Unabhängige Kandidaten wollen in die Duma
Sie haben keine Chance, aber sie nutzen sie: Unabhängige Kandidaten in Russland versuchen, über ein Direktmandat in die Duma zu kommen. Sie haben keinen Zugang zu den Medien, kaum Geld und wenig Beziehungen – dennoch scharen sie ehrenamtliche Wahlhelfer um sich, die ihren Wahlkampf unterstützen. Wie machen sie sich bekannt? Und was motiviert sie und ihr Team?
Andrej Schalnew ist 28 Jahre alt, Forstwirtschaftler und seit zwei Jahren Bezirkspolitiker. Er hat es bei Regionalwahlen als unabhängiger Kandidat ins Parlament geschafft. Jetzt will er mehr. Er will in die Duma.
Schalnew gehört einer Partei an, die sich "Libertär" nennt und sehr liberal ist. Einige Enthusiasten unterstützen ihn, sie wollen mehr Selbstbestimmung, weniger Staat, mehr Freiheiten, mehr Bürgerbeteiligung. Shalnew soll für all das in der Duma kämpfen. Auch wenn die Aussichten mehr als dürftig sind – der Direktkandidat klingt hoffnungsvoll:
"Wir haben keinen Zugang zur Presse und setzen deshalb auf Direktwahlkampf. Ich gehe vor allen Dingen in die Innenhöfe. Ich bin nicht Mitglied in einer registrierten Partei, bekomme deshalb auch kein Geld aus dem Staatshaushalt. Das schränkt unsere Möglichkeiten sehr ein. Ich kann ja nicht zu allen Wählern gehen. Wo ich nicht hin kann, müssen Wahlkampfhelfer hin, und die müssen auch essen."
Geld bekommt Schalnew genauso wie andere unabhängige Kandidaten von der Open-Russia-Foundation, der Stiftung des Milliardärs Michail Chodorkowskij.
Maria Baronowa, parteilos, möchte auch in die Duma, kandidiert aber im Zentrum Moskaus, wo sie einen direkten Konkurrenten hat und deshalb noch weniger Chancen als Schalnew, ihr Wahlziel zu erreichen.
Kandidaten müssen sich um Alltagssorgen kümmern
Schalnew zieht durch die Straßen und Höfe seines Wahlkreises und hört die Sorgen und Probleme seiner potentiellen Wähler: von der kaputten Kinderschaukel über die Heizkostenabrechnung bis hin zum Weltfrieden. In Russland sind Abgeordnete für fast alles zuständig. So auch bei einer Versammlung im nachbarschaftlichen Hinterhof:
"Ich habe aber noch eine Frage, mit der Heizung. Ich habe die Abrechnung mitgebracht, für Mai wurde gezahlt. Und gestern schaue ich meine Rechnung an, da steht für die Heizung Verbrauch 0000, und dann als Betrag 630 Rubel."
"Von mir wollen sie auch 630 Rubel."
"Aber der Winter war warm. Zu wessen Gunsten muss da die Abrechnungskorrektur ausfallen? Wenn wir 40 Grad Frost gehabt hätten... Aber so?"
Schalnews Mitarbeiter verteilen Visitenkarten. In Russland gehen viele Menschen davon aus, dass nur Politiker mit Geld und Macht genug Einfluss haben, um Probleme zu lösen. Schalnew hat beides nicht. Dass er nicht zum System gehört, ist sein großer Nachteil. Man traut ihm im Zweifelsfall nicht so viel zu wie dem Kandidaten der Regierungspartei "Einiges Russland".
Opposition in der Duma gibt es bisher nicht
Im russischen Parlament gibt es keine wirkliche Opposition. Die Parteien stimmen meist mit der Regierung. Außerparlamentarische Oppositionelle bekommen sehr schnell Ärger, wenn sie es schaffen, einflussreich zu werden. Unabhängige Kandidaten leben also auch gefährlich.
Bei der heutigen Duma-Wahl haben die Wähler zwei Stimmen und sie können die Hälfte der Abgeordneten direkt wählen. Das gab es seit 2008 nicht mehr. Für die Kandidaten Shalnew und Boronowa ist dieses Novum von großem Vorteil. Glaubt man allerdings den Umfragen zur Wahl, dann bleibt alles beim Alten. Die Regierung Putin hat immer Recht.
Unser Reporter hat sich ein Bild vor Ort gemacht. Das Manuskript im PDF-Format gibt es hier zum Herunterladen.
Thomas Franke: "Vor fünf Jahren haben gefälschte Parlamentswahlen in Russland für Massendemonstrationen gesorgt. Vom Protest gegen das System Putins ist nicht mehr viel übrig. Nun versuchen ein paar Aufrechte, sich direkt in die Duma, das Parlament, wählen zu lassen. Die wollte ich unbedingt begleiten."