"Zuspitzungen im Wahlkampf, ohne die geht es nicht"
Die jüngsten Äußerungen von CDU-Politiker Jens Spahn und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz über "elitäre Hipster" und "Golfspieler" findet der Mainzer Politologe Thorsten Faas im Wahlkampf völlig in Ordnung. Politik benötige Zuspitzungen, um Interesse zu wecken.
Für einige Aufregung und rege Debatten sorgte kürzlich der CDU-Politiker Jens Spahn mit einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit", in dem er das Verhalten "elitärer Hipster" kritisierte, die überwiegend Englisch sprächen. Er schrieb, dass diese Leute sich gegenüber den Normalbürgern abschotteten. Das sei nicht weltoffen, sondern provinziell und eine anbiedernde Bereitschaft, vorschnell und ohne Not, die eigene Muttersprache zu vernachlässigen. Opfer der "elitären Hipster" seien sowohl diejenigen Deutschen, die des Englischen nicht so mächtig seien wie auch viele Zuwanderer.
Die SPD und die Golfer
Auch der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machte mit einem Satz von sich reden: "Mich interessieren Golffahrer mehr als die Golfspieler", sagte er zum Auftakt seiner Wahlkampftour und wiederholte seine Aussage bei anderer Gelegenheit: "Ich will es deutlich sagen: Mich interessieren die Golffahrer deutlich mehr als diese Golfspieler. Die Arroganz dieser Leute gefährdet einen ganzen Industriezweig." Prompt wurde der empörte Brief des Präsidenten des Deutschen Golf Verbandes öffentlich, der Schulz nicht nur über seinen Ärger informierte, sondern auch darüber, dass in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen Golf spielen, die durch ihre Sportausübung mit großer Sicherheit keinen, ganzen Industriezweig'" gefährdeten. Es sei eine Frechheit, diesen sehr unterschiedlichen Leuten Arroganz vorzuwerfen.
Passendes Wortspiel
Die Welt werde in Wahlkampfzeiten etwas einfacher und zugespitzter, verteidigte der Mainzer Politologe Thorsten Faas die Politiker-Äußerungen, die ihnen viel Kritik eingebracht hatte. Der Vorwurf, bestimmte Menschen im Wahlkampf ausgrenzen zu wollen, stand im Raum. Faas sagte dagegen im Deutschlandfunk Kultur, dass die Parteien vor der Bundestagswahl ihre Unterstützer ansprechen müssten. "Das sind im Fall der SPD für Martin Schulz eben eher die Menschen mit mittleren Einkommen, mit kleineren Einkommen", sagte Faas. "Die muss man letztlich auch dadurch ansprechen, dass man sie vielleicht abgrenzt gegenüber anderen Gruppen, anderen Schichten, die eben nicht nur eigenen Anhängerschaft, zur eigenen Identität vielleicht auch gehören."
Insofern habe Schulz auf den ersten Blick ein sehr passendes Wortspiel gewählt. Im Subtext habe vermutlich auch eine Rolle gespielt, dass auch der US-Präsident Donald Trump Golf spiele. Er fürchte, die SPD habe offenbar unterschätzt, wie viele Golf-Spieler es in Deutschland gebe und seine Wählerschaft nicht ausreichend kenne. Schulz habe auf Twitter versucht, etwas zurück zu rudern. "Dieser Versuch des Einfangens deutet darauf hin, dass man zu der Erkenntnis gekommen ist, mit der ursprünglichen Zuspitzung ein wenig über das Ziel hinausgeschossen zu sein."
Wesensmerkmal der Demokratie
Der Fall Spahn sei allerdings anders gelagert, sagte Faas. In der CDU gebe es eine Diskussion, sich in den Städten populärer zu präsentieren und sich damit vielleicht auch auf die "Hipster" zuzubewegen. Auch die CDU wolle die urbanen digitalen Themen mehr in den Fokus nehmen. Spahn sei dagegen jemand, der in der Partei eher die klassische, traditionellere und ländlichere Perspektive einnehme.
Für beide Fälle sei "Diffamieren" ein zu starker Begriff, sagte der Politologe. Im Idealfall finde jeder Bürger seine Partei, der er sich zugehörig fühle und sich von anderen abgrenze. "Der Konflikt und die Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Gruppen ist Wesensmerkmal, Kern der Demokratie." Zuspitzungen könnten im Wahlkampf dabei helfen, Menschen für Politik zu interessieren, die es sonst nicht täten.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Am Anfang hab ich ja, ehrlich gesagt, gedacht, der CDU-Politiker Jens Spahn hatte einfach nur einen schlechten Abend in irgendeinem Berliner Restaurant und hat sich über die Bedienung geärgert und deshalb vor sich hin genörgelt: Immer nur Englisch sprechende Kellner, das ist doof. Aber die Sache hat sich entwickelt, inzwischen behauptet Spahn, die Hipster in Berlin und in anderen deutschen Großstädten lebten in einer Art Parallelgesellschaft und würden sich eben auch aufgrund der häufigen Verwendung der englischen Sprache, aber auch aus anderen Gründen, ganz bewusst vom Rest der Gesellschaft abkapseln.
Und während Spahn inzwischen wiederholt über dieses Phänomen geredet hat, hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz festgestellt, er mache Politik für Golf-Fahrer, nicht für Golfspieler. Kann man sicherlich drüber schmunzeln, vor allem über Letzteres, aber – ist das wirklich einfach nur so dahingesagt, steckt mehr dahinter, und was bedeutet es? Darüber wollen wir jetzt mit Thorsten Faas sprechen, er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz. Herr Faas, guten Morgen!
Thorsten Faas: Schönen guten Morgen!
Kassel: Teilen wir es doch erstmal auf und nehmen erst mal den Schulz: Golfspieler sind reich und wählen nicht die SPD, Golf-Fahrer haben ein mittleres Einkommen, wählen die SPD und mögen keine reichen Golfspieler. Ist die Welt so einfach? Kann so was im Wahlkampf funktionieren?
Faas: Zunächst mal muss man sagen, wird die Welt natürlich in Wahlkampfzeiten etwas einfacher, etwas zugespitzter. Vor allem muss man auch mal seine Truppen, seine Unterstützer, und das sind im Fall der SPD von Martin Schulz eben eher die Menschen mit mittleren Einkommen, mit kleinen Einkommen, die muss man irgendwie ansprechen. Die muss man letztlich auch dadurch ansprechen, dass man sie vielleicht abgrenzt gegenüber anderen Gruppen, anderen Schichten, die eben nicht zur eigenen Anhängerschaft, zur eigenen Identität auch gehören.
Insofern war das natürlich ein sehr treffendes oder passendes Wortspiel auf den ersten Blick, das man hier vonseiten der SPD gewählt hat. Die breite Masse der Golf-Fahrer, die kleine, elitäre, abgehobene, eben auch nicht grundsätzlich SPD-affine Gruppe der Golfspieler, die hat man hier versucht, etwas spielerische gegeneinander sozusagen auszuspielen und sich klar zu positionieren. Insofern ist das in Zeiten des Wahlkampfs schon nachvollziehbar. Und kleine Fußnote noch: Auch der amerikanische Präsident ist ja ein Golfspieler, das lernen wir ja doch regelmäßig. Vielleicht war sogar das noch ein Subtext, der da an der einen oder anderen Stelle mitspielen sollte.
Die Unterstützung für Golfspieler unterschätzt
Kassel: Das finde ich jetzt gar nicht so uninteressant, dass Sie Donald Trump erwähnen, weil, was man da nicht vergessen darf, Barack Obama und viele andere US-Präsidenten haben auch Golf gespielt, und da kommen wir jetzt auf ein interessantes Phänomen. Ich habe da was gelernt durch diese Schulz-Äußerung, nämlich dass wir – ich habe zwei verschiedene Zahlen, je nach Quelle gelesen – 1,5 oder sogar 1,8 Millionen Golfspieler in Deutschland haben. Hätte ich jetzt nicht gedacht, aber ist das nicht das Problem, wenn eine Gruppe, die man ausgrenzen will, so groß ist, da könnte sich ja doch der eine oder andere SPD-Wähler verstecken.
Faas: Absolut. Ich fürchte oder vermute auch fast, dass man ein wenig unterschätzt hat, wie viel Unterstützung die Golfspieler – und die haben ja noch Familie und Freunde, also vielleicht kennt man dann sogar mehr Golfspieler als man denkt –, dass man sich da vielleicht ein wenig verschätzt hat. Man ist ja auch ein wenig zurückgerudert. Auf Twitter hat Martin Schulz ja inzwischen so einen Versuch der Klärung gemacht, dass es ihm mehr um das Handicap ging, und dass da manche Leute das falsche Handicap im Blick hatten.
Dieser Versuch des Einfangens deutet aber vielleicht eher darauf hin, dass man ein wenig zur Erkenntnis gekommen ist, mit der ursprünglichen Zuspitzung ein wenig übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Wobei ich da noch mal gar nicht so sicher bin. Ich denke, es braucht Zuspitzung, es braucht auch die Ansprache der eigenen Wählerschaft. Die kennt man dann vielleicht gar nicht so gut, wie man gedacht hat, aber an sich fand ich das Wortspiel jetzt als solches durchaus mal eine legitime Zuspitzung im Wahlkampf, die ich als solche jetzt nicht sofort als höchst problematisch abtun würde.
Kassel: Ehrlich gesagt stimme ich da nicht völlig mit Ihnen überein. Ich würde darauf aber gern zurückgekommen, nachdem wir nun endlich auch Jens Spahn eingebaut haben in unser Gespräch, der auch, ganz anders als Schulz, nichts relativiert hat. Im Gegenteil, in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" hat er ja noch mal genauer erklärt, warum er tatsächlich findet, Hipster lebten in einer Parallelgesellschaft und das sei überhaupt nicht harmlos. Um auf das zurückzukommen, was Sie über Schulz und über die SPD-Klientel gesagt haben, kann das bei Spahn funktionieren? Ist es nicht so, dass wahrscheinlich 95 Prozent der potenziellen CDU-Wähler gar nicht wissen, was Hipster sind?
Faas: Ich glaube, im Fall von Jens Spahn ist der Fall tatsächlich etwas anders gelagert. Da muss man, glaube ich, sowohl auf die Union selbst gucken, was es da für Dynamiken innerhalb der CDU gibt, als auch natürlich den Wahlkampfkontext, der aber etwas breiter und weiter ist, einbeziehen. Ich meine, innerhalb der CDU gibt es ja durchaus eine Diskussion, dass man sich inzwischen versucht, in den Städten beliebter oder populärer zu präsentieren, dass man also da ein wenig vielleicht auf die Hipster, wenn man das Bild mal übernimmt, dass man sich auf die zubewegt, dass man eben auch sehr viel über Internet, Digitalisierung, also dass man diese urbanen, modernen Themen eben auch von Seiten der CDU mehr und mehr in den Fokus nimmt. Und da ist Jens Spahn durchaus auch in der Vergangenheit jemand gewesen, der eher sozusagen die klassische, traditionellere, vielleicht auch etwas ländlichere Perspektive in der Union gesehen hat oder auch versucht hat, zu besetzen.
Und aus dieser Warte betrachtet, liegt das, was er da sagt, eigentlich schon auf der Linie, die er schon länger verfolgt, nämlich sich als jemand in der Union zu präsentieren, der eher sagen wir mal auf die ländliche, die konservative, die traditionelle Linie schaut. Das ist das eine. Innerhalb des Wahlkampfs, muss man dazu sagen, auch da, wenn man an Trump denkt, aber auch an Entwicklungen, die es in europäischen Ländern gegeben hat, dann sehen wir, dass sich das Wählerverhalten durchaus stärker nach so Stadt/Land-Unterschieden zu sortieren scheint, sodass man in diesem breiteren Wahlkampfkontext das Ganze schon auch noch mal als Versuch sehen kann, wirklich gezielt eben die nicht-urbanen Regionen, also die Städte, könnte man sagen, im Wahlkampf anzusprechen, sondern ganz gezielt hier eher an die ländlichen Gebiete und auch die dort lebenden Menschen zu appellieren.
Insofern für Jens Spahn zwei Dinge hier: Positionierung innerhalb der Union, aber natürlich auch innerhalb des Wahlkampfs, im Wahlkampf eine klare Ansprache eher ländlicher Regionen, gegen eine Abgrenzung gegen die Städter hier.
Ein schmaler Grat
Kassel: Ja, aber wenn wir uns jetzt noch mal beide vorstellen, ich habe gerade so ein Bild im Kopf, wie die beiden, also Schulz und Spahn, jeweils neben ihrer Hauptwählergruppe stehen, sich mitten in die Gruppe stellen und dann mit dem Finger zeigen und sagen, seht mal, ich sehe das doch genauso wie ihr, es gibt so ein paar Leute in der Gesellschaft, die sind ein bisschen nicht so sympathisch. Man mag es ja harmlos finden, und man mag vielleicht sagen, dass jetzt weder die deutschen Golfspieler noch die Hipster ernsthaft in ihren Lebensumständen bedroht sind durch diese Äußerungen.
Aber ist das wirklich so harmlos? Stellen wir uns vor, es hätte vergleichbare Äußerungen über Homosexuelle, über Schwarze, über Behinderte und viele andere Gruppen gegeben, dann wäre ja nun die politische Karriere dieser Herren beendet. Nun kann man sagen, es ist nicht das Gleiche, aber im Prinzip – ist es tatsächlich in Ordnung, aus wahlkampftaktischen Gründen Gruppen von Menschen welcher Art auch immer derartig zu diffamieren?
Faas: Also Diffamieren ist jetzt natürlich ein starker Begriff. Dass es in der Politik – ich meine, warum haben wir Parteien? Weil bestimmte Parteien für bestimmte Gruppen in der Gesellschaft stärker eintreten als für andere, und bei den anderen ist es eben anders. Und im Idealfall ist es so, dass jeder eben für sich seine Partei findet, zu der er sich zugehörig fühlt, wo er seine politische Heimat hat, die er zumindest bei einer bevorstehenden Wahl wählen kann. Und das kann auch ganz stark in einer Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und Schichten sein.
Wenn Sie so wollen, ist der Konflikt und auch die Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Gruppen Wesensmerkmal, Kern der Demokratie. Was Sie angesprochen haben, die Arten von Diffamierung, die wir eben inakzeptabel finden, da geht es ja aber wirklich auch um letztlich rechtsstaatliche Fragen, Fragen von fundamentaler Gleichheit in der Demokratie, Wertschätzung des anderen. Da haben wir ja hier vielleicht doch eine etwas andere Art der Auseinandersetzung. Es geht ja nicht darum, dass Martin Schulz und auch Jens Spahn, dass sie dem Hipster bestimmte Rechte vielleicht nehmen wollen oder dass sie ihm seine Position, seine legitime Position in der Gesellschaft nicht zusprechen wollen, sondern vielleicht so ein bisschen mehr um eine Priorisierung, wem möchte man sich auch politisch dann eher widmen.
Also insofern ist der Grat schmal. Wir haben ja auch Äußerungen am Wochenende von anderer Seite gehört, die in eine ganz andere Richtung noch mal gingen, wo wir sagen könnte, da sind jetzt vielleicht wirklich Grenzen verletzt. Zuspitzungen im Wahlkampf, ohne die geht es nicht. Viele Menschen interessieren sich auch nicht so stark für Politik, die muss man dann vielleicht auch mal durch so eine Zuspitzung, durch so ein Bild ein wenig ansprechen. Das ist dann immer auch ein bisschen schief, aber wie gesagt, so ein bisschen Zuspitzung, manchmal auch mit so einem Augenzwinkern, da spricht aus meiner Sicht eigentlich nichts gegen.
Kassel: Sagt Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Mainz. Herr Faas, ich glaube, die Politiker werden uns immer wieder mal Gelegenheit geben, das noch zu vertiefen. Für heute Morgen erstmal vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.