Wahl in Mexiko

Wo Gesetze wertlos sind

Plakate mit 43 Gesichtern
Erinnerung an die 43 verschwundenen Studenten, auch in Berlin-Ostkreuz © Ellen Häring
Von Ellen Häring |
Vor vier Jahren sind in Mexiko 43 Studenten verschwunden. Sie sind heute Symbol für einen gescheiterten Staat, der Verbrechen nicht aufarbeitet, sondern kaschiert. Internationale Experten sind willkommen - solange sie still halten.
Carlos Beristain ist einer der fünf unabhängigen Experten, die im Fall der 43 verschwundenen Studenten mehr wissen als der mexikanischen Regierung lieb ist. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sein Mandat und das seiner Mitstreiter nicht verlängert wurde.
Der Psychologe Carlos Martin Beristain 
Der Psychologe Carlos Martin Beristain © imago stock&people
Als die interdisziplinäre Gruppe 2014 ihre Arbeit aufnimmt, ist der Druck riesig. Das Verbrechen an 43 Studenten, die bei einer Demonstration in Iguala im Bundesstaat Guerrero einfach verschwinden, ruft international Empörung und Entsetzen hervor.
"Man hat sich dann darauf geeinigt, dass eine internationale Gruppe Untersuchungen anstellen musste, um Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit zu garantieren. Es gab keinerlei Vertrauen in den Staat und seine Vertreter. Die Familienangehörigen waren außer sich, völlig verzweifelt, es war eine extreme Krisensituation. Und ich denke, das war die richtige Entscheidung."

War Heroin in dem gekaperten Bus?

Der Einsatz der Kommission half im ersten Moment der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft, den Druck aus dem Kessel zu nehmen.
Tausende Menschen haben am 20. November 2014 in Mexiko-Stadt gegen die Entführung von 43 Stunden protestiert.
Tausende Menschen haben in Mexiko-Stadt gegen die Entführung von 43 Stunden protestiert.© pa/dpa/Guzman
An einer erfolgreichen Arbeit war man aber nur bedingt interessiert: bestimmte Zeugen durften nicht befragt werden, manche Akten waren nicht zugänglich. Oder falsch. Die internationale Kommission deckte auf, dass an dem Abend nicht vier Autobusse, wie von der Generalstaatsanwaltschaft behauptet, sondern fünf Busse von den protestierenden Studenten gekapert wurden. Was war mit diesem fünften Bus?
"Der hatte ziemlich sicher etwas damit zu tun, dass die Studenten derart massiv attackiert wurden. Es gibt einen direkten Transportweg für Heroin von Iguala nach Chicago und andere Städte in den USA. Das erklärt, warum sich die Sache so entwickeln konnte."
Ein Bus, gefüllt mit Heroin aus dem mexikanischen Bundesstaat Guerrero, protegiert von den dortigen Behörden in enger Zusammenarbeit mit der Drogenmafia, verschleiert vom Generalstaatsanwalt, der den fünften Bus einfach aus den Akten verschwinden ließ – das ging zu weit. Fortan fand die internationale Kommission zur Aufklärung des Verbrechens von Iguala keine offizielle Unterstützung mehr.

Ermittler werden diskreditiert

"Als wir den ersten Bericht abgegeben haben, wurden wir formal gelobt, aber die Wirklichkeit sah anders aus: man versuchte unseren Bericht als eine Meinung von vielen darzustellen, dabei hatten wir ja Beweise auf den Tisch gelegt. Dann begann eine Kampagne in bestimmten Medien gegen uns, so nach dem Motto: wenn es an den Untersuchungsergebnisse nichts zu kritisieren gibt, kann man ja wenigsten die Personen in Frage stellen."
Die fünf Kommissionsmitglieder – alles renommierte und erfahrene Juristinnen und Ärzte, die wie Carlos Beristain bereits in verschiedenen Wahrheitskommissionen gearbeitet hatten - waren frustriert.
Mahnmal in Mexiko-Stadt für die 43 Studenten von Ayotzinapa. Unten am Sockel steht: "Weil sie lebend verschleppt wurden, wollen wir sie lebend wieder haben".
Mahnmal in Mexiko-Stadt für die 43 Studenten von Ayotzinapa. Unten am Sockel steht: "Weil sie lebend verschleppt wurden, wollen wir sie lebend wieder haben".© Victoria Eglau - Deutschlandradio
"Wir haben über diese Frustration mit den Familienangehörigen auf einer Veranstaltung gesprochen. Wir haben gesagt: wir haben einiges herausgefunden. Wir wissen, dass eure Jungs nicht auf einer Müllhalde verbrannt wurden, wie anfangs behauptet. Aber wir wissen immer noch nicht, was wirklich mit ihnen geschehen ist. Und das ist schlimm. Da nahm einer der Väter das Mikrophon und sagte: ihr seht uns hier trotz allem getröstet. Ihr habt uns eine schwere Last von den Schultern genommen. Die Last der Lüge."

Sozialer Aufschrei im ganzen Land

Die Angehörigen lassen nicht locker und bekommen uneingeschränkte Unterstützung der Zivilgesellschaft. Dann die 43 Studenten stehen für insgesamt 30.000 Menschen in Mexiko, von denen niemand weiß, wo sie sind und wer sie warum hat verschwinden lassen.
Vor zwei Wochen hat ein Tribunal in Mexiko alle Untersuchungsergebnisse der Kommission bestätigt und für richtig befunden. Ob die Empfehlungen der Experten jemals umgesetzt werden und der Fall der 43 verschwundenen Studenten aufgeklärt wird, hängt vom Ausgang der Wahlen und der neuen Regierung ab.
"Wir hoffen, dass die neue Regierung den politischen Willen hat, auf den sozialen Aufschrei zu reagieren. Die Mexikaner sind den Teufelskreis leid, der da heißt: Gewalt, Verletzung der Menschenrecht, Korruption, Straflosigkeit und daraus folgt dann noch mehr Gewalt, noch mehr Menschenrechtsverletzungen und so weiter. Mexiko lebt seit 12 Jahren in einer dramatischen Situation der Gesetzlosigkeit und es gibt von Seiten der Regierung wenn überhaupt, dann nur eine sehr begrenzte Antwort darauf."
Mehr zum Thema