Waffenlieferung in den Irak

"Eine Entscheidung der Bundesregierung"

Der SPD-Politiker Niels Annen
Der SPD-Politiker Niels Annen © spdfraktion.de / Florian Jaenicke
Moderation: Dieter Kassel |
Die Bundesregierung plant Waffenlieferungen an die irakischen Kurden. SPD-Politiker Niels Annen wies Forderungen, diese Hilfe durch ein Bundestagsmandat abzusichern, zurück. Es handele sich um eine Entscheidung der Regierung und nicht des Parlaments.
Dieter Kassel: Die Bundesrepublik Deutschland wird Waffen an die Kurden im Nordirak liefern. Darauf hat sich die Bundeskanzlerin gestern in kleiner Runde im Gespräch mit ihrem Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der Verteidigungsministerin, dem Außen- und dem Finanzminister geeinigt. Nun soll erst mal geprüft werden, welche Waffen geliefert werden können und Sinn machen. Dazu soll bis zum kommenden Mittwoch ein Bericht vorliegen, und dann sollen die Lieferungen so schnell wie möglich beginnen. Niels Annen ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Annen!
Niels Annen: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ist das ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik?
Annen: Es ist auf jeden Fall eine sehr bemerkenswerte und wahrscheinlich auch wegweisende Entscheidung, weil es natürlich mit der bisherigen Praxis schon ein wenig bricht. Auf der anderen Seite muss man sagen: Wir haben auch in den letzten Jahren Regierungen oder Gruppierungen unterstützt, die in einer schwierigen Situation gewesen sind. Und natürlich verstehe ich auch, dass die gegenseitige Debatte sich vor allem um die Grundsatzentscheidung der Regierung dreht, auch Waffen zu liefern. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch gerne noch mal darauf hinweisen, im Zentrum steht weiterhin die humanitäre Hilfe für die dramatische Situation der Flüchtlinge in dieser Region und auch die Ausstattung für die kurdischen Peschmerga, aber natürlich ist das jetzt schon ein Schritt, über den es auch, wie ich finde, zu Recht eine öffentliche Debatte gibt.
Kassel: Eine öffentliche Debatte, aber streng genommen ja keine Debatte im Deutschen Bundestag. Der soll nicht gefragt werden und schon gar nicht darüber abstimmen. Halten Sie das für richtig?
Bundestag war informiert
Annen: Das ist ja so nicht ganz korrekt. Der Deutsche Bundestag ist über jeden Schritt informiert gewesen. Wir haben eine Sondersitzung gerade vor wenigen Tagen gemacht, die Obleute, das heißt, die Sprecher der unterschiedlichen Fraktionen, also Regierungs- und Oppositionsfraktion sind regelmäßig unterrichtet worden. Also, der Deutsche Bundestag, der diskutiert natürlich, der beteiligt sich an dieser Debatte. Nach dem jetzigen Kenntnisstand, der mir vorliegt, ist das, was die Regierung dort beschlossen hat, nicht zustimmungspflichtig in dem Sinne, dass wir ein eigenes Mandat brauchen. Aber ich denke, wir warten jetzt erst mal die nächste Woche ab, wenn die Regierung ihren Vorschlag dann konkret unterbreitet. Und dann wird man prüfen müssen, ob da das sogenannte Parlamentsbeteiligungsgesetz greift oder nicht. Aber der Deutsche Bundestag partizipiert an jeder Entscheidung, weiß über jeden Schritt Bescheid. Und das muss auch so sein. Wenn das nicht so wäre, dann würde es sicherlich auch entsprechend eine Debatte darüber geben.
Kassel: Das ist, formal gesehen, so viel ich weiß – ich musste mich da auch erst mal ein bisschen kundig machen gestern –, ja völlig richtig, was Sie sagen. Aber wäre es nicht bei einer so grundsätzlichen Entscheidung, auch wenn das nicht nötig ist, besser, tatsächlich auch eine Abstimmung im Bundestag anzusetzen?
Annen: Ja, also wir haben ja eine gesetzliche Grundlage, und ich würde schon die Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen: Der Deutsche Bundestag, im Gegensatz zu den meisten anderen Parlamenten auch unserer europäischen Nachbarn, hat bei der Entsendung von deutschen Streitkräften, bewaffneten Streitkräften, so ist die Formulierung, eine herausgehoben Position. Das hat kaum ein anderes europäisches Land. Aber für die Unterstützung durch Material, die sogenannte Ausstattungshilfe, bedarf es keines Mandates. Und wir werden uns das noch einmal sehr genau anschauen, wenn dann die Entscheidung des Bundeskabinetts vorliegt. Aber ich warne auch ein klein bisschen davor, weil, wir machen Ausstattungshilfe mit vielen Armeen der Welt. Wenn wir jetzt über jedes Ausstattungsstück, das die Bundeswehr beispielsweise an befreundete Armeen liefert auch in Europa, eine Bundestagsentscheidung herbeiführen, dann kommt es eigentlich zu nichts anderem mehr. Also, wir werden uns das sehr sorgfältig anschauen, ich schließe das auch im Moment gar nicht aus, aber nach dem jetzigen Kenntnisstand, denke ich, ist das eine Entscheidung der Bundesregierung – die muss sie dann auch verantworten vor dem Parlament und vor der deutschen Öffentlichkeit.
Kassel: Aber das klingt mir jetzt ein wenig danach, als sagten Sie, wir können den Deutschen Bundestag nicht abstimmen lassen, das würde schlicht zu lange dauern.
Annen: Nein, das würde nicht zu lange dauern, aber unsere gesetzliche Grundlage sagt: In dem Augenblick, wo bewaffnete Soldaten ins Ausland geschickt werden, auch in eine Krisenregion, brauchen wir eine Entscheidung. Und wenn Ausstattungsmaterialien, und darum geht es ja auch in erster Linie – die Bundesregierung hat uns mitgeteilt, dass sie beispielsweise Schutzwesten, Helme, Funkgeräte, Notstromaggregate, möglicherweise auch Unimogs und andere Ausstattungsgeräte an die kurdischen Peschmerga schicken möchte. Und dafür braucht sie kein Mandat des Deutschen Bundestages. Aber trotzdem, das ist mir auch sehr wichtig, diskutiert der Deutsche Bundestag über jeden Teil dieser Entscheidung. Er wird eingebunden, und wir sind auch in der Lage, quasi jederzeit zusammenzutreten mit dem entsprechenden Ausschuss, dem Auswärtigen und dem Verteidigungsausschuss. Und das ist in den letzten Wochen ja auch geschehen.
Kassel: Aber sowohl die Verteidigungsministerin als auch Sigmar Gabriel haben ja gestern gesagt, dass jetzt geprüft wird, und zwar eher in der Annahme, dass das am Ende auch möglich sein wird, dass man Panzerabwehrraketen liefert. Das ist ja nun tatsächlich eine Waffe und nicht mehr nur Ausstattung.
Krise der gesamten arabischen Welt
Annen: Ja, das ist richtig. Aber ich kann Ihnen jetzt auch nur eine Auskunft über das geben, was dem Parlament vorliegt. Und das liegt dem Parlament noch nicht vor. Und ich lese auch Zeitung, insofern ist die Debatte darüber auch nachvollziehbar, aber ich kann jetzt nicht auf Grundlage von Zeitungsinformationen mit Ihnen darüber reden, ob dazu ein Bundestagsmandat notwendig sein wird. Aber ich will Ihnen gerne sagen, dass der Deutsche Bundestag beispielsweise im Moment auch darüber diskutiert und, ich hoffe, dann auch bereit sein wird, die finanziellen Mittel für die humanitäre Hilfe in der Region zu erhöhen. Wir haben es ja leider nicht nur mit einer Krise in Syrien und im Irak zu tun, sondern in der gesamten arabischen Welt. In Libyen beispielsweise, im Südsudan und inzwischen sind die Mittel in einer Art und Weise ausgeschöpft, dass wir dort die Mittel aufstocken müssen. Und daran wird hoffentlich der Bundestag sich dann auch beteiligen.
Kassel: Informiert zu werden, ist das eine, mitreden zu können, das andere. Wie steht es denn überhaupt um die Einigkeit in Ihrer eigenen Fraktion. Ihr Parteikollege Ralf Stegner hat in einem Gastbeitrag für die "taz" gestern geschrieben: "Heute liefern wir Waffen, morgen sind wir erstaunt, dass damit unschuldige Menschen getötet werden." Das klingt mir nicht danach, dass sich die SPD selber einig ist.
Annen: Ich habe den Eindruck, und ich kann Ihnen zumindest meine Meinung mitteilen, dass ich glaube, dass die Bundesregierung, der Außenminister eine sehr verantwortliche Position in den letzten Tagen und Wochen bezogen hat. Und wir sind in einer derart dramatischen Lage – ich will das schon noch mal schildern. Die IS-Rebellen stehen etwa 40 Kilometer vor Erbil, der Hauptstadt der kurdischen autonomen Region im Irak. Das ist die Region, in der nicht nur die Jesiden Zuflucht gefunden haben, sondern inzwischen etwa eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, aus dem dortigen Bürgerkrieg. Das bedeutet, wenn Erbil und die kurdische Region im Irak fallen an die IS-Kämpfer, dann sind nicht nur die Menschen dort bedroht, sondern auch die Flüchtlinge, für die das die einzige Zufluchtsgegend ist, die ihnen zur Verfügung steht.
Das heißt, wir stehen nicht vor einer theoretischen Diskussion, bei der wir uns Zeit lassen können, sondern unsere Regierung muss kurzfristig eine Entscheidung treffen. Ob man dort alles in einer solchen Lage alles richtig machen kann, das wird man möglicherweise erst in einigen Jahren wissen. Und jeder weiß, der sich an dieser Debatte beteiligt, dass die Lieferung von Waffen immer eine grenzwertige Entscheidung ist, weil man natürlich nicht hundertprozentig wissen kann, ob es möglicherweise dazu kommt, dass diese Waffen in einem Konflikt gebraucht werden, von dem wir heute noch gar nicht wissen, ob er stattfindet. Und insofern gibt es keine klare Ja-Nein-, Schwarz-Weiß-Entscheidung, deswegen gibt es darüber ja auch eine Debatte. Aber ich glaube, die Regierung handelt verantwortungsvoll. Ich bin überzeugt davon, dass sie die Unterstützung der SPD-Fraktion hat. Aber dass es auch bei mir Fragen gibt, das will ich Ihnen nicht verhehlen, weil wir aus guten Gründen sehr restriktive, sehr scharfe Rüstungsexportrichtlinien beschlossen haben, die so was zulassen, die aber natürlich auch dann entsprechend diskutiert werden müssen. Insofern eine schwierige Situation, aber, wie ich meine, eine verantwortungsvolle Entscheidung, über die wir jetzt als im Detail natürlich auch weiter miteinander sprechen werden.
Kassel: Sagt der Außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, zu dem Beschluss der Bundesregierung, Waffen an die Kurden im Irak zu liefern. Eine schwierige Frage – ich danke Ihnen, dass Sie über diese Frage mit uns geredet haben, Herr Annen. Vielen Dank!
Annen: Danke für Ihr Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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