Die Atombomben von Büchel
20 Atomwaffen lagern auf dem Bundeswehr Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Im Rahmen der NATO könnten deutsche Kampfjets gezwungen sein, sie abzuwerfen. Mit Mahnwachen und Gebeten wird alljährlich um Ostern 20 Wochen lang gegen die 20 Bomben protestiert.
"Da sind ja die zwei Herren in dem kleinen Kasten."
Hildegard Slabik-Münter deutet auf die beiden Soldaten im Container - auf dem Parkplatz vorm Fliegerhorst Büchel.
"Wenn Demonstrationen oder sowas angesagt sind, bauen die den extra auf. Sonst sind die ja nur hinten, wo der Schlagbaum ist. Aber dieses gilt schon als militärisches Gelände."
Aktivisten blamieren Truppen
Die Bundeswehr ist gerüstet - mit vorverlegtem Wachhäuschen, Bauzäunen, die den sicherheitsrelevanten Bereich markieren, und mutmaßlich erhöhter Wachsamkeit. Bis August muss das Taktische Luftwaffengeschwader 33 in Büchel mit Protestgesängen und Antiatom-Bannern am Haupttor rechnen, aber auch mal mit Sitzblockaden vor allen Toren zu Dienstbeginn um sechs. Im vergangenen Sommer blamierten deutsche und US-Aktivisten die Truppe, indem sie unbemerkt aufs Gelände vordrangen und damit eklatante Sicherheitslücken offenbarten.
"Und für die Atomwaffen speziell sind die Amerikaner zuständig, die bewachen die."
Merkt die Linken-Kommunalpolitikerin aus der Friedensgruppe Daun an. Ins dritte Jahr geht mit dieser Karwoche 2018 die Aktion "20 Protestwochen für 20 Atombomben", organisiert vom Netzwerk Atomwaffenfrei Jetzt. Einen Kilometer entfernt vom Kern des 1200-Einwohner-Dorfs Büchel lagern die Bomben, zwischen Koblenz und Trier. Weil die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen, kurz ICAN, Ende vergangenen Jahres den Friedensnobelpreis bekam, verzeichnet Atomwaffenfrei Jetzt als eine von knapp 500 ICAN-Mitgliedsorganisationen mehr Zulauf beim Büchel-Atom-Protest.
Am Militärgelände soll der Ostermarsch stattfinden
"Und es sind jetzt auch schon sehr viele Gruppen angemeldet auf www.atomwaffenfrei.de: von Brandenburg, Berlin, Bonn, München, Stuttgart, Mutlangen …"
… in den 1980er-Jahren weltbekannt wegen der dort stationierten Pershing-II-Raketen und der Blockaden vorm Atomwaffenlager Mutlanger Heide. Der damalige SPD-Politiker Lafontaine, der Schriftsteller Böll, der Rhetorik-Professor Jens waren dabei. Mit Prominenten rechnet man in Büchel nicht. Angemeldet sind:
"Pfadfindergruppen, Kirchengruppen, sozialistische Jugend, grüne Jugend, Landjugend, weiß ich nicht, was alles."
Hildegard Slabik-Münter deutet auf die Wiese rechterhand vorm Fliegerhorst: Zeltplatz für Auswärtige. Die Wiese linkerhand: Kundgebungs- und Konzert-Arena. Hier soll in einer Woche der Ostermarsch entlang des Militärgeländes enden.
"Früher wohnten die Atomwaffen außerhalb in einem Bunker. Und immer wenn die gewartet werden mussten oder irgendwas mit ihnen passieren musste, musste man die Straße sperren und sie hier rüber in den Fliegerhorst bringen. Das war ihnen aber alles viel zu gefährlich, deshalb haben sie einen neuen eigenen Bunker gekriegt hinter den Zäunen."
Das erfuhren die Friedensaktivisten von internationalen Wissenschaftlern mit Einblick in US-Quellen. Danach lagern die je dreieinhalb Meter langen Raketen unterirdisch in Metallbunkern. Sprengkraft: bis zu 50.000 Tonnen, jede einzelne. Das Vierfache der Hiroshima-Bombe. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag 2009 formulierte auf Initiative des verstorbenen liberalen Außenministers Westerwelle den Abzug der Atomfracht als Ziel. Der Bundestag bekräftigte das 2010. Doch US-Präsident Obama und dessen Außenministerin Clinton drängten auf Modernisierung des Arsenals, Bundeskanzlerin Merkel setzte dem nichts entgegen. Was "modernisieren" heißt? Aus "dummen" Bomben, die da fallen, wo sie abgeworfen werden, intelligente Präzisionswaffen zu machen.
Der Bürgermeister sieht kein Problem
"Mit Eigen-Lenkung und eigenem Trägersystem."
Mit regelbarer Sprengkraft zudem. Größere Zielgenauigkeit, geringeres Risiko für die Piloten, zielangepasste Sprengkraft. Das alles erhöht aus der Sicht von Atomwaffengegnern das Risiko eines Einsatzes. Büchels Bürgermeister Willi Rademacher kann die Aufregung um die Bomben nicht verstehen. Der 62-Jährige hat als Kind miterlebt, wie US-Soldaten die Landstraße für deren Transport sperrten. Die Rüstungsexporte in Krisenregionen findet der Ex-Bundeswehrsoldat gefährlich, die Bücheler Atombomben lagerten sicher. Gut, dass man demonstrieren darf, findet der Kommunalpolitiker. Nur sollten die Demonstranten nicht die Bücheler auf ihrem Weg zur Arbeit beim Luftwaffengeschwader behindern, sondern in Berlin demonstrieren, wo die Entscheidungen getroffen würden.
"Wir machen in Berlin Lobby-Arbeit!"
Hält ihm die Elke Koller entgegen, Atomwaffen-Gegnerin aus dem Nachbarort Leienkaul. Die pensionierte Apothekerin ist überregional für ihr langjähriges Engagement im Internationalen Versöhnungsbund bekannt.
"Unsere Aktivisten in Berlin sprechen mit einzelnen Politikern, machen Info-Veranstaltungen, machen wir ja alles. Aber hier in Büchel findet das Unrecht statt. Und hier wollen wir Flagge zeigen und sagen, das missfällt uns. Wir wollen die Bomben weghaben."
Selbst Kreistagsmitglieder wussten nichts
Die lange totgeschwiegenen Atombomben. Von deren Existenz erfuhr die 1980 aus Norddeutschland in den Landkreis Cochem-Zell Zugezogene erst 16 Jahre später durch einen Spiegel-Artikel.
"Das Verrückte war: Ich war Anfang der Neunziger Kreistagsmitglied, Fraktionsvorsitzende der Grünen, und habe das nicht gewusst. Wir haben den Fliegerhorst besichtigt mit dem damaligen Ministerpräsidenten Beck zusammen, da wurde von Atomwaffen nicht geredet. Der Beck wusste das, viele Einheimische wussten das, aber es hieß immer: 'still halten, nichts sagen, die Russen dürfen 's nicht erfahren, dass hier die Bomben noch sind.'"
Das Tabu Bombe – für die Politik recht bequem.
"Vor allen Dingen gab es und gibt es heute noch keinerlei Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung. Es kann ja auch mal ein Unfall damit passieren. Dann bin ich natürlich rührig geworden. Ich hab' gefragt, gibt's n Strahlenschutz-Arzt? Den gab es damals noch nicht. Ist die Feuerwehr entsprechend ausgerüstet? War sie noch nicht. Da ist natürlich aufgrund meines Nachhakens und Bohrens dann schon einiges passiert, was Schutzmaßnahmen angeht. Aber völlig unzureichend. Also, das ist für mich der absolute Skandal."
Witzeln über die Wettrüster
In Kollers Bungalow ist mittlerweile Besuch eingetroffen, darunter drei internationale Überraschungsgäste. Sie haben sich nebeneinander auf das große Ledersofa im Wohnzimmer gesetzt. Bei Kim Jong Un, alias Ingo Köhler, lugen lange Haare unter der schwarzen Diktatoren-Perücke hervor. Wladimir Putin alias Werner Schwarz stülpt sich soeben ein Militärkäppi über. Donald Trump alias Joachim Willmann rollt die Augen hinter der Pappmaske, ständig fallen ihm die orangefarbenen Strähnen ins Gesicht. Die Gastgeberin untermalt das eigenartige Gipfeltreffen mit Musik von einer Protest-CD, Alarmsirenen vorweg.
Generalprobe für eine Polit-Pantomime beim Ostermarsch von Büchel – die sieben Organisatoren knabbern Kekse und witzeln über die drei Wettrüster der Weltpolitik. Natürlich verdränge sie die Bedrohung auch, konstatiert Elke Koller. Aber:
"Wenn zum Beispiel irgendwo eine Sirene geht, ist die Angst sofort da. Dann denke ich sofort, hoffentlich ist da nicht irgendwas passiert. Diese Bomben sind ja nicht feuerresistent. Die werden mehrmals im Jahr aus ihren Grüften hochgeholt, und das ist natürlich ein kritischer Moment. Wenn da irgendwas passiert, ein Unfall, eine Explosion, dann können die Dinger sich durchaus entzünden, und das war's dann."
Der Fliegerhorst - ein mögliches Angriffsziel, die Bewohner und sie selbst – potenzielle Zielscheiben, so sieht es die promovierte Naturwissenschaftlerin. Aber viele Bücheler halten es mit ihrem Bürgermeister: Sechs Jahrzehnte nichts passiert, der nuklear gerüstete Fliegerhorst - ein Arbeitsplatz mit Zukunft, basta.
"So wird es rundherum von vielen gesehen, ja."
Hildegard Slabik-Münter ist auch zu Kollers Wohnzimmer-Team gestoßen.
"Ganz viele hier in der Nähe sind ja auch nicht froh mit unseren Protesten, weil sie eben Angst um ihre Arbeitsplätze haben."
Aber die Feindseligkeit nimmt ab, stellen die frühere Kinderärztin und die Apothekerin im Ruhestand fest. Möglicherweise hat der Nobelpreis für ICAN die Büchel-Anrainer zugänglicher gemacht für den Atomwaffenprotest. Beim Flugblatt-Verteilen bekam die Mittsiebzigerin unlängst Erstaunliches zu hören:
"'Ach, Frau Koller, ich hab noch gar nichts übern Ostermarsch gelesen. Haben Sie da was? Können Sie mir auch so einen Flyer geben.' Ich hab gedacht, ich hör nicht recht. 'Ja, für meine Freundin auch'. Da hat die sechs Flyer mitgenommen."
Spediteur: Keine Container für Kaserne
Szenenwechsel: Im Souterrain-Büro sitzt vor vollgestopften Regalen der Speditions-Chef selbst am Telefon. Seine sechs Beschäftigten haben schon Feierabend. Ralf Wagner-Nowak hat sich schon lange entschieden, nicht für den Fliegerhorst zu arbeiten.
"Ich bin selber Kriegsdienstverweigerer und Mitglied bei 'Ohne Rüstung leben'. Wir haben auch Containerdienst, und wir sind immer wieder gefragt worden, Container für Kaserne aufstellen. Kaserne Daun, Kaserne Gerolstein habe ich auch immer gemacht. Aber Büchel – da fahren wir grundsätzlich nicht hin."
Ein paar Tausend Euro Umsatz im Jahr dürfte Wagner-Nowak das gute Gewissen kosten.
"Ich hab letzte Woche noch mal einen Anruf bekommen, vom Landesbetrieb Bau. Die wollten einen Container für den Flughafen Büchel. 'Flughafen? Es tut mir leid', habe ich gesagt, 'das ist völkerrechtswidrig, da fahr ich nicht hin'. Und dann hat die Dame gesagt, 'ja, o.k., gut dann weiß ich Bescheid.' Es war keine böse Reaktion, es war vielleicht eine überraschte Reaktion, aber dieser Standpunkt muss publik gemacht werden, dass es wirklich völkerrechtswidrig ist. Und dass das Bundesparlament ja beschlossen hat, wir wollen die Raketen weg haben. Und jetzt werden sie modernisiert und dadurch leichter handelbar. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie gebraucht werden, wird dadurch noch größer."
Kein Bekenntnis zum Bombenabzug im Koalitationsvertrag
Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD kein Bekenntnis zum Abzug der Bomben von Büchel abgelegt. Die Friedenslobbyisten bearbeiten nun einzeln Bundes- und Landtagsabgeordnete, damit sie die Bundesregierung mit Erklärungen pro Atomwaffenverbotsvertrag unter Druck setzen. Zwei Drittel der UNO-Mitgliedsstaaten haben den Verbotsvertrag beschlossen, fast 60 haben unterzeichnet, die ersten fünf schon mit Parlamentsmehrheiten ratifiziert.
Das bewirkt zu haben – dafür bekamen die Aktivisten von ICAN den Friedensnobelpreis. Die Atommächte traten dem Verbotsvertrag nicht bei, die Bundesrepublik auch nicht. Die große Koalition hält an der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO fest. Selbst wenn laut repräsentativer Umfrage mehr als 60 Prozent der Deutschen die Bücheler Bomben weg haben wollen. Heidi Kassai von ICAN Deutschland wird das bei ihrer Rede auf dem Ostermarsch von Büchel kritisieren. Die Bundesregierung dürfe nicht dulden,
Die Ächtung ist nur eine Frage der Zeit
"… dass deutsche Piloten im Zweifelsfall diese Bomben einsetzen würden."
In ihrem Büro in Bingen beugt sich die Aktivistin noch mal über die Daten, die ihr Mut einflößen. 1972 Biologische Waffen, 1993 Chemiewaffen, 1997 Landminen verboten und 2008 Streumunition – alle inzwischen geächtet. 2017 Atomwaffen verboten, deren Ächtung: nur eine Frage der Zeit, glaubt Kassai.
In Kelberg in der Eifel wirft Speditions-Chef Ralf Wagner-Nowak ein Container-Fahrzeug an: ein Auftrag ruft – aber garantiert keiner, der den Atomwaffen von Büchel das Überleben sichert.