Europa als Reizwort
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Der Europa-Wahlkampf ist für die Parteien in Sachsen schwer: Da dort am 26. Mai auch neue Kommunalparlamente gewählt werden, dominieren die lokalen Wahlen. Auf den Marktplätzen in Hoyerswerda und Bautzen wird viel über die AfD geredet.
"Ich bin die Europakandidatin der Grünen für Sachsen, es sind ja bald Europawahlen", sagt die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini. Es ist Freitagvormittag, Markttag in Hoyerswerda. Cavazzini, blonde Haare und rote Jacke, kommt an ihrem grünen Wahlkampfpavillon mit einem Ehepaar ins Gespräch. Die Frau will die Geschichte ihrer Schuhe loswerden. Die seien nach wenigen Wochen kaputt gegangen und niemand habe sie reparieren wollen. Ähnlich sei es doch bei Waschmaschinen: "Warum kämpfen Sie nicht dafür, dass wenn bei Waschmaschinen irgendein Aggregat kaputt ist, es einfach ausgetauscht werden kann?"
"Die Grünen im Europaparlament haben in der letzten Legislaturperiode einen Parlamentsbeschluss zustande gebracht, der genau das fordert", entgegnet die Politikerin. "Die Grünen setzen sich genau dafür ein. Ich weiß gar nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass wir das nicht tun."
Frust in der Lausitz
Verbraucherschutz – ein EU-Thema, erfahrbar für jeden beim kostenlosen Roaming. Und doch hapert es oft bei der Umsetzung. Europäische Politik hat ganz praktische Auswirkungen und ist doch so kompliziert. Das gilt auch für den Hoyerswerdaer Marktplatz, auf dem die resolut auftretende Seniorin in Windjacke lange mit der Europakandidatin diskutiert. Schnell ist man bei den Themen, die viele Menschen in der Lausitz frustrieren. Der Ausstieg aus der Kohle, die Überalterung in der Region. Das Gefühl, abgehängt zu sein.
"Aber ich sage Ihnen mal: Wir werden nicht AfD wählen, aber ich bin nah dran, als Denkzettel, weil ich weiß, dass es so nicht weitergeht", sagt die Seniorin. "Wir können nicht Millionen Euro für Leute ausgeben, die… Unsere alten Leute gehen nach Ungarn ins Altenheim, unsere alten Leute gehen nach Thailand ins Altenheim. Unsere Kinder haben marode Schulen, und wir haben hier eine Million Leute, die nicht einzahlen. Ich bin nicht rechts, aber das geht nicht." Aber die AfD biete dafür auch keine Lösung an, sagt Cavazzini.
Frust über das Leben in der vermeintlich abgehängten Provinz. Welche Rolle spielt denn Europa für die Seniorin und die Region, in der sie lebt? "Ich kann nicht für die Lausitz sprechen, ich nehme an, die Lausitz wird sich wenig für Europa interessieren, vermute ich fast mal. Ich weiß eigentlich, dass wir in Europa nicht vorankommen werden. China wird uns alle überholen und überrennen, es ist ja so."
Das sieht die überzeugte Europäerin Cavazzini anders. Sie hat für eine grüne EU-Abgeordnete gearbeitet und bei den Vereinten Nationen, jetzt will sie selbst ins Europäische Parlament. In ihrem rund zehnköpfigem Team ist heute auch ein Tscheche. Am 1. Mai hat sie im Dreiländereck den EU-Beitritt von Polen und Tschechien vor 15 Jahren gefeiert.
"Ich finde es interessant, weil die Leute eigentlich in einer Grenzregion leben, aber es ganz oft nicht besonders stark als einen positiven Aspekt wahrnehmen", sagt Cavazzini. "Aber darum geht es uns heute halt auch. Um zu zeigen, wie viele Fördergelder von der EU auch kommen und wie sie auch mittlerweile davon profitieren, dass die Grenzen mittlerweile offen sind nach Polen und nach Tschechien."
Schwieriger Wahlkampf
Sichtbar etwa auf dem Markt in Hoyerswerda. Mit großer Selbstverständlichkeit verkauft auch ein polnischer Händler sein Gemüse. Cavazzini versucht derweil weiter ihr Glück: "Hallo, bald sind Europawahlen, darf ich ihnen etwas mitgeben?" Ein Mann antwortet: "Nein, ich bin gegen die Grünen." Er finde viele Ideen der Grünen gut, würde sie aber nie wählen, sagt er und gibt sich später als CDU-Anhänger zu erkennen. Mit der Europäischen Union ist er im Großen und Ganzen zufrieden. "Ich will, dass das alles bleibt, dass wir auch für Europa sind. Aber ich will nicht, dass wir als Nationalstaat alles abgeben und nach Brüssel abgeben. Das wollen wir nicht."
Auch böse Blicke und Mittelfinger aus fahrenden Autos belegen, dass Hoyerswerda schwieriges Terrain ist für die grüne Europäerin. Aber weil viele Menschen doch mit ihr diskutiert hätten, sei sie zufrieden, sagt Cavazzini, bevor es nach gut zwei Stunden Richtung Görlitz geht. "Ich glaub,e die meisten Leute haben sich gar nicht so auf Europa bezogen, sondern eher auf die Grünen an sich", sagt sie. "Es ist halt nicht so, dass wir hier besonders stark sind, das heißt, die Grünen stehen hier nicht jeden Tag am Stand. Das heißt, viele haben überhaupt erstmal über grüne Politik gesprochen, über den Kohleausstieg, der sie natürlich hier in der Region ganz besonders bewegt. Das waren eigentlich die Hauptthemen."
Die AfD in Bautzen
Nicht jeden, aber fast jeden Tag baut die AfD derzeit ihren Stand in der Fußgängerzone in der 30 Kilometer entfernten Kreisstadt Bautzen auf. Zur Europawahl hat ein Mann dort eine klare Meinung: "In der Medizin würde man sagen: Placebo. Haben keine Wirkung. Wirkungslos. Das ist wie, wenn sie eine Tanzveranstaltung machen, ohne Eintritt. Sinnlos." Dennoch werde er zur Europawahl gehen und will für die AfD stimmen.
In Sachsen werden am 26. Mai auch neue Kommunalparlamente gewählt. Die lokalen Wahlen dominieren bei den Plakaten und den Veranstaltungen. Auch der Stand der AfD an diesem Tag ist vom Kreisverband Bautzen. Mit Deutschlandfunk Kultur will keiner der AfD-Kandidaten für die Kommunalwahlen sprechen. So bleibt nur, diejenigen anzusprechen, die sich am Wahlstand mit den Kandidaten ausgetauscht haben.
"Ja, ich bin mir eben nicht sicher, was alles in der Partei drin ist", ist da zu hören. "Es gibt ja anständige Leute, die das alles ernst meinen, aber manche nutzen das auch aus. Die reden immer von den Nazis und so weiter. Und dann sagen sie immer, die sind dort in der Partei. Ich weiß nicht, ob die dort in der Partei sind. Das ist ja nicht nachweisbar. Ich kann das nicht richtig nachvollziehen, ich sage ihnen das ganz ehrlich." Man kann hier auch Menschen treffen, die sich als bekennende Nationalisten bezeichnen.
Dieser Mann unterhält sich lange mit den AfD-Kandidaten. Wählen aber werde er nicht die AfD, sondern die rechtsextreme Partei Die Rechte. "Wir sind ja auch nicht, also ich bin keiner, der sagt, dass die Europäische Union was von Grund her Schlechtes ist", sagt er. "Bloß die diktatorischen Züge, die die angenommen hat, das ist das Problem - das sind teilweise erpresserische Züge. Und das ist ja das Fatale, und darum muss man sagen: Wenn es die EU weitergeben soll, dann muss sie sich um 180 Grad wandeln. Weil, wie man mit Orban umgeht, das geht ja bis zur Erpressung. Dass die so das machen, was die wollen. Aber man muss die Souveränität der Völker achten und die Völker bestimmen, was in ihrem Land an Politik vollzogen wird."
Auch die Linke ist präsent
"Die Alternative für Deutschland spricht mich nicht so an", sagt ein Mann, der aus Leipzig zu Besuch in Bautzen ist. Infomaterial der AfD hat er abgelehnt. "Ich weiß zurzeit auch noch nicht, was ich wähle, aber die Alternative für Deutschland, nein danke. Aber es ist zurzeit auch ein bisschen schwierig, denn die anderen Parteien, die sprechen die Bevölkerung zurzeit nicht so an. Das macht die AfD gut, finde ich nun wieder.
Aber deswegen gehe ich ihnen trotzdem nicht auf den Leim." Die ÖVP in Österreich gefalle ihm gut, sagt er, und dass es mit Europa derzeit schwierig sei. "Weil, das ist meine Meinung, die deutsche Rolle in Europa, wir haben uns da ein bisschen zu weit reingelehnt. Oder haben zu viel gezahlt, wollen mal so sagen. Ob wir das alles wieder zurückkriegen? Dann die Situation mit dem Brexit kommt ja auch noch dazu. Weil Europa aus der Warte, bricht ja im Moment auseinander. Und es kann in meinen Augen nicht sein, dass ein finanzstarkes Land wie Deutschland den Rest durchzieht."
Werben um Protestwähler
Auch Keith Barlow macht an diesem Tag Wahlkampf in Bautzen und sagt: "Aber auf der anderen Seite, bleibt die Agenda 2010, also die Politik des Lohn- und Sozialdumpings der rotgrünen, hochaktuell." Barlow ist Historiker, wohnt seit den 1980er-Jahren in Leipzig. Für die Linken tritt er bei der Europawahl an. In Bautzen hat er heute Rüdiger Thürling an seiner Seite, den Vorsitzenden des Linken-Ortsverbandes. "Die wichtigsten Themen sind für die Menschen glaube ich, dass die Welt friedlich bleibt", sagt er. "Das ist jetzt nicht ein explizites kommunales Problem, aber sie wissen eigentlich, dass der Frieden ganz wichtig ist, ein gutes Verhältnis zu Russland."
Wie macht die Linke Wahlkampf in einer Region, in der die AfD zuletzt deutlich mehr als 30 Prozent der Stimmen geholt hat? Thürling wertet die Wahlentscheidung für die AfD vor allem als Protest. "Für mich als Linker ist das natürlich nicht die Antwort, sondern ich sehe dahinter die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft, aber auch in Europa", sagt er. Das gebe ihm doch zu denken. "Und es macht mir schon auch Angst aber ich denke, ich hoffe es zumindest, dass die Menschen auch merken, dass die AfD auch für viele Fragen gerade was hier in der Region ist und in der Bundesrepublik, hier nicht die entsprechenden Antworten hat."
Das Gesicht von Linken-Politiker Thürling wird nachdenklich. "Ja, die Alternative wird gewählt. Oder zumindest wird das so kundgetan. Als ob es die Alternative ist." Aber er sei schon froh, wenn es so friedlich bleibe und nicht ausarte. "Gibt ja auch welche, die dann richtig schimpfen oder einen beschimpfen."