Ein Werk im Wandel
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Statt Verbrennungsmotoren baut VW in Salzgitter bald eigene Batteriezellen. Es ist ein erster Schritt hin zur umweltfreundlicheren Elektromobilität. Doch die Festlegung auf nur eine Antriebsart birgt auch Risiken – für Salzgitter ebenso wie für VW.
Die Fotografen gehen in Position, noch ein paar letzte Anweisungen, und dann kann das obligatorische Band durchschnitten werden.
Als erster deutscher Autohersteller entwickelt VW in Salzgitter künftig Batteriezellen – und produziert sie auch selber. Erst einmal in einer Kleinserie – mit rund 300 Mitarbeitern in einer Pilotanlage, aber durchaus schon mit Blick auf die Serienproduktion, betont der Leiter des sogenannten "Centers of Excellence", Frank Blome.
"Wir können jetzt hier Zellen, die wir selber entwickeln auch herstellen – und das in einem industriellen Maßstab. Das heißt, die Prozesse sind sehr vergleichbar zur Großserie, und insofern sind die Produkte dann am Ende auch repräsentativ für Tests auf unseren Prüfständen oder in unseren Autos."
Vorsprung der asiatischen Hersteller aufholen
In etwa 20 Produktionsschritten entsteht so eine Batteriezelle, überwiegend unter Reinraumbedingungen in möglichst staubfreier Atmosphäre. VW muss sich sputen, wenn es gelingen soll, den aktuellen Know-how-Vorsprung asiatischer Hersteller aufzuholen – es geht schließlich um das Herzstück für die künftigen Fahrzeuge des Konzerns, um die Batterie! Deshalb auch das Werk in Salzgitter – hier hat sich über Jahrzehnte reichlich Erfahrung angesammelt im Umgang mit dem Herzstück eines Autos. Zugegeben – bisher war das in der Regel ein Verbrennungsmotor. Abermillionen liefen davon seit 1970 im VW-Werk Salzgitter vom Band. Jetzt wird umgestellt – schrittweise immer weniger Verbrenner. Die Zukunft heißt Elektromotor. In den großen Montagehallen läuft der Umbau auf Hochtouren.
"Linker Seite stand über 30 Jahre eine Dieselmotorenmontage – die ist jetzt ausgelaufen, und wir fertigen jetzt hier den Stator. Wir haben hier das Aggregat komplett, so wie der Antrieb für den MEB ist."
Stator, das ist ein Bauteil eines Elektromotors. MEB, das steht für "Modularer E-Antriebs-Baukasten", also die Plattform, auf der künftig alle elektrisch angetriebenen Autos von Volkswagen basieren sollen. Künftig geht es im VW-Werk Salzgitter nicht mehr so oft um Kurbelwellen, Kolben und Zylinderkopfdichtungen – sondern um Rotoren und Statoren, um den MEB … und eben auch um Batteriezellen.
Die Mitarbeiter gestalten den Wandel mit
"Wir sind hier in der Zellkonditionierung – im Endeffekt wird hier dann die Batteriezelle geladen, entladen, überprüft, gemessen … bis sie dann wirklich fertig ist."
In ihrem früheren Arbeitsleben stand die junge Dame an einer der Motorenlinien im Werk, jetzt hantiert sie mit Batteriezellen für die E-Mobilität – kein Problem.
"Jede Person ist da anders – oder denkt da anders, aber ich glaube, wenn man da wirklich mit dabei ist, die Transformation von VW mitzugestalten, dann geht das von einem Tag auf den anderen. Also – ich fühle mich hier sehr, sehr wohl und bin immer noch begeistert und motiviert, endlich die neuen Herausforderungen wirklich weiter anzugehen."
Der Wandel ist im Werk angekommen, es ist zu spüren, wie die Mitarbeiter ihn mitgestalten wollen. Aber die Euphorie ist nicht grenzenlos, schließlich kostet der Wandel auch Jobs. Für den Bau von Elektromotoren sind weniger Arbeitskräfte erforderlich – das ist Fakt. Zwar sollen mit der geplanten Massenproduktion von Batteriezellen in Salzgitter bis 2024 insgesamt etwa 1000 neue Arbeitsplätze entstehen, aber auch der VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh weiß ganz genau:
"Es wird nicht jeder oder jede im Endeffekt die Chance haben, in der Batteriefabrik zu arbeiten oder auch in der Zellfertigung – ich glaube das ist allen klar!"
Über Altersteilzeit Stellen abbauen
Das macht sich natürlich in einer Stadt wie Salzgitter, in der gut 7.000 Jobs direkt am VW-Werk hängen, bemerkbar. Über Altersteilzeit sollen in den nächsten Jahren etliche Stellen sozialverträglich abgebaut werden, Qualifizierung soll möglichst vielen den Übergang in die neue Produktion ermöglichen, die Arbeitnehmervertretung hat eine Jobgarantie bis 2029 erkämpft – trotzdem geht die Entwicklung nicht spurlos an der Stadt vorbei, das nimmt auch der Betriebsratsvorsitzende des Werks, Dirk Windmüller, wahr.
"Mein ganzes Leben lang wohne ich hier in der Stadt bzw. in der Region, und das ist natürlich Thema. Nicht nur hier die Kolleginnen und Kollegen diskutieren intern – die Menschen leben ja auch hier, und die reden auch mit ihren Nachbarn."
Und es gibt wahrlich genug zu bereden – schließlich habe VW sich mit der konsequenten Entscheidung für die batterie-elektrische Zukunft extrem festgelegt, kritisiert Andreas Jain vom Zentrum für gesellschaftliche Innovation der Ostfalia Hochschule in Salzgitter.
"Extrem hohes Risiko"
"Man will individuelles Fahren auch in Zukunft ermöglichen und tauscht einfach nur die Antriebstechnik aus – man hat sich keine Gedanken gemacht über neue Mobilitätskonzepte, sondern verkleidet ein altes Konzept neu. Und wenn das der ganze Einsatz für die Zukunft ist, das ist erkennbar ein extrem hohes Risiko."
Andere Hersteller – auch in Deutschland – hätten sich nicht so rigoros wie Volkswagen auf nur eine Antriebsart der Zukunft festgelegt.
"Wird beispielsweise die Brennstoffzellentechnik die Technik der Zukunft, dann habe ich hier mit meiner Elektromobilität komplett verloren. Und wenn ich dann eine ganze Konzernstrategie auf Elektromobilität ausrichte und auch die ganze Region von dieser Strategie abhängig ist, dann verliere ich sowohl als Konzern als auch Region komplett meinen ganzen Einsatz."
Langfristiger Strukturwandel
Ein Einwand, den Stefan Sommer so nicht stehen lassen will. Der VW-Spitzenmanager kontert:
"Die Entscheidungen werden ja eigentlich durch die weltweiten Regeln in Richtung CO2-Ausstoß vorgegeben – und da ist einfach die batterie-elektrische Technologie die einzige, die sich im Volumen im Augenblick darstellen lässt. Elektromobilität, elektrische Fahrzeuge bieten das Potential – und deswegen glauben wir daran."
Jetzt erst einmal die Pilotanlage für die Batteriezellfertigung, bis 2024 dann die Gigafabrik – der gesamte Umbau des Werks hin zur E-Mobilität – Für die Stadt Salzgitter ist das ein echter Glücksfall, meint Oberbürgermeister Frank Klingebiel. Jetzt müsse man diese Entscheidungen auch als Chance begreifen – und für die Zukunft Salzgitters mehr daraus machen.
"Am Ende ist diese unmittelbare Entscheidung, die Produktion umzustellen, lebensnotwendig für den Standort – denn das sind 7.000 Arbeitsplätze, die da dranhängen – sichert aber erst mal nur die Beschäftigung. Meine feste Überzeugung ist, dass es eine Initialzündung, eine Sogwirkung für viele Startups, andere Unternehmen geben wird, und somit wir einen langfristigen Strukturwandel hinbekommen, wo am Ende mehr Arbeitsplätze stehen werden."