Rot-Schwarz gegen die AfD
Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern der Landtag gewählt. Umfragen deuten darauf hin, dass es knapp wird für eine Neuauflage von Rot-Schwarz. Warum? Unsere Reporterin hat sich im Land umgehört.
Mecklenburg-Vorpommern wird seit zehn Jahren von einer großen Koalition Koalition regiert. Das rot-schwarze Bündnis hat im Landtag eine komfortable Mehrheit gehabt und ist nicht durch große Streitereien aufgefallen.
Nur aber könnte die AfD als drittstärkste Partei zum ersten Mal in den Schweriner Landtag einziehen.
Unsere Landeskorrespondentin Silke Hasselmann hat sich den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern angeschaut.
Wer "Ahlbeck, Vorpommern" hört, denkt zuerst und in der Regel ausschließlich an eines der drei Kaiserbäder auf der Insel Usedom. Doch nicht an die Ostseeküste führt mich der Weg, sondern in den äußersten Osten von Mecklenburg-Vorpommern - rund zehn Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze und 15 Kilometer vom Oderhaff entfernt. Dieses Ahlbeck ist ein langgezogenes Straßendorf mit weit verstreut liegenden Ortsteilen. Es hat etwa 800 Einwohner. Und die Ruhe weg.
Zu Besuch bei Tischlermeister Burkhard Krotz und seiner Frau, denn sie sind auf eine Art "Dorfälteste".
"Wie lange leben Sie hier schon, und leben Sie gern hier?"
Frau Krotz: "Ja, ich lebe seit 66 Jahren hier, im Nachbardorf Luckow geboren. Ahlbeck ist ein schönes Dorf. Wir haben saubere Luft. Wir haben Wasser, Wald. Wir haben alles, was man sich wünschen kann."
Herr Krotz: "Ich bin ja 1950 geboren und bis auf wenige Unterbrechungen, wenn wir auf dem Bau waren - vier Wochen oder ein halbes Jahr -, habe ich hier in Ahlbeck immer gewohnt."
"Was hat Sie hier gehalten?"
Herr Krotz: "Wir sind hier reingeboren. Ein Ahnenforscher hat herausgefunden, dass unsere Vorfahren schon 1650 hier sesshaft waren und mal aus Schweden rübergekommen waren. Und alle hatten mit Holz zu tun."
Die "Tischlerei Krotz" stellt in vierter Generation Türen und Fenster her, auch aufwendige Sonderanfertigungen für den Denkmalschutz. Das mache sonst kaum noch einer, sagt Burkhard Krotz.
Zu DDR-Zeiten war die Nationale Volksarmee hier in der kiefernbestandenen Sandbüchse, wie die Ueckermünde Heide auch genannt wird, der wichtigste Auftraggeber für Handwerker wie sie. Als nach der Wende die Bundeswehr die vielen sanierungsbedürftigen Kasernen übernahm, ging es zunächst prächtig weiter. Viel Arbeit in der Nähe, gutes Geld, Investitionen in Fuhrpark, Halle, Mitarbeiter.
Doch dann zog sich das Militär weitgehend zurück. Die Region hat sich davon bis heute nicht erholt. Bald musste auch die Tischlerei Krotz ihre Angestellten entlassen. Kein Einzelfall in Ahlbeck.
"In dem kleinen Ort waren circa 100 Arbeitsplätze. Die Bäckerei hatte 20 Beschäftigte. Wir hatten über 20 Beschäftigte. Dann war noch ein zweiter Tischler da, der hatte zehn. Der Elektriker hatte 15 Beschäftigte. Das ist nichts mehr von. Also kann in der Wirtschaftspolitik irgendetwas nicht stimmen. Und keine Partei äußert sich so richtig dazu. Die wollen dat gar nicht hören."
Was die Politiker tun müssten, will ich wissen.
"Schwer zu sagen. Steuermäßig erstmal, damit der Anreiz da ist. Und tja. Ach, da gibt's tausend Sachen, die mir so schnell gar nicht einfallen."
Dafür brennt Frau Krotz ein generelles Thema unter den Nägeln: Schwerin solle endlich etwas tun für Vorpommern. Und nicht nur für Mecklenburg!
"Alle eigentlich - CDU, FDP, SPD - hatten jetzt 25 Jahre Zeit. Aber hier ist ja nix angekommen. Fast nichts in Vorpommern."
Viele Vorpommeraner finden: Je weiter westlich im Land, desto schöner die Dörfer und Städte, denn die verschiedenen Landesregierungen von Rot-Rot bis SPD-CDU hätten dort viel mehr Förderbescheide verteilt für Wirtschaft, Forschung, Theater, Infrastruktur. Vorpommern hingegen sei abgehängt. Die stets überdurchschnittlich hohen Arbeitslosen- und niedrigen Einkommenszahlen scheinen das Gefühl zu bestätigen.
Was kaum jemand zur Kenntnis nimmt: Dass auch die seit zehn Jahren regierende SPD-CDU-Koalition pro Einwohner betrachtet mehr Fördergelder nach Vorpommern als nach Mecklenburg geschickt hat. Nur ist der Landesosten noch dünner besiedelt als der Westen. Außerdem profitiert Westmecklenburg von der wirtschaftlichen Wirkung Hamburgs. Ähnliches kann man für Vorpommern nicht sagen, obwohl die polnische 400.000-Einwohner-Metropole Stettin nur 20 km von der Grenze entfernt liegt.
Nach der Wende sind viele Einheimische weggezogen. Auch die Kinder der Familie Krotz. Zu weit weg vom Schuss, dieses Ahlbeck. Doch aus demselben Grund gebe es mittlerweile einen Gegentrend:
"Ja, es kamen viele Leute von auswärts, weil sie denken, sie können hier auch gut leben. Wir haben Bayern, Berliner, aus Hessen, aus dem Rheinland. Die Leute kaufen hier leerstehende Häuser. Zum Teil leben sie hier. Sie haben aber auch vor, später hier ihre Rente, ihre Pension, ihren Lebensabend zu verbringen."
"Viele stehen den Ausländern sehr kritisch gegenüber"
Leider ist an diesem Augustnachmittag kein Neu-Ahlbecker anzutreffen. Ich kann also nicht direkt fragen, ob sie womöglich auch hergekommen sind, weil es in Mecklenburg-Vorpommern vergleichsweise wenige Flüchtlinge und Zuwanderer aus fremden Kulturen gibt. Von diesem Motiv höre ich hinter vorgehaltener Hand immer häufiger, etwa von Immobilienmaklern. Doch Frau Krotz schüttelt den Kopf:
"Von den Zugezogenen hören wir es so gar nicht. Aber die Einheimischen? Viele stehen den Ausländern sehr kritisch gegenüber. Vielleicht können wir auch nicht so damit umgehen, denn wir sind ja bisher immer noch von dieser großen Welle verschont geblieben. Also eigentlich gibt´s hier nicht so viele Flüchtlinge. Also hier im Ort gar nicht."
Die Krotzens waren treue CDU-Wähler. Bislang. Doch auch sie bezweifeln, dass Kanzlerin Merkels Grenzöffnung vor einem Jahr gut und richtig war. Auch sie machen sich Sorgen darüber, dass hunderttausende Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten unkontrolliert und nicht registriert nach Deutschland gekommen waren. Was sie darüber zuletzt in der von ihnen abonnierten Wochenzeitung "Die Zeit" gelesen hätten, sei doch beängstigend, sagt Burkhard Krotz.
Doch auch bei anderen Themen hätten weder die CDU noch die anderen im Schweriner Landtag vertretenen Parteien befriedigende Antworten. Weder die SPD noch die oppositionellen Linken, Grünen, gar die NPD.
Herr Krotz: "Also uns interessiert die Frage: Was wird aus den kleinen Dörfern? Die Kaufhallen sind weg. Die Arbeitsplätze sind weg. Da werden Windräder aufgebaut, landwirtschaftliche Flächen zerstört. Wir müssen immer mehr Autofahren. Wo soll das hinführen in der Natur?"
Frau Krotz: "Da wird so viel versprochen vor den Wahlen und dann passiert jahrelang nichts. Also wir sind Protestwähler. Wir wählen die AfD. Man muss denen 'ne Chance geben und viele konnten wir auch überzeugen. Bekannte gehen seit Jahren nicht wählen. Da haben wir jetzt auch gesagt: Ihr müsst! Wenn wir vielleicht etwas anschieben können, dann wollen wir's. Und - die haben auch soweit."
Boldekow, Ortsteil Zinzow, gelegen in Vorpommern zwischen Friedland und Anklam. Hier kann man sich beispielhaft anschauen, was nach dem Ende der DDR in ganz Ostdeutschland passiert ist - allen voran im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Aus der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft mit ihren vergleichsweise riesigen Ackerflächen und Viehbeständen war zunächst eine Agrargenossenschaft GmbH geworden. Die hat sich mittlerweile in drei private Teilbetriebe aufgespalten.
An diesem Augustabend steht neben dem beeindruckenden Agrar-Fuhrpark ein großes weißes Festzelt. Davor steht ein Van mit dem Konterfei des CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 4. September. Im Zelt sitzen ca. 250 Landwirte, die Lorenz Caffier hören wollen, vor allem aber seine prominente Wahlkampfhelferin aus Berlin.
"Ähm, ich möchte nur Ihnen als Erstes sagen: Die Landwirtschaft gehört zu Mecklenburg-Vorpommern, so wie Lorenz Caffier das eben gesagt hat. (Beifall)"
Angela Merkel ist derzeit häufig in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs - in ihrem eigenen Bundestagswahlkreis Stralsund-Rügen, aber auch um ihrem Parteifreund und Landeschef Lorenz Caffier zu helfen. Der möchte nach acht Jahren als Juniorpartner in der SPD-CDU-Koalition Ministerpräsident werden. Derzeit Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, wird Caffier auf Wahlkampfveranstaltungen üblicherweise gefragt, was er gegen die steigende Zahl der Wohnungseinbrüche und Diebstähle in der deutsch-polnischen Grenzregion tue, wie er rechtsextremistischen Umtrieben entgegentritt, aber auch illegaler Zuwanderung. Und warum er jahrelang die Zahl der Landespolizisten senkte, nur um jetzt 555 neue Stellen zu fordern.
Die Bauern in Boldekow stellen andere Fragen:
"Ein Stück Butter für 70 Cent kann keiner produzieren, wenn wir einen Milchpreis von 35 Cent bekommen. Bei H-Milch haben wir einen Preis von 40,45 Cent. Kann auch keiner. Wir brauchen etwas Sicherheit für unsere Milchbauern, sonst wird die Struktur, die wir heute noch haben, zerstört."
Es geht um das Verbot von Glyphosat und um den Schutz der Bienen. Um die explodierenden Bodenpreise und um die Russland-Sanktionen:
"Der russische Markt ist für uns sehr wichtig, nicht nur im Bereich Landwirtschaft und Nahrungsgüter. Wann werden sich die Beziehungen wieder normalisieren?"
"Da sagen wir als CDU ganz klar: Das wird es mit uns nicht geben"
Als die Wahlkampfstunde in Boldekow vorbei ist, bringt Lorenz Caffier die Kanzlerin zu ihrer Dienstwagen-Karawane gebracht. Bis auch er nach Berlin düst – an diesem Abend zum Unions-Innenministertreffen in Sachen Burka-Verbot und Doppelpass - bleibt eine Minute für ein Joghurt-Eis aus heimischer Bioproduktion. Und für die Antwort auf meine Frage, bei welchem seiner Wahlversprechen gegenüber den Landwirten er das beste Gewissen habe.
"Die CDU steht auf jeden Fall dafür, dass es nicht zusätzlich neue Behinderungen und Beschwernisse gibt. Verbandsklagerecht für Tierschützer beispielsweise ist eine hier immer wieder angesprochene Diskussion. Da sagen wir als CDU ganz klar: Das wird es mit uns nicht geben. Und dass das Bild des Landwirts wieder den Stellenwert erhält, den es braucht. Weil ohne Landwirtschaft ist dieses Land auch nicht so liebens- und lebenswert, wie wir uns das vorstellen."
Richtig, meinen die Landwirte Lorenz und Baumgarten, doch das heiße nicht, dass die traditionell eher konservativ tickenden Bauern CDU wählen würden.
Herr Lorenz: "Von - bis. Werden alle Parteien gewählt, auch von Landwirten. Gehe ich von aus."
Und generell? Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren hatte nur die Hälfte der Berechtigten ihr Wahlrecht wahrgenommen. Wie mag es diesmal aussehen?
Herr Baumgarten: "Mecklenburger sind Mecklenburger; da ändert sich nicht viel. Es werden die zur Wahl gehen, die wählen gegangen sind. Werden vielleicht auch viele aufgeschreckt worden sein durch die AfD usw. Aber ansonsten wird sich da nichts wesentlich ändern, sag ich mal. "
Herr Lorenz: "Die Bevölkerung ist ja hier im Wesentlichen - ich sag mal - ärmer. Und da ist was Wahres dran: Arm wählt nicht. Und die jungen Leute sagen: Passiert nichts. Warum soll ich dahin gehen? Ich gehe davon aus, dass es wesentlich weniger sein werden. Und dann, glaube ich, wird es natürlich jede Menge Protestwähler geben."
Nächste Station auf dem Streifzug von Ostvorpommern nach Westmecklenburg: Das Ostseebad Binz auf Deutschlands größter Insel. Binz auf Rügen ist eine der reichsten Kommunen im Land – dem Tourismus sei Dank. Gerade meldet der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern neue Übernachtungsrekorde für ganz Mecklenburg-Vorpommern. Weil der Terror in anderen Urlaubsgebieten sie verunsichert, verleben viele Deutsche ihre Ferien nun lieber in der Heimat – und ganz besonders gern an der Ostseeküste im Nordosten.
An diesem warmen Samstagabend Mitte August flanieren tausende Urlauber am Strand oder durch die Stadt. Sie wirken entspannt und heiter. Doch rund 70 Menschen steht der Sinn nach Politik und Wahlkampf. Sie zieht es zu einer AfD-Veranstaltung in das Binzer Hotel "Arkona".
Leif-Erik Holm ist gekommen, spricht über den "Druck auf Berlin" durch die Wahlentscheidung in Mecklenburg-Vorpommern. Der studierte Volkswirt und ehemalige Privatradiomoderator will als Spitzenkandidat in MV erreichen, dass die "Alternative für Deutschland" zum ersten Mal in einem Landtag stärkste Partei wird.
"Herr Holm, Sie werden ja nun auf der Oppositionsbank sitzen, vielleicht sogar neben Herrn Caffier",
wirft ein 64-jähriger pensionierter Kriminalkommissar ein. Auch er weiß, dass vorerst niemand mit der AfD koalieren würde. Eine mögliche Zusammenarbeit mit der NPD wiederum hat die AfD ausgeschlossen.
"Die Frage ist: Wie gestalte ich eine gute Oppositionsarbeit? Moderat im Ton, wie Herr Junge vorhin sagte. Aber ich muss auch mal sagen: Man muss auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen. Das kann Otto Normalverbraucher, diese Spinnerei und Lügerei, wenn mal was im Fernsehen ist - man mag es nicht mehr hören." (Beifall)
Holm: "Das Einzige ist, dass wir stärkste Partei werden. Dafür müssen wir bei ungefähr 25% liegen. Dann werden wir auf jeden Fall linke Mehrheiten verhindern. Es wird keine rot-rote-Regierung geben, und es wird dann voraussichtlich auch keine rot-rot-grüne Regierung geben. Das wäre schon mal ein wichtiger Schritt. Ja, dann würde es wahrscheinlich mit einer Großen Koalition weitergehen. Aber das ist zumindest nicht ganz so schlimm wie das, was uns so noch drohen könnte."
Der gebürtige Schweriner erklärt, die AfD sei die einzige Partei in Deutschland, die wirklich vollständig auf dem Boden des Grundgesetzes stehe und Rechtsstaatlichkeit ohne Wenn und Aber verteidige – auch gegen die etablierten Parteien von Regierung und Opposition. Außerdem verstehe sich die AfD zuvörderst als eine Familienpartei, sagt Leif-Erik Holm. Daraus leite sich vieles ab, auch die Forderung, die Krippen- und Kindergartenplätze in MV endlich kostenfrei für die Eltern zu gestalten. Drei junge Menschen sitzen im ansonsten deutlich älteren Publikum und spenden häufig Beifall. Nach der Veranstaltung reden wir miteinander, und siehe:
"So wenige junge Leute sind wir gar nicht", sagt Christian, 27. "Wir haben ja den Landesverband der 'Jungen Alternative' hier bei uns schon im Februar gegründet und sind um die 30 Mitglieder. Von fünfzehnjährigen Gymnasiastinnen zum Beispiel, die jetzt auch bei einem Wahlwerbespot der AfD dabei waren, bis studierte Landwirte ist alles dabei."
Auch Carla, 18 Jahre alt. Sie erzählt, dass sie einem konservativen chilenischen Elternhaus entstamme und sich gerade auf Rügen im Hotelfach ausbilden lasse. Weil sie keine Deutsche ist, dürfe sie am 4. September nicht wählen.
"Nee, darf leider nicht. Aber wenn ich wählen könnte, würde ich die AfD wählen. (lacht)"
"Eine Frau ist für diese Leute - einfach scheiße"
Immerhin unterstützt Carla die AfD, wo sie kann. Sie fürchte um die Zukunft Deutschlands, das in der Wirtschafts- und Sozialpolitik immer weiter nach links rutsche und dann auch noch eine unkontrollierte Massenzuwanderung zugelassen habe. Sie fühle sich neuerdings nicht mehr sicher, vor allem wenn sie abends allein auf die Straße gehen sollte. Der Grund: die Gruppen muslimischer Männer.
"Ja, wir wissen, wie diese Kultur ist. Eine Frau ist für diese Leute - einfach scheiße. Einfach Dreck. Wenn ich zum Beispiel eine Kleinigkeit einkaufe oder zur Arbeit fahre allein mit dem Fahrrad - manchmal kommt eine Gruppe von Männern und man fühlt sich gar nicht wohl, weil sie versuchen dich anzusprechen oder sie vergewaltigen dich mit den Augen. Und das habe ich auch von ganz vielen Frauen gehört."
Ganz und gar nicht bedrängt, angefeindet oder diskriminiert werde sie hingegen bei der AfD, obwohl man ihr ansehe und anhöre, dass sie Ausländerin ist. Nein, sie fühle sich wohl bei der AfD:
"Also dieses Wort `Rassisten` oder `Nazis`- das stimmt gar nicht. Also das ist einfach dumm, Dummheit. Das sind ganz normale Menschen, die konsequent denken und einfach das Land retten wollen."
Carlas Freund Jan stammt aus Berlin. Heute lebt der 24-Jährige auf der Insel Rügen und findet, eines der größten Probleme im Land sei die fehlende staatliche Unterstützung für Auszubildende, erst recht wenn sie die Lehrmaterialien und die oft langen Fahrten zu den Berufsschulen von dem zumeist winzigen Azubi-Netto-Gehalt bestreiten müssen. Gleichaltrige Lehrlinge aus Spanien und Portugal hingegen hätten über ein EU-Programm all das bezuschusst bekommen. Ungerecht, findet Jan, der auf Rügen als Hotelfachmann arbeitet, im Nebenjob Moderations- und Theateraufträge erledigt und sich nun auch politisch engagiert.
Carlas Freund Jan stammt aus Berlin. Heute lebt der 24-Jährige auf der Insel Rügen und findet, eines der größten Probleme im Land sei die fehlende staatliche Unterstützung für Auszubildende, erst recht wenn sie die Lehrmaterialien und die oft langen Fahrten zu den Berufsschulen von dem zumeist winzigen Azubi-Netto-Gehalt bestreiten müssen. Gleichaltrige Lehrlinge aus Spanien und Portugal hingegen hätten über ein EU-Programm all das bezuschusst bekommen. Ungerecht, findet Jan, der auf Rügen als Hotelfachmann arbeitet, im Nebenjob Moderations- und Theateraufträge erledigt und sich nun auch politisch engagiert.
"Als ich eingetreten bin – also ich bin Mitglied der AfD – und das öffentlich gemacht habe auf Facebook, dachte ich: 'Klar, kriege ich ein bisschen Gegenwind.' Aber ich habe sehr viele Freunde verloren dadurch und habe viele Projekte verloren, weil ich in der AfD bin."
Seltsames Demokratieverständnis, sagt Jan, der dann eine kleine, aber feine Unterscheidung trifft. Denn diese Ablehnung schlage ihm nur in Berlin entgegen.
"Ich bin manchmal auch in Sassnitz und Bergen, und da rede ich auch mit Leuten von anderen Parteien. Und die sagten, als sie erfahren haben, dass ich in der AfD bin: 'Ja, das ist doch gut. Das ist deine Entscheidung.' Also auf Rügen habe ich noch nie ´ne Beschimpfung gehört. Und wie die Rüganer so drauf sind, bin ich auch fest der Überzeugung, dass wir die Wahlkreise hier auf der Insel direkt gewinnen werden."
Ganz andere Probleme treiben Norbert Schumacher im mecklenburgischen Neubrandenburg um. Dem betäubten Kaninchen vor ihm auf dem Operationstisch hat er Zysten entfernt. Nun näht er den aufgeschnittenen Bauch wieder zu; soweit das Alltagsgeschäft des Tierarztes. Doch dann ist da noch die spärlich bemessene Freizeit, und in der kämpft Norbert Schumacher um einen freien Horizont.
Schumacher: "Ich will Ihnen mal ein Lied vorspielen. Haben wir auf Platt gemacht."
"Da singen Sie aber nicht mit?"
Schumacher: "Nein, ich bin im Hintergrund. Das sind Freunde von mir."
Mit diesem Lied zieht Schumacher in den Wahlkampf. Er ist der Spitzenkandidat der bundesweit einzigen Anti-Windkraft-Partei, hervorgegangen aus einem Aktionsbündnis von 40 Bürgerinitiativen im Land. Der Name: "Freier Horizont".
"Wir sagen immer, wir sind eine Gestaltungspartei. Wir haben wirklich Vorschläge, wie man´s besser machen kann. Auch zu Breitbandausbau und so. Wenn man mal in unser Programm guckt: Wir haben uns zu so einigen Sachen Gedanken gemacht. Wir haben auch einige Sachen weggelassen. Wir sind ´ne recht neue, frische Partei. Wir haben einfach gesagt, es gibt bestimmte Politikfelder, die erst mal nicht unser Beritt sind. Und man kann ja auch nicht alle anderen für blöd erklären."
Leider wird der Wähler die Partei auf dem Wahlzettel nur sehr schwer finden. Weil sie in ihrer Satzung kein Kürzel verankert hat, bleibt das für die Orientierung wichtigste Feld leer. Bei den anderen Parteien sieht man fett und groß gedruckt: Die Achtsamen, CDU, Die Linke, Tierschutzpartei. "Freier Horizont" aber steht nur im Kleingedruckten. Die Landeswahlleiterin habe sie über diesen Zusammenhang in dem Beratungsgespräch nicht aufgeklärt und den Protest schnöde abblitzen lassen. Norbert Schumacher schäumt und zieht sein Notebook hervor.
"Ich will Ihnen ganz schnell mal eine Karte zeigen. Warten Sie mal…Wir haben hier einen Kartographen, der hat das gemacht. Ganz professionell mit Geo-Daten einlesen usw. …"
Darin berücksichtigt: Sämtliche bereits aktiven Windparks, die bereits ausgewiesenen Windeignungsgebiete und – soweit bekannt – die geplanten. Wenn man die Wirkungsweite der Windmühlen betrachtet, und das sind anerkannte Standardwerte, färbt sich diese Karte fast durchgehend grau. Weiße Flecken gibt es nur noch ganz wenige. Auf Usedom zum Beispiel und dort im Mecklenburgischen, wo der ehemalige SPD-Ministerpräsident Ringstorff wohnt.
Tierarzt Schumacher ärgert sich über die arrogante Art, mit der die Landesregierung und die Landkreise immer neue Windparkeignungsgebiete ausweisen, Neu- und Umbauten genehmigen. Die "Total-Verspargelung" des habe ihre "Politik aus Notwehr" erzeugt, sagt Spitzenkandidat Schumacher. Denn zu oft würden widerständige Bürger von den Behörden hören:
"Wenn euch das nicht passt, klagt doch! Und dann wird man noch so hingestellt: Die ewigen Meckerer! Es gibt ja noch andere Dinge, aber die Bürger erleben hier gerade was die Windkraft betrifft derartiges Unrecht, dass wir schon sagen, wir machen das aus Notwehr."
Tatsächlich: Ob auf der Ostseeautobahn A 20 oder entlang von Landesstraßen - bei meiner Fahrt durch MeckPomm gibt es nur selten mal einen windmühlenfreien Horizont. Irgendwo steht immer eine Anlage. Manchmal dreht sie sich auch.
Immer mehr Bürger empfinden die Menge, die Dichte und die Höhe als Zerstörung der heimischen Kulturlandschaft. Wer in der Nähe wohnt, hat oft mit direkten Folgewirkungen zu tun, etwa in Zarrentin. Zudem klagen auch dort im äußersten Westen des Landes an der Grenze zu Schleswig-Holstein Landwirte bereits über die bundesweit höchsten Bodenpreise für Agrarflächen. Unter anderem, weil Windmühlenbetreiber so scharf auf Stellflächen sind, den Bodeneigentümern eine hohe Pacht zahlen und die auf weitere Preiserhöhungen spekulieren.
Eine Stunde lang verteilt der Ministerpräsident Rosen
Doch das ist heute nicht das Thema von Erwin Sellering, SPD.
Der seit zehn Jahren amtierende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern reist seit zwei Wochen von einer Stadt zur nächsten. Eine Stunde ist dann stets reserviert für das Verteilen roter Rosen – auf Marktplätzen oder vor Kaufhallen.
"Ja, das ist so die richtige Zeit. Läuft gerade an hier, dass die Leute einkaufen. Ist ganz gut."
"Und wer ist auf die Idee gekommen, Rosen zu verschenken?"
Sellering: "Das hab´ ich schon vor fünf Jahren gemacht, und wir werden auch in der letzten Woche noch mal ´ne große Offensive machen. Die Leute freuen sich. Es ist ein schöner Einstieg in ein Gespräch und es ist immer so ein schöner kurzer Kontakt. Ich mach´ das total gerne."
Und schon eilt der 66-Jährige ahnungslosen Frauen und Männern hinterher, die doch eigentlich nur einkaufen gehen wollten.
Rentnerin: "Ich habe zu Hause Rosen genug!"
Sellering: "Ach so. Ja? Oh, das ist ja schön." - An andere Frau: "Von der SPD!"
Andere Rentnerin: "Ja, ja."
Sellering: "Nehm´ Se die mal mit!"
"Schönen Dank!"
Es ist halb 10 Uhr morgens. Hier sind fast nur Rentner oder Arbeitslose unterwegs. Den Blumengruß mit Namensschleife nehmen fast alle dankend an. Ein Gespräch entsteht fast nie. Kein Wunder: Sellering will pro Stand und Stunde 200 Rosen verteilen; macht immerhin 200 Bürger-Kurzkontakte.
Doch einmal muss er unterbrechen. Daniel Jacobs, ein 46-jähriger Einzelunternehmer und Familienvater, will von dem wahlkämpfenden Ministerpräsidenten nichts geschenkt bekommen, sondern ihm etwas mitgeben. Eine Botschaft zum Thema `Generationengerechtigkeit, die typisch ist für viele Landeskinder dieser Generation – egal ob in Vorpommern oder in Mecklenburg.
"Wie gesagt, ich hab´ ja früher immer SPD gewählt, jahrelang. Also jahrelang SPD, und jetzt bin ich am Machen und Tun – ich weiß nicht, was ich wählen soll. Also Oma bringt ja jede Woche 100 Euro."
Sellering: "Also reden Sie denen nix ein! Die sollen das genießen."
Mann: "Oma bringt jede Woche schon 100, 200 Euro vorbei und legt sie bei uns in die Kasse."
Sellering: "Man muss doch auch mal sagen, die haben doch auch ordentlich gearbeitet."
Mann: "Das haben sie ja auch. Aber wer denkt an die Jugendlichen von heute? Sie begrüßen ja heute hier viele Rentner. Die wollen Sie ja scheinbar auch alle gewinnen..."
Sellering: "Ja."
Mann: "Aber meine Generation oder auch meine Kinder , die jetzt noch nicht sprechen können – an die muss auch gedacht werden, ne!"
Erwin Sellering hört zu, erklärt dem Mann, warum er es gerade für die ostdeutschen Länder wichtig findet, künftig auch noch eine Lebensleistungsrente einzuführen und erinnert an die Beitragserleichterungen seiner Regierung für Krippen- und Kitagebühren. Er schaut auf die nicht verteilten Rosen in seiner Hand und dann auf die Uhr.
"Oh, wir müssen los. So, und jetzt nicht zögern, sondern die SPD wählen! Grüßen Sie die Familie!"
Er muss weiter. Nächste Stadt, nächster Bürgerkontakt. Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern.