Zwischen Faszination und Bedrohung
Regelmäßig erschüttern Erbeben die Region um den Ätna, Lavaströme zerstören Natur und bedrohen Menschen. Trotzdem haben die Italiener ein fast zärtliches Verhältnis zu ihrer "Dame Ätna". Geologen beobachten den Vulkan ganz genau.
Etna Trekking, eine Agentur, die Wandertouren bis hoch auf den Ätna veranstaltet, eine von vielen. Durch Pinienwälder führt der kurvige Weg Richtung Gipfel: auf Straßen, die über ehemalige Lavaflüsse führen: Über diese breiten zerklüfteten Landschaften, die so aussehen, als wäre der Lavastrom erst vor kurzem hier erkaltet. Hier und da ein Schild am Straßenrand: Vorsicht: Vulkanasche.
"Das ist so die Seite vom Berg, die im Dornröschenschlaf vor sich hin schlummert, touristisch noch nicht so überrannt, das hat für uns den Vorteil, dass wir dann kleinere Gruppen machen, die sich ein bisschen familiär fühlen und nicht so den Eindruck haben von Massentourismus in dem Sinne."
Lara Mansfield ist geborene Münchnerin und lebt hier mit ihrer Familie und ihrem sizilianischen Mann seit 30 Jahren.
Mit der Bedrohung arrangiert
Die Touristen stapfen in etwa 2000 Metern Höhe über schwarzen Bimssteinbrösel. Beim letzten größeren Ausbruch 2012 in die Luft geschleudert und herunter geregnet. Poröse schwarze Steine, die die Landschaft überziehen, so weit das Auge reicht. Eine Mondlandschaft. Eine schwarze Hügellandschaft. Hier und da ist das Schwarz mit Rot vermischt, das ist erkaltete Lava.
"Der Südostkegel, das ist eigentlich der, der war ja auch im ganzen Juli und August aktiv mit sogenannter strombolianischer Aktivität, das heißt Material wird hoch in die Luft ausgeschleudert und sammelt sich um den Ausgang an und bildet dort diese Schweißschlackenkegel, die je nach Länge der Eruption immer höher und höher werden. Und bei dem Ausbruch im Juli/August hat sich der Südostkegel fast um sein Doppeltes an Volumen vergrößert. Innerhalb von sehr kurzer Zeit ist das immer wieder interessant, wie schnell sich die Landschaft hier verändern kann."
Die Sizilianer haben sich irgendwie daran gewöhnt. Irgendwie, sie leben immerhin seit Generationen mit der Bedrohung.
"Wir sind hier an den Hängen des Ätna geboren und wir sind an die Erbeben gewöhnt, an die Ausbrüche, an das Schauspiel der Lava, alles im Guten wie im Schlechten, wir sind daran gewöhnt weil wir alles als ein Teil von uns empfinden, wenn wir weggehen, dann vermissen wir ihn.
So wie dieser Landwirt empfinden das viele Menschen, die hier geboren sind. Nicht von ungefähr heißt der Berg beim Sizilianer "Mongibello".
"Dschebel arabisch der Berg und Montagna eben auf lateinisch, der Berg der Exzellenz"
Ausbrüche sind absehbar
Und er hat die Mentalität der Menschen geprägt – ein ewiger Rhythmus der Natur. Vielleicht ein Grund, warum der Ätna im Italienischen weiblich ist: ein weiblicher Berg also, eine Frau.
"Für die Geologen eine ständige Herausforderung,"
sagt Lara Mansfield. Der letzte große Ausbruch war 2002.
Aber die Dame Ätna lässt den Bewohnern Zeit. Sie werden nie überrumpelt, ein Ausbruch ist absehbar. Mit neusten seismografischen Geräten werden der Ätna und die vorgelagerten Vulkaninseln rund um die Uhr beobachtet.
Dafür ist das nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie in Catania zuständig. Die Stadt am Fuße des Ätna. Salvatore Giammanco arbeitet dort als Vulkanologe. Sein Traumberuf von Kindheit an. Er stammt aus Palermo. 300 Kilometer entfernt von Catania.
"Wir müssen dem italienischen Zivilschutz die wissenschaftlichen Informationen geben. Die kann dann alle Maßnahmen ergreifen, um die Bevölkerung zu schützen, im Falle eines Notstandes durch den Vulkan."
Geologen leiten Lava um
Auch den großen Ausbruch des Ätna zwischen 2001 und 2003 hat er im Institut genau verfolgt. Im Nachhinein wurde er als zweitgrößter Ausbruch der letzten 2000 Jahre bewertet.
"Wirklich mit riesigen Lava Volumen und extrem langen Lavaströmen. Sie erreichten eine Länge von mehr als elf Kilometern."
So hat man eine Mauer gebaut, die erst mal vier Monate lang den Lavastrom aufhielt. Allerdings reichte sie nicht aus. Deshalb versuchte man, die Lava umzuleiten. Mit der Hilfe amerikanische Hubschrauber wurde Beton in den Strom geworfen. Schließlich wurde er mit einer enormen Explosion in eine andere Richtung gelenkt. erzählt Salvatore Giammanco. Sein ganzer Stolz als Vulkanologe – und sicherlich nicht das Verdienst der Madonna, lacht er.
"Mehr als der Madonna sollten wir dem italienischen Zivilschutz, der italienischen Armee und nicht zuletzt den Vulkanologen danken."
Außerdem ist er davon überzeugt, dass es durchaus, Möglichkeiten gibt, die Natur zu beeinflussen. Aber das glauben die wenigsten Sizilianer, fürchtet Salvatore Giammanco.
"Wir haben die Möglichkeit die Natur ein bisschen zu verändern – nicht sehr viel."
Die 200 Wissenschaftler beobachten den Vulkan in all seinen Regungen. Ständig sind sie draußen auf dem Gelände unterwegs, installieren und warten Messsonden und Instrumente, übermitteln Daten via Internet oder Radio nach Catania, wo sie dann ausgewertet werden.
Erdwärme als Chance
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Nutzung der Erdwärme, die sich rund um den Ätna bildet. Noch ist Geothermie allerdings Zukunftsmusik – in Italien erst in der Probephase.
"Wir wollen in die produktive Phase wechseln. Also einen nächsten Schritt machen, die Orte, wo Geothermie möglich ist ausbauen. In Sizilien ist es an vielen Orten möglich. Aber wir müssen noch diesen nächsten Schritt machen, das heißt die Finanzierung finden, das ist der schwierigste Schritt."
Im Herzen des Instituts liegt der Kontrollraum, Salla Operativa heißt er: Dort kommen alle Daten an. An den Wänden Bildschirme, Kurven und Linien, Grafiken, die den Verlauf der Messungen an verschiedenen Orten anzeigen. Dort wird nicht nur der Ätna von verschiedenen Messstationen aus beobachtet, auch die Aktivität des Vulkans auf Lampedusa und Stromboli.
"Also wir kontrollieren, nicht nur die seismische Aktivität, sondern auch visuell, was da passiert. Das sieht man hier, das ist der Ätna von vier verschiedenen Punkten aus wird er da beobachtet. Wir haben auch thermische Telekameras, was wir hier sehen, ist eine Aktivität auf Stromboli, hier ist ein kleiner Lavastrom."
Mit Wärmebildkameras werden die warmen Anteile über und unter der Erde sichtbar gemacht. Aktuell sieht man gerade eine Explosion unter der Erde in den Kanälen.
"Immer wenn eine Verpuffung stattfindet, eine Gas-Explosion, hängt das mit einer Explosion in der Magma zusammen, in den Kanälen des Vulkans. Und wir sehen diese."
Direkt neben dem Krater kann man diese Explosionsblasen hören, wie ein Rauschen ein Grollen in der Tiefe, erzählt Giammanco begeistert.
"Ich war da vor einigen Tagen, es ist fantastisch das zu hören."
Entscheidend für Ausbruch-Vorhersage ist Tiefe der Erschütterungen
Vierundzwanzig Stunden lang ist der Kontrollraum besetzt. Die beiden Wissenschaftler beobachten die Daten und schlagen Alarm, wenn sich eine gefährliche Entwicklung abzeichnet. Der italienische Zivilschutz muss sofort allarmiert werden, wenn sich ein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch abzeichnet. Auch der Wind wird genau beobachtet: Drei und sechs Stunden im Voraus kann berechnet werden, wohin sich Aschewolken bewegen könnten; das ist wichtig, denn sie können den Flugverkehr beeinträchtigen. Aus diesem Grund ist der Flughafen Catania mehrmals im Jahr gesperrt.
Das Entscheidende ist, dass die Vulkanologen schon im Vorfeld erkennen, wann es einen Ausbruch geben wird. Dafür sind an acht Stationen auf dem Ätna Sensoren mit hoher Sensibilität zwei Meter tief in die Erde eingelassen. Auf den Monitoren erscheinen deren Messergebnisse als Wellen. So entsteht auch eine Karte, die die Quellen der Erderschütterung abbildet, und, ganz wichtig, deren Tiefe.
"Die Intensität der Vibration ist proportional zu der Menge an Gas in dem Vulkanschlot. Und die Gasmenge bedeutet Magma: Also, wenn neues Magma in Richtung Oberfläche drängt, entlässt es mehr Gas; die Gasblasen lassen das Magma brodeln, der Schlot wird heftiger erschüttert, und wir können also mit einigen Stunden Vorlauf sagen wann der Vulkan ausbricht, weil die Erschütterung viele Stunden vor dem Ausbruch beginnt."
Heute liest Salvatore Giammanco eine für den Laien verblüffende Information von seinen Monitoren ab: Das Niveau des Magmas liegt bei 1000 Meter unter dem Gipfel des Ätna und damit zweitausend Meter über dem Meeresspiegel. Was ungewöhnlich ist, denn normalerweise liegt die Magma auf dem Niveau des Meeresspiegels.
Ein Anzeichen für einen Ausbruch. Ein weiteres für eine baldige Explosion ist die Verformung des Bodens. Der Vulkan bläht sich quasi auf. Auch diese Bodenveränderungen werden mit GPS- Geräten wahrgenommen. Noch während seiner Erklärungen, geht der Alarm los.
Aktivster Vulkan Europas
In diesem Moment gibt es ein Erdbeben im nordöstlichen Bereich von Sizilien. Glücklicherweise ein sehr kleines Erdbeben. 2,0 auf der Richterskala. Blitzschnell können die Wissenschaftler auch das feststellen und das Beben lokalisieren. Sieben Kilometer unter der Erde in der Tiefe.
"Im Moment ruht sich der Ätna aus. Es gibt kleine Signale, dass er langsam seine Batterien auflädt. Aber es wird keine Explosion morgen geben, und auch keine in der nächsten Woche, es braucht noch ein wenig Zeit. Wir werden es besser wissen, wenn die Zeichen eindeutiger sind. Im Moment müssen wir keine Vorkehrungen treffen.
Trotzdem: Der Ätna ist der größte und aktivste Vulkan in Europa. 45 Ausbrüche in den letzten dreieinhalb Jahren. Und das wird noch Millionen von Jahre so weitergehen. Der geologische Grund: Kontinentaldrift: Hier taucht die nordafrikanische Kontinentalplatte unter die eurasische Platte, erklärt der Wissenschaftler.
Die andere, typisch sizilianische Erklärung ist: Der Ätna sei ein Kind, erdgeschichtlich, und deshalb so lebendig. Und – wie gesagt – weiblich:
"Weil er einen lebendigen Charakter hat, zum Teil unvorhersehbar, wie eine Frau, man kann nie genau wissen, was er in der nächsten Minute machen wird, wir versuchen natürlich einen Ausbruch vorherzusagen, aber es gibt immer diesen kleinen Prozentsatz von Unvorhersehbarkeit."
Landwirtschaft profitiert von fruchtbarem Lava-Boden
Bei dieser Erklärung ist der Wissenschaftler Salvatore Giammanco ganz Sizilianer und zeigt liebevolle Verbundenheit mit der Heimat und dem Berg, der Sizilien so prägt.
Das hat auch seinen Grund: Schließlich ist der besonders fruchtbare Lava-Boden seit jeher Basis für eine reiche Landwirtschaft. Auf dem Wochenmarkt inFiumefreddo am Fuße des Ätna wird sichtbar, welche Früchte dieser gute Boden hervorbringt:
"Ich wohne in einem kleinen Ort oben am Berg, dort wo die Vulkanasche ankommt und alles was der Ätna uns so schenkt,"
sagt der Landwirt Oratio Vetalano, der dort seine frisch geernteten Äpfel verkauft
"Er schenkt uns ein einmaliges Schauspiel, er schenkt uns fruchtbare Erde, er schenkt uns ein Klima, wo einzigartige Äpfel wachsen, Birnen, Kirschen den Boden an den Hängen des Ätna."
Er zeigt stolz seine Äpfel: Kleine süße aromareiche Früchte aus seinem Anbau. Antike Äpfel aus der Region, sagt er. Genauso wie die Blutorangen, haben sie ihren besonderen Geschmack, wegen des Klimas, wie er erklärt.
"Diese roten Orangen aus Sizilien entstehen, weil es tagsüber sehr heiß wird und nachts sehr kalt, dadurch entsteht die blutrote Farbe und der ganz eigene Geschmack unserer Orangen, die eben dem Klima hier in unserer Region geschuldet sind."
Überwiegend Früchte aus der Region werden auf dem Markt verkauft. Ein paar Kilometer weiter nördlich bewirtschaftet Nino Farfaglia eine Azienda. Er kauft die Haselnüsse der Bauern aus der Region und verkauft sie weiter an die Industrie. Gerade hat er die Ernte eingefahren. Er streift mit den Fingern durch die mannshohen Container bis zum Rande gefüllt mit Nüssen.
"Diese hier wachsen auf dem Ätna in etwa 650 Metern Höhe."
Vermarktung der regionalen Produkte schwierig
Nicht nur Nüsse verkauft er, auch Wein. Der Bauer und Winzer zeigt stolz sein Angebot im Weinregal. Alles Weinsorten, die am Ätna gewachsen sind.
Daneben hat er noch eine Produktion Olivenöl. Im Oktober werden die Oliven geerntet und in die Ölmühlen gebracht. Das frische Olivenöl ist aromareich – nicht zu vergleichen mit dem in deutschen Supermarktregalen. Allerdings sei die Vermarktung der unverwechselbaren landwirtschaftlichen Produkte der Region schwierig, meint der Landwirt Oratio. Mit den Kirschen des Ätna hat es geklappt. Da haben sich die Obstbauern zusammengetan und sie als Marke eintragen lassen: Jetzt möchte er das mit der Ätna spezifischen Apfelsorte auch so machen. Aber:
"Aber es ist schwer so viele Landwirte zu finden sich zu vereinigen, weil sie eine etwas antike Mentalität haben."
Eine Mentalität, die geprägt ist von den Rhythmen, die der Berg dem Volk hier seit Jahrhunderten vorgibt.
"Der Ätna gibt und der Ätna nimmt, das was wir haben."