Wahlkampfhelferin wider Willen
Irene Dische ist die Picara der deutschen Gegenwartsliteratur. Sie liebt tollkühne, leicht absurde Plots, freche Pointen und Erzählfiguren, die sich mit einer Mischung aus Unverschämtheit und Naivität durch die Realität schlagen. Clarissa, die Protagonistin des neuen Romans von Dische, ist eine typische Vertreterin des literarischen Schelms.
Clarissa befindet sich - was der Dramaturgie eines klassischen Schelmenromans entspricht - auf einer Reise, für die es keinen festen Plan gibt. Der Plan entsteht von Tag zu Tag, von Fall zu Fall, je nach Abenteuerlust und Wetterlage.
Zu Beginn der Erzählung fliegt die 35-jährige Clarissa von Deutschland nach Amerika, ihrer ursprünglichen Heimat, die sie als Mädchen verlassen hat. In diesem Punkt deckt sich Clarissas Vorgeschichte mit der Biografie ihrer Erfinderin Irene Dische.
Die Deutschamerikanerin wurde 1952 in New York geboren, begab sich im Alter von 17 Jahren als Tramperin auf Weltreise und wurde nach einem Studium in Amerika im Jahr 1977 in Berlin sesshaft. Disches literarische Heimat ist der deutsche Buchmarkt, ihre Romane und Erzählungen erscheinen zuerst in Deutschland, allerdings nach einer Rückübersetzung aus dem Amerikanischen, denn dies ist nach wie vor Irene Disches Literatursprache.
Was Clarissa über den Atlantik treibt, ist nichts anderes als Liebeskummer. In New York will sie sich von der Trennung von Ivan, einem verheirateten Dichter, erholen und generell Abstand gewinnen von den Verwirrungen der Liebe. Neben Ivan gibt es noch den Ehemann Hans, ein Inbild von Geduld und Nachsicht, sowie ein Bündel anderer Herzenskandidaten. Und schon im Flugzeug nach Amerika lernt Clarissa einen Sitznachbarn kennen, der nicht ohne Attraktion ist. Ihm zuliebe schiebt sie ihr Reiseziel New York nach hinten und setzt sich erst einmal an den Strand von Miami.
Das Wichtigste an Irene Disches vergnüglichem, in kurzen, kalenderblattähnlichen Prosastücken organisiertem Roman ist indes der historische Zeitpunkt der Erzählung: Frühjahr/Sommer 2008, der Beginn der Epoche von "Obama-Amerika". Als Clarissa in Miami eintrifft, tobt der demokratische Vorwahlkampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton. Keine Bar, in der nicht der Fernseher läuft und die beiden Kontrahenten zu sehen sind. Das Duo Obama/Clinton ist Clarissas eigentlicher Reisebegleiter.
Nur nimmt sie davon wenig Notiz. Was die Welt bewegt, bewegt Clarissa noch lange nicht. Für sie stehen Liebeskummer und Amouren im Mittelpunkt. Der Rest ist Flimmern am Rand der Aufmerksamkeit. Der Schelmenroman ist eine Erfindung der höfischen Welt, der Schelm betrachtet die Welt von unten und stellt Hierarchien auf den Kopf. Nichts anderes macht Clarissa in diesem literarischen Roadmovie durch die amerikanische Demokratie.
Rezensiert von Ursula März
Irene Dische: Clarissas empfindsame Reise
Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009
160 Seiten, 19.95 Euro
Zu Beginn der Erzählung fliegt die 35-jährige Clarissa von Deutschland nach Amerika, ihrer ursprünglichen Heimat, die sie als Mädchen verlassen hat. In diesem Punkt deckt sich Clarissas Vorgeschichte mit der Biografie ihrer Erfinderin Irene Dische.
Die Deutschamerikanerin wurde 1952 in New York geboren, begab sich im Alter von 17 Jahren als Tramperin auf Weltreise und wurde nach einem Studium in Amerika im Jahr 1977 in Berlin sesshaft. Disches literarische Heimat ist der deutsche Buchmarkt, ihre Romane und Erzählungen erscheinen zuerst in Deutschland, allerdings nach einer Rückübersetzung aus dem Amerikanischen, denn dies ist nach wie vor Irene Disches Literatursprache.
Was Clarissa über den Atlantik treibt, ist nichts anderes als Liebeskummer. In New York will sie sich von der Trennung von Ivan, einem verheirateten Dichter, erholen und generell Abstand gewinnen von den Verwirrungen der Liebe. Neben Ivan gibt es noch den Ehemann Hans, ein Inbild von Geduld und Nachsicht, sowie ein Bündel anderer Herzenskandidaten. Und schon im Flugzeug nach Amerika lernt Clarissa einen Sitznachbarn kennen, der nicht ohne Attraktion ist. Ihm zuliebe schiebt sie ihr Reiseziel New York nach hinten und setzt sich erst einmal an den Strand von Miami.
Das Wichtigste an Irene Disches vergnüglichem, in kurzen, kalenderblattähnlichen Prosastücken organisiertem Roman ist indes der historische Zeitpunkt der Erzählung: Frühjahr/Sommer 2008, der Beginn der Epoche von "Obama-Amerika". Als Clarissa in Miami eintrifft, tobt der demokratische Vorwahlkampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton. Keine Bar, in der nicht der Fernseher läuft und die beiden Kontrahenten zu sehen sind. Das Duo Obama/Clinton ist Clarissas eigentlicher Reisebegleiter.
Nur nimmt sie davon wenig Notiz. Was die Welt bewegt, bewegt Clarissa noch lange nicht. Für sie stehen Liebeskummer und Amouren im Mittelpunkt. Der Rest ist Flimmern am Rand der Aufmerksamkeit. Der Schelmenroman ist eine Erfindung der höfischen Welt, der Schelm betrachtet die Welt von unten und stellt Hierarchien auf den Kopf. Nichts anderes macht Clarissa in diesem literarischen Roadmovie durch die amerikanische Demokratie.
Rezensiert von Ursula März
Irene Dische: Clarissas empfindsame Reise
Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009
160 Seiten, 19.95 Euro