Wagner auf der Waldbühne
Das israelisch-arabische West-Eastern Divan Orchestra hat Wagners Walküre auf der von den Nazis gebauten Waldbühne aufgeführt: Eine Provokation? "Nein", meint Daniel Barenboim, Leiter des Orchester und Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, "wegen der Assoziationen, die die Nazis mit der Musik Wagners erweckt hatten" sei es falsch, diese Musik auch heute zu tabuisieren.
Stefan Karkowski: Ich begrüße den Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden Daniel Barenboim!
Daniel Barenboim: Guten Tag!
Karkowski: Herr Barenboim, ich könnte auch sagen, den Friedensbotschafter der UNO, den argentinisch-israelischen Weltklassepianisten, den Stardirigenten, den Harvard-Dozenten, den Ehrenbürger Palästinas und den Leiter des West-Eastern Divan Orchestra.
Barenboim: Ach, hören Sie auf, ich werde müde, wenn ich das alles höre!
Karkowski: Sie treten ja mit diesem Orchester morgen in der Waldbühne auf, Herr Barenboim, spielen dort Richard Wagner in einer von den Nazis 1936 gebauten Bühne. Warum diese Musik, warum ausgerechnet dort?
Barenboim: Na ja, ausgerechnet dort, weil die Staatsoper ist noch zu und die Philharmonie ist auch noch zu. Und dann kam die Überlegung, lassen wir Berlin überhaupt weg oder spielen wir in der Waldbühne. Und dann war ich der Meinung, wir sollten in der Waldbühne spielen, weil Berlin bedeutet sehr viel für uns alle, für mich sowieso, aber auch für das Orchester inzwischen. Und wir hatten ein Programm mit der Vierten Sinfonie von Brahms und die Schönberg-Variationen, etwas nicht unbedingt für die Waldbühne passend.
Aber das andere Programm war mit dem ersten Akt der "Walküre". Und dann haben wir gedacht, warum nicht, das ist eigentlich ideal dafür. Wagner ist ein sehr wichtiger Komponist, auch historisch gesehen. Ohne Wagner zu kennen und zu verstehen, kann man eigentlich nicht alles, was danach kam, richtig beurteilen oder wahrnehmen sogar. Ich meine jetzt Bruckner, Mahler, Schönberg und so weiter, das von der musikalischen Seite. Ich glaube, das ist unumstritten.
Von der menschlichen Seite war es ein schrecklicher Mensch. Er war ein großer Antisemit, auch unumstritten. Aber das war nie das Problem. Man hat Wagner in Tel Aviv noch 1936 gespielt. Man hat aufgehört, Wagner zu spielen in, was heute Israel ist, am 10. November 1938, nach der Kristallnacht. Das heißt, wegen der Assoziationen, die die Nazis sozusagen mit seiner Musik oder mit seinen Ideen erweckt hatten, und das finde ich einfach, muss ich ehrlich sagen, falsch, nachzugeben, zu einer Nostalgie, zu Assoziationen, die wirklich von Mördern geschaffen waren.
Es gibt Menschen, die diese Musik nicht hören wollen oder können, ist doch selbstverständlich und klar. Und es gibt keinen Grund auf dieser Welt, diese Menschen zu zwingen, diese Musik zu hören. Aber es gibt Millionen von Menschen, die Gott sei Dank nicht solche schreckliche Assoziationen haben, und die sollen das Recht haben, es zu hören. Deswegen finde ich dieses Tabu in Israel eigentlich nicht richtig. Und was unseres Orchester betrifft, ich muss Ihnen sagen, vor drei Jahren, es waren genau die israelischen Mitglieder des Orchesters, die mich gebeten haben, Wagner zu spielen.
Und dann hatten wir mit dem ganzen Orchester, das heißt Israelis, Palästinenser und Syrier, Ägypter und so weiter, andere, alle arabischen Länder sind im Orchester repräsentiert, und wir hatten dann Diskussionen über die ganze Thematik Wagner, und dann hat das Orchester abgestimmt. Und seitdem spielen wir Wagner.
Karkowski: Aber, Herr Barenboim, mal ehrlich, geht es Ihnen da wirklich nur um die musikalische Entscheidung, oder ist es vielleicht so ein bisschen die Lust an der Provokation, der Rebell in Ihnen, der Trotzkopf, der Wagner spielen will?
Barenboim: Nein, ich sehe mich selber nicht als Provokateur. Aber ich sehe mich als jemand, der zu einer Sache steht, auch wenn sie nicht richtig wahrgenommen ist. Wissen Sie, es gibt ein bisschen einen kleinen vulgären Satz über Wagner, und vielleicht Sie und Ihre Hörer werden mir verzeihen, dass ich das im Rundfunk sage.
Es war Thomas Beecham, der große englische Dirigent, der kurz nach dem Krieg, Ende 1945 oder 1946 dirigierte Wagner in Covern Garden in London. Und da hat ihn ein Journalist gefragt, sagen Sie, Sir Thomas, wieso spielen so kurz nach diesem schrecklichen Krieg diese Musik? Da hat er gesagt, weil ein verrückter Hund auf Buckingham Palace pinkelt, bringt man Buckingham Palace nicht runter. Das ist ein bisschen vulgär, und Sie verzeihen mir das, ja. Aber Sie wissen, was ich meine damit.
Karkowski: Ja. Sie hören Daniel Barenboim im Deutschlandradio Kultur. Mit seinem Divan Orchester gastiert er morgen in der Berliner Waldbühne. Die Schirmherrschaft hat Angela Merkel übernommen. Herr Barenboim, hoffentlich bringt sie mehr als einen Schirm mit. Wir wissen noch nicht, wie das Wetter werden wird?
Barenboim: Hahaha! Na ja, sie soll wenigstens den Schirm bringen und ihren Mann. Das ist ein Schirmherr. Hahaha!
Karkowski: Außerdem kann man Sie in Berlin regelmäßig im eigenen Hause sehen, in der Staatsoper Unter den Linden in einer Matinee-Reihe am 21. September, etwa mit Thomas Quasthoff in einem, wie ich lesen durfte, Konzertsaal mit der schlechtesten Akustik der Stadt. Wie geht es denn da eigentlich mit dem Umbau weiter?
Barenboim: Das ist groß übertrieben. Sehen Sie, Sie zwingen mich zur Provokation oder vielleicht sind Sie eigentlich der Provokateur.
Karkowski: Schon möglich.
Barenboim: Ich glaube, das ist die Flucht nach vorne, die Sie da machen, weil: die Staatsoper war nie bezeichnet als die schlechteste Akustik Berlins, das stimmt nicht. Dass die Akustik zu verbessern ist, ist doch klar. Aber dann muss man dazu auch sagen, das betrifft nicht die Kammermusikkonzerte und die Klavierabende, die klingen phänomenal.
Karkowski: Die Umbaupläne, die sind aber doch hauptsächlich entstanden wegen der Akustik. War das nicht so?
Barenboim: Nicht nur, nein, nein. Auch die Technik, die ganze Technik ist marode. Nein, nein. Es gibt einen generellen Bedarf zur Sanierung schon seit mehreren Jahren.
Karkowski: Wie geht es dann da jetzt weiter? Es gab da diesen Streit, historisches Ambiente erhalten, gleichzeitig den Klang verbessern. Beides gemeinsam wäre schwierig, hieß es. Was ist da entschieden?
Barenboim: Es ist entschieden, das Ambiente so zu lassen, wie es baulich war. Ich persönlich bin etwas traurig darüber, weil ich dachte, das wäre eine historische Chance gewesen, genau in Berlin, die wieder gebaut ist, die wieder zusammenkommt, etwas, dass die Vergangenheit mit der Zukunft bindet. Man hätte ein Ambiente machen können, das mit der Vergangenheit zu tun hatte, und trotzdem einen architektonischen Bau für die Menschen in 2030 oder 2050, und für die bauen wir das auf. Nicht für heute oder für nächstes Jahr.
Insofern bin ich persönlich etwas traurig darüber. Aber der wichtigste Punkt natürlich ist die Akustik und die Sicht. Wir haben viel zu viele Plätze mit schlechter Sicht, etwa 300 in einem Saal von 1400, werden Sie mir zustimmen, das ist ein bisschen zu hoch, ist für 300 Plätze in einem Saal von 1400, wo man wirklich sehr schlecht sieht.
Das muss man verbessern, und die Akustik muss man auch wieder verbessern. Das Dach war früher höher, und dadurch gab es ein größeres Volumen im Klang. In dem Moment, wo Sie das Volumen nicht haben, haben Sie einen trockneren Klang. Und das ist die Kritik, die man an die Staatsoper bringt.
Karkowski: Herr Barenboim, hier kommt noch eine Provokation. Heiner Müller hat Ihnen mal nach der Lektüre eines Ihrer Bücher bescheinigt, Sie seien kein Heine. Dennoch gibt es jetzt ein neues Buch von Ihnen, "Klang ist Leben - Die Macht der Musik". Sie schreiben darin, über Musik kann man nicht sprechen, und tun es trotzdem. Warum?
Barenboim: Nein, was ich geschrieben habe und was ich meine damit, ist, dass wenn wir über Musik sprechen, sprechen wir eigentlich nicht über Musik, sondern über unsere Reaktion zur Musik. Das ist das, was ich geschrieben habe. Und das ist das, was ich meine. Wenn wir uns über ein Stück unterhalten und Sie sagen mir, das Stück ist melancholisch, das Stück ist natürlich nicht melancholisch. Es ist melancholisch, weil Sie in dem Moment das als melancholisch wahrnehmen.
Hören Sie das gleiche Stück in einer heiteren Stimmung, werden Sie mir nicht sagen, das Stück ist melancholisch. Wenn Sie sagen, das Stück ist melancholisch, sprechen Sie nicht über Musik, sondern über Ihre Wahrnehmung. Das ist das, was damit gemeint war.
Karkowski: Und "Die Macht der Musik" ist der Untertitel Ihres Buches. Damit kommen wir wieder zurück an den Anfang unseres Gespräches. Welche Macht hat denn eigentlich Ihr West-Eastern Divan Orchestra?
Barenboim: Nein, nein. Moment, Moment, Moment. Entschuldigen Sie, Provokation okay, falsch nicht. Die Macht der Musik nicht auf die Welt, sondern auf den Menschen. Das ist was ganz anderes. Ich meine damit nicht Macht auf Krieg und Frieden oder solche Sachen.
Karkowski: Nein, das habe ich auch gar nicht so verstanden.
Barenboim: Na ja, aber es klang so, entschuldigen Sie. Sehen Sie, Sie haben sich so provokativ vorgestellt, ich muss mich sofort verteidigen, bevor Sie mich attackieren.
Karkowski: Nein, da muss ich mich entschuldigen, Herr Barrenboim. Das das war nicht so gemeint.
Barenboim: Nein, nein. Aber das ist das, was gemeint ist, weil, erlauben Sie mir nur einen kleinen Satz darüber, weil ich finde, die Musik wird oft genommen als ein Mittel, um die Welt zu vergessen. Man kommt müde nach Hause nach einem schweren Tag im Büro, man hatte Krach mit der Frau oder mit der Freundin oder vielleicht mit beiden, und man war beim Steuerberater, der hat auch schlechte Nachrichten gehabt. Man war beim Zahnarzt und so weiter.
Man kann dann müde nach Hause, man tut eine CD rein und hört die Lieblingsmusik und damit vergisst man den ganzen Tag. Ist auch richtig, warum nicht? Aber die Musik für mich hat auch eine Macht auf den Menschensinn. Durch die Musik und mit der Musik kann so viel über uns selber und über die Welt lernen, so meine ich. Das Orchester wurde sehr oft als Orchester für den Frieden betrachtet, und das ist natürlich sehr schmeichelhaft. Aber ich bin nicht so blauäugig, dass ich denke, ein Orchester kann den Frieden bringen. Aber ein Orchester kann gegen die Ignoranz kämpfen, die Ignoranz, die auf beiden Seiten herrscht, wo man so wenig weiß über den anderen, über die Erzählung der anderen und so weiter.
Und in diesem Orchester, durch die Musik, lernt man nicht nur, sich selbst auszudrücken, sondern dem anderen zuzuhören. Das macht man im Orchester jede Sekunde, wo man im Orchester spielt. Und das ist auch eine Lehre für das Leben.
Karkowski: Dann wünschen wir allen, die ein Ticket haben für die Waldbühne morgen, viel Spaß. Heute war er Gesprächsgast im "Radiofeuilleton", Daniel Barenboim, morgen mit dem Divan Orchester in der Waldbühne in Berlin. Herr Barenboim, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Barenboim: Ich danke Ihnen!
Daniel Barenboim: Guten Tag!
Karkowski: Herr Barenboim, ich könnte auch sagen, den Friedensbotschafter der UNO, den argentinisch-israelischen Weltklassepianisten, den Stardirigenten, den Harvard-Dozenten, den Ehrenbürger Palästinas und den Leiter des West-Eastern Divan Orchestra.
Barenboim: Ach, hören Sie auf, ich werde müde, wenn ich das alles höre!
Karkowski: Sie treten ja mit diesem Orchester morgen in der Waldbühne auf, Herr Barenboim, spielen dort Richard Wagner in einer von den Nazis 1936 gebauten Bühne. Warum diese Musik, warum ausgerechnet dort?
Barenboim: Na ja, ausgerechnet dort, weil die Staatsoper ist noch zu und die Philharmonie ist auch noch zu. Und dann kam die Überlegung, lassen wir Berlin überhaupt weg oder spielen wir in der Waldbühne. Und dann war ich der Meinung, wir sollten in der Waldbühne spielen, weil Berlin bedeutet sehr viel für uns alle, für mich sowieso, aber auch für das Orchester inzwischen. Und wir hatten ein Programm mit der Vierten Sinfonie von Brahms und die Schönberg-Variationen, etwas nicht unbedingt für die Waldbühne passend.
Aber das andere Programm war mit dem ersten Akt der "Walküre". Und dann haben wir gedacht, warum nicht, das ist eigentlich ideal dafür. Wagner ist ein sehr wichtiger Komponist, auch historisch gesehen. Ohne Wagner zu kennen und zu verstehen, kann man eigentlich nicht alles, was danach kam, richtig beurteilen oder wahrnehmen sogar. Ich meine jetzt Bruckner, Mahler, Schönberg und so weiter, das von der musikalischen Seite. Ich glaube, das ist unumstritten.
Von der menschlichen Seite war es ein schrecklicher Mensch. Er war ein großer Antisemit, auch unumstritten. Aber das war nie das Problem. Man hat Wagner in Tel Aviv noch 1936 gespielt. Man hat aufgehört, Wagner zu spielen in, was heute Israel ist, am 10. November 1938, nach der Kristallnacht. Das heißt, wegen der Assoziationen, die die Nazis sozusagen mit seiner Musik oder mit seinen Ideen erweckt hatten, und das finde ich einfach, muss ich ehrlich sagen, falsch, nachzugeben, zu einer Nostalgie, zu Assoziationen, die wirklich von Mördern geschaffen waren.
Es gibt Menschen, die diese Musik nicht hören wollen oder können, ist doch selbstverständlich und klar. Und es gibt keinen Grund auf dieser Welt, diese Menschen zu zwingen, diese Musik zu hören. Aber es gibt Millionen von Menschen, die Gott sei Dank nicht solche schreckliche Assoziationen haben, und die sollen das Recht haben, es zu hören. Deswegen finde ich dieses Tabu in Israel eigentlich nicht richtig. Und was unseres Orchester betrifft, ich muss Ihnen sagen, vor drei Jahren, es waren genau die israelischen Mitglieder des Orchesters, die mich gebeten haben, Wagner zu spielen.
Und dann hatten wir mit dem ganzen Orchester, das heißt Israelis, Palästinenser und Syrier, Ägypter und so weiter, andere, alle arabischen Länder sind im Orchester repräsentiert, und wir hatten dann Diskussionen über die ganze Thematik Wagner, und dann hat das Orchester abgestimmt. Und seitdem spielen wir Wagner.
Karkowski: Aber, Herr Barenboim, mal ehrlich, geht es Ihnen da wirklich nur um die musikalische Entscheidung, oder ist es vielleicht so ein bisschen die Lust an der Provokation, der Rebell in Ihnen, der Trotzkopf, der Wagner spielen will?
Barenboim: Nein, ich sehe mich selber nicht als Provokateur. Aber ich sehe mich als jemand, der zu einer Sache steht, auch wenn sie nicht richtig wahrgenommen ist. Wissen Sie, es gibt ein bisschen einen kleinen vulgären Satz über Wagner, und vielleicht Sie und Ihre Hörer werden mir verzeihen, dass ich das im Rundfunk sage.
Es war Thomas Beecham, der große englische Dirigent, der kurz nach dem Krieg, Ende 1945 oder 1946 dirigierte Wagner in Covern Garden in London. Und da hat ihn ein Journalist gefragt, sagen Sie, Sir Thomas, wieso spielen so kurz nach diesem schrecklichen Krieg diese Musik? Da hat er gesagt, weil ein verrückter Hund auf Buckingham Palace pinkelt, bringt man Buckingham Palace nicht runter. Das ist ein bisschen vulgär, und Sie verzeihen mir das, ja. Aber Sie wissen, was ich meine damit.
Karkowski: Ja. Sie hören Daniel Barenboim im Deutschlandradio Kultur. Mit seinem Divan Orchester gastiert er morgen in der Berliner Waldbühne. Die Schirmherrschaft hat Angela Merkel übernommen. Herr Barenboim, hoffentlich bringt sie mehr als einen Schirm mit. Wir wissen noch nicht, wie das Wetter werden wird?
Barenboim: Hahaha! Na ja, sie soll wenigstens den Schirm bringen und ihren Mann. Das ist ein Schirmherr. Hahaha!
Karkowski: Außerdem kann man Sie in Berlin regelmäßig im eigenen Hause sehen, in der Staatsoper Unter den Linden in einer Matinee-Reihe am 21. September, etwa mit Thomas Quasthoff in einem, wie ich lesen durfte, Konzertsaal mit der schlechtesten Akustik der Stadt. Wie geht es denn da eigentlich mit dem Umbau weiter?
Barenboim: Das ist groß übertrieben. Sehen Sie, Sie zwingen mich zur Provokation oder vielleicht sind Sie eigentlich der Provokateur.
Karkowski: Schon möglich.
Barenboim: Ich glaube, das ist die Flucht nach vorne, die Sie da machen, weil: die Staatsoper war nie bezeichnet als die schlechteste Akustik Berlins, das stimmt nicht. Dass die Akustik zu verbessern ist, ist doch klar. Aber dann muss man dazu auch sagen, das betrifft nicht die Kammermusikkonzerte und die Klavierabende, die klingen phänomenal.
Karkowski: Die Umbaupläne, die sind aber doch hauptsächlich entstanden wegen der Akustik. War das nicht so?
Barenboim: Nicht nur, nein, nein. Auch die Technik, die ganze Technik ist marode. Nein, nein. Es gibt einen generellen Bedarf zur Sanierung schon seit mehreren Jahren.
Karkowski: Wie geht es dann da jetzt weiter? Es gab da diesen Streit, historisches Ambiente erhalten, gleichzeitig den Klang verbessern. Beides gemeinsam wäre schwierig, hieß es. Was ist da entschieden?
Barenboim: Es ist entschieden, das Ambiente so zu lassen, wie es baulich war. Ich persönlich bin etwas traurig darüber, weil ich dachte, das wäre eine historische Chance gewesen, genau in Berlin, die wieder gebaut ist, die wieder zusammenkommt, etwas, dass die Vergangenheit mit der Zukunft bindet. Man hätte ein Ambiente machen können, das mit der Vergangenheit zu tun hatte, und trotzdem einen architektonischen Bau für die Menschen in 2030 oder 2050, und für die bauen wir das auf. Nicht für heute oder für nächstes Jahr.
Insofern bin ich persönlich etwas traurig darüber. Aber der wichtigste Punkt natürlich ist die Akustik und die Sicht. Wir haben viel zu viele Plätze mit schlechter Sicht, etwa 300 in einem Saal von 1400, werden Sie mir zustimmen, das ist ein bisschen zu hoch, ist für 300 Plätze in einem Saal von 1400, wo man wirklich sehr schlecht sieht.
Das muss man verbessern, und die Akustik muss man auch wieder verbessern. Das Dach war früher höher, und dadurch gab es ein größeres Volumen im Klang. In dem Moment, wo Sie das Volumen nicht haben, haben Sie einen trockneren Klang. Und das ist die Kritik, die man an die Staatsoper bringt.
Karkowski: Herr Barenboim, hier kommt noch eine Provokation. Heiner Müller hat Ihnen mal nach der Lektüre eines Ihrer Bücher bescheinigt, Sie seien kein Heine. Dennoch gibt es jetzt ein neues Buch von Ihnen, "Klang ist Leben - Die Macht der Musik". Sie schreiben darin, über Musik kann man nicht sprechen, und tun es trotzdem. Warum?
Barenboim: Nein, was ich geschrieben habe und was ich meine damit, ist, dass wenn wir über Musik sprechen, sprechen wir eigentlich nicht über Musik, sondern über unsere Reaktion zur Musik. Das ist das, was ich geschrieben habe. Und das ist das, was ich meine. Wenn wir uns über ein Stück unterhalten und Sie sagen mir, das Stück ist melancholisch, das Stück ist natürlich nicht melancholisch. Es ist melancholisch, weil Sie in dem Moment das als melancholisch wahrnehmen.
Hören Sie das gleiche Stück in einer heiteren Stimmung, werden Sie mir nicht sagen, das Stück ist melancholisch. Wenn Sie sagen, das Stück ist melancholisch, sprechen Sie nicht über Musik, sondern über Ihre Wahrnehmung. Das ist das, was damit gemeint war.
Karkowski: Und "Die Macht der Musik" ist der Untertitel Ihres Buches. Damit kommen wir wieder zurück an den Anfang unseres Gespräches. Welche Macht hat denn eigentlich Ihr West-Eastern Divan Orchestra?
Barenboim: Nein, nein. Moment, Moment, Moment. Entschuldigen Sie, Provokation okay, falsch nicht. Die Macht der Musik nicht auf die Welt, sondern auf den Menschen. Das ist was ganz anderes. Ich meine damit nicht Macht auf Krieg und Frieden oder solche Sachen.
Karkowski: Nein, das habe ich auch gar nicht so verstanden.
Barenboim: Na ja, aber es klang so, entschuldigen Sie. Sehen Sie, Sie haben sich so provokativ vorgestellt, ich muss mich sofort verteidigen, bevor Sie mich attackieren.
Karkowski: Nein, da muss ich mich entschuldigen, Herr Barrenboim. Das das war nicht so gemeint.
Barenboim: Nein, nein. Aber das ist das, was gemeint ist, weil, erlauben Sie mir nur einen kleinen Satz darüber, weil ich finde, die Musik wird oft genommen als ein Mittel, um die Welt zu vergessen. Man kommt müde nach Hause nach einem schweren Tag im Büro, man hatte Krach mit der Frau oder mit der Freundin oder vielleicht mit beiden, und man war beim Steuerberater, der hat auch schlechte Nachrichten gehabt. Man war beim Zahnarzt und so weiter.
Man kann dann müde nach Hause, man tut eine CD rein und hört die Lieblingsmusik und damit vergisst man den ganzen Tag. Ist auch richtig, warum nicht? Aber die Musik für mich hat auch eine Macht auf den Menschensinn. Durch die Musik und mit der Musik kann so viel über uns selber und über die Welt lernen, so meine ich. Das Orchester wurde sehr oft als Orchester für den Frieden betrachtet, und das ist natürlich sehr schmeichelhaft. Aber ich bin nicht so blauäugig, dass ich denke, ein Orchester kann den Frieden bringen. Aber ein Orchester kann gegen die Ignoranz kämpfen, die Ignoranz, die auf beiden Seiten herrscht, wo man so wenig weiß über den anderen, über die Erzählung der anderen und so weiter.
Und in diesem Orchester, durch die Musik, lernt man nicht nur, sich selbst auszudrücken, sondern dem anderen zuzuhören. Das macht man im Orchester jede Sekunde, wo man im Orchester spielt. Und das ist auch eine Lehre für das Leben.
Karkowski: Dann wünschen wir allen, die ein Ticket haben für die Waldbühne morgen, viel Spaß. Heute war er Gesprächsgast im "Radiofeuilleton", Daniel Barenboim, morgen mit dem Divan Orchester in der Waldbühne in Berlin. Herr Barenboim, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Barenboim: Ich danke Ihnen!