Ein bisschen langweilig darf's ruhig sein
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Die New York Times lästert über das fehlende Charisma von Scholz und Laschet. Die Journalistin Tonia Mastrobuoni hält dagegen: Wenn eine Gesellschaft statt auf Begeisterung und Gefühl auf Stabilität und Erfahrung setze, sei das ein Zeichen von Reife.
Der Wahlkampf in Deutschland verläuft bisher verhalten. Klimadebatte und andere Zukunftsthemen werden eher nüchtern verhandelt, zur Rangelei zwischen den politischen Protagonisten kommt es hingegen, wenn SPD-Kandidat Scholz die Merkel-Raute macht. Die New York Times hat das aufgenommen und lästert: "Bitte kein Charisma." Olaf Scholz und Armin Laschet seien "Anzug-tragende Karrierepolitiker" und "alles andere als aufregend".
Das ist der US-amerikanische Blick auf die deutschen Verhältnisse. Wie ist der italienische? Charisma, sagt Tonia Mastrobuoni, La Repubblica-Korrespondentin in Berlin, sei letztlich nicht notwendig.
Der Schriftsteller Thomas Brussig habe einmal in Anspielung auf die NS-Zeit davon gesprochen, dass Deutschland einen Charismatiker zu viel gehabt habe. Es sei wichtiger, auf die Programme der Parteien zu gucken, und das geschehe derzeit im Wahlkampf noch zu wenig, kritisiert Mastrobuoni.
Merkel hat ein "Wunder" geschafft
Dass Olaf Scholz mit dem Narrativ spiele, der Erbe Merkels zu sein, sei sehr geschickt von ihm, findet die Journalistin. Zum einen gebe es noch viele Wähler, die unentschieden seien. Und zum anderen habe Merkel ein "Wunder" geschafft: Sie habe die CDU als Volkspartei erhalten, während viele andere Volksparteien in Europa verschwunden seien. Sie seien schlicht von den Populisten "aufgefressen" worden.
Es gebe in der "Ära der Populismen" genug Parteien und Anführer in Europa, die vor allem auf Bauchgefühle setzten, betont Mastrobuoni. "Ich finde das sehr gefährlich. Politik sollte kopfgetrieben sein." Wenn eine Gesellschaft wie die deutsche statt auf Begeisterung und Gefühl auf Stabilität und Erfahrung setze, sei das ein Zeichen von Reife.
Es geht auch um die Zukunft Europas
Bei der Wahl in Deutschland gehe es auch um die Zukunft Europas, sagt die Korrespondentin. In Italien vertraue man allen drei deutschen Kandidaten. Sorgen bereite den Italienern vor allem der rechte Rand der Union, weil dieser sich sich immer wieder gegen eine vertiefte europäische Integration stelle.
(ahe)