Eva Sichelschmidt, geboren 1970, wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Gesellenprüfung zur Damenschneiderin zog sie 1989 nach Berlin und machte sich mit einem Maßatelier für Braut- und Abendmoden selbstständig. Es folgten Aufträge als Kostümbildnerin bei Film und Oper. Seit 1997 ist sie Inhaberin des Geschäfts Whisky & Cigars, seit Beginn 2015 auch Repräsentantin des Berliner Auktionshauses Grisebach für Italien. Mit ihrem Ehemann Durs Grünbein und ihren drei Töchtern lebt sie in Rom und Berlin. "Die Ruhe weg" ist ihr erster Roman. Seit April schreibt sie den Blog Frauschreibtmann, www.eva-sichelschmidt.de
Ökofanatiker versus Ästheten
Recycling statt wegwerfen, sparsamer Verbrauch statt Energieverschwendung: Umweltschutz ist zwar vernünftig, kann aber auch anstrengend sein. Und manchmal ist er einfach hässlich, meint Autorin Eva Sichelschmidt.
"Wer sind eigentlich sie?", fragt mich mein Mann, wenn ich sowas sage wie: "Das haben sie ja wieder toll hingekriegt." Ich stehe hinter meinem Küchenfenster und schaue in den Berliner Hinterhof, in dem Bauarbeiter dabei sind, die schönen großen Doppelglasfenster des Nachbarhauses in einen Schuttcontainer zu werfen. In der Sonne glänzen die Fensterknäufe aus Messing an geborstenen Fensterrahmen über dem gesplitterten Glas. "Wenn sie das mit unserem Haus machen, so eine Sanierung, ziehe ich aus", sage ich trotzig. Nur wohin? Ich denke an einen guten Freund, dessen Haus unlängst auch saniert wurde, und der nun nicht nur täglich unter den billigen Verbundglasfenstern und stickiger Luft, sondern auch unter den Kosten leidet, die auf seine Miete umgelegt wurden. Wärmedämmung ist nicht nur das Unwort des letzten Jahrzehnts, sondern eine Volkskrankheit, ein staatlich subventionierter Bazillus, verbreitet mit dem Versprechen finanzieller Einsparungen.
Es ist schon erstaunlich, wie flugs der Sparfuchs mit dem Rechenschieber das empfindsame Auge besiegen konnte. Vor einigen Jahren hatten sie in Berlin Plakate geklebt, auf dem einem Einfamilienhaus eine hässliche, grobgestrickte Pudelmütze übergestülpt worden war. Diese Wärmekampagne brachte mich jedes Mal in die heißeste Wallung, sobald ich das Plakat sah. Okay, Ökofanatiker standen schon in der Latzhosen- und Sonnenblumen-Vergangenheit der 70er nicht in dem Ruf, Ästheten zu sein, doch dass die Verunstaltung der Stadt in so rasantem Tempo vorangetrieben wurde, hätte ich nie für möglich gehalten. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet strahlend weiße Plastikfenster und der sich damit ergebende Sondermüll namens Styropor eines Tages als der Gipfel des ökologischen Bewusstseins gelten würden?
Verbot der Glühbirne: ästhetischer Verlust
Nachdem so der öffentliche Raum zerstört war, folgte als nächstes der Angriff auf den privaten Raum – mit dem Verbot der Glühbirne. Beleuchtungs-Connaisseurs haben bis heute keinen Platz mehr für Bierkisten, Kehrschaufeln und Handfeger, weil jeder Quadratzentimeter Stauraum ihrer Behausungen mit Stapeln Glühbirnen unterschiedlichster Watt-Zahlen belegt ist. Doch selbst wenn die Beleuchtung des privaten Wohnraums noch für ein paar Jahre gesichert ist, in öffentlichen Gebäuden, Restaurants und Bars und – ganz besonders schmerzhaft – unter den Leselampen der Hotelzimmerbetten ist sie für immer dahin.
So muss es der lichtempfindlichen Menschheit zuletzt 1880 gegangen sein, als sie die Gasbeleuchtung durch die Kohlenfadenlampe ausgewechselt hatten, von der Abschaffung der Kerzenbeleuchtung Jahrzehnte zuvor einmal ganz abgesehen. Wenn sie meinen Vermieter mit Steuereinsparungen für die Verunstaltung seines Eigentums blind gemacht haben, ziehe ich nach Rom, denke ich. Und das ist jetzt was anders, als wenn meine Großmutter früher zu meinem Opi sagte: "Wenn einer von uns beiden stirbt, dann zieh ich nach Paris."
Auch in Italien: Statt sanftem Licht grelle OP-Beleuchtung
Immerhin hab ich in Rom schon eine Bude. Im Sommer ist sie zu heiß, im Winter zu kalt, beim hochsommerlichen Schirokko öffnen sich die klapprigen Fenster wie von Geisterhand, und Feinstaub macht sich auf der Computertastatur breit. Von wegen Dämmung – davon ist auch die Geräuschkulisse hier weit entfernt. Doch was muss ich bei meinem jüngsten Gang durch Trastevere und ins Ghetto erblicken? Kühlschrankbeleuchtung! Das sanfte gelbe Licht des Südens ist nun einer grellen OP-Beleuchtung gewichen.
Blau-grau angestrahlt, sieht auch das geschichtsträchtige, elegant verwitterte Gemäuer nur noch wie ein sterbenskranker Greis auf der Intensivstation aus. Ein paar Millionen Euro sollen auf diese Weise gespart werden. Man wird sie versenken in niemals endende Bauvorhaben und korrupte Machenschaften. Es ist zum Heulen! Wo sind sie, meine lichtempfindlichen Mitstreiter? Will sich denn niemand nackt auf dem Kapitol an den reitenden Mark Aurel anketten, um das brutale Austauschmanöver der guten alten Glühbirne gegen die seelenlosen LED-Leuchten zu stoppen? Wenn ich sie eines Tages kriege, mach ich sie fertig!