. Und das ist mit dem Grundrecht aus Artikel acht nicht vereinbar.
Es kann dann sein, wenn dann die Blockade, die Platzbesetzung möglicherweise, unter Umständen – wenn eben der Naziaufzug nicht drum herum geführt werden kann – diesem weichen muss, dann kann man in den Bereich der Strafbarkeit kommen. Hier wird aber von vornherein unterstellt, dass alle Personen, die sich in diesem Bereich aufgehalten haben, sich strafbar gemacht haben, und das ist im Grunde eigentlich auch der Fall bei Lothar König. Letztlich wird ihm vorgeworfen, dass er sich in diesem Bereich aufgehalten hat, dass er dort seinen Lautsprecherwagen gefahren hat, dass er dort Durchsagen gemacht hat. Aber im Grunde ist ihm ja nichts vorzuwerfen.
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur heute mit dem Grünen-Politiker und Rechtsanwalt Johannes Lichdi über den Prozess, der soeben begonnen hat, gegen den Pfarrer Lothar König vor dem Amtsgericht in Dresden. Was unterstellen Sie denn dem Gericht, oder welchen Verdacht haben Sie? Ist das eine gewisse Abneigung gegen linke Demonstranten, oder ist das sogar eine gewisse Sympathie für die Rechten?
Lichdi: Also dem Gericht unterstelle ich jetzt erst mal gar nichts, weil der Prozess hat ja erst begonnen, und ich gehe davon aus, dass er freigesprochen wird, Lothar König. Wir haben allerdings nach dem Jahre 2010, als es zum ersten Mal gelungen ist, durch die Mobilisierung vieler Tausender Dresdner Bürgerinnen und Bürger die Neonazidemonstration am Neustädter Bahnhof im Grunde festzunageln, sodass sie nicht laufen konnte, hatten wir im Jahre 2011 eine Marschrichtung, muss ich schon sagen, seitens des Innenministeriums, was die Polizei durchgesetzt hat, die darauf ausgerichtet war, diese vermeintliche Scharte aus dem Jahr 2010 auszuwetzen.
Es wurde eben diese sogenannte Aufenthaltsverbotszone in der gesamten Südvorstadt Dresden ausgerufen, es sollte versucht werden, das sogenannte Trennungsgebot durchzusetzen. Es heißt, in der Südvorstadt nur Nazis, und die Gegendemonstranten dürfen sich dann auf der anderen Elbseite dann tummeln. Dieses Konzept ist furchtbar gescheitert, es hat zu dieser Gewalteskalation geführt, die ich sehr bedauere, und jetzt soll eben durch diese Prozesse eben auch gegen Lothar König nachträglich nachgewiesen werden, dass dieses Verfahren der Polizei letztendlich vom Innenministerium in Sachsen gerechtfertigt war. Und dazu braucht man eben Verurteilungen, dazu braucht man Verurteilungen gegen solche Symbolfiguren wie Lothar König, man braucht aber auch Verurteilungen gegen die friedlichen Platzbesetzer.
Kassel: Glauben Sie wirklich, dass das die Folge haben könnte, die Katharina König vor unserem Bericht angedeutet hat, nämlich, dass sich – es kommen ja viele Menschen von außerhalb nach Dresden, um gegen die Nazis zu demonstrieren jeden Februar –, dass manche sich jetzt nicht mehr trauen werden in Zukunft?
Lichdi: Also das hoffe ich nicht. Wir sind jetzt aus Dresden sehr froh, dass so viele Menschen in den letzten Jahren gekommen sind. Und wir heißen sie herzlich willkommen, und wir wünschen uns, dass das auch weiterhin so passiert. Allerdings kann ich das schon sehr gut nachvollziehen, wenn Katharina König sagt: Also in andere Bundesländer fahren wir gerne, um zu demonstrieren gegen die Neonazis, aber in Sachsen überlegen wir uns das schon zweimal. Das kann natürlich nicht sein, also Sachsen ist ein Teil der Bundesrepublik Deutschland, und hier gilt auch das Grundgesetz. Und es geht jetzt darum, dies auch in Sachsen und in Dresden durchzusetzen.
Herr Kassel, ich möchte Ihnen aber auch noch sagen: Es war eine Situation im Jahre 2011, die Polizei hat in den Jahren 2012 und 2013 durchaus gelernt und hat eine völlig andere Strategie sowohl in Dresden als auch in Chemnitz und in anderen sächsischen Städten gewählt. Jetzt wird seit zwei Jahren das Grundrecht auf Gegendemonstrationen gewahrt, und es ist in den letzten zwei Jahren auch nicht mehr zu Gewalttätigkeiten gekommen. Also ich denke doch, dass hier in der Polizeitaktik, in der Polizeiführung, auch in der sächsischen Politik ein gewisser Lernprozess eingesetzt hat. Und deswegen ist ja das Verfahren gegen Lothar König ja so anachronistisch. Es passt überhaupt nicht mehr in die Zeit, es ist eigentlich ein Nachklapp aus einer Zeit, die, denke ich doch, so hoffe ich doch, auch in Sachsen überwunden ist.
Kassel: Wir werden über diesen Nachklapp und wie er in Dresden vor dem Amtsgericht weitergeht, natürlich Sie informieren in unserem Programm. Das war ein Gespräch mit Johannes Lichdi, er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag und ist auch als Rechtsanwalt aktiv. Herr Lichdi, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und für das Gespräch!
Lichdi: Gerne, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.