Wahlkampf in Israel

Manege frei für die Dompteure der Demokratie

Yitzchak Herzog(l.) und Tzipi Livni auf einem Plakat in Tel Aviv
Yitzchak Herzog(l.) und Tzipi Livni geht es vor allem darum, eine weitere Amtszeit von Benjamin Netanjahuin zu verhindern. © picture alliance / dpa
Von Anita Haviv-Horiner |
Am Dienstag wählt Israel ein neues Parlament. Einen Grund, sich zu ärgern, gibt es schon jetzt: Keiner der Politiker biete ein Programm für mehr Frieden in der Region, kritisiert die Schriftstellerin Anita Haviv-Horiner.
Die Soziologin Eva Illouz bezeichnete israelische Politik als Zirkus, und das ist auch auf Hebräisch kein Kompliment. Als Zirkusliebhaberin betrübt mich der Vergleich zwar, doch zählte im Wahlkampf vor allem eine Frage: Wer kann das Publikum gekonnter und spektakulärer überwältigen?
Mein 90-jähriger Freund Moshe versuchte zwar das Publikum aus seiner kollektiven Verblendung aufzurütteln. Empört postete er auf Facebook: "Charisma! Charisma! Hört doch auf, bei den Wahlen nach einem Messias zu suchen. Fragt doch endlich 'Wohin führst Du unser Land?'" Doch der Zirkus ging weiter – mit den bekannten Akteuren.
Benjamin Netanjahu ist ein Meister im Schüren berechtigter existentieller Ängste vieler Israelis. Die Kunst des Feuerspeiens beherrscht der Ministerpräsident bis zur Perfektion; zum Beispiel kündigte er in einem Videoclip dem verschreckten Volk an, dass die Linke den Terror nicht bekämpfen würde und brachte gleich ISIS ins Spiel.
Es geht nur um das Versagen des Rivalen
So fällt vielen gar nicht auf, dass es eigentlich zu den Aufgaben der selbstdeklarierten Stimme des gesamten jüdischen Volkes gehört, sein Publikum nicht nur in die Wüste der internationalen Isolation, des Siedlungsbaus und der steigenden Armut zu schicken, sondern sie auch ins von ihm seit Jahren versprochene Zelt des "sicheren Friedens" zu führen. Oder es zumindest glaubwürdig zu versuchen.
Yitzchak Herzog und Tzipi Livni dagegen, das neue unzertrennliche Zirkuspaar der israelischen Politik, präsentieren sich als die Alternative zum amtierenden Premier. "Nur nicht er", verkünden sie bei jeder Gelegenheit. Ihr Wahlkampf ist darauf aufgebaut, dem Volk das Versagen ihres Rivalen in den Kopf zu hämmern.
Allerdings wünscht sich so mancher Wähler ähnliche Klarheit bei der Darstellung ihres eigenen politischen und gesellschaftlichen Programms. Wie dem auch sei, voller Optimismus haben sich die beiden für den Fall ihres Sieges auf ein Rotationsverfahren für das Amt des Ministerpräsidenten geeinigt. Schon jetzt wird spekuliert, ob ihnen dieser Salto Mortale im Ernstfall gelingen würde.
Lautes Schreien der Polit-Clowns übertönt die Mahnung
Die sonst untereinander zerstrittenen arabischen Parteien konnten sich auf eine Liste einigen, deren originelles Spektrum von islamisch orientierten Gruppen bis hin zu säkularen, ehemaligen Kommunisten reicht. Das einzige gemeinsame Ziel dieser Jongleure ist es, den zionistischen Staat durch einen Bi-nationalen zu ersetzen. Ein solcher "Staat aller seiner Bürger" ist das Schreckgespenst der jüdischen Wähler.
Gegen diesen Zirkus mag mein Freund Moshe noch so empört aufbegehren. Das laute Schreien der Clowns in der Manege übertönte seine Mahnung. Und obwohl im Judentum die Prophezeiung seit der Zerstörung des Zweiten Tempels den Kindern und Narren vorbehalten ist, wage ich Moshe jetzt schon zu antworten: "Manege frei für den nächsten Wahlkampf."
Anita Haviv-Horiner, 1960 in Wien geboren und dort aufgewachsen, wanderte 1979 nach Israel ein. Sie studierte in Tel Aviv Literaturwissenschaften, arbeitet für Bildungsprojekte zum Holocaust-Gedenken und gründete 1994 die Agentur Israel Encounter Programs, die sie bis heute leitet.
Die Literaturwissenschaftlerin Anita Haviv-Horiner
Die Literaturwissenschaftlerin Anita Haviv-Horiner© privat
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