Wahl des EU-Kommissionspräsidenten

Leinen (SPD): Kaum Alternativen zu Großer Koalition

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Jo Leinen (SPD), Abgeordneter EU-Parlament © picture alliance / dpa / Esteban Cobo
!Jo Leinen im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Auf die Frage, ob er nur Martin Schulz (SPD) seine Stimme geben werde, sagt der Europaparlamentarier Jo Leinen, er werde keine Person wählen, die "erst nach der Wahl aus dem Hut gezogen wurde und hinter verschlossenen Türen irgendwo ausgekungelt wurde".
Korbinian Frenzel: Machtkampf um die EU-Kommission - die "Süddeutsche" titelte heute so, andere Zeitungen ähnlich. Eins ist klar, dass nämlich nichts klar ist nach dieser Europawahl, vor allem nicht, wer den wichtigen Job des Kommissionspräsidenten bekommt.
Ich spreche jetzt mit Jo Leinen, Sozialdemokrat, Mitglied auch des nächsten Europaparlamentes und damit einer der Männer, der ihn am Ende wählen wird, den Chef der Brüsseler Behörde.
Jo Leinen: Guten Morgen!
Frenzel: Gibt es Ihre Stimme nur für Martin Schulz?
Martin Schulz (links) und Jean-Claude Juncker bei ihrem ersten TV-Duell.
Schulz oder Juncker - wer gewinnt den Machtkampf? © dpa / Markus Schreiber / Pool
Leinen: Es gibt meine Stimme nur für eine Persönlichkeit, die vor der Wahl bekannt war, die vor die Bürgerinnen und Bürger getreten ist und gesagt hat, was sie will. Ich werde keine Person wählen, die erst nach der Wahl aus dem Hut gezogen wurde und hinter verschlossenen Türen irgendwo ausgekungelt wurde.
Frenzel: Das heißt, es könnte auch Jean-Claude Juncker sein?
Demokratie ist ein offenes Spiel von Mehrheiten und Minderheiten
Leinen: Ja gut, Demokratie ist ein offenes Spiel von Mehrheiten und Minderheiten. Wer gewählt werden will, muss irgendwie in der Bürgerkammer der Europäischen Union - das ist das Europäische Parlament - eine Mehrheit zustande bringen.
Frenzel: Wir haben gestern mit Hans-Gert Pöttering an dieser Stelle gesprochen, der CDU-Politiker, der auch Parlamentspräsident des Europaparlaments einst war, und der hat das einfach noch mal so beschrieben:
O-Ton Hans-Gert Pöttering: Da die EVP, also die europäische Volkspartei, die Christdemokraten doch deutlich mehr Stimmen haben im Europäischen Parlament als die Sozialdemokraten beziehungsweise Sozialisten, muss man davon ausgehen, dass der Kandidat der Europäischen Volkspartei, also Jean-Claude Juncker dann auch der Vorschlag sein wird der Staats- und Regierungschefs.
Frenzel: Herr, Leinen, muss man dieser Aussage von Hans-Gert Pöttering von der CDU was hinzufügen oder ist das einfach richtig?
Leinen: Man muss hinzufügen, dass natürlich die stärkste Fraktion Sondierungen machen kann mit anderen politischen Gruppen und sehen muss, ob man eine Mehrheit im Parlament hat. Dann kann das dem Europäischen Rat mitgeteilt werden und vielleicht kommt dann so ein Vorschlag. Stellt sich aber heraus heute und in den nächsten Tagen, dass die stärkste Fraktion keine Mehrheit hat, dann, glaube ich, ist es auch gut, dass andere solche Sondierungen führen, um eine Mehrheit herzustellen.
Frenzel: Gibt es denn im Europaparlament - im derzeitigen schon, aber vor allen Dingen im künftigen - überhaupt denkbar eine Option, die nicht heißt: große Koalition aus diesen beiden Parteien, Konservative, Christdemokraten auf der einen Seite, Sozialdemokraten auf der anderen?
Komplizierter und schwieriger
Leinen: Ja, es ist schwierig, das ist richtig, weil wir viele unbekannte Gesichter bekommen. Wir haben eine verstärkte Anzahl von Europa-Gegnern, die wahrscheinlich niemand von den beiden wählen wollen, und noch eine diffuse Menge von Personen, wo man nicht genau weiß, was sie wollen. Also, dieses Parlament ist weit komplizierter und schwieriger aufgestellt als die Parlamente davor. Aber es ist trotzdem möglich, dass verschiedene politische Gruppen immer noch eine absolute Mehrheit darstellen können. Das wird heute und in den nächsten Tagen ausgehandelt werden müssen.
Frenzel: Ausgehandelt ist ja eigentlich ein ganz interessantes Stichwort, denn das war ja eigentlich so ein bisschen das Versprechen dieser Europawahl, wir machen das diesmal nicht im Hinterzimmer, ihr könnt wirklich wählen, macht es in der Wahlkabine auf dem Wahlzettel und das wird dann der Kommissionspräsident! Jetzt sind wir genau wieder an dem Punkt, wo heute Abend die Staats- und Regierungschefs dinieren, sie im Parlament zusammen sitzen, wahrscheinlich auch eher in fensterlosen Räumen. Ist das nicht gescheitert, diese Idee, dass das alles wunderbar transparent gemacht werden kann?
Leinen: Nein, überhaupt nicht. Ausgehandelt im Parlament und nicht im Rat, das ist der große Unterschied. Wir beginnen eine neue Epoche, wo die Person an der Spitze der Europäischen Kommission, wenn man so will, der europäische Regierungschef nicht nach der Wahl irgendwo gefunden wird, sondern vor der Wahl bekannt ist. Und dann ist das wie zu Hause auch: Wer keine absolute Mehrheit hat, der muss aushandeln mit anderen. Ob es ein Regierungsprogramm gibt, darüber sollte man noch reden: Was sind die Inhalte der Europapolitik in den nächsten fünf Jahren, kann man sich auf Inhalte einigen?
Weil, die Personen müssen für Politik stehen und nicht nur für sich selbst. Wir wollen nicht nur irgendjemand wählen, weil er jetzt Kandidat war, sondern er muss ein Konzept mitbringen. Und wir Sozialdemokraten wollen ja einen Neustart, wir wollen einen Politikwechsel. Also, mit uns kann man nicht verhandeln, wenn man weiter so wie bisher machen will.
Frenzel: Sie wollen einen Neustart, Sie wollen einen Wechsel. Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, alle etablierten Parteien, Gruppen - SPD, Konservative, Grüne, Linke - haben verloren und gewonnen haben die anderen, die Populisten, die, die zu Europa kritisch stehen. Ist das dann nicht die Aussage, die Sie hören müssen?
Leinen: Die anderen haben circa 20 Prozent Sitze, die proeuropäischen Kräfte haben doch immerhin 80 Prozent der Sitze. Man soll das jetzt nicht auf den Kopf stellen. Natürlich muss man hinhören, was da los war, was die Leute bewegt, und auch sicherlich diese Themen bearbeiten.
Aber die Kernbotschaften der Europapolitik, dass wir die Wirtschaftskrise lösen müssen, dass wir die Banken weiter regulieren müssen, die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, sicherlich den Steuerbetrug angehen in Europa, der in großem Maßstab stattfindet, also, es gibt da viele Themen, die jetzt eigentlich im Vordergrund stehen sollten. Und dann kann man herausfinden, welche Person steht dafür und gewinnt auch andere politische Gruppen, die da mitmachen?
Weil, wir werden ja in den nächsten fünf Jahren auch Gesetze machen und es geht eigentlich um das Gesetzespaket, was in dieser Legislaturperiode abzuarbeiten ist, damit wir sicherer und noch mit größerem Wohlstand in Europa leben können.
Frenzel: Haben Sie da nicht Verständnis, wenn da ein David Cameron oder auch ein Francois Hollande in diese Verhandlungen kommt und sagt, wir haben ein Wählervotum, das uns sagt, wir müssten eigentlich vielleicht mal mit neuen Gesichtern kommen und nicht mit den ja schon sehr etablierten und zum Teil auch sehr müden Gesichtern von Schulz und Juncker?
Marine Le Pen, Parteivorsitzende der französischen rechtspopulistischen Front National
Marine Le Pen, Parteivorsitzende der französischen rechtspopulistischen Front National© picture alliance / dpa / Foto: Alexei DruzhininYoan Valat
"Ein momentanes Aufbäumen von Unzufriedenen"
Leinen: Also, für David Cameron hätte ich kein Verständnis, weil er eher einen Europa-Skeptiker da sehen will. Dem gefällt niemand, weder Schulz noch Juncker. Bei Francois Hollande, der hat ja gestern Abend schon in der Rede an die Nation gesagt, ich werde meine Politik nicht ändern, weil in Frankreich sicherlich Probleme da sind, die kann man ja nicht übersehen, aber auch eine Art Protestgebaren sich zeigt mit der Wahl des Front National, die auch noch mal getestet werden muss bei anderen Wahlen, vor allen Dingen bei ihren nächsten nationalen Präsidentschaftswahlen, da sind die Franzosen dann doch Republikaner und werden früher weder den Papa Le Pen, noch jetzt die Tochter Le Pen wählen, das ist ein momentanes Aufbäumen von Unzufriedenen, aber das ist keine konstruktive Allianz, mit der man inhaltlich Politik machen kann.
Frenzel: Sagt Jo Leinen, SPD-Politiker im Europaparlament. Ich danke Ihnen für das Interview!
Leinen: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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