Demütigung für Frankreich
Vor 75 Jahren schlossen Frankreich und Deutschland den Waffenstillstand von Compiègne. Das Abkommen war nicht nur der Beginn der Besatzung Frankreichs durch Deutschland, sondern auch ein Racheakt der Nationalsozialisten an Frankreich.
"Kameraden, wir marschieren im Westen / mit dem Tross des Geschwaders vereint. / Und fallen auch viele der Besten..."
Das Marschlied begleitete einen spektakulären Siegeszug der deutschen Wehrmacht. Am 10. Mai 1940 trat sie auf Hitlers Befehl zum Angriff auf Frankreich an. Unter Verletzung der holländischen und der belgischen Neutralität stießen deutsche Truppen an die französische Nordgrenze vor. Am 15. Mai kapitulierte die holländische, am 28. die belgische Armee. Aber schon am 19. Mai standen deutsche Panzer bei Abbéville an der französischen Kanalküste. Am 14. Juni meldete der "Großdeutsche Rundfunk":
"Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: Der völlige Zusammenbruch der ganzen französischen Front zwischen dem Ärmelkanal und der Maginot-Linie bei Montmédy hat die ursprüngliche Absicht der französischen Führung, die Hauptstadt Frankreichs zu verteidigen, zunichtegemacht. Soeben findet der Einmarsch der siegreichen deutschen Truppen in Paris statt."
Nur wenige Tage später folgte dem militärischen der politische Zusammenbruch Frankreichs. Die Dritte Republik dankte ab. Marschall Pétain trat an die Spitze eines neuen, autoritär geführten Regimes und bat um Waffenstillstand. Der wurde gewährt, aber unter für Frankreich demütigenden Begleitumständen.
Am 21. Juni 1940 wurde die französische Waffenstillstandsdelegation, angeführt von Armeegeneral Charles Huntziger, in den Wald von Compiègne beordert. Dort erwartete sie just in dem Eisenbahn-Salonwagen, in dem am 11. November 1918 Marschall Foch im Namen der Alliierten den deutschen Unterhändlern die Waffenstillstandsbedingungen zum Ende des Ersten Weltkriegs diktiert hatte, die deutsche Delegation. Deren Chef, Generaloberst Wilhelm Keitel diktierte nicht, sondern las zunächst nur vor:
"Wenn zur Entgegennahme dieser Bedingungen der historische Wald von Compiègne bestimmt wurde, dann geschah es, um durch diesen Akt eine Erinnerung zu löschen, die für Frankreich kein Ruhmesblatt seiner Geschichte war, vom deutschen Volk aber als tiefste Schande aller Zeiten empfunden wurde."
Frankreich wurde in besetztes und unbesetztes Gebiet aufgeteilt
Auszüge aus der Präambel der deutschen Waffenstillstandsbedingungen, mit denen die Schmach des Versailler "Diktatfriedens" von 1919 aus den Geschichtsbüchern getilgt werden sollte. Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, trug sie im Auftrag Hitlers vor, der zur Übergabe der Waffenstillstandsbedingungen eigens in den Wald von Compiègne gekommen war, um den Triumph der Revanche persönlich auszukosten.
Des "Führers" Besuch im Salonwagen des Marschalls Foch beschränkte sich auf eine gute halbe Stunde. Danach führte sein Paladin Keitel das große Wort. Der ließ sich an Führertreue und lakaienhafter Unterwürfigkeit von niemandem übertreffen. Nicht von ungefähr hatte er im Offizierskorps den Spitznamen "La-kaitel". Gleichwohl fiel es dem deutschen Delegationsleiter nicht leicht, seinen französischen Gegenüber Huntziger von der Unwiderruflichkeit der deutschen Bedingungen zu überzeugen. Die französische Seite erhob Einwände, versuchte einzelne Bestimmungen zu mildern, was ihr in zwei Fällen auch gelang, und musste telefonische Rücksprache mit ihrer Regierung in Bordeaux nehmen. Das kostete Zeit. Erst am 22. Juni kurz vor 19 Uhr ließ Huntziger wissen:
"Je déclare, que le gouvernement français a décidé de signer la convention d'armistice."
Und Paul Otto Schmidt, der Chefdolmetscher des Auswärtigen Amtes übersetzte:
"Auf Befehl seiner Regierung erklärt der General, dass die französische Regierung beschlossen hat, das ausgearbeitete Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen."
Das hieß im Wesentlichen: Frankreich wird in ein besetztes und ein unbesetztes Gebiet geteilt. Zum besetzten Teil gehören Paris, die nordfranzösischen Industrieregionen wie die Kanal- und die Atlantikküste. Elsass-Lothringen und die Départements Nord und Pas de Calais werden vom Staatsgebiet abgetrennt.
Das unbesetzte südliche Rumpffrankreich behält ein kleines Freiwilligenheer, eine kleine Luftwaffe und eine Flotte mit beschränkter Verfügungsgewalt. Solchermaßen amputiert und abgerüstet, war es nur noch ein Schatten der einstigen Großmacht, die zwischen den Weltkriegen die Politik auf dem europäischen Festland bestimmt hatte.