Wahlen in Bremen/Bremerhaven
Am 13. Mai wählen die Bremer und Bremerhavener ihre Bürgerschaft. Und obwohl Bremen das kleinste aller Bundesländer ist, richten sich wohl dennoch die Augen vieler Bundespolitiker darauf, was dort an der Weser passiert.
Denn die bremische Landtagswahl ist die einzige Wahl in Deutschland in diesem Jahr. Dort regiert seit zwölf Jahren eine Große Koalition: So lange hat es ein solches Bündnis noch nie geschafft. Ist eine vierte Auflage von Rot-Schwarz denkbar? Mit welchen Problemen kämpft der Zwei-Städte-Staat? Welches sind die Hoffnungsträger der Parteien?
"So schnell kann ich gar nicht zählen wie die Schuldenuhr läuft. Es ist immer erschreckend, darauf zu gucken: Dass da jetzt bald 14 Milliarden Schulden für das Land und die Stadtgemeinde Bremerhaven drauf stehen."
Dem Landeschef der Bremer Liberalen, Uwe Wolthemath, wird manchmal schwindelig, wenn er vom Gehsteig zu seinem Bürofenster hinauf schaut. Dort hängt eine ganz besondere Uhr an der Hauswand. Eine elfstellige Anzeige: rote Digitalziffern. Die letzten drei Stellen der Zahl: Sie blitzen nur auf und sind kaum lesbar – so schnell ändern sich die Werte. Euro werden dort angezeigt – Bremens Miese.
In der zweiten Reihe: Ein kleinerer Betrag. Diese Summe müsste jeder Bremer und Bremerhavener aufbringen, um das Land von seinen Schulden zu befreien. Auch diese Zahl ist seit langer Zeit fünfstellig. Erst am Montag wurde wieder eine Tausenderstelle überschritten, sagt Wolthemath und zeigt nach oben.
"Das war heute Nacht. Heute Nacht ist sie sozusagen über die 21.000 geklettert. So dass wir jetzt 21.004 Euro persönlichen Anteil haben. Wenn ich das jetzt abbezahlen müsste … da muss ich erst mal gucken, ob ich noch so viel auf meinem Sparbuch habe."
Vielen Bremer Parteienvertretern ist die Digitalanzeige insgeheim ein Dorn im Auge. Weist sie doch auf eins der größten Probleme Bremens hin: die Schulden des Landes! Doch die spielen im Kampf um Stimmen zur Landtagswahl am Sonntag praktisch keine Rolle.
Dabei sind die finanziellen Verbindlichkeiten ein enges Korsett für jeden Politiker – egal, wer ab Montag das Land regiert. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner:
"Künftige Generationen von Abgeordneten haben gar nichts mehr zu entscheiden, wenn man es auf den Punkt bringen will. Und künftige Generationen von Menschen, die heran wachsen, für die ist auch nichts mehr zu entscheiden."
Fast jedem politisch Verantwortlichen ist klar: Das Wasser steht dem Bundesland bis zum Hals. Knapp vier Milliarden Euro will Bremen in diesem Jahr ausgeben. Rund ein Viertel der Summe muss auf Pump bezahlt werden. Und: Jeder siebte Euro geht für Zinsen drauf! Ohne dass auch nur ein Cent getilgt wird. Das Land steckt in der Schuldenfalle.
Den ersten Offenbarungseid hatte der Zwei-Städte-Staat schon 1992 geleistet. Das Verfassungsgericht stellte damals fest, dass sich Bremen "unverschuldet in einer extremen Haushaltsnotlage" befindet – so die Worte des Karlsruher Senats. Sein Fazit: Die Solidargemeinschaft muss einspringen. Die Richter verdonnerten die anderen Länder und den Bund zu Hilfezahlungen. Achteinhalb Milliarden Euro sind seit dem – in mehreren Tranchen – nach Bremen geflossen. Mit dem Geld sollten die Hanseaten ihre Schulden bezahlen.
Doch an der Weser kam man auf die Idee, mit den Sanierungshilfen nicht die Außenstände abzutragen. Ein erheblicher Teil der Summe floss in ein gigantisches Investitionsprogramm – in der Hoffnung, dass sich das später auszahlen würde. Eine krasse Fehlentscheidung, wie der Ökonom Elsner heute moniert:
"Das war Geld, das man rausgegeben hat – und das wirklich in euphorischer Stimmung, über viele Jahre hinweg rausgeschmissen und rausgepulvert hat -, das man definitiv nicht hatte. So dass wir dann letztlich nach zehn, zwölf Jahren als ein Musterbeispiel dafür standen, dass ein kleiner Stadtstaat erstens seine Sanierung nicht schafft und zweitens ein großes, luxuriöses Ausgabeprogramm in Form von Wirtschaftssubventionen finanziert hat: Leider auf Grund von Umverteilungen zu Lasten der Schwächsten dieser Stadt."
Vor allem die Zusammenbrüche der großen Schiffbauunternehmen in den 80er und 90er Jahren waren es, die Bremen zuvor fast das Rückgrat gebrochen hätten. Tausende von Jobs gingen seinerzeit verloren. Bremen wurde die Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands. In den vergangenen zwölf Jahren hat eine Große Koalition von SPD und CDU versucht, das Blatt zu wenden. Der sozialdemokratische Senatspräsident Jens Böhrnsen bilanziert:
"Wir haben einerseits dafür gesorgt, dass die Wirtschaftsstruktur Bremens modernisiert wird. Wir haben unsere Stärken ausgebaut: Häfen, Logistik. Wir haben neue Potenziale geschaffen: Luft- und Raumfahrt, Windenergie, Biotechnologie: Alles neue Bereiche, die wir erschlossen haben."
Doch der Umbau musste auch bezahlt werden. "Sparen und Investieren": So lautete jahrelang das Rezept – statt konsequenten Schuldenabbaus. Die überdurchschnittlichen Investitionen flossen auch in riskante Großprojekte. Februar 2004: der Space Park eröffnet mit großem Pomp.
Der Freizeitpark mit Raumfahrtattraktionen: Er sollte Touristen nach Bremen locken. Mehrere Hundert Millionen Euro hat die Stadt bezahlt, um ein altes Hafenareal dafür herzurichten. Nach sieben Monaten ist der Spaßpark dicht. Und die Große Koalition produzierte manch weiteren Flop. Ein Musicaltheater: Nach Pleite geschlossen. Die Galopprennbahn: Ein Zuschussprojekt auf Jahre. Nach den umstrittenen Subventionsorgien übt auch der christdemokratische Bürgermeister Thomas Röwekamp heute ein bisschen Selbstkritik:
"Ich sage: Wir haben nicht alles richtig gemacht. Der Space Park war eine Fehlinvestition öffentlicher Gelder. Aber auch diese Fehlinvestition haben wir gemeinsam getroffen. Und die Verantwortung tragen wir auch beide. Aber wir haben auch vieles richtig gemacht: Wenn es die Große Koalition nicht gegeben hätte, dann hätte es den Containerterminal 4 in Bremerhaven nicht gegeben. Es hätte den Technologiepark nicht gegeben. Auch viele andere wichtige Infrastrukturprojekte für Bremen wären auf der Strecke geblieben."
Zweifellos: Viele neue Arbeitsplätze sind entstanden. Doch selbst, wenn die hanseatische Wirtschaft nun prosperiert. Bremen bleibt kaum etwas von den Mehreinnahmen an Steuern. Die unfaire Finanzverteilung ist Schuld, sagt Regierungschef Böhrnsen.
"Wir sind Opfer der Struktur, die zum Beispiel heißt, dass 150.000 Niedersachsen jeden Tag im Lande Bremen arbeiten, was uns freut. Aber auf der anderen Seite: Dass diese 150.000 ihre Steuern in Niedersachsen zahlen, was uns Mühe macht. Wir wissen auch, dass wir bei diesen Strukturfragen die Unterstützung der bundesstaatlichen Gemeinschaft brauchen."
Soll heißen: Bremen will noch einmal Geld.
"Bremen hat leider nicht die Steuereinnahmen, die ihm auf Grund seiner Wirtschaftskraft eigentlich zustehen. Deswegen kämpfen wir vor beim Bundesverfassungsgericht um eine faire, um eine gerechte Steuerverteilung zu Gunsten Bremens."
… und um eine Teilentschuldung durch den Bund.
Weil die Landesregierung aber offenbar nicht hundertprozentig sicher ist, dass sie die Karlsruher Richter überzeugen kann, beschreitet der Senat noch einen zweiten Weg. Er will die anderen Länder überzeugen, dass der Finanzausgleich nicht nur Bremen benachteiligt, sondern grundsätzlich überdacht werden muss.
"Insgesamt ist Deutschland darauf angewiesen, dass wir einen Föderalismus organisieren, in dem alle Teile - also alle 16 Länder plus Bund - eine sichere finanzpolitische Zukunft haben. Alle Länder haften schließlich für die Verschuldung irgendwo in Deutschland."
Dabei schielt das kleinste Bundesland nicht so sehr auf die anderen Habenichtse. Bremen will einen Pakt schmieden mit den Mächtigen, mit den Reichen. Gerade die hätten ein Interesse daran, ein neues Ausgleichssystem zwischen den Ländern zu etablieren, das Leistungen und wirtschaftliche Anstrengungen auch belohnt, glaubt Bürgermeister Röwekamp:
"Es wird in den Verhandlungen darum gehen, dass wir von unserem wirtschaftlichen Reichtum mehr finanzielle Spielräume selber im Land behalten. Da sind nicht die armen Länder unsere Verbündeten. Sondern die Länder, die eine gleiche wirtschaftliche Dynamik haben wie wir: Beispielsweise Hamburg oder Hessen. Aber auch Baden-Württemberg oder Bayern haben eine ähnliche Ausgangslage wie wir. Nämlich dass das jetzige System den Fleißigen bestraft und den Faulen belohnt."
Es dürfte ein ordentliches Stück Arbeit sein, den Ministerpräsidenten der wohlhabenden Regionen klar zu machen, dass Bremen zwar dynamisch, kraftvoll und wirtschaftlich potent ist – zugleich aber Geld haben möchte.
Vermittlungsprobleme, die schon daheim an der Weser, bei der Bevölkerung bestehen. In dieser Woche: Studierende der Universität Bremen gehen auf die Straße, um gegen Kürzungen zu protestieren.
"Der Staat Deutschland zieht sich überall aus der Bildungsfinanzierung zurück. Auch die Einsparung, die die Bremer Uni leisten soll, ist in diesem Kontext zu sehen…"
Verwerfungen: Sie betreffen wahrlich nicht nur die Akademiker. Jeder sechste Bewohner des Landes Bremen benötigt öffentliches Geld zum Überleben. Einer der Gründe ist die Arbeitslosigkeit: Seit Jahren liegt die Quote landesweit knapp unter 15 Prozent. In Bremerhaven wird sogar immer mal wieder die 20-Prozent-Marke geschrammt. Traditionelle Arbeiterviertel rund um die Häfen haben sich zum Teil in Arbeitslosenviertel verwandelt. Seit fast zwei Jahrzehnten ist Bremen die Stadt mit der höchsten Zahl von Sozialhilfeempfängern. Mit dramatischen Folgen vor allem für die junge Generation: Ein Drittel aller Kinder in Bremen wächst offiziell in Armut auf, in Bremerhaven sind es gar 40 Prozent. Für den SPD-Mann Böhrnsen steht eine Armutsdebatte an:
"Heute müssen wir feststellen, dass es Stadtteile gibt, in denen Menschen leben, die keine Chance mehr haben, die abgehängt sind. Die in zweiter oder dritter Generation arbeitslos sind. Und von Sozialgeld oder Hartz IV abhängig sind. Das ist die Herausforderung: Dass wir niemanden hinten runter fallen lassen. Dass wir für Chancen für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger sorgen."
Soweit die Theorie. In der Praxis aber fällt es den Bremer Sozialdemokraten schwer, sich überzeugend als Partei der Schwachen zu präsentieren. Eigene sozialpolitische Akzente im Wahlkampf? Fehlanzeige, kritisiert der Politikwissenschaftler Lothar Probst von der Universität Bremen:
"Sie hat hier in Bremen die Kürzung mit zu verantworten, die in den letzten zwölf Jahren den Wählerinnen und Wählern zugemutet worden sind. In Berlin hat sie die Rente mit 67 beschlossen, die Hartz-IV-Gesetze. Und da bleibt unter dem Strich nicht so viel übrig an sozialem Profil für die SPD."
In die Bredouille kam in den vergangenen Monaten zudem immer wieder das SPD-geführte Sozialressort. Dieses wurde letztlich mitverantwortlich für den Tod des kleinen Kevin gemacht. Das Schicksal des Zweijährigen, der unter Vormundschaft des Jugendamtes stand, und dessen Leiche Polizisten im Herbst im Kühlschrank des drogenabhängigen Vaters fanden, hatte bundesweit Negativschlagzeilen produziert. Senatorin und Staatsrat traten nach dem Skandal zwar zurück. Doch auf der Suche nach politisch Verantwortlichen habe auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ein kritisches Fazit gezogen, so der Politikwissenschaftler Probst:
"Es wurde auch in dem Untersuchungsausschuss deutlich, dass Bremen einfach auf Kosten der sozialen Infrastruktur gespart hat in den letzten Jahren. Der Ausschussvorsitzende sprach von einer Mischung aus organisierter Verantwortungslosigkeit und strukturellem Versagen. Also das sind schon harte Worte."
Unterdessen kann die bremische SPD im Sozialen schon lange kein Alleinvertretungsrecht mehr für sich reklamieren. Die – noch außerparlamentarische – Linke und die Grünen setzen ihr dabei zu. Und selbst die Bremer CDU hat die Sozialpolitik als Aktionsfeld entdeckt, um sich für die Wähler sympathisch zu machen. So waren viele überrascht, als Unionsspitzenkandidat Röwekamp zu Jahresbeginn plötzlich die Familienpolitik ins Zentrum seiner Aktivitäten rückte – hatte der 38-Jährige doch bislang vor allem versucht, sich als Hardliner in der Innenpolitik und bei ausländerrechtlichen Fragen einen Namen zu machen. Nun wirbt Röwekamp auf Plakaten vom Holzelefanten eines Spielplatzes herab um Stimmen. Und auf CDU-Parteitagen stockt sogar der Applaus, wenn der Innensenator gänzlich ungewohnte Töne anstimmt:
"Wir müssen uns um Bereiche kümmern, um die wir uns bisher so intensiv noch nicht gekümmert haben. Wir brauchen einen Staat, der die Kinder schützt. Der die Verantwortung der Eltern nicht verkommen lässt. Und der die Verantwortung des Staates nicht auf Beratungs- und Hilfsangebote beschränkt. Sondern notfalls auch eingreift, wo Eingreifen erforderlich ist."
Für Beobachter bleibt fraglich, ob die Wähler dem CDU-Mann sein neues Engagement abnehmen. Die Sozialdemokraten geben sich zuversichtlich. Sie sehen keine Gefahr, dass die Konkurrenz im angestammten Revier erfolgreich wildern könnte. Jens Böhrnsen:
"In der Politik – wie überall woanders auch – gilt der Satz: Das Original ist immer besser als die Kopie. Und das Original ist die SPD: die Partei, die den sozialen Zusammenhalt hier in Bremen über Jahrzehnte sichergestellt hat. Das ist die SPD. Und deswegen habe ich auch gar keine Sorge, dass wir verwechselbar sein könnten."
Und damit auch die ureigenste Klientel das nicht vergisst, hat Böhrnsen der bremischen Lehrerschaft noch flugs vor der Wahl versprochen, dass ältere Pädagogen vielleicht bald wieder früher den Ruhestand antreten dürfen. Das Versprechen von milden Gaben an öffentlich Beschäftigte hatte dem Senatspräsidenten schon vor anderthalb Jahren auf den Chefsessel verholfen – als die sozialdemokratische Basis über die Nachfolge von Landesvater Henning Scherf abstimmen durfte.
Doch derartige – teure – Offerten stoßen beim Noch-Koalitionspartner CDU nur auf wenig Gegenliebe. Die Große Koalition hat den öffentlichen Dienst in der Hansestadt im vergangenen Jahrzehnt ordentlich geschröpft. 20 Prozent der Stellen: Weg! Weihnachts- und Urlaubsgeld der Staatsdiener: Gekürzt! Und trotzdem: Wenn Bremen irgendwo noch sparen kann, dann hier, sagt Bürgermeister Röwekamp:
"Der Haushalt ist weitgehend ausgequetscht. Aber trotzdem gibt es an der einen oder anderen Stelle Dinge, über die man jeden Tag kritisch nachdenken muss. Wir müssen natürlich sehen, dass wir bei der Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst nicht wieder verfallen in die Politik der 70er Jahre, wo wir Masseneinstellungen hatten. Sondern wir müssen versuchen, das auf dem Kurs zu halten, den wir haben. Es gibt eine Kultur des Sparens und nicht mehr des Geldverschwendens in den öffentlichen Haushalten."
So wird auch im Hochschulbereich weiter geknapst. Die Blütenträume des vergangenen Jahres, als die Universität Bremen noch zu einer der Exzellenzinstitute Deutschlands werden sollte: Sie sind längst ausgeträumt. Nun werden auch die bremischen Hochschulen zum Steinbruch für den Finanzsenator – was der Landesregierung seit Wochen Proteste beschert.
Studiproteste: "… deswegen fordern wir die Rücknahme der Sparvorgaben … nicht zuletzt auch, um die Arbeitsplätze zu sichern …"
100 Millionen Euro erhalten die wissenschaftlichen Einrichtungen im Lande Bremen nach den Plänen bis 2010 weniger als geplant – die Zahl der Studienplätze aber muss steigen. Für den Bremer Ökonomen Wolfram Elsner ist klar: Die Uni ist vom internationalen Standard schon längst abgehängt.
"In den meisten Fachbereichen, in den meisten Studiengängen mussten wir uns verabschieden. Es gibt Bereiche, wo die Strukturen zusammengebrochen sind. Wir haben ein bisschen geglänzt durch Teilnahme an der Exzellenzinitiative. Und da ist die Gefahr, dass das Potemkinsche Dörfer sind, weil die Finanzierung doch bedeutet: Das Land Bremen kann sie gar nicht leisten."
Die Bremer Grünen – sie sind als möglicher neuer Koalitionspartner der SPD im Gespräch – haben sich Bildung und Wissenschaft ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Doch woher will die Noch-Opposition das nötige Geld nehmen? Die Grünen-Fraktionsvorsitzende in der Bremischen Bürgerschaft, Karoline Linnert.
"Hier gibt es also überhaupt nichts zu versprechen. Hier gibt es behutsamen Umbau. Außerdem ist es so, dass der Sparkurs, der Universität und Hochschule auferlegt wird, zu hart ist. Man muss ihn abmildern. Dafür trauen wir uns zu, zusätzliches Geld zu finden. Aber nicht in der Größenordnung, wie das ursprünglich mal mit dem Hochschulentwicklungsplan 4 geplant war."
Der Streit um die Hochschulen: Er war so ziemlich der einzige, der etwas kräftigere Töne im Bremer Wahlkampf produziert hat. Nach zwölf Jahren Große Koalition verlief das Werben um Wähler ansonsten ziemlich lautlos – mit einzelnen Ausnahmen!
Die CDU sorgte nun kurz vor dem Wahltermin dafür, dass Bremen und das ehemalige RAF-Mitglied Susanne Albrecht bundesweit in die Schlagzeilen kamen, weil die Ex-Terroristin seit ihrer Haftentlassung Migrantenkindern Deutsch beibringt. Unbeanstandet und erfolgreich, wie ein hektisch erstellter Bericht des Justizressorts belegte. Für CDU-Innensenator Thomas Röwekamp jedoch ein Skandal: Die ehemalige Lehrerin habe ihre Resozialisierung auf dem Rücken Bremer Schüler erhalten, so seine Kritik.
"Wenn Sie mich in der letzten Woche gefragt hätten, ob so was möglich ist in Deutschland, dann hätte ich gesagt: Das ist unvorstellbar. Aber wenn es irgendwo in Deutschland möglich ist, dann in Bremen…"
Wie detailliert vor 14 Jahren auch der damalige Bildungs- und Justizsenator Henning Scherf über die Absprachen zwischen Bundesanwaltschaft und Bremer Behörden informiert war, ist unklar. Scherf selbst dazu:
"Ich kenne niemanden, der gesagt hat: Das war daneben. Sondern alle sagen: Das ist gut gelaufen. Im Übrigen ist sie im Rahmen ihres offenen Vollzuges nicht an die Schule gekommen, wie überall steht. Sondern zu einem freien Träger, nämlich der Stadtteilschule, gekommen, die einzelnen Schülern Sprachförderung anbietet. Man sollte den Wahlkampf nicht auf Kosten von Leuten machen, die sich nicht wehren können."
Doch die Union ließ es sich nicht nehmen, auch den ehemaligen Landesvater mit harschen Worten verantwortlich zu machen. CDU-Spitzenkandidat Röwekamp:
"Dass ausgerechnet unser Ex-Bürgermeister Henning Scherf, der in seiner Amtszeit ja auch immer den Nimbus eines Bürgerlichen vor sich her getragen hat, sich zum Helfershelfer von ehemaligen RAF-Terroristen gemacht hat: Das finde ich für unser Bundesland beschämend."
Für viele Kritiker entlarvte gerade dieser Verbalangriff Röwekamps die Aufregung der CDU als Wahlkampfgeklingel. Denn die Fakten machen den Fall Albrecht zu einem Paradebeispiel für die gelungene Resozialisierung einer Ex-Terroristin.
Doch vielleicht ist der Schlagabtausch zwischen SPD und CDU symbolisch für das Klima in der Großen Koalition. Beobachter stellen schon lange fest, dass die Gemeinsamkeiten in Sachfragen nach drei Legislaturperioden verbraucht sind. Bei der Investitionsstrategie oder bei den Studiengebühren liegt man über Kreuz. Und in der heiß umkämpften Schulpolitik ist die Nähe der SPD zu den Grünen unbestritten.
Wahlkampf im SPD-Ortsverein. Wer hier nachfragt, bekommt eine Ahnung davon, wie die Koalition ab Montag aussehen könnte. Zwölf Jahre Rot-Schwarz! Viele Genossen haben die Nase voll.
"Mit den Grünen, da verbergen sich auch ganz viele Chancen. Wenn man den Bereich Umwelt und Energie betrachtet. Also in Sachen Klimaschutz könnte ich mir vorstellen, dass man mit den Grünen doch mehr erreicht. – Ich denke, das wird auf Rot-Grün raus laufen. Weil Jens Böhrnsen nicht für Rot-Schwarz steht!"
Doch die SPD-Spitze macht keine Koalitionsaussage. Man will sich alle Türen offen halten. Die Fraktion allerdings wird bei ihren Sitzungen schon seit Monaten gegen den langjährigen Partner eingeschworen, ist zu hören.
Was den Wähler angeht, da hat der Bremer Parteienforscher Lothar Probst zwar Verdruss über die Große Koalition ausgemacht. Einen ausgeprägten Wechselwunsch sieht er bei der Bevölkerung aber nicht.
"Auf der einen Seite hat das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Großen Koalition deutlich nachgelassen. Auf der anderen Seite gibt es aber nicht das Vertrauen, dass eine andere Koalition – da kommt eigentlich nur Rot-Grün infrage – die Dinge anders angehen würde, und dass es sich dann zum Besseren wenden würde."
Nach allen Umfragen können die Sozialdemokraten mit einem starken Ergebnis rechnen und sich den Partner aussuchen. Danach sind wohl auch die Zeiten vorbei, in der das Bremer Parlament von nur drei Fraktionen beherrscht wird.
Vor allem die Grünen wollen endlich neben der SPD auf der Regierungsbank sitzen. Auch bei den letzten beiden Wahlen hätte es zwar rechnerisch für Rot-Grün gereicht. Die Genossen hatten aber der Großen Koalition den Vorzug gegeben. Nun hofft die grüne Spitzenkandidatin Karoline Linnert auf ein Ergebnis über 15 Prozent, auf einen Platz im Kabinett und sie meint, den Wandel beim Wähler auch schon zu spüren:
"Es ist mir noch nie so oft passiert – auf der Straße, in der Straßenbahn -, dass Leute auf mich zugehen und sagen: Ihr habt das gut gemacht, ihr kriegt meine Stimme, wir wollen, dass es eine andere Regierung in Bremen gibt. Es gibt Lob für unsere Oppositionsarbeit und die Rückendeckung, die wir zurzeit bekommen, ist total gut."
Sollten allerdings auch die FDP und die Linke landesweit den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, dann könnte es schon wieder knapp für eine grüne Regierungsbeteiligung werden. Einfacher wäre es für die SPD, mit einer schwachen CDU als mit starken und zickigen Grünen zu koalieren, interpretieren andere die mögliche Wahlarithmetik.
Die Bremer Union warnt naturgemäß davor, an der Weser ein rot-grünes Experiment zu wagen, während in Berlin Schwarz-Rot an der Macht ist. Die Parteichefin der Bündnisgrünen, Claudia Roth, dagegen stärkte bei ihrem Wahlkampfauftritt wechselwilligen Bremern den Rücken:
"Es kann ja nicht sein, dass man aus Angst, abgehängt zu werden vom Tropf, die schlechtest mögliche Variante wählt. Das wäre der Weg ins Verhängnis. Das ist ein Teufelskreis. Aus dem muss man ausbrechen."
"So schnell kann ich gar nicht zählen wie die Schuldenuhr läuft. Es ist immer erschreckend, darauf zu gucken: Dass da jetzt bald 14 Milliarden Schulden für das Land und die Stadtgemeinde Bremerhaven drauf stehen."
Dem Landeschef der Bremer Liberalen, Uwe Wolthemath, wird manchmal schwindelig, wenn er vom Gehsteig zu seinem Bürofenster hinauf schaut. Dort hängt eine ganz besondere Uhr an der Hauswand. Eine elfstellige Anzeige: rote Digitalziffern. Die letzten drei Stellen der Zahl: Sie blitzen nur auf und sind kaum lesbar – so schnell ändern sich die Werte. Euro werden dort angezeigt – Bremens Miese.
In der zweiten Reihe: Ein kleinerer Betrag. Diese Summe müsste jeder Bremer und Bremerhavener aufbringen, um das Land von seinen Schulden zu befreien. Auch diese Zahl ist seit langer Zeit fünfstellig. Erst am Montag wurde wieder eine Tausenderstelle überschritten, sagt Wolthemath und zeigt nach oben.
"Das war heute Nacht. Heute Nacht ist sie sozusagen über die 21.000 geklettert. So dass wir jetzt 21.004 Euro persönlichen Anteil haben. Wenn ich das jetzt abbezahlen müsste … da muss ich erst mal gucken, ob ich noch so viel auf meinem Sparbuch habe."
Vielen Bremer Parteienvertretern ist die Digitalanzeige insgeheim ein Dorn im Auge. Weist sie doch auf eins der größten Probleme Bremens hin: die Schulden des Landes! Doch die spielen im Kampf um Stimmen zur Landtagswahl am Sonntag praktisch keine Rolle.
Dabei sind die finanziellen Verbindlichkeiten ein enges Korsett für jeden Politiker – egal, wer ab Montag das Land regiert. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner:
"Künftige Generationen von Abgeordneten haben gar nichts mehr zu entscheiden, wenn man es auf den Punkt bringen will. Und künftige Generationen von Menschen, die heran wachsen, für die ist auch nichts mehr zu entscheiden."
Fast jedem politisch Verantwortlichen ist klar: Das Wasser steht dem Bundesland bis zum Hals. Knapp vier Milliarden Euro will Bremen in diesem Jahr ausgeben. Rund ein Viertel der Summe muss auf Pump bezahlt werden. Und: Jeder siebte Euro geht für Zinsen drauf! Ohne dass auch nur ein Cent getilgt wird. Das Land steckt in der Schuldenfalle.
Den ersten Offenbarungseid hatte der Zwei-Städte-Staat schon 1992 geleistet. Das Verfassungsgericht stellte damals fest, dass sich Bremen "unverschuldet in einer extremen Haushaltsnotlage" befindet – so die Worte des Karlsruher Senats. Sein Fazit: Die Solidargemeinschaft muss einspringen. Die Richter verdonnerten die anderen Länder und den Bund zu Hilfezahlungen. Achteinhalb Milliarden Euro sind seit dem – in mehreren Tranchen – nach Bremen geflossen. Mit dem Geld sollten die Hanseaten ihre Schulden bezahlen.
Doch an der Weser kam man auf die Idee, mit den Sanierungshilfen nicht die Außenstände abzutragen. Ein erheblicher Teil der Summe floss in ein gigantisches Investitionsprogramm – in der Hoffnung, dass sich das später auszahlen würde. Eine krasse Fehlentscheidung, wie der Ökonom Elsner heute moniert:
"Das war Geld, das man rausgegeben hat – und das wirklich in euphorischer Stimmung, über viele Jahre hinweg rausgeschmissen und rausgepulvert hat -, das man definitiv nicht hatte. So dass wir dann letztlich nach zehn, zwölf Jahren als ein Musterbeispiel dafür standen, dass ein kleiner Stadtstaat erstens seine Sanierung nicht schafft und zweitens ein großes, luxuriöses Ausgabeprogramm in Form von Wirtschaftssubventionen finanziert hat: Leider auf Grund von Umverteilungen zu Lasten der Schwächsten dieser Stadt."
Vor allem die Zusammenbrüche der großen Schiffbauunternehmen in den 80er und 90er Jahren waren es, die Bremen zuvor fast das Rückgrat gebrochen hätten. Tausende von Jobs gingen seinerzeit verloren. Bremen wurde die Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands. In den vergangenen zwölf Jahren hat eine Große Koalition von SPD und CDU versucht, das Blatt zu wenden. Der sozialdemokratische Senatspräsident Jens Böhrnsen bilanziert:
"Wir haben einerseits dafür gesorgt, dass die Wirtschaftsstruktur Bremens modernisiert wird. Wir haben unsere Stärken ausgebaut: Häfen, Logistik. Wir haben neue Potenziale geschaffen: Luft- und Raumfahrt, Windenergie, Biotechnologie: Alles neue Bereiche, die wir erschlossen haben."
Doch der Umbau musste auch bezahlt werden. "Sparen und Investieren": So lautete jahrelang das Rezept – statt konsequenten Schuldenabbaus. Die überdurchschnittlichen Investitionen flossen auch in riskante Großprojekte. Februar 2004: der Space Park eröffnet mit großem Pomp.
Der Freizeitpark mit Raumfahrtattraktionen: Er sollte Touristen nach Bremen locken. Mehrere Hundert Millionen Euro hat die Stadt bezahlt, um ein altes Hafenareal dafür herzurichten. Nach sieben Monaten ist der Spaßpark dicht. Und die Große Koalition produzierte manch weiteren Flop. Ein Musicaltheater: Nach Pleite geschlossen. Die Galopprennbahn: Ein Zuschussprojekt auf Jahre. Nach den umstrittenen Subventionsorgien übt auch der christdemokratische Bürgermeister Thomas Röwekamp heute ein bisschen Selbstkritik:
"Ich sage: Wir haben nicht alles richtig gemacht. Der Space Park war eine Fehlinvestition öffentlicher Gelder. Aber auch diese Fehlinvestition haben wir gemeinsam getroffen. Und die Verantwortung tragen wir auch beide. Aber wir haben auch vieles richtig gemacht: Wenn es die Große Koalition nicht gegeben hätte, dann hätte es den Containerterminal 4 in Bremerhaven nicht gegeben. Es hätte den Technologiepark nicht gegeben. Auch viele andere wichtige Infrastrukturprojekte für Bremen wären auf der Strecke geblieben."
Zweifellos: Viele neue Arbeitsplätze sind entstanden. Doch selbst, wenn die hanseatische Wirtschaft nun prosperiert. Bremen bleibt kaum etwas von den Mehreinnahmen an Steuern. Die unfaire Finanzverteilung ist Schuld, sagt Regierungschef Böhrnsen.
"Wir sind Opfer der Struktur, die zum Beispiel heißt, dass 150.000 Niedersachsen jeden Tag im Lande Bremen arbeiten, was uns freut. Aber auf der anderen Seite: Dass diese 150.000 ihre Steuern in Niedersachsen zahlen, was uns Mühe macht. Wir wissen auch, dass wir bei diesen Strukturfragen die Unterstützung der bundesstaatlichen Gemeinschaft brauchen."
Soll heißen: Bremen will noch einmal Geld.
"Bremen hat leider nicht die Steuereinnahmen, die ihm auf Grund seiner Wirtschaftskraft eigentlich zustehen. Deswegen kämpfen wir vor beim Bundesverfassungsgericht um eine faire, um eine gerechte Steuerverteilung zu Gunsten Bremens."
… und um eine Teilentschuldung durch den Bund.
Weil die Landesregierung aber offenbar nicht hundertprozentig sicher ist, dass sie die Karlsruher Richter überzeugen kann, beschreitet der Senat noch einen zweiten Weg. Er will die anderen Länder überzeugen, dass der Finanzausgleich nicht nur Bremen benachteiligt, sondern grundsätzlich überdacht werden muss.
"Insgesamt ist Deutschland darauf angewiesen, dass wir einen Föderalismus organisieren, in dem alle Teile - also alle 16 Länder plus Bund - eine sichere finanzpolitische Zukunft haben. Alle Länder haften schließlich für die Verschuldung irgendwo in Deutschland."
Dabei schielt das kleinste Bundesland nicht so sehr auf die anderen Habenichtse. Bremen will einen Pakt schmieden mit den Mächtigen, mit den Reichen. Gerade die hätten ein Interesse daran, ein neues Ausgleichssystem zwischen den Ländern zu etablieren, das Leistungen und wirtschaftliche Anstrengungen auch belohnt, glaubt Bürgermeister Röwekamp:
"Es wird in den Verhandlungen darum gehen, dass wir von unserem wirtschaftlichen Reichtum mehr finanzielle Spielräume selber im Land behalten. Da sind nicht die armen Länder unsere Verbündeten. Sondern die Länder, die eine gleiche wirtschaftliche Dynamik haben wie wir: Beispielsweise Hamburg oder Hessen. Aber auch Baden-Württemberg oder Bayern haben eine ähnliche Ausgangslage wie wir. Nämlich dass das jetzige System den Fleißigen bestraft und den Faulen belohnt."
Es dürfte ein ordentliches Stück Arbeit sein, den Ministerpräsidenten der wohlhabenden Regionen klar zu machen, dass Bremen zwar dynamisch, kraftvoll und wirtschaftlich potent ist – zugleich aber Geld haben möchte.
Vermittlungsprobleme, die schon daheim an der Weser, bei der Bevölkerung bestehen. In dieser Woche: Studierende der Universität Bremen gehen auf die Straße, um gegen Kürzungen zu protestieren.
"Der Staat Deutschland zieht sich überall aus der Bildungsfinanzierung zurück. Auch die Einsparung, die die Bremer Uni leisten soll, ist in diesem Kontext zu sehen…"
Verwerfungen: Sie betreffen wahrlich nicht nur die Akademiker. Jeder sechste Bewohner des Landes Bremen benötigt öffentliches Geld zum Überleben. Einer der Gründe ist die Arbeitslosigkeit: Seit Jahren liegt die Quote landesweit knapp unter 15 Prozent. In Bremerhaven wird sogar immer mal wieder die 20-Prozent-Marke geschrammt. Traditionelle Arbeiterviertel rund um die Häfen haben sich zum Teil in Arbeitslosenviertel verwandelt. Seit fast zwei Jahrzehnten ist Bremen die Stadt mit der höchsten Zahl von Sozialhilfeempfängern. Mit dramatischen Folgen vor allem für die junge Generation: Ein Drittel aller Kinder in Bremen wächst offiziell in Armut auf, in Bremerhaven sind es gar 40 Prozent. Für den SPD-Mann Böhrnsen steht eine Armutsdebatte an:
"Heute müssen wir feststellen, dass es Stadtteile gibt, in denen Menschen leben, die keine Chance mehr haben, die abgehängt sind. Die in zweiter oder dritter Generation arbeitslos sind. Und von Sozialgeld oder Hartz IV abhängig sind. Das ist die Herausforderung: Dass wir niemanden hinten runter fallen lassen. Dass wir für Chancen für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger sorgen."
Soweit die Theorie. In der Praxis aber fällt es den Bremer Sozialdemokraten schwer, sich überzeugend als Partei der Schwachen zu präsentieren. Eigene sozialpolitische Akzente im Wahlkampf? Fehlanzeige, kritisiert der Politikwissenschaftler Lothar Probst von der Universität Bremen:
"Sie hat hier in Bremen die Kürzung mit zu verantworten, die in den letzten zwölf Jahren den Wählerinnen und Wählern zugemutet worden sind. In Berlin hat sie die Rente mit 67 beschlossen, die Hartz-IV-Gesetze. Und da bleibt unter dem Strich nicht so viel übrig an sozialem Profil für die SPD."
In die Bredouille kam in den vergangenen Monaten zudem immer wieder das SPD-geführte Sozialressort. Dieses wurde letztlich mitverantwortlich für den Tod des kleinen Kevin gemacht. Das Schicksal des Zweijährigen, der unter Vormundschaft des Jugendamtes stand, und dessen Leiche Polizisten im Herbst im Kühlschrank des drogenabhängigen Vaters fanden, hatte bundesweit Negativschlagzeilen produziert. Senatorin und Staatsrat traten nach dem Skandal zwar zurück. Doch auf der Suche nach politisch Verantwortlichen habe auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ein kritisches Fazit gezogen, so der Politikwissenschaftler Probst:
"Es wurde auch in dem Untersuchungsausschuss deutlich, dass Bremen einfach auf Kosten der sozialen Infrastruktur gespart hat in den letzten Jahren. Der Ausschussvorsitzende sprach von einer Mischung aus organisierter Verantwortungslosigkeit und strukturellem Versagen. Also das sind schon harte Worte."
Unterdessen kann die bremische SPD im Sozialen schon lange kein Alleinvertretungsrecht mehr für sich reklamieren. Die – noch außerparlamentarische – Linke und die Grünen setzen ihr dabei zu. Und selbst die Bremer CDU hat die Sozialpolitik als Aktionsfeld entdeckt, um sich für die Wähler sympathisch zu machen. So waren viele überrascht, als Unionsspitzenkandidat Röwekamp zu Jahresbeginn plötzlich die Familienpolitik ins Zentrum seiner Aktivitäten rückte – hatte der 38-Jährige doch bislang vor allem versucht, sich als Hardliner in der Innenpolitik und bei ausländerrechtlichen Fragen einen Namen zu machen. Nun wirbt Röwekamp auf Plakaten vom Holzelefanten eines Spielplatzes herab um Stimmen. Und auf CDU-Parteitagen stockt sogar der Applaus, wenn der Innensenator gänzlich ungewohnte Töne anstimmt:
"Wir müssen uns um Bereiche kümmern, um die wir uns bisher so intensiv noch nicht gekümmert haben. Wir brauchen einen Staat, der die Kinder schützt. Der die Verantwortung der Eltern nicht verkommen lässt. Und der die Verantwortung des Staates nicht auf Beratungs- und Hilfsangebote beschränkt. Sondern notfalls auch eingreift, wo Eingreifen erforderlich ist."
Für Beobachter bleibt fraglich, ob die Wähler dem CDU-Mann sein neues Engagement abnehmen. Die Sozialdemokraten geben sich zuversichtlich. Sie sehen keine Gefahr, dass die Konkurrenz im angestammten Revier erfolgreich wildern könnte. Jens Böhrnsen:
"In der Politik – wie überall woanders auch – gilt der Satz: Das Original ist immer besser als die Kopie. Und das Original ist die SPD: die Partei, die den sozialen Zusammenhalt hier in Bremen über Jahrzehnte sichergestellt hat. Das ist die SPD. Und deswegen habe ich auch gar keine Sorge, dass wir verwechselbar sein könnten."
Und damit auch die ureigenste Klientel das nicht vergisst, hat Böhrnsen der bremischen Lehrerschaft noch flugs vor der Wahl versprochen, dass ältere Pädagogen vielleicht bald wieder früher den Ruhestand antreten dürfen. Das Versprechen von milden Gaben an öffentlich Beschäftigte hatte dem Senatspräsidenten schon vor anderthalb Jahren auf den Chefsessel verholfen – als die sozialdemokratische Basis über die Nachfolge von Landesvater Henning Scherf abstimmen durfte.
Doch derartige – teure – Offerten stoßen beim Noch-Koalitionspartner CDU nur auf wenig Gegenliebe. Die Große Koalition hat den öffentlichen Dienst in der Hansestadt im vergangenen Jahrzehnt ordentlich geschröpft. 20 Prozent der Stellen: Weg! Weihnachts- und Urlaubsgeld der Staatsdiener: Gekürzt! Und trotzdem: Wenn Bremen irgendwo noch sparen kann, dann hier, sagt Bürgermeister Röwekamp:
"Der Haushalt ist weitgehend ausgequetscht. Aber trotzdem gibt es an der einen oder anderen Stelle Dinge, über die man jeden Tag kritisch nachdenken muss. Wir müssen natürlich sehen, dass wir bei der Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst nicht wieder verfallen in die Politik der 70er Jahre, wo wir Masseneinstellungen hatten. Sondern wir müssen versuchen, das auf dem Kurs zu halten, den wir haben. Es gibt eine Kultur des Sparens und nicht mehr des Geldverschwendens in den öffentlichen Haushalten."
So wird auch im Hochschulbereich weiter geknapst. Die Blütenträume des vergangenen Jahres, als die Universität Bremen noch zu einer der Exzellenzinstitute Deutschlands werden sollte: Sie sind längst ausgeträumt. Nun werden auch die bremischen Hochschulen zum Steinbruch für den Finanzsenator – was der Landesregierung seit Wochen Proteste beschert.
Studiproteste: "… deswegen fordern wir die Rücknahme der Sparvorgaben … nicht zuletzt auch, um die Arbeitsplätze zu sichern …"
100 Millionen Euro erhalten die wissenschaftlichen Einrichtungen im Lande Bremen nach den Plänen bis 2010 weniger als geplant – die Zahl der Studienplätze aber muss steigen. Für den Bremer Ökonomen Wolfram Elsner ist klar: Die Uni ist vom internationalen Standard schon längst abgehängt.
"In den meisten Fachbereichen, in den meisten Studiengängen mussten wir uns verabschieden. Es gibt Bereiche, wo die Strukturen zusammengebrochen sind. Wir haben ein bisschen geglänzt durch Teilnahme an der Exzellenzinitiative. Und da ist die Gefahr, dass das Potemkinsche Dörfer sind, weil die Finanzierung doch bedeutet: Das Land Bremen kann sie gar nicht leisten."
Die Bremer Grünen – sie sind als möglicher neuer Koalitionspartner der SPD im Gespräch – haben sich Bildung und Wissenschaft ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Doch woher will die Noch-Opposition das nötige Geld nehmen? Die Grünen-Fraktionsvorsitzende in der Bremischen Bürgerschaft, Karoline Linnert.
"Hier gibt es also überhaupt nichts zu versprechen. Hier gibt es behutsamen Umbau. Außerdem ist es so, dass der Sparkurs, der Universität und Hochschule auferlegt wird, zu hart ist. Man muss ihn abmildern. Dafür trauen wir uns zu, zusätzliches Geld zu finden. Aber nicht in der Größenordnung, wie das ursprünglich mal mit dem Hochschulentwicklungsplan 4 geplant war."
Der Streit um die Hochschulen: Er war so ziemlich der einzige, der etwas kräftigere Töne im Bremer Wahlkampf produziert hat. Nach zwölf Jahren Große Koalition verlief das Werben um Wähler ansonsten ziemlich lautlos – mit einzelnen Ausnahmen!
Die CDU sorgte nun kurz vor dem Wahltermin dafür, dass Bremen und das ehemalige RAF-Mitglied Susanne Albrecht bundesweit in die Schlagzeilen kamen, weil die Ex-Terroristin seit ihrer Haftentlassung Migrantenkindern Deutsch beibringt. Unbeanstandet und erfolgreich, wie ein hektisch erstellter Bericht des Justizressorts belegte. Für CDU-Innensenator Thomas Röwekamp jedoch ein Skandal: Die ehemalige Lehrerin habe ihre Resozialisierung auf dem Rücken Bremer Schüler erhalten, so seine Kritik.
"Wenn Sie mich in der letzten Woche gefragt hätten, ob so was möglich ist in Deutschland, dann hätte ich gesagt: Das ist unvorstellbar. Aber wenn es irgendwo in Deutschland möglich ist, dann in Bremen…"
Wie detailliert vor 14 Jahren auch der damalige Bildungs- und Justizsenator Henning Scherf über die Absprachen zwischen Bundesanwaltschaft und Bremer Behörden informiert war, ist unklar. Scherf selbst dazu:
"Ich kenne niemanden, der gesagt hat: Das war daneben. Sondern alle sagen: Das ist gut gelaufen. Im Übrigen ist sie im Rahmen ihres offenen Vollzuges nicht an die Schule gekommen, wie überall steht. Sondern zu einem freien Träger, nämlich der Stadtteilschule, gekommen, die einzelnen Schülern Sprachförderung anbietet. Man sollte den Wahlkampf nicht auf Kosten von Leuten machen, die sich nicht wehren können."
Doch die Union ließ es sich nicht nehmen, auch den ehemaligen Landesvater mit harschen Worten verantwortlich zu machen. CDU-Spitzenkandidat Röwekamp:
"Dass ausgerechnet unser Ex-Bürgermeister Henning Scherf, der in seiner Amtszeit ja auch immer den Nimbus eines Bürgerlichen vor sich her getragen hat, sich zum Helfershelfer von ehemaligen RAF-Terroristen gemacht hat: Das finde ich für unser Bundesland beschämend."
Für viele Kritiker entlarvte gerade dieser Verbalangriff Röwekamps die Aufregung der CDU als Wahlkampfgeklingel. Denn die Fakten machen den Fall Albrecht zu einem Paradebeispiel für die gelungene Resozialisierung einer Ex-Terroristin.
Doch vielleicht ist der Schlagabtausch zwischen SPD und CDU symbolisch für das Klima in der Großen Koalition. Beobachter stellen schon lange fest, dass die Gemeinsamkeiten in Sachfragen nach drei Legislaturperioden verbraucht sind. Bei der Investitionsstrategie oder bei den Studiengebühren liegt man über Kreuz. Und in der heiß umkämpften Schulpolitik ist die Nähe der SPD zu den Grünen unbestritten.
Wahlkampf im SPD-Ortsverein. Wer hier nachfragt, bekommt eine Ahnung davon, wie die Koalition ab Montag aussehen könnte. Zwölf Jahre Rot-Schwarz! Viele Genossen haben die Nase voll.
"Mit den Grünen, da verbergen sich auch ganz viele Chancen. Wenn man den Bereich Umwelt und Energie betrachtet. Also in Sachen Klimaschutz könnte ich mir vorstellen, dass man mit den Grünen doch mehr erreicht. – Ich denke, das wird auf Rot-Grün raus laufen. Weil Jens Böhrnsen nicht für Rot-Schwarz steht!"
Doch die SPD-Spitze macht keine Koalitionsaussage. Man will sich alle Türen offen halten. Die Fraktion allerdings wird bei ihren Sitzungen schon seit Monaten gegen den langjährigen Partner eingeschworen, ist zu hören.
Was den Wähler angeht, da hat der Bremer Parteienforscher Lothar Probst zwar Verdruss über die Große Koalition ausgemacht. Einen ausgeprägten Wechselwunsch sieht er bei der Bevölkerung aber nicht.
"Auf der einen Seite hat das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Großen Koalition deutlich nachgelassen. Auf der anderen Seite gibt es aber nicht das Vertrauen, dass eine andere Koalition – da kommt eigentlich nur Rot-Grün infrage – die Dinge anders angehen würde, und dass es sich dann zum Besseren wenden würde."
Nach allen Umfragen können die Sozialdemokraten mit einem starken Ergebnis rechnen und sich den Partner aussuchen. Danach sind wohl auch die Zeiten vorbei, in der das Bremer Parlament von nur drei Fraktionen beherrscht wird.
Vor allem die Grünen wollen endlich neben der SPD auf der Regierungsbank sitzen. Auch bei den letzten beiden Wahlen hätte es zwar rechnerisch für Rot-Grün gereicht. Die Genossen hatten aber der Großen Koalition den Vorzug gegeben. Nun hofft die grüne Spitzenkandidatin Karoline Linnert auf ein Ergebnis über 15 Prozent, auf einen Platz im Kabinett und sie meint, den Wandel beim Wähler auch schon zu spüren:
"Es ist mir noch nie so oft passiert – auf der Straße, in der Straßenbahn -, dass Leute auf mich zugehen und sagen: Ihr habt das gut gemacht, ihr kriegt meine Stimme, wir wollen, dass es eine andere Regierung in Bremen gibt. Es gibt Lob für unsere Oppositionsarbeit und die Rückendeckung, die wir zurzeit bekommen, ist total gut."
Sollten allerdings auch die FDP und die Linke landesweit den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, dann könnte es schon wieder knapp für eine grüne Regierungsbeteiligung werden. Einfacher wäre es für die SPD, mit einer schwachen CDU als mit starken und zickigen Grünen zu koalieren, interpretieren andere die mögliche Wahlarithmetik.
Die Bremer Union warnt naturgemäß davor, an der Weser ein rot-grünes Experiment zu wagen, während in Berlin Schwarz-Rot an der Macht ist. Die Parteichefin der Bündnisgrünen, Claudia Roth, dagegen stärkte bei ihrem Wahlkampfauftritt wechselwilligen Bremern den Rücken:
"Es kann ja nicht sein, dass man aus Angst, abgehängt zu werden vom Tropf, die schlechtest mögliche Variante wählt. Das wäre der Weg ins Verhängnis. Das ist ein Teufelskreis. Aus dem muss man ausbrechen."