Dr. habil. Manuel Trummer ist Akademischer Rat am Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur der Universität Regensburg und Redakteur des "Deaf Forever", dem zur Zeit wichtigsten deutschsprachigen Printmagazin für Heavy Metal. In seiner Forschung beschäftigt er sich aktuell mit Retrotopien, Erinnerungskulturen und politischen Regressionen in den populären Medien und Literaturen.
Der Karneval der wilden Kerle
04:18 Minuten
Sauf-Klamauk und Schlagerpartys: Das Heavy-Metal-Festival in Wacken ist bürgerlich geworden. Ein Ballermann für Wochenendmetaller, die im Freigehege mal so richtig die Sau rauslassen wollen, meint Manuel Trummer. Und doch vielleicht eine Reise wert.
Alle Jahre wieder – jedes Jahr gegen Anfang August lärmen sie durch die deutsche Medienlandschaft: die Langhaarigen mit ihren schwarzen Shirts, ihren Trinkhörnern und ihrem ohrenbetäubenden Heavy Metal. Hurra, die wilden Kerle kommen – es ist wieder Zeit für Wacken!
Das Festival, das sich von lokalen Anfängen im Jahr 1990 zu einer der größten Musikveranstaltungen der Welt mit rund 85.000 Teilnehmern entwickelt hat, gilt als Mekka der globalen Metalszene. Wacken ist – zumindest für eine knappe Woche – die viertgrößte Stadt Schleswig-Holsteins.
Auch die breite Öffentlichkeit nimmt in den letzten Jahren zunehmend Notiz. Dokumentarfilme, "Bild"-Zeitung und Klatsch-Illustrierte haben die feiernden Metalfans als Thema entdeckt. Mit ihren Ritualen und ihrem wilden Habitus bilden sie eine zugkräftige Kontrastfolie zum stromlinienförmigen Einerlei aus Castingshow und deutschem Radiopop.
Die Botschaft in dieser oft plumpen Gegenüberstellung von Zivilisation und Wildheit, die an die Völkerschauen des 19. Jahrhunderts erinnert: die fremdartigen Metaller sehen zwar böse aus – aber eigentlich sind sie ganz harmlos.
Vom beschaulichen Festival zum Geschäftsimperium
Die wollen doch nur spielen? Tatsächlich verwischt ein Blick auf Wacken jenseits der Stereotype die mediale Trennlinie zwischen den exotischen Wilden und dem zivilisierten Rest der Bevölkerung recht gründlich. Mit rund 25 Millionen Euro Umsatz, bis zu 3500 Mitarbeitern, einer weltweit vernetzten Konzertagentur und verschiedenen Marketing-Kooperationen, die vom Tourismusanbieter bis zum Einzelhandelsriesen "Kaufland" reichen, ist aus dem beschaulichen Festival längst ein Geschäftsimperium entstanden.
Sein beispielloser Erfolg hat dem Heavy Metal die gefährlichen Teufelshörner abgeschliffen, ihn warenmäßig aufbereitet und so für ein breites Publikum leicht verdaulich gemacht.
Wenn Wacken seinem feiernden Publikum Schlageracts oder Blasmusikkapellen neben Genregrößen wie Slayer vorsetzt und wenn unter dem Markenbranding von Wacken für luxuriöse Metal-Kreuzfahrten und Ski-Urlaube geworben wird, bleibt nur zu konstatieren: Der einstige Bürgerschreck Heavy Metal ist selbst bürgerlich geworden.
Nun ist die strategische Vereinnahmung und Kommerzialisierung von Subkulturen kein neues Phänomen. Doch trifft es die Metalszene, deren ideologischer Kern das Aufbegehren gegenüber bürgerlichen Werteordnungen oder Machtapparaten ist, besonders hart.
Die All-Inclusive-Rebellion
Kein Wunder, dass die Kritik an Wacken innerhalb der engeren, weniger gut sichtbaren Metalszene in den letzten Jahren Orkanstärke annimmt. Wacken, das sei doch nur der Ballermann für Wochenendmetaller, um Heavy Metal ginge es dort gar nicht mehr – so lautet ein gängiger Vorwurf. Wacken sei ein Karneval, an dem vom Schüler bis zum Banker jeder mal die Sau raus lassen kann - unter kontrollierten Bedigungen.
Was man leicht als üblichen popkulturellen Elitarismus abtun kann, legt doch den Finger auf eine charakteristische Entwicklung: Denn was Großevents wie Wacken ihrem Publikum bieten, ist eine straff durchorganisierte Gegenwelt auf Zeit, in der wie beim Karneval die Alltagsregeln auf dem Kopf stehen.
Doch was modernen Popfestivals im Gegensatz zur Fasnacht fehlt, ist ihre grundlegende Eigenschaft, der Gesellschaft so einen satirischen Spiegel vorzuhalten. Politische Impulse, herausfordernde Kreativität oder gesellschaftliche Kritik sind von einer dreitägigen Komfort-Rebellion mit All-Inclusive-Programm wie Wacken nicht zu erwarten. Das Festival kreist um sich selbst.
Aber vielleicht liegt genau darin der Appeal dieses Karnevals für Wilde Kerle? Dass drei Tage lang alle Konflikte – Trump, Klimawandel, der Ärger mit dem Chef – außen vor bleiben und sich 85.000 Menschen als temporäre Gemeinschaft jenseits von Klasse, Politik und Nation selbst feiern. In einer zutiefst fragmentierten, individualisierten Gesellschaft wie unserer ist das trotz aller Banalitäten eine anerkennenswerte Leistung.