Wagner-Chef Prigoschin

Rivale des russischen Militärs

24:11 Minuten
Ein Wandgemälde, das Söldner der russischen Gruppe Wagner darstellt und die Beschriftung „Wagner-Gruppe – Russische Ritter“ trägt. Das Bild findet sich an einer Wand in Belgrad, Serbien und wurde im September 2022 aufgenommen.
Wandbild in Belgrad: Auch in Serbien rekrutiert Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, der lange Zeit im Verborgenen agierte, Söldner für seine Truppe. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Darko Vojinovic
Von Gesine Dornblüth und Andre Zantow · 30.01.2023
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Er kritisiert Russlands Militär in der Ukraine, inszeniert seine Söldnertruppe als „erfahrenste Armee der Welt“. Die Gruppe Wagner hätte Soledar allein eingenommen, so Jewgeni Prigoschin. Das wirft für Präsident Wladimir Putin unangenehme Fragen auf.
Eine Fahrt durch Ruinen, gefilmt aus dem Autofenster. Kahle Häuserwände, verkohlte Baumstämme, ein ausgebranntes rotes Auto, Schutt. Die Bilder sollen die Stadt Soledar im Osten der Ukraine zeigen. Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldnergruppe Wagner, hat sie Mitte Januar veröffentlicht. Prigoschin behauptet, seine Männer hätten Soledar eingenommen.
„Die Wagner-Kämpfer sind wahrscheinlich die erfahrenste Armee der Welt“, sagt er. „Sie erfüllen alle Aufgaben selbstständig. Sie haben Flugzeuge und heldenhafte Piloten, die den Tod nicht fürchten. Sie haben alle möglichen Typen von Mehrfachraketenwerfern, Flugabwehrsysteme, Artillerie aller Kaliber, Panzer, Schützenpanzer und Sturmtruppen, die praktisch ihres gleichen suchen.“

Wagner-Söldner am Boden, Militär aus der Luft

Unabhängige Experten bestätigen, dass die Wagner-Gruppe gut ausgerüstet ist. Ob sie in Soledar allerdings ganz ohne die reguläre russische Armee auskam, ist unklar.
Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow versicherte: „Die Einnahme von Soledar war möglich, weil Positionen des Gegners in der Stadt permanent beschossen wurden. Dies geschah durch Bodenkampfflugzeuge und Artillerieeinheiten der russischen Armee.“
Ein gemeinsames Vorgehen der Wagner-Kämpfer und des regulären russischen Militärs wäre nicht neu. Schon in Syrien kämpften Prigoschins Leute am Boden, während Kampfjets der russischen Luftwaffe von oben bombardierten.
In einigen afrikanischen Staaten dagegen agierten und agieren Wagner-Söldner weitgehend selbstständig. In Libyen konnten sie vor einigen Jahren den Konfliktverlauf erheblich zugunsten des von Russland unterstützten Generals Chalifa Haftar beeinflussen und die dortige international anerkannte Regierung Libyens schwächen.

Rekrutierung aus Gefängnissen seit 2022

In den ersten Jahren meldeten sich vor allem Freiwillige für die Wagner-Gruppe, die bereits früher in bewaffneten Konflikten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gekämpft hatten, in Tschetschenien oder in Georgien zum Beispiel. Prigoschin zahlte mehr als die reguläre russische Armee.
Seit Sommer 2022 hat er außerdem massenhaft Gefangene aus russischen Haftanstalten angeworben. Zigtausende sollen es sein. Gegen die Ukraine kämpfen also rechtskräftig verurteilte Verbrecher, darunter Mörder ebenso wie Vergewaltiger. Prigoschin verspricht ihnen Freiheit, sollten sie ein halbes Jahr an der Front überleben – das geht aus einem Video von einem seiner Besuche in einer Strafkolonie hervor, das im Herbst publik wurde. Zugleich droht er den Leuten.

Der Krieg ist hart. Mit denen in Tschetschenien ist er nicht vergleichbar. Ich verbrauche zweieinhalbmal so viel Munition wie die Rote Armee in Stalingrad. Wir brauchen nur Sturmtruppen. 60 Prozent meiner Leute sind im Angriff, ihr werdet zu ihnen gehören. Wer dann sagt, er sei dort falsch, den betrachten wir als Deserteur. Er wird erschossen.

Jewgeni Prigoschin, Chef der Gruppe Wagner

Hinrichtungen bei Wagner-Söldnern

Und das sind keine leeren Drohungen. Einem Überläufer wurde mit einem Vorschlaghammer brutal der Kopf eingeschlagen, mutmaßlich von Männern der Gruppe Wagner. Das Ganze wurde gefilmt und das Video vor einigen Wochen im Internet verbreitet.
Ein nach Norwegen geflohener mutmaßlicher ehemaliger Kommandeur der Wagner-Gruppe sprach kürzlich von zehn Hinrichtungen, die er miterlebt habe. Die Menschenrechtlerin Olga Romanowa von der russischen Gefangenenhilfsorganisation „Russland hinter Gittern“ bestätigt im polnischen Fernsehsender Belsat:
„Die Episode mit dem Vorschlaghammer kennen mittlerweile alle. Häftlinge berichten, dass ihnen auf Mobilgeräten mindestens vier weitere Videos von Hinrichtungen gezeigt werden, drei per Genickschuss, eine Person wurde erhängt.“

Verlustreiche Angriffstaktik

Der britische Militärgeheimdienst beschreibt die Taktik der Wagner-Kämpfer so: Die ehemaligen Gefangenen werden mit einem Tablet vorgeschickt, auf dem die Route markiert ist, der sie folgen sollen – selbst wenn sie unter ukrainischen Beschuss geraten. Die Kommandeure überwachen den Angriff aus sicherer Entfernung mit Drohnen. Wer vom Kurs abweicht, riskiert die Hinrichtung.
Die Verluste unter den Wagner-Kämpfern sind dementsprechend hoch, beobachtet auch der ukrainische Reporter Illia Ponomarenko von der „Kyiv Independent“ an der Front.
„Die Wagner-Gruppe greift in Formationen von zwölf Männern an“, erklärt er. Früher sei die Gruppenstärke noch größer gewesen, so Ponomarenko, aber dementsprechend auch die Verluste. „Von diesen Formationen wird eine Welle nach der nächsten geschickt, bis zu acht am Tag. Danach kommen noch besser ausgebildete Infanteristen hinterher. Das erschöpft die ukrainischen Kräfte – was die menschliche Kraft angeht, aber auch die Munition.“

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Olga Romanowa von „Russland hinter Gittern“ sagt, nur ein Fünftel der in den Haftanstalten angeworbenen Männer sei noch bei der Truppe, die restlichen seien tot, verletzt, verschollen, hätten sich ergeben oder seien desertiert.
Die Einnahme von Soledar sieht Reporter Ponomarenko aber noch nicht als Wendepunkt: „Das ist ein taktischer Rückzug der ukrainischen Truppen.“ Das eigentliche Ziel sei das nahe gelegene Bachmut. Um diese regional bedeutende Stadt sei die Gruppe Wagner seit mindestens vergangenem August aktiv, aber sie hätte bisher „keine wirklich substanziellen Ergebnisse erreicht“. Es gebe Gerüchte, dass der Kreml darüber nicht sehr glücklich sei.

Prigoschin war neun Jahre in Haft

Auf große Fachkenntnisse, was Kriegsführung betrifft, kann Prigoschin nicht verweisen. In seiner Jugend in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, war er an zahlreichen Raubüberfällen beteiligt.
Als er im März 1980 mit drei Männern eine Frau vor einem Restaurant überfällt und bis zur Bewusstlosigkeit würgt, um ihre Stiefel und goldenen Ohrringe zu stehlen, ist er gerade 18. Er wird gefasst und muss ins Gefängnis.
Der russische Oppositionelle und Kämpfer gegen Korruption Alexej Nawalny war 2016 einer der ersten, der offen über diesen Mann und dessen kriminelle Vergangenheit sprach: „Insgesamt hat er neun Jahre hinter Gittern verbracht. Nicht der beste Start für eine Erfolgsstory, nicht wahr? Aber dann zerfiel die Sowjetunion, der Kapitalismus brach an, und Prigoschin wurde Geschäftsmann.“

Reich durch Staatsaufträge

Prigoschin machte zunächst ein Lebensmittelgeschäft auf, dann ein Restaurant und er hatte Glück – oder Beziehungen, schildert Nawalny: „In dieses Restaurant kam 2001 Wladimir Putin. Der Chef bewirtete ihn persönlich und zog Aufmerksamkeit auf sich. Er freundete sich zunächst mit Putins Fahrer an, dann mit dessen Leibwächter und dann wurde er so eine Art Hofnarr.“
Putin war da bereits Staatspräsident. Prigoschin lieferte das Catering zu Putins Geburtstagsfeier und zu diversen Banketten im Kreml. Daher der Spitzname „Putins Koch“.
Reich wurde er – so hat es Nawalny recherchiert – mit Massenaufträgen vom Staat: Er lieferte Essen an Kindergärten, Schulen, die russische Armee.
Mit der Gründung seiner sogenannten „Petersburger Trollfabrik“ konnte sich Prigoschin bei Putin revanchieren. Dort verbreiten Lohnschreiber in westlichen Online-Foren russische Propaganda.
Prigoschin baute ein eigenes Medienimperium mit dem Namen „Patriot“ auf und er gründete seine eigene Armee, die sogenannte Gruppe Wagner.

Gruppe Wagner stützt korruptes Regime in Afrika

Auch sie nutzte Prigoschin unter anderem aus geschäftlichem Interesse. Zum Beispiel in Syrien, wo die Wagner-Gruppe, russischen Medienberichten zufolge, den Zugang zu Ölquellen sicherte und Prigoschin im Gegenzug eine Beteiligung an den Öleinnahmen erhalten haben soll. Oder in der Zentralafrikanischen Republik, wo die Wagner-Söldner keineswegs nur die Soldaten des Landes trainierten.
Der russische unabhängige Militärexperte Ruslan Lewijew vom Conflict Intelligence Team sagte diesem Sender bereits vor Jahren: „In der Zentralafrikanischen Republik gibt es eine Goldmine und Diamanten. Vertreter der Wagner-Gruppe haben mit Aufständischen verhandelt, mit verschiedenen Rebellengruppen, um sich mit ihnen über die Rohstoffförderung zu einigen.“
Kürzlich berichtete die „Süddeutsche Zeitung“, wie Angehörige der Wagner-Gruppe in der Zentralafrikanischen Republik ein korruptes Regime stützen, die Zivilbevölkerung terrorisieren und im Gegenzug Rohstoffe ausbeuten.

Eine Stellung außerhalb des Gesetzes

Jewgeni Prigoschin agierte lange Zeit im Verborgenen. Erst im vergangenen Herbst outete er sich als Eigentümer der Wagner-Gruppe – und brüstete sich mit deren militärischen Erfolgen in der Ukraine. Offenbar habe er nach den geschäftlichen nun politische Ambitionen entwickelt, meinen Kommentatoren. So übte Prigoschin teils heftige Kritik am russischen Verteidigungsministerium und am Generalstab: „Wenn du im warmen Büro sitzt, sind die Probleme an der Front schwer zu hören.“
Zugleich bleibt Prigoschin loyal gegenüber Putin. Der wiederum ernannte kürzlich den von Prigoschin kritisierten Generalstabschef Waleri Gerassimow auch zum Oberbefehlshaber für den Krieg gegen die Ukraine. Kommentatoren sprachen von einem Dämpfer für Prigoschin.
Eines aber ist klar: Mit der Praxis, verurteilte Schwerverbrecher vorzeitig aus der Haft herauszuholen und sie nach dem Dienst an der Front quasi zu begnadigen, hat Prigoschin sich eine Stellung außerhalb des Gesetzes erworben.
Ebenso ist es in Russland eigentlich verboten eine Privatarmee zu haben, kritisiert auch das Recherchenetzwerk OCCRP. Sie vergab kürzlich an Prigoschin ihren Negativpreis „Person des Jahres“ im Bereich organisiertes Verbrechen und Korruption.
Zur Begründung sagte Ilya Lozovsky vom OCCRP:„Progoschin steht exemplarisch für alles, was in der russischen Regierung, so dunkel, korrupt, gewalttätig und gesetzlos ist.“
Aktuell bereitet auch noch die Staatsduma ein Gesetz vor, das jegliche Kritik an Angehörigen der Wagner-Gruppe verbietet – auf Bitten Prigoschins. Die russische Menschenrechtlerin Olga Romanowa bezeichnet ihn als „Vierte Gewalt“ in Russland.
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