Wie der Nationalismus Parteiprogramme beeinflusst
Der Rechtspopulist Geert Wilders wird nicht Premierminister - davon ist der holländische Schriftsteller Geert Mak überzeugt. Die meisten Niederländer wüssten, dass man nicht "total nationalistisch" sein könne. 70 Prozent wollten in der EU bleiben.
Ein Stresstest für die EU - so betrachten viele die Wahlen in den Niederlanden angesichts eines drohenden Sieges der Rechtspopulisten. Der Schriftsteller Geert Mak ist sich sicher, dass Geert Wilders nicht Premierminister wird. Auch sei die Haltung der meisten Bürger viel nuancierter, als es die Slogans der Rechtspopulisten vermuten ließen, sagte Mak im Deutschlandradio Kultur.
So seien viele Holländer unentschlossen, wen sie wählen sollten. "Sie sind mit einem Teil des Parteiprogramms einverstanden und mit einem anderen Teil des Programms einer anderen Partei. In unserem Herz und in unserem Kopf haben wir mehrere Parteien, die miteinander diskutieren. Und ich glaube, das ist sehr gut. Das ist wirklich Demokratie."
Die meisten Niederländer wollen in der EU bleiben
Allerdings sei der Einfluss von Wilders auf die politische Stimmung im Land insgesamt groß, räumt Mak ein. Auch Parteien der Mitte wie die VVD und die Christdemokraten redeten inzwischen sehr viel über Muslime und die Probleme mit Muslimen.
"Diese Programme haben plötzlich eine sehr nationalistische Atmosphäre, und das ist neu für die Niederländer. Das haben wir nicht gemacht die letzten Jahrzehnte."
Die meisten Leute wüssten dennoch sehr gut, dass man nicht total nationalistisch sein könne. Noch immer seien 70 Prozent der Holländer in den Umfragen für eine Mitgliedschaft in der EU. Aber nach Jahrzehnten der Globalisierung und des Marktdenkens wollten die Leute auch "zuhause sein". (uko)
Das Interview im Wortlaut*:
Korbinian Frenzel: Als Heinrich Heine lebte, muss es in Holland noch gemütlicher zugegangen sein. Anders lässt sich diese Aussage nicht erklären: Wenn die Apokalypse eintritt, werde er, Heine, in die Niederlande reisen, denn dort passiere alles 50 Jahre später. Die Apokalypse, die elektorale, die sehen manche schon heute Abend kommen, dann, wenn in den Niederlanden die Wahllokale schließen und ein Geert Wilders, der blonde Rechtspopulist, als Sieger auftrumpfen könnte. Könnte – das ist erstens nicht sicher, und selbst, wenn er mit seiner Freiheitspartei stärkste Kraft wird, dann – das hat mir der niederländische Schriftsteller Geert Mak gesagt –, wird er mit Sicherheit nicht Premierminister. Das ist beruhigend, aber hat ein Wilders – diese Frage habe ich Geert Mak gestellt in unserem Gespräch – nicht die Politik unseres Nachbarlandes insgesamt nach rechts verschoben?
Geert Mak: Der Fallout von Wilders ist groß. Das sieht man bei der christdemokratischen Partei, die jetzt immer über die Muslime und die Probleme mit Muslimen und so weiter. Und auch mit der VVD, der liberalkonservativen Partei. Plötzlich hat die in das Programm, ich glaube, 361 mal, ein Journalist hat das gezählt, das Wort "niederländisch" und "typisch niederländisch", diese Programme haben plötzlich eine sehr nationalistische Atmosphäre. Und das ist neu für die Niederlande, das haben wir nicht mitgemacht die letzten Jahrzehnte.
Frenzel: Wie kommt das, Herr Mak? Würden Sie sagen, die Niederlande sind da Teil eines großen Phänomens, das wir erleben, das wir ja auch erlebt haben beispielsweise mit der Brexit-Entscheidung, mit der Wahl von Donald Trump, also eine Skepsis gegenüber dem, wie es war, ein Bedürfnis, die Kontrolle zurückzugewinnen? Ist das ein Gefühl, das in den Niederlanden vorherrscht?
Mak: Ich glaube, jetzt leben wir in einem historischen Umschlag, einem politischen und ökonomischen und kulturellen Umschlag. nach Jahrzehnten großer Globalisierung und eines Marktdenken, totalen Marktdenkens wollen die Leute auch zuhause sein. Und ich habe das Gefühl, dass die Reaktion in den Niederlanden war sehr früh schon – die Holländer sind natürlich Kaufleute, und am Ende der 70er-Jahre und 80er-Jahre waren Globalisierung und Marktdenken die große Parole. Die Reaktion hier ist auch schneller gewesen. Ich weiß nicht, ob sie stärker gewesen ist, aber sie war schneller.
"Für Deutsche muss das fremd sein"
Frenzel: Herr Mak, ist es nicht traurig, dass die einzige wirkungsvolle Antwort auf die Probleme der Globalisierung, auch die Ungerechtigkeiten, die damit einhergehen, letztendlich in einer Art Rückkehr in den Nationalismus besteht?
Mak: Der Nationalismus ist die leichte Antwort. Aber wenn ich sehe, wie andere Holländer, habe ich das Gefühl, dass die meisten Leute sehr gut wissen, dass man nicht total nationalistisch sein kann. Noch immer sind es 70 Prozent der Holländer bei Umfragen, die Mitglied der Europäischen Union bleiben [wollen]. So glaube ich, bei den meisten Leuten ist die Haltung viel nuancierter, als wenn man nur sieht nach den populistischen Parteien und ihren Slogans und so weiter und so weiter. Immigration zum Beispiel ist natürlich ein Problem in gewissen Stadtvierteln. Aber im Allgemeinen geht es nicht so schlecht mit der Integration von Immigranten, und speziell die marokkanischen Frauen und Mädchen - das ist sogar unglaublich. Also, die wirkliche Situation und auch die wirkliche Diskussion in Kneipen und auch auf der Straße, bei Familienfesten, ist nuancierter.
Frenzel: Ist Ihr Land ein in sich zerrissenes Land, ein zersplittertes Land? Wenn man sich die Parteienlandschaft anguckt und die vielen Parteien, die ins Parlament kommen werden, könnte man den Eindruck gewinnen.
Mak: Sie haben recht, es gibt einen fremden Eindruck. Auf der anderen Seite muss man auch bedenken, dass viele Holländer nicht wissen, was sie wählen. Sie sind mit einem Teil von einem Parteiprogramm einverstanden, und mit einem anderen Teil des Programms von einer anderen Partei. In unserem Herz und in unserem Kopf haben wir mehrere Parteien, die miteinander diskutieren. Und ich glaube, das ist sehr gut, das ist wirklich Demokratie. Für Deutsche muss das fremd sein, in Deutschland hat man nur sehr wenige Parteien.
Jahrhundertelange Tradition des Kompromisses
Frenzel: Wir haben mittlerweile ja natürlich auch ein paar mehr.
Mak: Ja, aber nicht so viel. Es ist am Ende nicht so chaotisch. Und dabei muss man bedenken, wir können dieses System in Holland überleben, denn wir haben eine Tradition von Jahrhunderten schon von Kompromissen. Wir sind haben vielleicht zu viel, die Leute, von den Kompromissen. Die heutigen Politiker sind sehr erfahren, um all diese Parteien zusammenzubringen und eine Regierung zu machen. Darüber habe ich überhaupt keine Panik.
Frenzel: Dann heißt das, wir müssen uns eigentlich keine Sorgen machen, wenn wir auf den Wahltag schauen in Ihrem Land?
Mak: Wir werden sehen, heute, oder morgen früh. Wir werden sehen.
Frenzel: Sie haben in einem Interview gesagt, wir erleben gerade das Ende des alten Systems, ein Chaos, aus dem vielleicht etwas Neues, Festes zum Vorschein kommt. Das klingt fast ein bisschen nach Hoffnung auf was Gutes.
Mak: Ich glaube, wenn man in einer historischen Zeit lebt, wo sich wirklich die Grundlagen ändern, dann ist dabei auch immer Chaos. Daraus kommt meistens etwas Neues. Man darf kein Chaos verursachen. Da sind zuweilen Leute, die sagen, ja, wir müssen Chaos verursachen, dann kommt die Revolution. Das ist sehr schlecht für normale Leute. Das ist sehr schlecht für das normale Leben, das ist sehr schlecht für die Welt. Aber bei den Niederlanden bin ich nicht so pessimistisch am Ende. Wir können dieses Chaos überleben, ja, sicher.
Frenzel: Geert Mak sagt das, Autor verschiedener Bestseller, unter anderem sein wunderbares "In Europa", zuletzt von ihm erschienen, die Geschichte einer Dynastie, eine Art "Buddenbrooks" der Niederlande, "Die vielen Leben des Jan Six". Das Gespräch mit dem Autor haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Gegenüber dem Radio-Interview wurde die schriftliche Fassung an einigen Stellen sprachlich geglättet, um die Verständlichkeit zu erhöhen.