Angst vor Maidan in Weißrussland
In Weißrussland hat der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober begonnen. Doch was aussieht wie lebendiger Wahlkampf, ist eine Farce. Amtsinhaber Lukaschenko spielen die Ereignisse in der Ukraine in die Hände. Sie haben die Menschen in Weißrussland nicht ermutigt, selbst einen Wandel zu wagen.
Vor einem Supermarkt in einem Minsker Wohnviertel wehen die Fahnen verschiedener weißrussischer Parteien. An Klapptischen sollen Passanten ihre Unterschrift geben für den Bewerber ihrer Wahl. Die ehemalige Buchhalterin Berta Äppelbaum ist unentschieden, Lukaschenko soll es nicht mehr sein, aber noch wichtiger ist ihr, dass es keinen Maidan gibt. So etwas wolle niemand, sagt sie. Am Stand bricht ein kurzer Streit aus: Wofür Weißrussland überhaupt einen eigenen Präsidenten brauche. "Wenn sie keinen wollen, gehen sie doch gleich nach Russland!", lautete die Antwort. Die Architektin Olena hofft, dass sie in ihrem Leben noch einmal einen anderen Präsidenten als Alexander Lukaschenko erlebt, denn der sei ein Bandit. Sie ärgert, dass die Leute so passiv sind.
Herausforderer Anatoli Lebedko
"Die Angst, die der Maidan ausgelöst hat, war groß und die Regierung hat das ausgenutzt.", sagt Anatoli Lebedko, ein Oppositionskandidat. "Ohne die Ereignisse in der Ukraine ginge es dem Präsidenten sehr schlecht in der derzeitigen Wirtschaftskrise. Aber noch ziehen die Leute ein bescheidenes Leben mit mickrigen Gehältern einem Wechsel vor. Ruhe, Frieden, keine Schüsse. Das macht sich die Regierung zunutze. Es ist nicht so, dass die Mehrheit keinen Wechsel möchte, aber der soll möglichst komfortabel sein."
Für den Lukaschenko-Herausforderer Lebedko von der Vereinigten Bürgerpartei ist der Wahlkampf die einzige Möglichkeit, mit den Menschen in Kontakt zu kommen:
"Seit den letzten Präsidentschaftswahlen haben wir rund 1000 Anträge für Demonstrationen, Proteste, Aktionen gestellt. Kein Einziger ist genehmigt worden."
Die Popularität des Präsidenten
Die weißrussische Bevölkerung blickt mit Angst auf die Folgen des Maidan in der Ukraine. Dem seit 21 Jahren herrschenden Präsidenten bescheinigen aktuelle Umfragen Popularitätswerte von rund 40 Prozent, kein anderer Kandidat erreicht auch nur 10 Prozent. Trotz der Wirtschaftskrise.
"Die Menschen wollen nicht sehen, dass Lukaschenko die Krise mit den fehlenden Reformen verschuldet hat, Hauptsache es herrscht Stabilität."
Sorge um die Souveränität Weißrusslands
Der Politologe Valeri Karbalewitsch hat beobachtet, dass sich die russischen Fernsehsender mehr Gehör verschaffen in Weißrussland als die einheimischen Programme, was Lukaschenko vor ungeahnte Probleme stelle:
"Interessant ist, dass die Mehrheit eher das denkt, was die russischen Medien sagen, als das was Lukaschenko meint. 50 bis 70 Prozent der Weißrussen unterstützen Russland. Die Regierung aber ist viel mehr auf Seiten der Ukraine als die Bevölkerung. Die weißrussischen Medien haben die Ereignisse in der Ukraine ziemlich neutral dargestellt. Dass sie nicht durchdringen, sondern nur die russischen, war für Lukaschenko eine unerwartete und unangenehme Erfahrung. Auch die Aktivitäten von prorussischen Organisationen haben sichtbar zugenommen. Es werden Russlandfahnen und Georgsbänder verteilt. Lukaschenko hat den Beamten strikt untersagt, damit herumzulaufen, das half. Es gab einen Versuch, eine prorussische Partei, die sogenannte Slawische Union zu gründen. Das wurde sofort gestoppt, so hart, wie man das auch bei der Opposition immer tut."
Lukaschenko und die Opposition haben sich seit den Ereignissen in der Ukraine in einem Punkt scheinbar angenähert: in ihrer Sorge um die Souveränität Weißrusslands. Doch während die Opposition die Abhängigkeit von Russland mindern möchte, interessiert Lukaschenko vor allem, wie er sich im Amt hält.
"Das Risiko, die Gefahr, die Macht zu verlieren, ist von Seiten Russlands viel größer als von Seiten einer weißrussischen Maidan-Bewegung. Russland reagierte auf die Revolution in der Ukraine. Lukaschenko weiß, dass er die Machtverhältnisse intern wie nach außen nicht verändern darf, dann wird es keine Wiederholung des Krim-Szenariums in Weißrussland geben."