Alle wollen Merkel sein
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Wer ist der legitime Nachfolger von Angela Merkel? Im Bundestagswahlkampf ist die Nähe zur scheidenden Kanzlerin plötzlich allseits erwünscht. Scholz, Laschet und Baerbock: Alle drei wissen um die Wirkung der Merkelschen "Gloriole", analysiert Marina Münkler.
Dass Angela Merkel am Ende ihrer letzten Amtszeit zum großen Vorbild wird, ist die bisher größte Überraschung im Wahlkampf. Nun, da sie nur noch ein paar Wochen Kanzlerin ist, scheint die Nähe zu ihr, ihrem Stil und ihrer Politik, als förderlich für den Weg ins Kanzleramt empfunden zu werden.
Olaf Scholz macht für die Süddeutsche Zeitung die Merkel-Raute, die CDU/CSU grantelt zurück, der SPD-Kandidat betreibe "Erbschleicherei". Und Merkel selbst fühlt sich genötigt, die "gewaltigen Unterschiede" zwischen ihr und Scholz herauszuarbeiten.
Bei Forsa führt jetzt die SPD
Es liege wohl an den Umfragewerten, dass die CDU so nervös reagiert, mutmaßt die Publizistin Marina Münkler. Dort liegt die Union derzeit zumeist gleichauf mit der SPD, nach der neuesten Forsa-Erhebung setzen sich die Sozialdemokraten sogar an die Spitze.
Bei der Popularität der Kandidaten führt Scholz weit vor Baerbock und Laschet. Sicher, Scholz versuche, sich in der Nachfolge Merkels zu platzieren, analysiert Münkler. Doch, Ironie der Geschichte: Auf die gleiche Weise habe Armin Laschet bei der internen Kandidatenauswahl der Union gegen Markus Söder gewonnen.
Im Übrigen versuche selbst Grünenkandidatin Baerbock, die Merkelsche Beliebtheit zu nutzen: Indem sie stark betone, dass nur mit ihr wieder eine Kanzlerin ins Kanzleramt einziehe.
Selbst Söder sucht die Nähe Merkels
Sich als legitimer Nachfolger von Merkel zu präsentieren, werde "allenthalben betrieben", sagt Münkler: "Alle versuchen es." Selbst Söder, lange ein scharfer Kritiker von Merkel, sei inzwischen auf diesen Kurs eingeschwenkt.
Die Wahlen, davon ist Münkler überzeugt, werden in der politischen Mitte gewonnen. Insofern ist der Versuch, sich in den Merkelschen Fußstapfen zu bewegen, verständlich, hat sie ihre Partei doch genau dorthin geführt.
Eigentlich müsste sich Laschet dort der Parteienlogik zufolge unwidersprochen bewegen. Doch er sei eben nicht in der Bundesregierung, sagt Münkler - ihm fehle deswegen die "Merkel-Nähe".
Bittere Erfahrungen mit Umfragen
Durchmarsch für Scholz? Durch die Vereinnahmung von Angela Merkel? Münkler erinnert die SPD an vergangene Wahlkämpfe: Die Partei sei schon ein paar Mal "Umfragemeister" gewesen, um dann bei der Wahl "hart auf dem Boden der Tatsachen" zu landen.
"Umfrageergebnisse sind Momentaufnahmen, und die SPD hat keine richtig guten Erfahrungen mit Umfragen", sagt Münkler. Die guten Werte für Scholz könnten mobilisierend, aber auch demobilisierend wirken: "Dass die Leute dann sagen: 'Die Wahl ist ja schon gelaufen. Dann muss ich auch nicht mehr hingehen.' Das ist heikel mit den Umfragen, und die SPD sollte das wissen."
(ahe)