Bosbach fordert Kurswechsel im Umgang mit der AfD
Nach den Wahlerfolgen der AfD hat CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Kritik an der Union geübt. Bisher habe die Devise gegolten, nicht über die AfD zu sprechen. Er wünsche sich hingegen eine politisch-inhaltliche Auseinandersetzung mit der Partei.
Korbinian Frenzel: Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben, das ist ein viel zitiertes Wort von Franz Josef Strauß. Und das ist seit gestern Abend zweimal weniger Realität. Die AfD, die Alternative für Deutschland, wird sowohl in Brandenburg als auch in Thüringen im Parlament Platz nehmen und das dürfte wohl auch viel damit zu tun haben, dass statt solcher Poltertypen wie Strauß heute freundliche Frauen à la Merkel und Lieberknecht der Union ihr Gesicht geben. In die Mitte kuscheln und rechts den Laden dicht halten, beides auf einmal geht wohl nicht. Es gibt eine Reihe von Unionspolitikern, die das offenbar klar so benennen in einem Strategiepapier, das der "Bild"-Zeitung vorliegt, und einer der Autoren ist jetzt zu Gast im "Studio 9", Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag. Guten Morgen!
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Lässt diese Merkelsche Kraft der Mitte zu viel Platz für die AfD?
Devise: Vielleicht fällt es den Wählern ja gar nicht auf, dass es diese Partei gibt
Bosbach: Jedenfalls muss sich die Union fragen, aus welchen Gründen und mit welchen Motiven Wähler auch und gerade von ihr zur AfD gehen. Das bedeutet nicht, dass man der AfD in irgendeiner Weise nachläuft, ich wüsste auch im Moment gar nicht, in welche Richtung ich bei diesem Bemühen laufen sollte, wo sich die AfD eigentlich politisch-inhaltlich klar positioniert. Aber wir müssen schon die Sorgen der Menschen ernst nehmen: Warum geben sie eigentlich der AfD ihre Stimme, was versprechen sie sich davon? Und bisher galt ja in der Union immer die Devise, AfD, da wird nicht drüber gesprochen, die wird noch nicht einmal ignoriert, vielleicht fällt es den Wählern ja gar nicht auf, dass es diese Partei gibt, dann wird sie auch nicht gewählt. Aber sie hat jetzt mehrfach hintereinander beachtliche Wahlerfolge erzielt und das darf die Union nicht ruhen lassen.
Frenzel: Wenn Sie sagen, die Sorgen ernst nehmen oder, wenn ich Ihr Papier zitiere, keinen politisch-programmatischen Platz lassen für andere Parteien in Ihren Kernthemen, was heißt das denn konkret zum Beispiel in der Frage der Flüchtlingspolitik?
Angst vor wachsender Grenzkriminalität
Bosbach: Sehen Sie mal, wir haben die Binnengrenzen in der Europäischen Union abgeschafft, und das war ein guter Schritt. Versprochen haben wir sichere EU-Außengrenzen. Und wir wissen doch, dass wir bis heute, Stand heute – und wir haben gerade mal Mitte September – einen Höchststand an illegaler Einwanderung haben, mehr als im vergangenen Jahr, und das war 365 Tage lang. Und da müssen wir uns doch fragen, was können wir jetzt in der Europäischen Union gemeinsam dagegen unternehmen.
Deutschland und Schweden tragen bei der Aufnahme von politisch Verfolgten und Bürgerkriegsflüchtlingen, Kriegsflüchtlingen etwa die Hälfte der Last, so viel wie alle anderen Länder der Europäischen Union zusammen. Das hat mit europäischer, gemeinsamer Flüchtlingspolitik wenig zu tun. Und das wäre doch ein richtiges Zeichen europäischer Geschlossenheit und Solidarität, wenn man hier zu gemeinsamen Anstrengungen kommen würde. Stattdessen beschäftigt sich Europa intensiv mit der Saugkraft von Staubsaugern und anderen Themen, die doch eher von nebensächlicher Bedeutung sind. Und die Menschen in den grenznahen Regionen spüren das auch bei einem ganz anderen Thema, nämlich bei der wachsenden Grenzkriminalität. Da genügt es nicht, mal eben kurz vor dem Wahlkampf in Brandenburg vier Streifen zusätzlich auf Tour zu schicken, die Menschen möchten, dass wir ihre Probleme ernst nehmen. Und da haben sie auch einen Anspruch drauf.
Frenzel: Aber das heißt für die Union schon, ein kleines bisschen nach rechts rücken, oder?
Bosbach: Nein, wir möchten, dass die Union da bleibt, wo sie hingehört, nämlich in der politischen Mitte.
Frenzel: Aber da sind offenbar die Wähler nicht, zum Teil die Wähler, die Sie vorher gewählt haben, die weggewandert sind.
Bosbach: Das muss eben unsere Sorge sein, da muss man ... Ich kann mich auch nicht an Debatten erinnern, die wir mal leidenschaftlich in der Union, in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion geführt haben, warum gehen die Menschen eigentlich nicht nur, aber auch von der Union zur AfD, was bewegt sie, was sind ihre Motive. Eine solche Debatte würde ich mir gerne einmal in meiner eigenen Partei wünschen.
Frenzel: Wenn Sie jetzt sagen, die AfD nicht ignorieren, was ist denn dann der nächste Schritt? Das heißt ja zum Beispiel auch, mit ihr reden. Der Spitzenkandidat Alexander Gauland in Brandenburg war jahre-, war jahrzehntelang Mitglied der CDU, mit dem könnte man doch ernsthaft auch politisch ins Geschäft kommen, oder?
AfD lebt von der Artikulation des Protestes, bietet aber keine Lösung an
Bosbach: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich könnte mir jetzt und in dem Zeitraum, den wir beide heute Morgen überblicken können, eine Koalition mit der AfD nicht vorstellen, die AfD lebt von der Artikulation des Protestes, aber sie bietet ja inhaltlich auch keine Lösung an. Vor wenigen Tagen hat Herr Lucke noch geschwärmt von der Politik der inneren Sicherheit in der ehemaligen DDR, gerade so, als sei das Regime kein totalitäres Regime gewesen, das darauf gesetzt hat, 16 Millionen Menschen, Deutsche, zu überwachen und zu unterdrücken. Wie soll man da eine Koalition schmieden können? Es geht auch jetzt nicht – haben Sie nett formuliert – darum, mit der AfD ins Geschäft zu kommen, sondern es geht darum, die AfD auch politisch-inhaltlich zu stellen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ich kann keinem erklären, warum ich sagen sollte, also mit Vertretern der AfD diskutiere ich nie und unter keinen Umständen, aber mit Vertretern der Linkspartei immer wieder gerne. Das ist nicht richtig überzeugend.
Frenzel: Aber das Ziel ist schon auch von Ihrer Seite, dass die AfD nach Möglichkeit wieder verschwindet? Ich frage das deshalb, weil die SPD Jahrzehnte eigentlich damit verschwendet hat, erst die Grünen wieder wegzuwünschen, dann die Linkspartei, und sie ist geblieben. Sollte sich die Union nicht vielleicht lieber darauf einstellen, dass diese Kraft bleibt und dass man in der Tat irgendwann regierungsfähig mit ihr wird?
Bosbach: Also, die Anstrengung von CDU und CSU muss sein, dass die Union stark wird, doch nicht, dass die AfD stark bleibt, das kann doch nicht unser Ziel sein. Die AfD lebt im Moment vom Protest, sie sammelt Wähler aus allen Parteien ein, sie lebt auch – Klammer auf: leider, Klammer zu – von einem Niedergang der FDP, obwohl sich deren Schicksal sicherlich erst in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erweisen wird als jetzt bei den Wahlen in den beiden neuen Bundesländern. Aber die Position der Union muss es doch sein, nicht nur die Alternative zu haben zu koalieren mit der SPD oder mit den Grünen, sondern die Union muss doch aus eigener Kraft so stark werden, dass nicht gegen sie regiert werden kann. Und wenn wir jetzt den ehemaligen Unionswählern, die zur AfD gehen, Unfreundliches hinterherrufen, dann werden wir sie nicht für uns zurückgewinnen. Und das muss unser Ziel sein, diejenigen, die von der Union weggegangen sind, wieder zur Union zurückzuholen.
Frenzel: Wolfgang Bosbach, vielen Dank für das Interview!
Bosbach: Ich danke Ihnen!
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