Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg"

Geniale Frechheit gegen starre Regeln

Karikatur des Komponisten Richard Wagner (1813-1883).
Richard Wagner komponierte "Die Meistersinger von Nürnberg" als launiges Gegenstück zu seinem "Tannhäuser". © Imago / Leemage
Von Wolfgang Schreiber |
Am 21. Juni 1868 wurde Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" zum ersten Mal gespielt. Allzu oft wurde sie als eine deutsche Nationaloper missverstanden. Heute noch sind die "Meistersinger" ein kulturelles Streitobjekt.
Gewaltig im Ton, forsch in der Gangart, so dröhnt das Vorspiel zu den "Meistersingern von Nürnberg" ins Bayreuther Festspielhaus. Aber Richard Wagners Oper über den Schuster und Meistersänger Hans Sachs und dessen Zunftgenossen hat ihre Tücken. Das Nürnberg des 16. Jahrhunderts plus Wagners "Kunstwerk der Zukunft", das ergibt eine zwiespältige Gemengelage aus Volkstümlichkeit und Erotik, Humor und Nationalstolz.
Von München aus, wo die "Meistersinger" am 21. Juni 1868 unter Begeisterungsstürmen aus der Taufe gehoben wurden, verbreitete sich rasch der trügerische Ruf einer deutschen Nationaloper. Im Mittelpunkt eine Art Sängerkrieg − zwölf verknöcherte Nürnberger Meistersänger unterliegen einem hereingeschneiten Newcomer, der die starren Sangesregeln mit genialer Frechheit durchbricht, am Ende siegt und damit eine hübsche Meister-Tochter erobert.
Nur Meister Sachs erkennt die geniale Kreativität des jungen Künstlers der Zukunft, Wagners Selbstporträt übrigens. Es gibt einen Verlierer in der dramatischen Komödie, den Regelfuchser Beckmesser, eine verzerrte Projektion von Wagners Antisemitismus. Friedrich Nietzsche, der abgefallene Wagner-Freund, hat wohl als Erster die Verluste in dieser Oper dingfest gemacht.
"Alles in allem keine Schönheit, kein Süden, nichts von südlicher Helligkeit des Himmels, nichts von Grazie, kein Tanz, kaum ein Wille zur Logik; eine gewisse Plumpheit sogar, etwas Willkürlich-Barbarisches und Feierliches … Etwas Deutsches im besten und schlimmsten Sinne des Wortes."
Vaterlandsliebe oder militantes Deutschtum?
Also Deutschtümelei, Chauvinismus − der Stolz des Wagnerianers von einst? Sture Patrioten, die Nationalsozialisten und der Bayreuther Stammgast Adolf Hitler feierten in den "Meistersingern" die deutsche Hybris und Arroganz. Zentrale Fundstelle dafür ist das Jubelfinale der Oper, eine Art Oktobervolksfest der Nürnberger Zünfte und ihrer Meister. Hans Sachs allein wittert da die Gefahr. In seiner Schlussansprache warnt er, mit humorigen Reimen, das brave Volk vor Krisen und Verlusten, sogar vor der Überfremdung deutscher Kunst. Wörtlich:
"Drum sag’ ich euch: / ehrt eure deutschen Meister! / Dann bannt ihr gute Geister. / Und gebt ihr ihrem Wirken Gunst, / zerging in Dunst / das heil’ge röm’sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil’ge deutsche Kunst!"
Das Meistersinger-Problem bis heute: Die Vaterlandsliebe des Sachs wird in militantes Deutschtum umgebogen. Opernregisseure denken darüber längst nach. Peter Konwitschny riskierte 2002 bei seiner Hamburger Inszenierung einen Eklat, als er die Aufführung unterbrechen und die Darsteller minutenlang auf offener Bühne die fatale Wirkung dieser Oper diskutieren ließ.
Tatsache ist: Wagners "Meistersinger" sind kein Modell für Nationalismus oder Chauvinismus. Die wahre Größe, die Essenz des Stücks liegt woanders − in der tiefen Melancholie des Schusters und Philosophen Hans Sachs. Mit seinem altersweisen, zuletzt sogar heiteren Pessimismus erkennt Sachs den Wahn und die Illusionen des Lebens, selbst im buntesten und lautesten Treiben der Menschen: auf ihrem Volksfest.
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