Wagners "Tannhäuser" in der Provinz

Von Ullrich Bohn |
Wagner-Opern brauchen Platz und erfordern viel Aufwand. Damit scheiden von vornherein eigentlich kleinere Bühnen, das heißt ein Stadttheater, für Aufführungen von Wagner-Opern aus. Außer, ein Richard-Wagner-Verband setzt alles daran, es dennoch zu versuchen - wie beispielsweise in Minden.
Wagner in der Provinz? - Wie viele Opernfreunde ziehen da nicht gleich mit äußerst skeptischer Miene die Augenbrauen hoch. Das kann doch gar nicht gut gehen. Bei den Ansprüchen! - Und in der Tat ist, gelinde gesagt, eine gehörige Portion Wahnsinn mit ihm Spiel, Richard Wagners große romantische Oper "Tannhäuser" auf eine mickrige, gerade mal puppenstubengroße Stadttheaterbühne hieven zu wollen. Aber mit dem nötigen Mut, mit viel Herz und, ganz wichtig, mit den entsprechenden Kontakten kann man es schaffen. Jutta Hering-Winkler, die Vorsitzende des Richard Wager-Verbandes Minden, zog jedenfalls bei einem Besuch in Bayreuth, für sie selbst völlig überraschend, den renommierten britischen Regisseur Keith Warner für ihr "unmögliches" Projekt mit ins Boot:

"Wir haben dann Keith Warner nach Minden eingeladen, auch auf die Gefahr hin, dass wir, wenn er das Theater sieht, eine Absage bekommen würden. Aber er war ganz begeistert und sagte weiterhin ja zu dem Projekt. Und er brachte sogar noch sein eigenes Ausstattungsteam mit."

An dieser Stelle freilich muss zunächst eingeflochten werden, dass der "Tannhäuser" nicht die erste Wagner-Oper im Mindener Stadttheater gewesen ist. Schon vor drei Jahren, zum 90-jährigen Jubiläum des Wagner-Verbandes, und damit ist er einer der ältesten überhaupt, wurde hier der "Fliegende Holländer" aufgeführt. Allerdings mit dem kleinen, aber doch entscheidenden Kunstgriff, dass das Orchester auf der Bühne sitzt und die Sänger davor auf dem überbauten Orchestergraben agieren. Denn anders wäre es nun wirklich nicht gegangen. Aber diese ungewöhnliche Einrichtung von Szene und Musik, so erläutert der Dirigent Frank Beermann, biete auch erhebliche Vorteile:

"Dass das Orchester durch diese Aufstellung nicht so laut ist, wie wenn es im Orchestergraben eines großen Opernhauses spielen würde. Und dadurch lässt sich im Hinblick auf schauspielerische, dramaturgische und auch eine textbetonte Interpretation lässt sich da ganz viel arbeiten. Und das wir schon vor drei Jahren beim Fliegenden Holländer mit großer Freude getan, und jetzt in dieser Produktion umso mehr, weil der Regisseur Keith Warner jemand ist, der immer sehr nah am Text arbeitet. Dadurch war es schon in der szenischen Arbeit möglich, sehr viel Konkretes herauszustellen, und gerade jetzt in der Zusammenarbeit mit dem Orchester ist es ganz bestechend, zu beobachten, was Sänger gestalten können, und welche dynamischen Schattierungen möglich sind. Also für mich ist das hier in Minden eine ganz außergewöhnliche, fast aufnahmemäßige Situation, die man in einem großen Haus sonst nie hat."
Hinzu kommt auch noch, dass hier kein Opernorchester, sondern mit der Nordwestdeutschen Philharmonie ein Konzertorchester aufspielte, dass, wie Frank Beermann verdeutlicht, sehr viel zielstrebiger, beispielsweise mit einer stets gleichen Orchesterbesetzung zu Werke gehen kann:

"Das sehr Angenehme im Vergleich zu Opernorchestern ist, dass man viele länger über Detail sprechen kann, und das sich dieser Prozess dann auch ständig in den Proben weiter verbessert. Also die Dynamik eines Konzertorchester kommt solch einem Projekt sehr zu gute."

Und auch bei kritischer Sichtweise kann dieser lauthals bejubelte "Mindener - Tannhäuser" bestehen. Vor allem in musikalischer Hinsicht. Da neben der vortrefflichen Nordwestdeutschen Philharmonie auch das Sängerensemble, von etlichen deutschen Opernbühnen zusammen getrommelt, doch ein recht beachtliches Niveau zeigte. Und sogar einen äußerst prominenten Namen aufwies: Anne Schwanewilms als Elisabeth, die als enge Freundin der Wagner-Verbandsvorsitzenden den Opernabend sängerisch veredelte. Obwohl die klangliche Balance, mit dem "Background"-Orchester und nun fast zu lauten Sängern, durchaus ihre Tücken besaß.

Regisseur Keith Warner bietet, was nun die Szene betrifft, auf engstem Raum viele Einfälle. Nutzt den Orchestergraben für einige Auftritte aus der Tiefe, wenn etwa Frau Venus und ihre Gespielinnen erscheint. Auch die seitlichen Logen werden mit einbezogen und den Einzug der Gäste bebildert auf einem Zwischenvorhang recht trickreich eine Videozuspielung, die zeigt, wie gut 500 Mindener Bürgerinnen und Bürger ihren Zuschauerraum bevölkern. Solche ironischen Anspielungen sind zwar nicht ohne Reiz, auch die Nähe der Sänger zum Publikum, und die vordersten Reihen haben wirklich Rasiersitz-Qualität, mag bestechend sein. Über die zuweilen plakative und auch banale Personenführung von Keith Warner kann das dennoch nicht ganz hinwegtäuschen.

Aber keine Frage, für Minden ist dieser "Tannhäuser" das Kulturereignis des Jahres. Denn für die acht Aufführungen reisen Opernfreunde aus ganz Deutschland an die Weser. Während die neunte Vorstellung ausschließlich Kindern und Jugendlichen aus Minden vorbehalten ist. Und wer weiß, ob angesichts der immer größer werdenden kommunalen Finanznot in kleinen bis mittleren Städten anspruchsvolle Opernaufführungen alsbald nur noch in solch einer Form möglich sein werden. Wenn man sich mal den Fall Halle, wo dem Opernhaus seitens der Stadt kurzerhand eine Uraufführung abgesagt wurde, vor Augen führt, und wenn man hört, das über dem Bremer Theater das Damoklesschwert der Insolvenz schwebt. Voraussetzung aber ist, es finden sich wie hier in Minden so hoch motivierte und engagierte, musikbegeisterte Menschen, die das organisatorisch und vor allem finanziell zu schultern gewillt sind.